Samstag, 21.05.2011

Amerikanische Kinos (4)

Das Paramount Theater ist Austins ältestes noch existierendes Kino. Als es 1915 gebaut wurde, hieß es Majestic und war ein Vaudeville-Theater. Zwei Jahrzehnte später konnte man mit Vaudeville kein Geld mehr verdienen, Paramount kaufte das Haus und machte es zum Kino. In einem kleinen Film über die Geschichte des Kinos berichtet einer, dass nach den glanzvollen Vierzigern und Fünfzigern der übliche Abstieg einsetzte. Er erinnert sich daran, wie draußen für THE FIVE FLYING FINGERS OF DEATH mit Bruce Lee geworben wurde, und im Zuschauersaal, der gut gepolsterte 1200 Sitze hat, saßen nur 12 Hartgesottene. Zwar heißt der Film THE FIVE FINGERS OF DEATH und Bruce Lee spielt gar nicht mit, aber so ist das mit der Filmerinnerung. Seit dem Relaunch 1980 wird wieder ein gemischtes Programm angeboten, Konzerte, Theaterstücke, Tanzshows. Während des Festivals darf das Gebäude für eine Woche so tun, als wäre es ganz Kino.

Die Schlange der Akkreditierten zieht sich bis um die Straßenecke. Mich fragt jemand, ob er hier richtig sei für Billy Bob Thorntons Dokumentarfilm über Willie Nelson. Nein, Billy Bob Thorntons Dokumentarfilm über Willie Nelson kommt morgen um die gleiche Zeit. Ich kann ihm nicht sagen, was jetzt hier läuft; diesmal habe ich das Kino ausgesucht und nicht den Film. Die resoluten alten Damen am Eingang tragen rote Uniformen und legen einen professionellen Stoizismus an den Tag, als hätten sie seit THE FIVE FINGERS OF DEATH nichts anderes getan als hier zu stehen und für die notwendige Einhaltung der Regeln zu sorgen. Gegenüber Festivalbesuchern, die ihre Getränke mit ins Kino nehmen wollen, zeigen sie sich unnachgiebig. Auch im prunkvollen Saal stehen einige von ihnen und mahnen die Zuschauer mit strenger Miene, aufzurücken und keine Lücken zu lassen.

ANOTHER HAPPY DAY, mit Ellen Barkin, Ellen Burstyn, Demi Moore. Regie und Drehbuch: Sam Levinson, sein Debütfilm. Situation: Hochzeit. Genre: Dysfunktionale Familie. Ein Sohn heiratet, die traumatisiert in alle Winde zerstreute Familie findet sich zur Feier zusammen. Es gibt noch einen zweiten, bildhübschen Sohn mit Drogenproblem und Depressionen. Es gibt eine Tochter, die sich die Arme ritzt. Es gibt einen Großvater, der einen Hirnschlag nach dem anderen hat. Seinen Tod findet er, als er mit dem Rasenmäher gegen einen Baum fährt. Auf einem schwimmenden Autoreifen treibt der berauschte Sohn abends spät ins offene Meer hinaus. Giftige Auseinandersetzungen zwischen der Exfrau und der neuen Gattin des Vaters. Zum Ende hin schaukelt sich die Sache immer höher: Musik, Bild, Dialoge, alles drückt aufs Sentiment, und der Film zieht das durch, ohne Gnade. Gegen jede Wahrscheinlichkeit gefällt mir das sehr. Der Film ist toll, und zugleich würde ich niemandem empfehlen, ihn anzuschauen.

Einmal beschimpft die nervlich angeschlagene Mutter (Ellen Barkin) ihren Sohn als Son of a bitch, und er kontert blitzschnell: You just insulted yourself.

[Freitag, 18. März 2011, Paramount Theater, 713 Congress Avenue, Austin, TX 78701]

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