Sonntag, 28.04.2002

Kein Film. Hier jetzt kein Film.

Warum der Vergleich, der Aufbau einer Beziehung, die Reihenbildung von TWO-LANE BLACKTOP mit Melvilles BARTLEBY nicht gefällt, mich unzufrieden zurücklässt, ungelöste Reste erzeugt, die ja ihrerseits wieder produktiv werden können? (s. den Text von Bert Rebhandl weiter unten) Natürlich ist es legitim, jeden Text zu jedwedem Film in Beziehung zu setzen. Dabei besteht aber die Gefahr, dass Konturen zu Gunsten von Ähnlichkeiten verschliffen werden. Zumindest möchte ich eine Präzisierung vorschlagen, die die Dinge wieder auseinanderrückt und die Reibung erhöht.

Ist es wirklich der Geist von BARTLEBY, der als Brise und Fahrtwind verkleidet, den Protagonisten von TWO-LANE BLACKTOP ins Gesicht schlägt? Meine Befürchtung ist, dass in dieser Gegenüberstellung ähnliche Kategorien vorschnell für identisch erklärt werden. Bartlebys Verweigerungskonzept schien mir zunächst dem zu entsprechen, was ich mir unter britischer Exzentrik vorstelle, obwohl sich die Geschichte in New York zuträgt: – Der Versuch eben, innerhalb einer äußerst formierten Gesellschaft, die kein Ausbrechen erlaubt, durch Implosion eine Blase privaten Wahnsinns herzustellen, die in ihrer Einzigartigkeit und Abgegrenztheit dann wieder gesellschaftlich sanktioniert wird – soweit ein hinreichendes Funktionieren des Exzentrikers gewährleistet ist. Soviel Versöhnlichkeit liegt hier aber nicht vor. Denn Bartlebys Verweigerung geht weiter und lässt sich als Spleen nicht fassen, will gar nicht mehr funktionieren, will einfach nur „nicht“. In seinem Buch „Hand an sich legen“ trifft Jean Améry die Unterscheidung von „nicht“ und „nichts“. Derjenige, der Hand an sich legt, will nicht etwa nichts. Soviel Gegenständlichkeit entspricht der Situation schon lange nicht mehr. Er will einfach nur nicht. Das Verhältnis von „nicht“ und „nichts“ scheint mir auch das Verhältnis von BARTLEBY und TWO-LANE BLACKTOP zu charakterisieren. Bartlebys Autismus, sich in vorgegebene Strukturen hineinfallen zu lassen (selbst das hat noch zu viel Willen; er fällt einfach nur) ohne dort selbst noch als „ich“ vorkommen zu müssen, geht in seiner radikalen Hermetik über die immerhin noch nonverbal expressiv sein wollenden Protagonisten von TWO-LANE BLACKTOP weit hinaus. Sie wollen durchaus wirken und gesellschaftlichen Gegenentwurf liefern. Dabei bildet das Mädchen die Ausnahme, die die hoffnungslose Gefangenschaft der Männer noch als erste transzendiert, wenn auch nur mit Hilfe eines Mannes. So könnte am Ende von TWO-LANE BLACKTOP stehen, die Zukunft des Mannes sei die Frau; am Ende von BARTLEBY – jenseits aller geschlechtlicher Differenzierung – steht gar nicht.

Habe ich schon bedauert, dass die Arbeit an Text und Film dazu verleitet, von der Physis des Films abzusehen? Wo sind die Veranstaltungen, die die Hand, die die Sprache auf den Film legt, in ihre Schranken weist?
„… die Stimme gegen die Macht der Sprache …“ wird Godard in einem Aufsatz von Helmut Färber zitiert, auf den hier hinzuweisen ist. (Architektur, Dekoration, Zerstörung. Etliches über Kinematographie und äußere Wirklichkeit.; in: Kreimeier[Hrsg.]: Die Metaphysik des Dekors, Marburg 1994; S. 100-117) Dank an Bert Rebhandl für die Lenkung der Aufmerksamkeit.

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