Samstag, 28.07.2012

Emil Jannings

Im Tagesspiegel vom 26. Juli fragt sich Frank Noack, woran es liegen mag, dass Emil Jannings so ganz und gar vergessen ist und antwortet darauf gleich selbst: es liegt „wohl eher an einem generellen Desinteresse an der Schauspielkunst früherer Epochen.“

Ich hätte dazu noch ein paar andere Antworten: es liegt auch an dem generellen Desinteresse für deutsche Filmgeschichte. Und die, die sich überhaupt noch dafür interessieren, teilen die Filmgeschichte so ein: bis 1933 und etwa ab 1965 – ich setze hier mal Kluges „Abschied von gestern“ als Zäsur – interessant, innovativ, spannend. Zwischen 1933 und 1965 liegen Sumpf, Nebel und Moor, die Leichen des deutschen Films, Wüste und Ödnis, Verdrängung und Propaganda. Da sehen wir nicht hin, wir wissen sowieso Bescheid, das ist ja alles Mist und Papas Kino und Opas Kino.
Leider stimmt das auch noch zum großen Teil und es stimmt natürlich genauso wenig als wenn ich jetzt sagen würde: alle Filme der Berliner Schule sind einfach stinklangweilig und öde, stinkende Moorleichen der Luxusproblematiker. Das eine ist so falsch wie das andere.
Es ist ja wirklich so, dass man sich vieles ansehen muss, um einiges Gutes zu entdecken. Das ist halt Arbeit, die wir uns nicht antun wollen. Deswegen sparen wir uns das und haben dann mangels Wissen gar keine Argumente mehr gegen die, die uns weiß machen wollen, dass der Film zwischen 1933 und 1945 eigentlich unpolitisch war, und wenn es dann politisch wurde, dann war nur Herr Goebbels schuld. Im Grunde war ja die ganze Filmindustrie unpolitisch und Anti-Nazi. Gab es außer Leni Riefenstahl überhaupt irgendjemanden, der mit dem System paktiert hat und nicht weiterfilmen durfte? Karl Ritter, NSDAP-Mitglied und Regisseur militaristischer Propagandafilme, durfte selbstverständlich in der Bundesrepublik weiterfilmen. Er behauptete allen Ernstes, er hätte im Dritten Reich lieber Märchenfilme gedreht als seine Fliegerfilme. Man ließ ihn reden, damit nur ja keine Diskussion aufkommt.

Was hat das nun alles mit Jannings zu tun? Jannings hat ebenfalls in einigen schlimmen NS-Filmen wie „Der Herrscher“ mitgespielt, und das fällt ihm natürlich bei denen, die die Filme kennen, zentnerschwer auf die Füße. Es liegt halt nicht „an dem generellen Desinteresse an Schauspielkunst“, sondern auch daran, dass sich keiner, der sich mit dem  Film-Erbe beschäftigt, durch ein Dickicht von Lügen und Beschönigungen kämpfen will. War Jannings nun Gegner, Mitläufer, Opportunist oder vielleicht auch Täter? Oder welche anderen Kriterien greifen hier? Man hätte es gern gewusst, aber es ist wohl zu mühsam, auch darüber noch nachzudenken.

Es ist schon symptomatisch, dass Frank Noack, der ein Buch über Jannings geschrieben hat, im Tagesspiegel einen Beitrag über Jannings schreibt und darauf hinweist, dass er ein Buch über Jannings geschrieben hat. Übrigens hieß „Madame Dubarry“ in den USA nicht „Power“, sondern „Passion“. Woran mag es nur liegen, dass man nicht einmal die Filmtitel richtig auf die Reihe kriegt?

Werner Sudendorf

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