Dienstag, 24.07.2007

OM Be My Saviour, Ginsberg Sang

Im Wesentlichen war’s so, wie’s in Jurij Medens „Operation Mamooth“ (2006) erzählt wird, auch wenn’s kein Dokumentarfilm ist — und allein im Wesentlichen, klar, nicht en detail.
Erzählen wir’s jetzt aber mal so, wie ich’s erinnere. Vasja Bibiè, glaube ich, erzählte Genosse Jurij, eines abends vielleicht oder auch eines nachmittags, von einem mittlerweile vergessenen, weil quasi verschollenen Meister des slowenischen Avantgarde-Films – ohnehin eine Subkultur, der dieser Tage wenig Beachtung geschenkt wird -, ein Mann, der in den 70ern und 80ern eine Unmenge an Normal-, Super-8- und 16mm-Filmen gemacht hatte, dann aber eines Tages einfach aufhörte, und von dem man sagt, daß er nun als Fischer in einem Dorf an der Küste lebt. Der Name dieses Mannes ist Slobodan Valentinčič, in aktuelleren Texten und Programmen zur jugoslawischen Film-Avantgarde taucht er nicht auf — man muß in zeitgenössische ‚Ekran’s schauen, um ‚was über ihn zu finden, das Internet weiß auch noch das ein oder andere. Jurij – oder Vasja – machte sich gleich auf die Suche nach Valentinčič. Bald hatte er eine Telephonnummer, ein eher kurz angebundener Herr mit strenger Stimme lud uns ein, ihn zu besuchen, demnächst, abends. Erste, dann aber auch einzige Enttäuschung: Valentinčič lebt in Koper, was nun kein Dorf ist, und verdient sich sein Brot auch nicht als Fischer, sondern als Journalist — die Vorstellung, in eine Hütte zu treten, in der Filmdöschen vor sich hin versalzen von einer Meeresluft, die nach Bildern und Tönen hungert, stimmte mich schon ein wenig melancholisch, Ahnungen von Essigdämpfen belegten meinen Geruchsvorstellungssinn, im tiefsten Inneren hatte ich mich damit abgefunden, daß die Filme vielleicht längst nicht mehr zu projezieren sind. So fuhren Jurij und ich eines abends Koper-wärts, leicht nervös ob Valentinčičs Stimme, vor allem aber sehr, sehr aufgeregt. Slobodan Valentinčič telephoniert anscheinend nur ungern: der blendend aussehende Herr, der einem vor Augen führt, warum man Männer um die 50s als ‚im besten Alter‘ bezeichnet, erwies sich als die Liebenswürdigkeit in Person, auskunftswillig, charmant, sehr geduldig, und immer für eine Überraschungs-Performance gut. Auch den Filmen ging’s zum größten Teil wunderbar, auch wenn sie die letzten rund 20 Jahre vor sich hin geruht hatten.
Gemacht hat Slobodan Valentinčič allerdings keinen der Filme, die er uns an jenem Abend, bis in den frühen Morgen des folgenden Tages hinein zeigte.
Valentinčič behauptet, er sei allein der Kustos von OM Produdkcija, einer Assoziation freier kreativer Geister, die, wenn man so will, durch Valentinčič gewirkt hatten. Die OM-auteurs, knapp 40 an der Zahl, hören auf Namen wie Florjan Gorjan, Veronique Gartenzwergel, Fulmine Quarantotto, Matilda Smrtnik, Ismailhaci Cankar, Amanda Flor Daliso, Marta Znidarsiè, oder John Francis Godart bzw. Emannuell Gott-Art – whatever happened to Angelca Bombardelli und Emerician Havasi? -, viele von ihnen sind auch als OM-Kritiker/Apologeten in Erscheinung getreten, und haben alle jeweils nur einen Film gemacht, Variantenunschärfen incl.; einzige Ausnahme: Janez pl. Laibacher, der laut einer aktuellen OM-Produkcija-Filmographie für alle (im weitesten Sinne) mit den Pankrti realisierten Filme zeichnet, wobei diese Werksuntergruppe mittlerweile auch einen eigenen Namen erhalten hat, krOM prod. Ob dieses realphilosophischen Ein-auteur-Wahnsinns behauptete man wohl damals kurzerhand, alle diese Werke seien von Slobodan Valentinčič: man konnten sich wohl nicht vorstellen, daß es selbst im großen Jugoslawien Dutzende Genies mit abstrusen Namen gibt, die alle nur jeweils einen Film machen wollten. Voreilige Gemüter mögen jetzt sagen, ‚Das sind doch alles Hetero-, manchmal sogar allein Pseudonyme‘, und haben damit vielleicht sogar ein klitzekleines bißchen recht, nur: X OM-auteurs machen noch keinen Slobodan Valentinčič, überhaupt sind Namen nur Schall und Wahn – und heißt nicht schon OM-Opus 2 „Jedna slika znaci 10.000 rijeci“ (1977)? -, was zählt, sind die Filme, also das, was wirklich da ist, wenn man denn bei etwas so flüchtigen wie dem Film von ‚wirklich‘ sprechen kann.
Und vielleicht bin ich ja auch nur eine OM-Illusion, ein Valentinčič-Partikel, denn: wenn Om über OM schreibt, ist jeder Transzendental-Scherz-Verdacht berechtigt.

