Montag, 10.02.2003

Das große Glück der kleinen Leute

Ist die RTL Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ ein weiterer, vielleicht der endgültige, Beleg für den oft beschworenen Tod von Pop?

Von MICHAEL GIRKE

Die Popshow „Deutschland sucht den Superstar“ ist das derzeit erfolgreichste Programm im deutschen Fernsehen. Sogar BILD-Kommentatoren, nicht bekannt dafür jemals ein gutes Wort für Rap eingelegt zu haben, sind begeistert: „In Deutschland sucht den Superstar bei RTL kämpfen junge Menschen darum, dass ihre Ziele wahr werden. Dass sie ihre Träume verwirklichen. Dass sie es ganz nach oben schaffen. Leidenschaftlich und kompromisslos. Deutschland fiebert am Bildschirm mit“ (BILD, 20.01.03).

Womit hat Pop BILD-Lob verdient? Der Kommentar, inmitten seiner freundlichen Anteilnahme, gibt erbarmungslos Auskunft. Träume und Leidenschaften werden in den vorherrschenden Diskurs unserer Zeit zurückübersetzt, in den Diskurs der Wirtschaftsinteressen, des Egoismus, des kompromisslosen Wettbewerbs aller gegen aller.

Die Form der Sendung scheint dieser Interpretation recht zu geben. In einer Deutschland weiten Kampagne wurden junge Leute, die sich für Showtalente mit großer Stimme halten, aufgerufen sich zu bewerben. Eine Jury – ein Bertelsmann Chef, Deutschlands erfolgreichster Musikproduzent und zwei Journalisten – sortierte in langen Wochen die nicht Begabten aus. Den verbliebenen TeilnehmerInnen werden gesangliche Aufgaben gestellt, die sie jeden Samstag live um 21 Uhr 15 bei RTL zu lösen haben. Die Jury kommentiert die Darbietungen, das Publikum entscheidet, wer ausscheidet. Wer ganz am Ende übrig ist, ist Superstar.

Die lange Laufzeit der Sendung ist wohl kalkuliert. Durch sie erst stellen sich Emotionen ein. Man sieht nicht hinter die Kulissen, in die Büros der Macher. Aber sonst sieht man alles: Das Nervenflattern, die gezwungene Lässigkeit der TeilnehmerInnen vor der Entscheidung. Die Erleichterung, die triumphalen Ausbrüche derer, die dabei bleiben. Die Verzweiflung oder die Wut der Verlierer. Alles wird in Großaufnahme gezeigt und dann immer wieder in Zeitlupe. Das Publikum fühlt sich intim mit den Teilnehmern. Ebenso mit der Jury und den Moderatoren. Emotion ist Technik geworden. Intimität ein kommerziell auszuwertender Effekt. Fanclubs entstehen, die Boulevardpresse tut manchen privaten Abgrund der Superstars auf, das Feuilleton kann dazu nicht schweigen. Wie schon bei „Big Brother“ läßt sich Wirklichkeit bereitwillig zur Seifenoper machen.

Was das mit Pop zu tun hat? Im Verlauf der Sendung werden Hits und Klassiker aus allen guten Zeiten der populären Musik gesungen. Und die Vorstellung, welche die jungen Superstars von sich selbst haben mögen, steht, zur Hymne geworden, seit Wochen an der Spitze der deutschen Charts: „We have a Dream; Music is our Life.“ Das Leben als Bühne. Ewige Utopie des Pop, wie schon des Theaters und des Kinos.

Die Wertlosigkeit der RTL Show scheint evident, gegenüber den Standards, die Pop im Laufe seiner Geschichte entwickelt hat. Niemand in dieser Sendung ist auf der Suche nach einer eigenen Stimme, wie sie Elvis, die Beatles, Joni Mitchell, Public Enemy oder, in Deutschland, die Band Blumfeld entwickelt haben. Im Gegenteil, die Jury flüstert den Teilnehmern laufend Vorstellungen vom Startum ein, die aus den Eigenschaften dominierender Stars der letzten Jahre imaginär zusammengeflickt sind, wie das traurige Monster des Dr. Frankenstein. Und immer haben die kommenden Superstars nichts eiligeres zu tun, als sich beflissen alles Eigene auszutreiben.

Rüttelt da jemand in einer von RTL live ausgestrahlten Sendeminute an Bildungs- und Klassenschranken, öffentlichen Denkverboten und Tabus? Strahlt die Mattscheibe samstags heller als sonst, geht von RTL ein gerüttelt Maß an Glamour aus, also diese verführerische, schwindelerregende Qualität der großen Diven von Marlene Dietrich bis David Bowie? Die Antworten liegen auf der Hand. „Deutschland sucht den Superstar“ ist der hoch professionelle Schund, den Medienbosse und Produzenten sich ausdenken, um sich zu beweisen, daß sie das Heft der Popwelt in der Hand haben. Und daß die Jugend für ‘nen Appel und 15 Minuten Medienpräsenz zu wirklich allem bereit ist.

