Dienstag, 24.10.2006

Viennale 2006 (I) / Demy monde

„Demy monde“ heißt der Text von Jörg Becker, der im Katalog zur Retrospektive der Viennale 2006 erschienen ist, zweispaltig, S. 8 – 32 . „Demy/Varda“ heißt dieses Katalogbuch, 183 Seiten, herausgegeben von Astrid Ofner, im Vertrieb des Schüren Verlags.

Während ich auf der Viennale war -7 Tage-, hätte ich Jacques Demys „Une Chambre en Ville“ (Frankreich 1982) gern wiedergesehen. Aber es ging sich nicht aus. Oft ist ja die Rede von Meisterwerken. Darüber wäre zu sprechen, weshalb solch ein Reden den Filmen oft nicht nützt, sie wie registriert und schon abgehakt, unberührbar und damit uninteressant, unberührend macht. Die Leselisten im Erstsemester. Der Vortrag des Filmhistorikers in Bielefeld, Anfang der 90er Jahre, in dem -sinngemäß- uns das Recht abgesprochen wurde, zu Filmen zu reden, kennten wir das Werk Dreyers nicht. Andererseits hilft es ja auch nicht, dann lieber erst gar nicht mit dem Reden anzufangen. Die Filme sind ja nicht einfach von alleine in der Welt. Irgendein Reden zwischen dem von Meisterwerken, dem akademischen Thesenjargon, dem witzelsüchtig mäkelnden und dem vom Entdeckertum vieler Filmschreiber geprägten, der das von der Kulturindustrie gewährte jus primae noctis ergreift. Da musst Du durch. Als jedenfalls „Une Chambre en Ville“ Anfang des Jahres in einer kleinen Reihe von Filmen im Arsenal in Berlin lief, war das Kino fast leer.

Demys „Pied Piper“ (GB 1971) war kurz nach „Peau d’âne“ (Frankreich 1970) gemacht worden. Befremdend die Kostüme der Hamelner Bürgersfrau, die schlauchig teigartigen Wülste ihrer Kappe, ebenso minimalistisch grotesk wie die überdimensioniert spitz zulaufenden Hüte der katholischen Würdenträger in Blutrot. Manchmal meint man, die Spitzen berühren die niedrigen Zimmerdecken in den mitteldeutschen Dekors. Aber die Kamera zeigt sie nie lang. Es war eine Produzentenidee, Donovan in „Pied Piper“ als singenden Rattenfänger zu besetzen. Immer wenn er ins Bild kam, musste ich daran denken, wie despektierlich Dylan über ihn spricht in Pennebakers Dokumentarfilm. Das Konzept Folk-Pop widerspricht dem des film enchantée.

In „Parking“ (Frankreich 1985) wie Orphée nach der Liebesnacht mit der asiatischen Eurydice vorm offenen Kamin auf dem Flokati in der Morgendämmerung aus seinem Turm eilt in weißen Schuhen, weißer Hose und weißer Jacke. Die ebenfalls weiße E-Gitarre mit Schultergurt in seiner Hand: mit geübtem Schwung pendelt er sie auf seinen Rücken. Die halsbrecherische Fahrt hinein in die Stadt über die Pérépherique auf dem Motorrad, die Kamera neben dem Vorderrad installiert. War dieses Motorrad auch weiß? Später das zerrend scheiternde Entkommen aus der Unterwelt, der Autotunnel, das Tageslicht scheint so nah. Ein paar Meter noch, Eurydice – jedoch… Aber wie er dann, noch später, zum Schluss beim finalen Konzert sein Gesicht verzerrt und die Aussprache des Rock-Chanson über den Styx in den Halbnahen und Nahen aussieht, als deklamiere einer aus der Académie Francaise einen Popsong. Nach der Premierenfeier, am Schluss des Films, wird er schließlich von Charon getötet. Ein Spalier von Menschen. Einer sagt: Es ist ein Verbrechen geschehen, ein Poet ist getötet worden. – Sie irren sich (vous êtes trompée), sagt da ein anderer, die Dichter sind unsterblich. Cocteau? Jean Marais spielt in „Parking“ den Hades.

„Trois Places pour le 26“ (Frankreich 1988). Jemand meinte, in Yves Montand Rudi Carell zu sehen. Aber sagen nicht alle Filme von Demy: Misstraue Deinem Dünkel! Jeder Form ist eine Umwertung eingeschrieben. Hier das Fernsehballetthafte und die Harald-Juhnke’eske Lässigkeit des 50er-Chanson-, 60er und 70er-Jahre-Film- und 80er-Medien-Adels von Montand. Auf der einen Seite. Auf der anderen aber das Pink-Proletarische der späten 80er, deren billiger Stoffe, deren geometrischen Schnitte, das Betoneske der Frisuren. Sappho.

Von Jacques Demy immer noch, nach so langer Zeit, nicht gesehen: Le Sabotier du Val de Loire (Frankreich 1955); Le Bel Indifferént (Frankreich 1957); Ars (Frankreich 1959); Model Shop (USA 1968); Lady Oscar (Frankreich 1978). Die Retro im Filmmuseum läuft noch bis nächsten Montag, 30.10.2006.

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