2005

Freitag, 28.10.2005

Nach Wien (III)

Invasión (Santiago, 1969): Die in den grauen Anzügen wollen einen Sendeanlage ins Stadion von Aquilea schmuggeln und die Stadt übernehmen. Die in den schwarzen Anzügen versuchen das um jeden Preis zu verhindern: Verschwörung und Gegenverschwörung, Verabredungen mit Zetteln, die ausgetauscht werden und Telefonhörern, aus denen merkwürdige Parolen kommen. Und alle rennen immer in diesem Film, ihre nachvertonten Schritte hallen auf dem dunklen Asphalt. Manchmal spitz hackend wie Spechte, die einen Baumstamm bearbeiten, manchmal scharrend wie ein Spaten im Kies. Jedes Wort ein Losungswort, jeder Satz ein Schlüsselsatz: Filme, die so funktionieren, sind auch als Allegorien der unsichtbar strippenziehenden Arbeit des Regisseurs zu verstehen. ++++ El Cielo Gira (Alvarez, 2004): Festivalbetrieb ist Anmaßungstraining, Arbeit an der Neujustierung der ausleiernden Zeit- und Aufmerksamkeitsökonomie. Wann „lohnt“ sich ein Film? Wie bestimme ich den richtigen Zeitpunkt, um das Kino zu verlassen? Extrapolieren, Hochrechnen. Komm, noch fünf Minuten, vielleicht tut sich was. In mir? Im Film? Schließlich versucht man einen Moment abzupassen, an dem eine unauffällige Flucht möglich ist. Beim Dokumentarfilm über das Aussterben eines kleinen zentralspanischen Dorfs – dem Geburtsort der Filmemacherin – dauert es eine Stunde, bis wir uns zum Gehen entschließen. Nach dem Depardon-Film ist es fast schmerzhaft zu sehen, wie hier das Leben einer amtlich-konventionellen Dramaturgie von Schuss- und Gegenschuss untergeordnet wird. ++++ Profils Paysans: Le quotidien (Depardon, 2004): Nachholendes Sehen: Profils paysans hätte ich schon mehrfach hier in Berlin anschauen können, und jetzt wird der Film überraschend zu meinem Lieblingsfilm der Viennale. Was so einfach erscheint: verschiedenen Bauern, einem Hirten, einer alten Frau, einem jungen Pärchen, das einen Hof kaufen möchte, zuzusehen und ihren Alltag zu dokumentieren, das ist nicht nur Depardons Geduld, sondern auch seinem dramaturgischen Geschick geschuldet. Wir sind noch ganz im filmischen Präsens, ganz bei der knapp 90-Jährigen, da hören wir Depardon aus dem Off sagen, dass sie drei Tage später auf der Treppe gestürzt ist und seitdem im Krankenhaus liegt. Untiefen der filmischen Zeit. ++++ Quoi de neuf au Garet (Depardon, 2005): Was gibt’s neues auf dem Garet-Hof? Depardons Bruder, der hier zehn Minuten lang erzählt, verkauft Teile des bäuerlichen Anwesens. Er erzählt ganz unsentimental davon, und der Unterschied zwischen ihm, der da seit Jahrzehnten wohnt und arbeitet, und seinem Bruder, der Fotos und Filme drüber macht, ist deutlich spürbar. Auch dass hier im kleinsten Maßstab von einer Veränderung die Rede ist, die über das Persönliche hinaus einen Widerhall in der Landwirtschaftspolitik der Region, des Landes, ja Europas findet, steckt in den wenigen Einstellungen mit drin: In kleinen Nebensätzen, vielleicht in einem Gesichtsausdruck, vielleicht im Rauschen der irgendwann im Hintergrund gebauten Autobahn. ++++ O Sangue (Costa, 1989): Über die Einstellungen in Filmen Erich von Stroheims hat Jean-Marie Straub geschrieben, sie seien „wie ein Ei auf der Erde“ und „gleichzeitig wie Adlerschwingen in der Luft.“ Einen richtigen Reim konnte ich mir darauf nicht machen, aber beim Angucken von „O sangue“ bekam ich eine Ahnung davon, was er meint. Pedro Costas Debut, das zugleich wie ein letzter Film aussieht, stellt die Einstellungen hintereinander, als müsse für jede immer wieder alles neu erfunden werden: Das Schwarz-Weiß, die Kontraste, selbst die Figuren. Aber zugleich setzen sich diese so abgeschlossen wirkenden Einheiten leichtfertig über die Ellipsen hinweg. Dialektik von Offenheit und Hermetismus. ++++

