Donnerstag, 16.08.2007

Erinnerungen an Rüdiger Neumann

Von Ulrich Köhler

Der Filmemacher ist anwesend. Ich mag ihn, aber diesen Film mag ich nicht. Ich muss sitzen bleiben und werde immer ärgerlicher. Später reden wir. Ich könnte lügen oder schweigen. Ich versuche Ehrliches zu sagen ohne zu verletzen. Ein Desaster. Falsche Rücksicht demütigt alle Beteiligten.

Ich sollte es besser wissen: „Bungalow“ hatte den Hauptpreis beim Filmfest Schwerin gewonnen. Die Jury, der ich einen „fliegenden Ochsen“ und meine finanzielle Rettung verdankte, machte sich vor den Feierlichkeiten aus dem Staub. Alle anderen hassten den Film und ließen es mich wissen. Keine drucksenden Menschen, die verzweifelt nach positiven Teilaspekten eines Films suchten, der sie neunzig Minuten gefoltert hatte. Ehrlicher Hass und ein lustiger Abend.

Die Rüdiger Neumann-Werkschau im Metropolis in Hamburg machte mir ein wenig Angst. Drei Jahre hatte ich bei ihm studiert, ohne seine Filme gesehen zu haben. Rüdiger war schüchtern mit seinem Werk. Wenn er davon erzählte, schien es, als rede er von den Brüdern Lumière und nicht von seinem eigenen, wenige Jahre zurückliegenden Filmschaffen. Wahrscheinlich wollte er nicht mehr als Künstler wahrgenommen werden. Er war inzwischen Geschäftsführer eines Tonstudios und Hochschullehrer. In seinem Seminar duldete er nur wenige Auserwählte, und die konnten jederzeit in Ungnade fallen. Seine Kriterien waren alles andere als objektiv. Aber die Neumannklasse war eine Werkstatt, ein Ort für Auseinandersetzungen, die mich bis heute prägen.

Der Versuch, Kunst- und Filmakademien in Berufsschulen zu verwandeln ist absurd. Rüdiger war kein Ausbilder und wollte es auch nicht sein. Von narrativem Film hatte er keine Ahnung, bekannte er freimütig. Trotzdem machen viele seiner Studenten heute Spielfilme – oder Kunst oder Werbung – in unterschiedlichsten Positionen im Mainstream, im Untergrund und irgendwo dazwischen. Oliver Hirschbiegel, Hermine Huntgeburth, Fatih Akin, Andreas Dorau, Frieder Schlaich, Irene von Alberti, Rotraut Pape, Henner Winckler, Henrike Goetz, Patrick Orth, Jeanne Faust, Nina Könnemann, Jochen Dehn, Daniel Maier-Reimer (…) saßen alle schon mal vor dem brummigen Rüdiger und haben versucht ihn von einem Projekt zu überzeugen.

Mit seinem Prinzip Abschreckung wurde ich gleich bei unserer ersten Begegnung konfrontiert. Mein Super 8-Experiment „Feldstraße“ war in seinen Augen vollständig gescheitert: konzeptuell inkonsequent und formal indiskutabel. Sein knappes, treffendes Urteil sollte unsere Beziehung beenden, aber die Diskussion im Seminar uferte so aus, dass Rüdiger zwei Stunden später vergessen hatte, wie sehr ich ihn mit meinen 3 Minuten Film gequält hatte. Ich war aufgenommen.

Der Filmemacher Neumann hat mich mit „Stein/Licht“ sehr glücklich gemacht. Naturschönheit ohne Pathos. Trostlose Kleinstädte schauen gleichgültig auf das unfassbare Lichtspiel am Polarhimmel. Rüdiger schwenkt nie, schneidet ruppig. Seine Panoramen setzen sich aus einzelnen Einstellungen zusammen. Sie stehen kurz, ganz anders als in den Filmen von James Benning. Ich wüsste gerne, ob die beiden sich gekannt haben. Ihre Filmsprache könnte konträrer nicht sein, aber sie haben ein ähnliches Feld beackert. – Beide verstehen, dass es keinen unschuldigen Blick auf Natur gibt. Sie suchen Schönheit in einem fast klassischen Sinn, aber sie leiten daraus keine metaphysischen Versprechungen ab.

„Archiv der Blicke“ ist ein Portrait Westdeutschlands in den 80ern. So hat es sich angefühlt, dieses Land ohne Zentrum, ein Nebeneinander von Provinzen, deren wichtigstes Unterscheidungsmerkmal die Fassaden der Häuser waren: Klinker im Norden; Beton, Schiefer, Eternit in der Mitte; Holz und Geranien im Süden. Der VW Scirocco ist so gepflegt wie die Wälder, durch die er fährt. Deutschland im Jahr der ersten Kohlschen Wende 1983.

Rüdigers frühe „topografische“ Filme habe ich nie gesehen. Es waren strukturalistische Arbeiten, die den Autoren durch mathematische Zufallsprinzipien ersetzen wollten. Ich hoffe, es ist ihm ebensowenig gelungen wie seinem Freund Klaus Wyborny, der immer wieder versucht, den Autoren mit naturwissenschaftlichen Methoden niederzuringen und dabei einige der schönsten Autorenfilme der letzten 30 Jahre geschaffen hat.

Auch wenn manche Gegensätze nicht mit Adjektiven aufgehoben werden können, Rüdiger Neumann war ein „aufgeklärter Romantiker“. Er starb am 23. Juni 2007 im Alter von 63 Jahren. Ich wünsche mir, seine Filme wiederzusehen. Es gab auch in Hamburg einen „neuen deutschen Film“. Er war zu konsequent und radikal für das Arthouse und zu filmisch für das Museum. Er gehört ins Kino. Heute.

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