Dienstag, 31.05.2005

fassbinder, volksbühne, gestern, 30.5.2005

Erst zu MH, der nicht mitkommen kann, weil er sich mit einem Schauspieler zum Sprechen über Hamlet verabredet hat. Vielleicht kommt er später noch nach. Wir haben nicht viel Zeit, sprechen kurz darüber, wieso MT nicht anruft, aber sprechen nicht darüber, wieso wir MT nicht anrufen. Bald ist MT zurück aus Amerika, dann ist er wieder ganz nah. MH erzählt etwas persönliches und ich überlege, ob sich mit der anderen Sache, die jetzt loszugehen scheint, meine Sache mit der Autorenexistenz als große Lüge oder als große Chance darstellen wird. Den ganzen Tag schon gab es diesen feinen Regen nach der Hitze der letzten Tage, dieser Regen, von dem man denkt, er kommt aus allen Richtungen, auch von unten, und an der Baustelle bei der U-Bahnstation Rosa-Luxemburg-Platz denke ich mir, dass es gleich richtig anfängt mit dem Regen und gehe schneller. BR und A kommen von der entgegengesetzten Seite, vom Alexanderplatz, ich hebe den Arm zum Gruß und winke, wir reihen uns in die Schlange. BR sagt, seines Wissens seien die jungen Leute bei der anderen Sache weniger aktiv als wir denken, aktiver als die jungen Leute seien die Leute um den Laden, die Leute um AB. A erzählt, BR sei im Fernsehen gewesen, da kommt TH und sagt, er habe BR im Fernsehen gesehen. Mit BR verabrede ich ein Treffen am nächsten Sonntag, das ist der 12. Juni. Ich dachte da so an V, an S, an E und an mich. An wen BR dachte, weiß ich nicht, BR fängt an, mit mir über das Gerücht zu sprechen, ich würde in Feindschaft stehen zu DK und gerade als ich anfangen will, darüber zu sprechen, kommt DK und reiht sich in die Schlange hinter uns. Wir sprechen kurz. Das ist eine interessante Schlange. Ich finde, dass sich etwas an den Schlangen im Foyer der Volksbühne verändert hat in den letzten Jahren, vergliche man eine Schlange von 1997 mit einer Schlange von 2005, würde man den Unterschied schon sehen. TH steht jetzt in der Schlange mit seiner Freundin und AW allein, und SL und der Typ, mit dem ich Sonntag zum Bootlab gegangen bin und Stephan Geene guckt raus ins Foyer auf die Schlange. DW kommt in die Schlange und wir sprechen, da verliere ich BR und A und TH und dessen Freundin und gehe mit DW in den großen Saal. Es ist 20 nach 9.

Stephan Geene macht die Begrüßung. An der rechten Seite der Rampe der großen Bühne steht ein Pult, neben dem Pult steht eine orange und blütenförmige Stehlampe aus den 60er Jahren und daneben ein cordbezogener brauner Sessel und auf der linken Seite der Bühne steht ein kleiner Tisch mit einem Stuhl davor. Stephan Geene sitzt auf der Lehne des Sessels und spricht Allgemeinplätze über Fassbinder. Wieder ist Stephan Geene ganz unvorbereitet! Er hat sich das Reden auf Podien und Veranstaltungen doch zum Beruf ausgesucht, das Machen und Sprechen, da sollte er sich doch besser vorbereiten, wenn er macht und spricht. Katja Diefenbach löst ihn ab. Sie setzt sich auf die Lehne des Sessels und liest einen Text vor, über den Text gebeugt. Der Text soll impulsiv sein und ist es.

Dann werden Ausschnitte gezeigt aus dem Film über das Ende der Kommune um Fassbinder. Das ist ein interessantes Dokument. Leute sitzen in einem Raum verteilt, an einer Wand kann man einen Schriftzug lesen, „anti theater“, der Film ist von 69 oder 70. Die Leute reden über das Leben in der Kommune, über die Arbeit, und wie sie sich das gedacht haben und wie es geworden ist, die Leute sind unzufrieden damit. Es ist nicht so geworden, wie sie es sich gedacht haben, es gibt doch Chefs, und Fassbinder sagt, dass er mit den Pantoffelleuten nichts mehr zu tun haben mag, dann ist der Ausschnitt zu Ende. Ich finde es interessant, wie die Kamera die Leute, wenn sie etwas sprechen, zunächst in einer nahen Einstellung hält, im zweiten Teil des Ausschnitts die Leute aber eher in einer Halbtotalen filmt und nur wenn Fassbinder spricht, auf in ihn zurück in die Nahe geht. Eine Frau, die jetzt in Hamburg lebt, Margit Czenki, lebte damals in München und war dabei in der Kommune. Sie erzählt vom Unterschied zwischen München und den anderen Städten, das ist, auch wenn man es schon mal gehört hat, interessant, aber als einer aus dem Publikum ruft, es sei zu lang, hört Margit Czenki mit dem Sprechen auf und geht von der Bühne und die Leute johlen gegen den Zwischenrufer und Margit Czenki kommt zurück auf die Bühne und sagt, was sie noch sagen wollte. Was Margit Czenki noch sagen wollte war, dass sie den Film „Die dritte Generation“ nicht richtig findet, sie findet, der Film sei falsch, weil er nicht die RAF, oder das, was davon übrig geblieben sei, zum Thema habe, sondern die Szene der falschen Sympathisanten, aber dass der Film das immerzu verwechsle und deswegen falsch sei. Dann kommt der Vortrag von Diederichsen.