Sonntag, 23.10.2005

Nach Wien (II)

Leaving Home, Coming Home (Fox, 2005): Anders als üblich läuft der Film auf der Viennale nur einmal. Der Grund: Robert Frank, den Gerald Fox gegen jede Wahrscheinlichkeit ausführlich porträtieren durfte, hat verfügt, der Film dürfe höchstens zwei Mal pro Jahr gezeigt werden (und einmal war er bereits in Rotterdam zu sehen). Neunzig Minuten später glaubt man, Franks Motive zu kennen: Wenn von seiner Zeit in Paris die Rede ist, ist ein Amélie-Akkordeon zu hören. Wenn es um New York geht, serviert Fox uns Cool Jazz. Und so weiter. Man gönnt es dem Film kaum, dass seine Plattheit dann doch oft durch die Sprödheit Franks austariert wird. ++++ Xin nuxing (Chusheng, 1934): Gegen Ende des Films erkrankt die Tochter der selbstbewussten Schriftstellerin an Lungenentzündung. Um die Medikamente bezahlen zu können, muss die sich mit einem unangenehmen reichen Typen einlassen. Wenn man genau hinsieht, wird man in fast jeder Szene den Kondens-Atem vor den Mündern der Schauspieler erkennen können – egal, ob es sich um Innen- oder Außenaufnahmen handelt. Die Filmstudios Shanghais müssen kaum beheizt gewesen sein, und die fiktive Lungenentzündung bekommt einen ungewollten Rückhalt in der Realität. Wie macht sich das im Spiel bemerkbar, wenn man kurzärmelig entspannt im Wohnzimmer sitzen soll und der Körper tatsächlich vor Gänsehaut und Zähneklappern nicht weiß wohin? ++++ Screen Test Reel 20 (Warhol, 1964-1966): Allein der Name: Baby Jane Holzer! Und dann ihre 1964 wahrscheinlich schon weltbekannte Kaugummi-Nummer: Alles mit dem Mund! Die Packung in einer langsam kreisenden Bewegung aufreißen, den Kaugummi Stück für Stück rausziehen, das Silberpapier abstreifen, dann in kleinen Bissen rein damit. A Definition of Cool, if ever there was one. Überhaupt ist Reel 20 eine ziemliche Action-Reel: Lou Reed isst im Profil einen Apfel. Eine Strähne aus Nicos Pony hat sich in ihrer Wimper verfangen und versetzt beides in eine leichte Schwingung. Peter Orlovsky macht unangemessene Faxen. Eine Screen-Test-Lektion: Dass scheinbar nichts passiert, bedeutet zugleich, dass jederzeit alles passieren könnte. ++++ Screen Test Reel 19 (Warhol, 1964-1966): Das Filmmuseum, dessen Programmierung ohnehin den ein oder anderen neidischen Blick aus Berlin auf sich zieht, erlaubte sich und uns den extravaganten Luxus, am Sonntagnachmittag vier Stunden „Screen Tests“ zu zeigen. Wir kommen in der Mitte von Reel 19, sehen Taylor Mead, Susan Sontags Sonnenbrille, das Doppelporträt von Fagan/Malanga. Verfolgen eine Träne, die James Clair langsam die linke Wange herunterrollt. Sehen Ondine, der später dann in der letzten Rolle „Chelsea Girls“ austickt, und Ruth Ford. Ab und zu ist weiter vorne rechts das vertraute Husten von M.B. zu hören, der diesmal vorausschauend eine Stange Camel ohne nach Österreich importiert hat. ++++ Geminis (Carri, 2005): Warum sollte man heute noch eine Geschichte erzählen, die vor allem nach Dekadenz, 19. Jahrhundert und frühem Thomas Mann schmeckt? Das großbürgerliche Ambiente, der Inzest unter Zwillingen, die bewusstseinsverändernden Substanzen, die Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. Als die Mutter die Geschwister nackt ineinander verknäult im Jugendzimmer-Bett erwischt, öffnet sie den Mund zu einem Schrei, der markerschütternd ist, obwohl die Regisseurin den Ton vollständig abdreht: Ein simples, aber wirkungsvolles Verfahren, um „Trauma“ zu sagen. Kann sein, dass das Setting von „Geminis“ in Argentinien nichts Anachronistisches hat, sondern etwas über ein 19. Jahrhundert erzählt, das dort auch im 21. den sozialen Raum definiert. ++++