OM Produkcija realisierte, wie schon angedeutet, 41 Werke: das erste entstand 1977 auf Normal-8, „Document Carrousel 77“, das letzte, „Kumbum (1975/87)“ wurde 1987 auf 16mm vollendet. OM Produkcija hat die gesamte Spannweite des nicht-narrativen Filmemachens ausgeschritten, in einigen Fällen sogar in einem Film, wie etwa OM-Opus 3 „Galactic Supermarket Presents Cosmic Rainbows“ (1977), das gelassen seinen Weg von nervösem Jonas Mekas zu ekstatischem Stan Brakhage findet, oder OM-Opus 7, „All Is One“ (1977/78), wo der Titel schon alles sagt; einige Arbeiten, wie etwa die krOM-Filme, sind stärker dokumentarisch orientiert, Fixierungen eines Zeitgeistes, andere, allen voran die zwischen 1983 und ’87 realisierten Werke der Dislocated Third Eye Series, akzentuieren stärker ein gewisses performatives Moment, wieder andere geben sich quasi hardcore metrisch/materialistisch, wie etwa die Summe aller OM-Suche, „Kumbum (1975/87)“, in dem alle OM-Werke vereint sind, zerschreddert, aufgelöst in kleinste Teilchen zwecks Wandlung in ein eines Ganzes. Zwei der 41 OM-Arbeiten sind Varianten früherer Werke: OM-Opus 27, „Aura /in aurovision/“ (1981) ist ein 16mm-Blow Up mit Magnetton von OM-Opus 12 „Aura /in aurovision/“ (1978), OM-Opus 19, „Mangiafuoco II“ (1979), eine 16mm-Neuschöpfung-durch-Abfilmung-und-Umfärbung von OM-Opus 18, „Mangiafuoco“ (1979), eine Super-8-Doppelprojektion. Wobei Valentinčič wohl kürzlich eine dritte „Mangiafuoco“-Variante (und damit ein erstes post-OM-Opus?) kreierte, nämlich eine Super-8-cum-16mm-Dreifachprojektion, in der OM-Opus 18 OM-Opus 19 flankiert — zumindest lief „Mangiafuoco“ so im OM Produkcija-Programm des International Film Festival Rotterdam ’07, wo zum ersten Mal seit Dekaden OM-Werke vor einem Publikum aus aller Welt gezeigt worden sind; der Größe des Anlaß‘ angemessen gab es denn auch eine monumentale Weltpremiere: OM-Opus 37, „Tetraplan“ (1981/85) wurde zum ersten Mal in seiner Maximalfassung gezeigt, als Vier- bzw. Fünffachprojektion mit 64 Bildern (vier Filmbilder, die am Ende in jeweils 16 Bilder unterteilt sind; beim Übergang von einem auf vier Projektoren/Filmbilder sind eine Zeitlang fünf Filmbilder zu sehen und entsprechend viele Projektoren am Werk). Eine zweite OM-Präsentation, zum Teil mit anderen Werken – etwa dem road koan „Dislocated Third Eye Series: White Line Fever“ (1984) -, folgte beim Kino Otok ’07, wo Valentinčič eine weitere geweitete – und offiziell gar nicht existierende – Version eines Werkes zeigte: OM-Opus 34, „Dislocated Third Eye Series: Next Movie – High Noon (Hommage to Fred Zinnemann’s High Noon)“ (1983/84) lief als Super-8-Doppelprojektion.
Nur wenigen war es gegeben, in der Gewaltigkeit von „Tetraplan“ aufzugehen: dieser Exzess an Rhythmus und Bedeutung, Symmetrien und Sinninsinuierungen frustrierte so manchen, der dieses Werkes nicht Herr zu werden wußte — kann man ja auch nicht. Und wie beschaulich wirkt doch der Maximal-„Tetraplan“ neben „Kumbum (1975/87)“!: den kann man sich einmal pro Jahr anschauen und sieht man immer wieder einen neuen Film, bei dem man ständig spürt, daß Myriaden anderer Filme unwahrgenommen an einem vorüberziehen.

