Donnerstag, 18.01.2007

Jasager

„Es ist ja häufig von einer Filmsprache die Rede, manche sprechen sogar von einer Grammatik. Wenn es eine solche gibt, müsste sich ihre Analyse vor allem mit den ihr zugrunde liegenden Schnittstrukturen befassen. Dass ein System dahinter steckt, ist augenfällig. Aber kann man so etwas Sprache nennen? Nein, denn es fehlt diesem System einer der wesentlichsten Bestandteile der Sprache, und das ist die Negation. In seiner simpelsten Ausprägung das Wort „Nein“. Wohl kann es ein Darsteller aussprechen, aber es gibt kein Verfahren, es rein visuell auszudrücken. Das Kino ist ein Medium der Bejahung. […].“

(Klaus Wyborny, FAZ 18.1.2007, S.34; siehe auch hier).

7 Kommentare zu “Jasager”

  1. Michael Baute schreibt:

    Dazu fällt mir etwas von Harun Farocki ein. Das ist aus einer Passage über sein Gefängnisbilderprojekt:

    „[…] Die meisten Gefängnisse sind so angelegt, daß es vor ihnen einen Raum gibt, eine Art Vorraum zum Wiedereintritt in die Gesellschaft. Gesellschaftliches Entrée, vom Blick wirklicher Zuschauer oder vom Blick vorgestellter Zuschauer bekräftigt. Ein paar Beispiele zeigen, daß die Entlassenen meistens mit einer kleinen Habe herauskommen, mit einem Bündel oder einem kleinen Koffer. In zwei frühen Stummfilmen aber kommen sie mit leeren Händen, damit haben sie zwar noch weniger als die mit dem kleinen Bündel, aber das wird nicht deutlich. Ihr Besitz ist nur abwesend und Abwesenheit können Bilder nicht zeigen. Das erinnert mich daran, daß Robert Gernhardt ein Lied von Peter Alexander verfilmt hat und bei der Zeile ‚er hat kein Haus‘ jemanden zeigte, der vor einem Reihenhaus verneinend mit den Armen winkte.“

    (Harun Farocki: Bilderschatz. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2001; S. 8)

  2. Ekkehard Knörer schreibt:

    Aber ist es nicht eine abwegige Idee zu glauben, dass das Kino ein rein visuelles Medium sei? Abgesehen davon, dass das Bild die reine Negation – als Schwarzbild, evtl. auch Weißbild – durchaus kennt. Und überhaupt: Kann die Montage nicht Negation herstellen. Bild 1: Haus. Bild 2: Kein Haus. Einstellung 1: Ein Mann geht durchs Bild. Einstellung 2: Ein Mann geht nicht durchs (selbe) Bild. Etc. etc. Ich sehe den Punkt dieses Wyborny-Projekts ohnehin nicht so recht.

  3. Rainer Knepperges schreibt:

    Bild 2 würde ich gerne mal sehen. Natürlich stimmt, was Wyborny schreibt: „… auch die Musik kann nicht nein sagen. Doch das kann die Welt ebenso wenig, auch das Universum spricht keine Sprache. Das den Menschen gegebene ‚Nein‘ ist Ausdruck einer Freiheit, die sich das Universum sonst nicht gestattet.“ Großartige Sätze! Aber vor einigen Tagen sah ich wieder „Bunny Lake is missing“ von Preminger. Und deshalb frage ich mich, ob das „Nein“ nicht vielleicht eine Schwester hat, die zumindest hin und wieder in Filmen auftaucht: Die ganz große, ganz furchtbare Angst.

  4. Ekkehard Knörer schreibt:

    Ich finde die Sätze nicht so großartig, sondern eher total unklar. Negation und Bejahung sind beides Sachen von Urteilen, die man auch in Sprache formulieren kann. (Logikern ist freilich dabei schon nicht wohl.) Das Universum urteilt nicht? Ja, nö, und wo kämen wir überhaupt hin, wenn es das täte… Und wo ist denn da überhaupt die Referenzebene? Was tut das Universum denn überhaupt? Da sein, schätze ich mal.

    Und ist wirklich jedes Bild schon eine Bejahung? Wer sagt das? Das Bild? Ist jeder Klang, jede Harmonie eine Bejahung? Klingt das mit, wenn ein Klang erklingt? (Ließe sich mit einem Krebs nicht vielleicht auch eine Verneinung ausdrücken? Ist nicht womöglich die Musik, in der doch fast alles Relation ist, zum Ausdruck von logischen Relationen gar bestens geeignet?)

    Das zweite Bild könnten Sie nur sehen, bzw. als „kein Haus“ verstehen, wenn Sie das erste Bild gesehen hätten, wo – sagen wir – an derselben Stelle ein Haus steht. Da wir Bildfolgen narrativ zu denken gewohnt sind, verstehen wir das zweite Bild vielleicht auch als „kein Haus mehr“. Will ja nur sagen: Montage gehört zur Sprache des Films. Und mit Montage kann man verneinen.

  5. simon rothöhler schreibt:

    „Andererseits ist der Film eine Sprache.“ (André Bazin, Ontologie des photographischen Bildes (1945), letzter Satz).

  6. Volker Pantenburg schreibt:

    Sagt Bild 1 zu Bild 2: „Du hast mir alles zu verdanken. Ohne mich bist du nichts.“

    Antwortet Bild 2: „Ja.“

  7. Rainer Knepperges schreibt:

    Das Buch von Bazin, auf deutsch bei DuMont (wie auch das Buch von Peter Nau über den politischen Film), gabs sogar in Mönchengladbach in der Stadtbibliothek. Am Anfang geht es darin, glaube ich, um Ägypten und um Anthony Mann. Von dem sah ich vorgestern „The Last Frontier“ im WDR. Sehr schön.
    In meiner Erinnerung ist es so: Beim ersten Lesen erschrak ich. Mir war, als käme aus dem Buch, das ich in Händen hielt, ein bitterer Seufzer: „Andererseits… ach…“

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