Samstag, 22.10.2005

Nach Wien (I)

Shen nu (Yonggang, 1934): In Shanghai wurden noch bis 1935 Stummfilme produziert. Im gleichen Jahr hat sich der chinesische Filmstar Ruan Lingyu das Leben genommen. Tausende waren bei ihrer Beerdigung, ‚heuer‘ wird sie mit mehreren Filmen in Wien gewürdigt. „The Goddess“ bedeutet der Titel, und sicher war damit die Rolle ebenso bezeichnet wie die junge Schauspielerin. Man glaubt, den Typus der verzweifelten Frau längst zur Genüge zu kennen, die ihren Körper verkaufen muss, um ihrem Kind die Schule zu bezahlen. Ruan Lingyu jedoch kostet die Effekte, die sich aus der gesellschaftlich erzwungenen Doppelmoral ergeben könnten, nicht aus. Statt auf Verstärkung setzt sie auf Stärke. ++++ A perfect Day (Hadjithomas / Joreige, 2005): Der Mittzwanziger Malek, der heute mit seiner Mutter den seit dem Libanonkrieg verschollenen Vater für tot erklären lassen wird, ist bei einer ärztlichen Untersuchung: Immer wieder, mitten im Lärm einer Baustelle, in der Disco, einmal am Steuer seines Wagens vor der Ampel, nickt er ein. Nach der Auswertung des Schlafvideos, auf dem seine Atmung manchmal kurz aussetzt, horcht die Ärztin ihn ab und fragt: „Rauchen Sie?“ Dann folgt ein Schnitt, und wir sehen die beiden durch einen Nebenausgang aus dem Krankenhaus rausgehen. Sie lehnen sich an ein Geländer, er greift in die Hosentasche, und beide zünden sich eine Zigarette an. ++++ Careless Reef Part 4: Marsa Abu Galawa (Holthuis, 2004): Seit Mitte der Neunziger Jahre gibt es den Begriff der Visuals: Bildfolgen, die im Club als beweglicher Wandteppich projiziert werden, zur Beleuchtung der Tänzer. Auch die alberne Abkürzung „VJ“ hat man sich einfallen lassen. Für Serge Daney ist das Visuelle ein Gegenbegriff zum Bild; sein böser und korrumpierter Doppelgänger im TV und in der Werbung. Eine abgedichteter Kosmos, der keine Fragen stellt. Mag sein, dass man zu Holthuis‘ wild geschnittenen Korallenriffkaskaden, die synchron zu einer türkischen Abgehnummer montiert sind, gut tanzen kann. Oder im Fernsehen für die Erhaltung der wunderbaren Natur werben. Im Kino dagegen braucht kein Mensch so was. ++++ Outerborough (Morrison, 2005): Morrison verdoppelt einen American Mutoscope-Film von 1899 und stellt die Bilder im simulierten Scope-Format nebeneinander: Eine Straßenbahn fährt von Manhattan über die Brooklyn Bridge nach Brooklyn. Wir sehen das einmal vorwärts, einmal rückwärts, dann in doppelter, vierfacher, achtfacher und-so-weiter Geschwindigkeit. Schließlich überlagern sich die Bilder, und der Prozess kehrt sich um. Konzeptuelle Montagefilmer wie Standish Lawder oder Ken Jacobs saßen mit Sicherheit nächtelang verzweifelnd am Schneidetisch, um solche Effekte zu erzielen. Hier, so der Verdacht, genügt es, per Tastendruck einen Befehlsalgorithmus über das Material laufen zu lassen. Was dabei rauskommt, erzeugt – Romantisierung der Sisyphos-Arbeit hin oder her – trotzdem