Nur ist die Jugend schon lange nicht mehr die Jugend. Es gibt sie nicht mehr als diese gigantisch große Gruppe, die sich einig ist in der Liebe zu Elvis oder einem anderen neuen Geist. Das Poppublikum ist zersplittert in größere bis allerkleinste Fan- und Altersgruppen und Marktsegmente. Sogar Werbeclips für Kartoffelchips haben erklärte Anhänger.

Als Konsequenz hat der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen Pop aufgeteilt in Pop 1 und Pop 2. Pop 1, das war die Zeit, als Popstars zugleich auf kommerzieller, künstlerischer und politischer Ebene Freiheiten und Spielräume durchsetzen wollten und durchsetzten gegen die Unterhaltungsindustrie. Pop 2, das ist die Gegenwart. Die ist geprägt von zunehmenden Monopolen der Mediengiganten; von Musiksendern, die zu reinen Dienern der Verwertungsinteressen der Monopolisten verkommen sind; und davon, daß Pop Rassisten und anderen Rechten, die ihn benutzen, keinen wirklichen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Folgt man diesem Modell, gehört „Deutschland sucht den Superstar“ zu Pop 2. Zu diesem leeren, korrupten, aber profitablen Karneval.

Aber: Ist diese Aufteilung des Pop nicht ein wohlfeiles Muster, daß man sich heranholt, um nicht vor der alten Zeit erschrecken zu müssen? War Pop nicht immer auch so wie „Deutschland sucht den Superstar“ es auf den Punkt bringt?
Die zurecht gefeierte künstlerische Eigenständigkeit von Stars wie den Beatles oder Madonna, sie mußte ausbeutenden, geldgeilen Managern, Produzenten, Plattenkonzernen erst abgerungen werden. In oft furchtbaren quälenden Auseinandersetzungen. Viele sind auf diesem Weg tragisch gescheitert. Aber das kann kein Grund sein, ihn gar nicht mehr zu gehen. Daß ihn welche gegangen sind, davon profitiert die populäre Kultur bis heute. Ist es ausgeschlossen, daß einer der Superstars ein kühl kalkulierender oder sehr eigener Kopf ist? Der eine Gelegenheit nutzen will, um eine ihm zugedachte öffentliche Rolle zu konterkarieren und im Showgeschäft eine trotzige kleine Individualität durchzusetzen?

Großes Glück von kleinen Leuten. Um nichts anderes geht es in „Deutschland sucht den Superstar.“ Als klein erscheinen der populären Kultur zugeneigte Leute, wenn man sie betrachtet mit den Augen der Elite. Mit den Augen der traditionellen bürgerlichen Kultur.

Hinter den Vorbehalten gegen Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“, gegen Popkultur überhaupt, steckt oft die Vorstellung, daß das Glück natürlich bleiben soll. Nicht diese von Traumfabriken und dahinter stehenden Interessen produzierte Wegwerfware. Aber die Glücksvorstellungen und Selbstbilder der selbst ernannten Eliten, sind sie nicht ebenfalls fabriziert und künstlich? Entnommen den Bildern, Tönen Worten der großen Romane, Opern, Theaterstücke, Philosophien; in denen das Glück ja auch nur erscheint, nie wirklich ist? Anders gefragt: Ist unser Verhältnis zu unseren politischen Repräsentanten oder Lieblingsgeistesgrößen von anderer, weniger vermittelter und fremd bestimmter Substanz, als das der Fans zu ihren angehimmelten und fallengelassenen Stars?

Wie also wäre angemessen, kritisch, von links, auf ein Programm wie „Deutschland sucht den Superstar“ zu reagieren? Falls es wirklich jemanden gäbe, der nicht weiß, daß in einer solchen Sendung der Starstatus eine Maske ist, die sich ihren Träger aufsetzt, um ihn dann wegzuwerfen, soll man ihn schreibend versuchen aufzuklären? Soll man warten, bis das Publikum sich ermüdet abwendet von diesem Popprogramm und auf das nächste setzen, daß vielleicht die ein oder andere Menschenfreundlichkeit enthält? Soll man statt ewig Einigkeit über die Nachteile des Fernsehens herzustellen, dessen vielfältige Vorzüge genießen, die vielen Kicks, die auch „Deutschland sucht den Superstar“ bietet – manche der dort vorgetragenen großen Pophits übertragen schöne, verschwenderische Gefühle, deren Wirkungen nicht mal von gnadenlosen Medienkonzernen und BILD Kommentaren vollends zu Tode funktionalisiert werden können.

Oder soll man, statt gebannt zu starren und sich die Köpfe anderer Leute zu zerbrechen, sich um den eigenen kümmern, abschalten und mal wieder ein gutes Gespräch führen, gut essen oder spazieren gehen? Ich weiß es gerade wirklich nicht.

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