Samstag, 18.11.2006

Wider und wieder DIE NACHT oder MARCUMAR

Als die Zukunft des Mannes noch die Frau war, hätte sich eine Frage wie diese nie gestellt: Können die Männer den Frauen jemals verzeihen, dass sie genauso hilflos sind, wie die Männer selbst? Was wie eine Abwandlung eines Zvi Rex Zitates klingt (Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen), erwuchs aus der Hoffnung auf die Entfaltung des kreativen Potentials der Frau, angefangen bei Büchners DANTONS TOD, PUPPENHEIMEN und SOMMERGÄSTEN – hier nur als Versuch, eine Reihe zu beginnen. Einhergehende Überhöhungen und Idealisierungen machten es den dann tatsächlich raumgreifenden Frauen nicht unbedingt leichter. Luxemburg, Kollontai, Spielrein – ein ebenso willkürlicher wie unvollständiger Reihungsanfang. Sich die Rettung im Gegenüber zu erhoffen und dessen unerfahrbar Anderes nach getaner Arbeit zu feiern, erlaubt das eigene Verharren im Status quo. Das gilt natürlich in beiden Richtungen. Doch der Topos der intuitiv erkennenden Heilsbringerin feiert je wieder Konjunkturen von Jeanne d’Arc bis Marilyn Monroe. Ende eines Parforceritts.

Ein nicht gelungener Beischlaf auf der Rückbank eines VW-Transporters brachte die Erinnerung an eine ähnlich unglücklich gelagerte Situation am Rande eines Sandlochs auf dem Golfplatz. „Ich liebe Dich nicht mehr, ich liebe Dich nicht mehr!“ sagte die Frau zum wiederholten Male vor etwa 45 Jahren zu einem Mann, den das unbeeindruckt ließ. Vielmehr wurde sie für ihn noch umso begehrenswerter, je mehr sie Widerstand leistete. Er lag auf ihr, sie war unter seinem Gewicht gefangen. Das Paar im Auto dagegen kann weder sich selbst noch irgendjemandem anderen Auskunft über seine Befindlichkeit geben; es ist nicht sich sondern einem Geschehen ausgeliefert, an dem es keinen Teil zu haben scheint. Zwei Ehepaare am Wendepunkt ihrer Beziehung und gleichfalls am Ende des jeweiligen Films. Sieht man AM MONTAG KOMMEN DIE FENSTER aus der Perspektive von LA NOTTE, fällt auf, dass Ulrich Köhlers Film aus abgewandelten Motiven LA NOTTEs gebaut ist. Es gibt hier wie da die abrupte Loslösung der Frau aus dem gemeinsamen Ehealltag, den Weg durch die Welt mit dem Versuch der Erfahrung einer eigenen Sinnlichkeit, die Party mit satten dekadenten Gästen – beide Feste enden im Pool und mit einem nicht vollzogenen Seitensprung; Intellekt wurde durch Sport ersetzt, aber beide verkaufen sich ans Kapital. Die Aufregung und Spannung, die ein Film wie LA NOTTE noch heute hervorrufen kann, rührt her von einer Verheißung – der Verheißung, dass Intuition und Unerschließbarkeit der Frau den Keim zur Rettung der Welt bergen. Und Jeanne Moreau kann dieser Idee einen Körper geben. Dieses bereits in den sechziger Jahren von Antonioni und Godard abgearbeitete Motiv übernimmt Köhler hingegen nicht. Niemand ist in seinem Film grandios im Tun des Ungetanen oder verlässt womöglich den Rahmen über Gebühr. Einzig ein betrunken hingeworfenes JA auf die Frage ihres Mannes: „Findest Du mich eigentlich langweilig?“ scheint als großer Moment auf. Die Geschlechterverhältnisse haben sich verflüssigt, nivelliert. Gefühlstod und Entropie sind die Folge. Dafür lässt sich im Film eine Metapher finden. Sie offenbart sich in einem weiteren Motiv, das zu LA NOTTE parallel läuft: Ein Freund des Ehepaares kommt ums Leben. Während Bernhard Wicki bei Antonioni wahrscheinlich an Krebs stirbt und sein Medikament Morphium nur palliative Bedeutung hat, ist das Medikament in AM MONTAG KOMMEN DIE FENSTER dazu bestimmt zu kurieren, führt aber in den Tod. Der Blutgerinnungshemmer Marcumar macht Blut liquide, seinen Konsumenten allerdings auch zum Bluter. Alles hat zwei Seiten und nichts ist umsonst. Paracelsus: „All Ding‘ sind Gift und nichts ohn‘ Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“

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