kleine Glücksmomente. ++++ Ice/Sea (Ostrovsky, 2005): Wahrscheinlich soll der Titel eine Lautähnlichkeit zu „I see“ suggerieren, aber zu erkennen im emphatischen Sinne ist in Ostrovskys viel zu langer, viel zu diffuser Montage: nichts. Auf der Berlinale konnte ich rausgehen, hier ist der Film in ein Kurzfilmprogramm eingekeilt, und den nächsten Film will ich sehen. Also lasse ich widerwillig die Eisberge, die Strände, die putzig stolpernden Pinguine, den Tiger, der aus dem Wasser springt und die Badenden in Aufruhr versetzt, an mir vorüberziehen. Als Ostrovsky gar nichts mehr einfällt, schwebt eine drittklassig animierte CGI-Frucht von einem Obstkorb in die nächste Einstellung hinüber. Nicht doch. What a waste. ++++ Reckless Eyeballing (Harris, 2004): Im Netzwörterbuch gibt es eine lange Diskussion darüber, was unter „Eyeballing“ zu verstehen sei. Kurioserweise bedeute es ein flüchtiges Drübergucken, wenn man von Dingen, zum Beispiel Dokumenten spreche, aber ein intensives Anstarren, wenn es sich auf Personen beziehe. Harris‘ Film, der damit den Terminus für die bis in die 60er Jahre inkriminierten Blicke von schwarzen Männern auf weiße Frauen zitiert, ist flüchtig und intensiv zugleich. Grobkörnige Zeitungen, Filmaufnahmen, ein hochkopiertes Fahndungsplakat, Zwischentitel aus ‚Birth of a Nation‘, handentwickeltes Schwarzweiß, Loops. Alles herumgebaut um die Wahlverwandtschaft von Pam Grier und Angela Davis. Die Attraktivität des Outlaws, der Angst und Lust erzeugt. ++++ I a Man (Warhol, 1967): Für mich sind die ersten Worte im ersten Film meiner ersten Viennale: „You gotta get up“. Einer dreht sich widerwillig um im Bett, versucht schwach, sich gegen die insistierende Stimme zu wehren. Um 4.00 Uhr früh waren wir gequält aufgestanden, U-Bahn nach Tegel, Flieger nach Wien. Dass Warhol eines der Highlights der kommenden Tage sein würde, wussten unsere müden Hirne da noch nicht. „The staircase conversation between Tom Baker and Valerie Solanas […] couldn’t have been a stronger demonstration of her theories about men had she scripted it all by herself“, schreibt Thom Andersen in einem schönen Katalogtext über Warhol. ++++

Donnerstag, 13.10.2005

At the Academy (Guy Sherwin, 1974)

„Academy Leader“ heißt das Vorlaufband, das den Filmvorführern zur Justierung von Schärfe, Bildstrich und Kader dient. Der Countdown ist da drauf, geometrische Symbole, die „Start“-Markierung und der kurze Beep. Gut strukturalistisch kopiert Sherwin den Filmstreifen übereinander, legt Filter drauf, schichtet den Ton übereinander. In der zweiten Hälfte des Films, nach etwa zwei Minuten, legt er eine Positiv-Kopie um ein oder zwei Bildkader versetzt auf das Negativ und belichtet beides. Als er das Ergebnis gesehen hat, einen wunderbar dreidimensionalen Relief-Effekt, den er vielleicht geplant, aber bestimmt nicht exakt so hat voraussehen können, muss er vor Freude an die Decke gesprungen sein.

