Sonntag, 29.10.2006

Viennale 2006 (2) / La leçon de guitare

Ein Schnitt und ein Lied: Auf einem Fernsehschirm läuft ein Motocross-Rennen. Etwa zwei Sekunden lang dauert die Einstellung, sie fällt aus dem übrigen Film ganz heraus, und in dem Moment, wo eines der Motorräder über eine Bodenwelle rast und in die Luft abhebt, kommt der Schnitt auf eine offene weiße Wohnungstür.In dieser Wohnung spielt der größte Teil des 18 Minütigen Films, hier wird dem Hauptdarsteller ein Stück von Serge Gainsbourg beigebracht. Der Mann kann am Anfang nichts, hat sich in einem Café die Kleinanzeige eingekreist, dann ein günstiges Instrument gekauft – „dans le premier prix“ sagt er auf die Frage des Verkäufers (Luc Moullet), was für eine Art von Gitarre er denn suche -, dann klingelt er an der Wohnungstür und nimmt die erste Unterrichtsstunde.

An dem Film kann man studieren, wie schwierig es ist, etwas ganz Einfaches und Leichtes herzustellen; wie viele kleine Entscheidungen über die Dauer, Größe, überhaupt über die Proportionalität des Ganzen zusammenkommen müssen. Beim ersten Besuch antwortet der Mann, der ein bisschen wie eine Kaurismäki-Gestalt aussieht, auf die Frage des jungen Gitarristen, ob er einen Kaffee wolle, mit „volontiers“. Zu Beginn der zweiten Stunde sagt er auf die gleiche Frage wieder „volontiers“. Jetzt ist dieses Wort schon wie eine persönliche Begrüßung oder eine Signatur.

Eine merkwürdige Situation, als Fremder mit einer Gitarre in eine bewohnte Welt hineinzugeraten. Die Maßverhältnisse des Geschäftlichen und Intimen sind ungeklärt und jede Geste bestimmt den Abstand zwischen den Figuren neu. Das gemeinsame Rauchen auf dem Balkon. Ein Blick in eines der Zimmer auf dem Weg zur Toilette. Wie sie neben der Stereoanlage stehen und zusammen ein klassisches Stück von Fernando Sor anhören. Etwas stellt sich her, und mit jedem Besuch verändert sich unser Blick und der, den der Protagonist auf die Situation hat. Man sieht auch, wie sich ein Lied und ein Name aufladen lassen und dass diese Sache für den Mann genauso zentral sein könnte wie er für den Film zentral ist.

In der dritten Stunde spielt der Mann das Lied einmal komplett durch, der Gegenschuss zeigt den zurückhaltend verblüfften Gitarrenlehrer. Die letzten Silben des Refrains, in dem der Name „Laetitia“ buchstabiert wird, sind jeweils „t-i-t-i-a“. Mit dem letzten „a“ endet der Film, und während des Abspanns bin ich über meine eigene Verblüffung verblüfft und genieße den Zustand, bis das Licht angeht.

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