Montag, 16.06.2008

Barrage

Doch, „Barrage“ ist wahrscheinlich schon ein Drehbuchfilm. Aber in Frankreich haben’s Filmer einfach eher drauf, keinen Krampf zu machen aus diesen Vorschriften. Die junge Mutter (Sabine: Nade Dieu) will ihren pubertierenden Sohn (Thomas: Hadrien Bouvier) nicht lassen. Der hütet sich tunlichst vorm Ödipus. Im einstigen Schleusenwärter-Haus an einem Stausee möchte sich Sabine mit Thomas verschanzen. Sie erträgt nicht, daß er ein Mädchen hat, daß er im Steinbruch des Onkels sein Praktikum absolviert. Sie will ihn nicht noch einmal weggenommen bekommen, wie als Fünfzehnjährige. Gottseidank stöpselt sich der Plot nur sukzessive zusammen.
Nein, daß der Kontext so wichtig wird, wie die Erzählung – keine Niederschrift ohne Papier – das kriegt Raphaël Jacoulot dann doch wieder nicht hin – wie z.B. das Schreinern in „Le Fils“, von den Brüdern Dardenne, zu erlernendes und gekonntes Handwerk vor der Kamera ist. In „Barrage“ eiern Mutter und Sohn auf den Rädern wie Sonntagsfahrer. In der Kiesgrube darf der Sohn gerade mal vom Muldenkipper steigen. Weil sie einen Krankenhausjob hat, kommt Sabine ran an die ihren Sohn zu Tode sedierenden Medikamente und – kleinstadtzufälligerweise, als Schwangerenberaterin – auch an die Freundin von Thomas, die sie vergrault.
Wahrscheinlich, wäre da nicht das dicke Gleichnis des sich stauenden Wassers, könnten die Landschaften und Orte auch andere sein. Die Kamera hält gerne auf den Wasserspiegel des Stausees.
Wurst, ob der Zufall Raphaël Jacoulot in die Hände spielte. Die Einstellungen von den Laubwaldhängen des gekurvten Doubs-Tales, welche von der Frühwintersonne in Leuchten und Trübnis unterschieden werden, die Blicke hinunter auf das Städtchen, Montbéliard, endlich mal nicht das ewige Paris, lohnen. Schade höchstens, daß der Film partout die sich anbietenden Ortsschilder, am Bahnhof, an den Straßen, meidet, als trüge er dann den Makel des Konkretistischen.
Trotzdem, Zutrauen läßt sich fassen zu dem Film, dessen Noblesse im Verzicht aufs ‚Overacting‘ liegt (das Wort ist leider zu trefflich, als daß es vermeidbar wäre). Beinahe wie eine DIN-Norm ist, daß fürs Fernsehen Großaufnahmen gemacht werden müssen, weil die Glotze zu klein ist für detailreiche Totalen. Unter anderem aus demselben Grund, um Betroffenheitswirkung zu erzielen, wird oft so entsetzlich expressiv gebrüllt, geflennt, geblutet, geliebt. Im Sinne dieses Codex hätte die Tragik in „Barrage“ einiges hergegeben. Aber die bestaunenswerten Gesichter sind gleichwertig zu den Landschaften – einfach abgefilmt, nur minimal bewegt, schlau ins Breitwandbild eingepaßt, oft nämlich im Liegen, die Mutter mit einem darbenden Kußmund und Fusselsträhnenhaar, der Sohn mit einem letzten Rest kindlicher Weichheit.
Für „Barrage“ komponierte Olivier Pianko ein Streichquartett, das auf einer eigenen Musik-CD mindestens genauso gut aufgehoben sein könnte.
(Barrage, Raphaël Jacoulot, F 2005, 93 min., col., 35 mm / 1: 1.85)

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