Mittwoch, 05.10.2005

fassbinder (langtexthinweise)

Diedrich Diederichsen und Harun Farocki haben uns freundlicherweise Texte überlassen, die auf Französisch in der neuen Ausgabe der französischen Zeitschrift Trafic, Nr. 55, Automne 2005 erschienen sind. Sie handeln über Fassbinder und sind auf unserer Langtextseite zu finden.

* Harun Farocki: Pop-Star mit Brille

* Diedrich Diederichsen: Queere Pose und erhabene Ungerechtigkeit: Politik und Moral bei Fassbinder und Warhol

Dienstag, 27.09.2005

Drehkolbendichtleiste?

„Standards of living / They´re rising daily
But home oh sweet home / It´s only a saying

But what goes on / What to do there“

Bryan Ferry, In Every Dream Home a Heartache


„Du bist von allem ein Teil“ (Der Mongoloid im Stelenfeld)

Presseinformation
Regisseurin des Spots der Kampagne „Du bist Deutschland“ („Sozialmarketingkampagne“, Pro bono, 30 Mio Euro)

Dr. Clarissa Ruge

Geboren 1969. 1992-98 Studium der Politischen Wissenschaften, Philosophie und Kommunikationswissenschaften, parallel Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule München. Von 1995 bis 1999 freie Journalistin u. a. für Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung, Berliner Zeitung, Die Woche. Ab 1998 mehrere TV-Dokumentationen. 2002-2004: Promotion zum Thema „Moderne Vergangenheitsbewältigung totalitärer Systeme“. Seit 2004 Lehrbeauftragte an der Ludwig-Maximilians-Universität, München.

Filme (Auswahl)
1998 Die Farbe der Wahrheit
1999 Vergewaltigt, Verschleppt, Verschwunden
2001 A Woman and a Half – Hildegard Knef
2005 Hemingway-Exit (Arbeitstitel)

Preise
1999 Axel Springer Preis für Junge Journalisten – Preis für herausragende Leistungen
2000 1. Platz „Profi“ – Deutscher Menschenrechtspreis
2002 Bundesfilmpreis (Nominierung)

Freitag, 23.09.2005

New Serienkritik

Pampering life, life–our patient.

arte-Themenabend Das Gesetz der Serie:

In den letzten Jahren ist die Fangemeinde hochwertig produzierter amerikanischer Fernsehserien wie „Six Feet Under“ oder „24“ weltweit stetig gewachsen. Es scheint, als habe die Fernsehserie dem Spielfilm den Rang abgelaufen. Die Dokumentation wirft einen Blick hinter die Kulissen.

Eine Reihe hochwertiger Fernsehserien findet in den letzten Jahren großen Anklang beim Publikum. Auf der ganzen Welt ziehen ihre Geschichten die Zuschauer in den Bann, begleiten sie im Alltag und beeinflussen ihre Vorstellung von Liebe, Sex und Politik. Nie zuvor waren TV-Dramen und -Komödien so ausgefeilt wie heute. Mit den Kitschserien, die früher ein Auffangbecken für die Versager der Filmindustrie waren, haben sie nichts mehr zu tun.

Die Dokumentation gibt aufschlussreiche Einblicke in die Welt des amerikanischen Hochglanz-Fernsehens und macht mit einigen der imponierendsten Figuren bekannt, die für solch innovative Serien wie „Friends“, „24“, „Die Sopranos“, „Six feet under“, „Alias“, „Sex and the city“, „The Shield“ und „Lost“ verantwortlich zeichnen.