Diederichsen parallelisiert Warhol und Fassbinder, er zitiert lange aus einem Text von Manny Farber aus film comment, er beschreibt die Struktur von Fassbinderfilmen, es gehe um Posen, in die, anders als bei Warhol, Bewegungen hineingeraten durch ein Geflecht von bewegungsgebenden Demütigungen, die Reihen erzeugen. Es gibt dann noch zum Schluss eine Idee der Pose, die sich unterscheidet von anderen Ideen der Pose, es wird eine Theorie des Mediums dafür zitiert, die auf eine Theorie der griechischen Grammatik zurückgeht, wo nicht nur die Nomen Geschlechter haben, sondern auch die Verben, aber das dritte Geschlecht nicht sächlich, sondern allerhöchstens „nicht weiblich“ und „nicht männlich“ genannt werden kann, also „medial“, und es geht dabei um die Zurverfügungstellung einer Distanz für den Zuschauer, wo aber Aushaltenkönnen und Nichtaushaltenkönnen eine Rolle spielt, auch der Name Kant und der Begriff „Erhabenheit“ fällt dabei, und der Unterschied zwischen Theater und Film und der Unterschied zwischen Musik und Film, man muss sich das einmal schriftlich vor Augen führen, aus der Erinnerung kann ich sagen, dass mir der Vortrag einleuchtend vorkam bis auf den Schluss, der hastig war.

Ich sehe TM. TM setzt sich auf eine Stufe, jetzt sehe ich ihn nicht mehr.

Bei Aljoscha Weskotts Vortrag muss ich aus dem Saal gehen, ich muss eine Zigarette rauchen und stehe dann noch länger herum, rauche Zigaretten und spreche mit CG und BR und A, DM kommt vorbei, BR wird übernächste Woche ein Gespräch mit Greil Marcus auf der Bühne der Volksbühne führen und es ist die Frage, ob das Gespräch auf Deutsch übersetzt werden soll oder nicht. DD und SL. CB. Ich kann TM nicht sehen. DK. AW. DW. L. TH. TY. Diese Pause ist keine offizielle Pause, aber ist der Moment, in dem die Veranstaltung zu Ehren Fassbinders 60. Geburtstag auseinanderreisst für mich. Im Saal wird jetzt ein Film von Tamer Yigit gezeigt. Ein Text von Fassbinder über die Familie, dass die Familie nicht gut ist und den Staat erzeugt und die Arbeit, die Abhängigkeit, Diederichsen hatte seinen Vortrag eingeleitet mit der Beobachtung, Fassbinder würde in stumpfesten Ableitungsmarxismus verfallen, wenn er über seine Filme und seine Intentionen spreche, aber dass das nicht wichtig sei, weil die Filme ja anders funktionieren. Und der Film von Tamer zeigt eine türkische Mutter im Krankenhaus mit gebrochenem Bein und ihr Mann besucht sie und sitzt still neben ihr und löst ein Kreuzworträtsel und voiceover gibt es diesen deutschen Text von Fassbinder über die Familie, der in gebrochenem Deutsch von einer türkischen Frau gesprochen ist. MM, mit der ich neulich tanzte, sehe ich nach dem Film, ich bin wieder hinausgegangen, ich unterhalte mich mit SL über den Debordfilm vom Sonntag, der Abend zerbricht, als ich wieder in den Saal gehe, spricht Katja Dieffenbach über Antisemitismus, die Zeit, in der Fassbinder Intendant in Frankfurt war, es ist kurz vor halb 1, die letzte U-Bahn fährt gleich, BB, die ich kurz sah, ist nicht mehr da, mit ihr hätte ich im Auto nach Schöneberg fahren können, aber sie ist nicht mehr da und ich gehe mit DW zur U-Bahn.

Wir sprechen über den Vortrag von Aljoscha und über den von Diederichsen. An Diederichsen stört DW dessen Souveränität, und als ich nachfrage, ob DW Autorität meine, antwortet DW ausweichend, DW windet sich und im Sprechen erzeugt dieses Winden langgezogene Worte, nnnjjjaaa…., neeeee…., mhhhmmmssss… Ich habe vergessen, von dem Vortrag von Marc Siegel zu schreiben. Marc Siegel zeigt Ausschnitte aus Szenen, in denen öffentliche Toiletten zu sehen sind, Klappen, Stricher, Fassbinder und die Schwulenkultur, Marc Siegels Text ist auf Englisch, ein Brief an einen Freund in den USA, es geht darum, das Ausblenden der homosexuellen Thematik, der homosexuellen Herangehensweise zu beschreiben, anzuprangern, und Marc Siegel macht das. Und Marc Siegel macht das lässig, er spricht immer wieder das Wort „cock“ in dem Brief und weil er den Brief langsam vorliest, zieht er die Worte in die Länge und einmal hält er das Wort „cock“ ganz lang, bestimmt drei oder vier Sekunden, und als er seine Stimme senkt um das Wort „cock“ zu beenden, hebt er sie gleich wieder und fügt dem Wort noch ein „s“ an, und aus dem Wort „cock“ wird das Wort „cocks“ und das „s“ am Ende des Wortes hört sich an wie ein Sektkorken, der aus einer Sektflasche plockt.

2 Kommentare zu “fassbinder, volksbühne, gestern, 30.5.2005”

  1. smal schreibt:

    dankedankedanke für die beschreibung dieses abends!

  2. knoerer schreibt:

    Ich habe jetzt schon ein bisschen Tränen in den Augen, hier in den Katakomben der Universität Konstanz. Und wunderbarer Text.

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