OM Produkcija endete, als Video die Schmal- und Schmalstfilmformate für den Avantgarde- und Hausgebrauch abzulösen begann, danach die digitale Sintflut: man verschloß sich diesen Technologien, empfand sie als häßlich, und da der Weg der Wahrheit die Schönheit ist, konnten diese Aufzeichnungs- und Wiedergabeverfahren bloß Sackgassen der Lüge sein. Abgesehen von Ausschnitten, die für „Operation Mammoth“ geklammert und transferiert worden sind – und dort letztlich nur demonstrieren (sollen), daß man die Filme so nicht sehen kann -, existieren die OM-Werke allein auf Film, sehen kann man sie nur, wenn Valentinčič sie einem zeigt, und selbst dann sieht man immer andere Filme, da der Kustos es liebt, jede Präsentation zu einem einzigartigen Ereignis zu machen.
Dreimal, etwa, sah ich OM-Opus 4, „Velika pot nima vrat / Gata gate paramgate (The Great Path Has No Gates)“ (1977/78), und ich erinnere mich an doch sehr verschiedene Werke. OM-Opus 5, „Yin-Yang“ (1977/78), sah ich zweimal, einmal in Valentinčičs Wohnzimmerdeckenecke projeziert und einmal in eine speziell gezimmerte Halbschachtel im Lantaren 2 in Rotterdam, wo der Film zwar klarer wirkte aber weniger plastisch, vielleicht auch, weil Valentinčič ihn ein bißchen langsamer spielte als bei sich daheim. OM-Opus 34, „Dislocated Third Eye Series: Next Movie – High Noon (Hommage to Fred Zinnemann’s High Noon)“, sah ich, wiederum, dreimal – davon einmal eben als Doppelprojektion -, und da weiß ich nun ganz genau, daß der Unterschied in der Wahrnehmung/Erinnerung des Werkes an den unterschiedlichen Projektionsgeschwindigkeiten liegt, in der Art, wie Valentinčič während der Präsentation die Bildgeschwindigkeit senkte und hob, manchmal ganz zart, so daß man glaubt, die Zeit würd‘ klebrig, und schwupps, ekstatisch schwingt der Film sich auf, rast dahin, reißt einen mit, alldieweil die Musik – vom Band, wie fast immer – nichts aus ihrem eigenen Gleichmaß bringt (Valentinčič war in Rotterdam überglücklich, daß er Projektoren hatte, deren Bildfrequenz man stufenlos verändern kann, konkret kiffermellow; bei seinem eigenen gibt’s immer ein merkliches Springen von der einen Frequenz in die nächste).
Meinen vielleicht liebsten OM-Film habe ich auch zweimal gesehen, aber schon die erste Vorführung, rein vom Gefühl her, hätte für den Rest meines Lebens reichen können: „Dislocated Third Eye Series: Bismillah“ (1984). Vier Super-8-Akte, drei auf Agfa, das sich langsam auflöst, wie Herbstlaub fliegen die Verfallsflocken über die Bilder, nur der letzte, als einziger auf Kodak gedrehte, strahlt wie die Erkenntnis selbst — vier Akte, vier Bewegungen. Die Kamera wird mit dem Stativ herumgeschwungen, einmal mit der Bewegung und einmal gegen sie und einmal ist sie die Verlängerung des Stativs (die Aufnahme endet abrupt; die Dreharbeiten mußten aus Verletzungsgründen für ein Jahr unterbrochen werden…); im letzten Akt, blickt die Kamera das Stativ entlang auf den sie Schwingenden, Slobodan Valentinčič, jünger, durchtrainiert, halbnackt steht er auf einem Hügel und die ganze Welt kreist um ihn, in dem einzigen Akt, in den sich die Zeit noch nicht gefressen hat; in Izola präsentierte Valentinčič diesen letzten Akt schließlich – un-/endlich erhaben ekstatisch – als Doppelprojektion (ein weiteres unverzeichnetes Werk): er selbst war sein Doppelschwinger, sein Schatten, sein Kondensstreifen in der Zeit, seine Ahnung, seine Projektion wohin und vor-zurück. Zu hören ist dazu immer Dollar Brand, geloopt, nur wenige Töne, klaviergetriebene Japser-Jauler-Jodler, deren heiter-kristallene Gegenwärtigkeit, Insistenz einen messmerisieren. Als Valentinčič den Film, damals an jenem frühen Abend, so gegen 2h in den Projektor packte und das Tonbandgerät anwarf und begann, mit dem Geschwindigkeitsregler zu malen, vielleicht nur noch drei Bilder pro Sekunde zeigte: als also eines Koper-morgens plötzlich Farben und Formen im Raum standen, die es so nie gegeben hatte und die es so auch nie wieder geben wird: als also die Zeit und damit das Leben – auch in dem Filmzerfallslaub – mit einem Mal Gegenwart und wirklich geworden waren, da —-
– life full of holes and life full of wind –

– Olaf Möller –

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