Olivier Joyard und Loïc Prigent werfen einen Blick auf einen noch wenig bekannten Aspekt von Hollywood und decken die komplizierten Mechanismen auf, aus denen diese überaus populären, weil nur allzu menschlichen Fiktionen entstehen. Wie gelingt es, ein TV-Projekt in der Branche durchzuboxen? Warum spiegelt das Fernsehen das Leben der Menschen von heute besser als jedes andere Medium wider? Die Beantwortung dieser Fragen trägt zum besseren Verständnis der Hintergründe eines Machtwechsels bei, der den wichtigsten Industriezweig von Los Angeles völlig auf den Kopf stellt.

Serienschmiede – Hollywood, arte, 22.10h
Dokumentation, Frankreich 2005,
Stereo, 54 Min.
Synchronfassung, Erstausstrahlung
Regie: Loïc Prigent

Mittwoch, 14.09.2005

Rund ums Fernsehen, München, Kojak, Danger Freaks

Im benachbarten Siedlungshäuschen ohne Villenanspruch lebt Claus. Er ist Einzelkind. Seine Eltern sind großzügig. Er hat einen Cassettenrekorder, mit dem er den Ton von Fernsehsendungen aufzeichnet. Während wir an der Marionettenbühne im ausgebauten Speicher basteln, läuft zur Unterhaltung Fantomas oder Kojak. Dialoge, Musik, Geräusche rekonstruieren die Plots. Als uns die Marionetten zu läppisch werden, drehen wir die Filme zum Tonfall auf Super 8, Geldfälscher, Überfälle, Raub in Anzügen und mit Hüten von Claus‘ Vater, Sonnenbrille und halt der Lolly. Claus ist Tonmeister im Musikbusiness geworden.
Ein halbes Jahr nach Markteinführung hat Claus einen Videorekorder. Er zeichnet Actionfilme auf, vor allem aber die Serien über die Herstellung von Actionfilmen, über Stuntmen und Pyrotechnik: Danger Freaks, Verrückt nach Gefahr und Colt Seavers, Ein Colt für alle Fälle.
Wir gucken die Szenen im Einzelbildmodus an, studieren Handwerkszeug und Abläufe, nähen Feurschutzanzüge, Sprungkissen und bauen Sprengsätze aus Wasserrohren und Unkraut-Ex, ermitteln anhand der Zähflüssigkeit und Farbe die Rezeptur für ein Wassergel aus Tapetenkleister. Im Garten setze ich Claus in Brand und lösche ihn unter den Apfelbäumen, reiße ihn vom Fahrrad und schleudere ihn in den Jägerzaun des elterlichen Anwesens, bin verantwortlich für die koordinierte Zündung der Minen im Panzertestgelände, zwischen denen im Morgengrauen er grundlos flüchtend den Vorbildern nacheifert und seine Bewährung sucht, bevor Krauss-Maffei anrückt. Seine Mutter zwingt er, ihn mit dem 5er-BMW anzufahren, so daß er sich über die Motorhaube hechten kann. Wir filmen das alles mit Super 8. Unsere Ungeduld, bis endlich die Rücksendungen von Kodak Stuttgart eintreffen.

Sonntag, 11.09.2005

Die sekundäre Metafilm-Erfahrung

Heutzutage gibt es in allen Haushalten Videorekorder, und manche jungen Leute sehen sich einen Film zehn- oder zwanzigmal an. Aber rezipiert man einen Film richtig, wenn man ihn sich immer wieder auf Video ansieht, und das auch noch in Privaträumen? …
Ich bin über lange Zeit in Kinos gepilgert, in denen die so genannten Klassiker gespielt wurden, und habe mir eine beträchtliche Anzahl von Filmen angeschaut. Filme wie Hitchcocks Eine Dame verschwindet, den wir zusammen in einem Pariser Vorstadtkino gesehen haben. Die jungen Cineasten heute sehen sich einen Film auf Video wieder und wieder an und können lauter Tiefsinniges zu den Details einer Szene sagen. Aber ich für mein Teil habe solchen Diskussionen nie etwas Produktives abgewinnen können.
Wenn man bestimmte Szenen eines Films in kurzer Zeit mehrmals sieht, kann sich jeder, und mag er noch so mittelmäßig sein, ihre Komplexität vor Augen führen. Man kann nicht nur den Protagonisten in der Bildmitte, sondern auch die Bewegungen der Personen in dessen Hintergrund wiedergeben. Absolut lächerlich. …
Ist das die angemessene Art, Filme zu sehen? Erfährt man so jeden Moment eines knapp zweistündigen Films? Gelangt man wirklich zu einer profunderen Rezeption, indem man das, was man beim ersten Betrachten nicht richtig gesehen hat, nachträglich in einem weiteren Durchgang erfasst? Sieht man ab dem zweiten Mal nicht gleichsam den Metafilm des Films, den man beim ersten Mal gesehen hat? Ist es nicht eine ganz andere Art der emotionalen Erfahrung als die, wenn man durch einen neuen Film berührt wird? Die sekundäre Metafilm-Erfahrung also…
Deswegen möchte ich einen Film machen, den man sich nicht mehrmals angucken muss. Ich möchte einen Film machen, in dem man mit wachen Augen alles beim ersten Mal erfasst. Ich greife dabei aber nicht auf solch spießige Mittel wie ständige Close-ups zurück, mit denen man dem Betrachter vorschreibt, was er zu sehen hat. Das Prinzip ist, im Bild die Szene als Ganzes wiederzugeben. Und all denen, die den Film anschauen, Zeit zu lassen, damit sie die Szene in all ihren Details erfassen können. Bisher habe ich der Öffentlichkeit allerdings noch nichts in dieser Art präsentiert. Bisher waren meine Filme Einzelteile. Und weil die, die meinen schließlich realisierten ganzen Film sehen, diesen von selbst ganzheitlich sehen werden, müssen sie ihn auch nicht noch einmal sehen. Doch diese ganzheitliche Erfahrung wird ihre Sicht auf die Welt verändern…

S. 153-154 aus dem gerade erschienenen Roman „Tagame. Berlin – Tokyo“ von Ôe Kenzaburo, in dem er sich mit seiner langjährigen Freundschaft mit Itami Juzo (der auch der Bruder seiner Frau war) beschäftigt, dessen Alter Ego Gorô dies sagt.

Donnerstag, 08.09.2005

Kino-Hinweis

Wer Thom Andersens Montage „Los Angeles Plays itself“ noch nicht kennt, kann den Film morgen um 19.00 Uhr im Kino sehen. Danach unterhält sich Nils Plath mit Norman Klein über den Film, Los Angeles und Kalifornien. Die Filmreihe ist Teil des Internationalen Literaturfestivals, Schwerpunkt Kalifornien.

Neben Andersens Film laufen in der in der kommenden Woche „Criminals“ (USA 1996, Regie: Joesph Strick, Gespräch mit C.K.Williams, Do, 8.9., 22.30h), „Affliction“ (USA 1997, OmU, Regie: Paul Schrader, Gespräch mit Russell Banks, Fr, 9.9., 22.00h), „Double Indemnity“ (USA 1944, OF, Regie: Billy Wilder, anwesend Kevin Starr, So, 11.9., 22.30h), „El Valley Centro“ (USA 2000, OF, Regie: James Benning, Gespräch mit David Mas Masumoto, Di, 13.9., 22h, „Was vom Tage übrig blieb“ (USA/UK 1993, dtF., Regie: James Ivory, Gespräch mit Kazuo Ishiguro, Mi, 14.9. 19.00h).

Alle Filme im Filmkunst 66, Bleibtreustrasse 12.


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