März 2013

Sonntag, 31.03.2013

Bakelitperücke und hölzerner Umhängebart (Teil 3 – Finale)

Über Masken, Helme und Verbände

the face behind the mask 1941 robert florey
The Face Behind the Mask (1941 Robert Florey)

An seinem ersten Tag in New York hat der ungarische Einwanderer (Peter Lorre) ein wenig Glück. Bis dann in der Nacht sein Hotel in Flammen steht.

An dem Tag, als dem Verbrennungsopfer die Bandagen vom Gesicht genommen werden, breitet die mitfühlende Krankenschwester ein Tuch über den Spiegel.
Ein 69-Minuten-Horror/Gangster- und Wüstenfilm.

houdini 1953 George Marshall
Houdini (1953 George Marshall)

Ein anderer Einwander aus Ungarn: Harry Houdini (1874 – 1926), Entfesslungskünstler, zaubernder Aufklärer, ließ sein Publikum gerne wissen, dass Magie auf Geschicklichkeit beruht. Das Bio-Pic über ihn und über seine Mutterbindung ist fast ein Unterwasserfilm.

The Mind Benders 1963
The Mind Benders (1963 Basil Dearden)

In The Mind Benders geht es um bewegungsloses Tauchen. Ein ungewöhnlicher Kalter-Kriegs-Film, in dem gezeigt wird, dass selbstgewählte Isolation die idealen Bedingungen für Gehirnwäsche schafft.

the alligator people 1959 Roy Del Ruth
The Alligator People (1959 Roy Del Ruth)

„Ich bereute die Zeit, die ich anwandte, Ausdrücke für meine Gedanken zu suchen. Ich fand, dass wir jeden Gedanken unmittelbar, ohne langes Nachsinnen in die Sprache einzukleiden pflegen, die uns die bekannteste ist. Und da fasste ich den seltsamen Entschluss, mich von dieser Sklaverei loszumachen. Drei Monate dachte ich ohne Worte. Als ich dieses Nachdenken endete, sah ich mich voll Erstaunen um. Meine Sinne betrogen mich nicht wie vorher. Alle Gegenstände hatten für mich eine neue Gestalt.“ (Franz Anton Mesmer, 1734 – 1815)

fantastic universe 1955
Kelly Freas (1922 – 2005): Fantastic Univers, 1955

„Für die Franziskaner malte er 500 Porträts von Heiligen, simultan zu den Porträts von Alfred E. Neumann für MAD“ (Wikipedia)

Paranoiac 1964 Freddie Francis
Paranoiac (1964 Freddie Francis)

Wenn wir in die Welt der Groteske eintreten, empfinden wir stets eine fröhliche Freiheit des Gedankens. In den handschriftlichen Sammlungen von Heiligenviten des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts finden sich fromme und strenge Illustrationen neben freien, nicht mit dem Text verbundenen Darstellungen von Chimären, komischen Teufeln und maskierten Figuren. „Die Fläche einer Manuskriptseite hatte genauso wie das Bewusstsein des mittelalterlichen Menschen, Platz für beide Aspekte des Lebens und der Welt.“ (Michail M. Bachtin: „Literatur und Karneval“)

Seconds 1966 John Frankenheimer
Seconds (1966 John Frankenheimer)

Was unter diesem Verband auf seine Enthüllung wartet, ist ein Paradestück plastischer Chirurgie: das Gesicht von Rock Hudson. In Gesichtstransplantationsfilmen dürfen Männer mit mehr Interesse als üblich in den Spiegel schauen. In Delmer Daves‘ Dark Passage ist es Bogart, in John Woos Face/Off sind es Cage und Travolta.

„Wer kann schon sagen, was er sieht, wenn er in den Spiegel schaut? Je mehr ich meinen Vater angesehen habe in diesen Tagen, Wochen, Monaten, desto mehr glich er mir selbst, desto fremder wurde er mir. An manchen Tagen bin ich mit dem Gefühl aufgewacht, sein Gesicht liege wie eine Maske auf meinem eigenen.“ (Dominik Graf: Das Wispern im Berg der Dinge)

The Face of Another (Hiroshi Teshigahara, 1966)
Tanin No Kao (1966 Hiroshi Teshigahara)

„Jahrelang kam Erik Satie des Morgens auf mein Zimmer, Anjou-Straße 10. Er zog den Mantel (auf dem er nicht den leisesten Fleck geduldet hätte) und die Handschuhe nicht aus, behielt den bis zum Zwickerrand in die Stirn gezogenen Hut auf und legte den Regenschirm nicht aus der Hand. Mit der freien Hand schirmte er den Mund ab, der sich beim Sprechen oder Lachen verzog. Er kam zu Fuß von Arcueil herein. Dort hauste er in einer Kammer, wo man nach seinem Tod alle Briefe seiner Freunde unter einem Berg von Staub wiederfand. Er hatte nicht einen einzigen geöffnet.
Er säuberte sich mit Bimsstein. Wasser benutzte er nie.“
(Jean Cocteau: „Die Schwierigkeit zu sein“)

Cocteau beschreibt auch, wie man den Tänzer Nijinsky nach dessen Auftritten hinter der Bühne empfing – „wie einen Boxer mit warmen Handtüchern, Backenstreichen und Wasser, das ihm sein Diener Dimitri ins Gesicht spie.“

Riten 1969 Bergman
Ingrid Thulin in Riten (1969 Bergman)

Ingmar Bergman: „Im katholischen Abendmahl gibt es die sogenannte Elevation. In einem bestimmten Moment hebt der Priester den Kelch. Das tut er im evangelischen Abendmahl nicht. Es ist sogar verboten. Die Elevation, also die Erhöhung, ist in der katholischen Kirche noch vorhanden als rituelles Überbleibsel des Dionysoskultes, wo der Priester die Schale mit Blut über seinen Kopf hob und die Gottesmaske hinter seinem Rücken spiegelte, um den Gott fortzutrinken.“

alice sweet alice 1976 Alfred Sole
Alice Sweet Alice (1976 Alfred Sole)

Gulliermo del Torro über Hitchcocks I Confess: „This movie is linked in my putrid brain with another very strange movie, both shot in Canada: which is Alfred B. Sole’s Alice Sweet Alice. For some reason the two movies live in the same spiral of my brain. watch them both and send me a letter. I will never answer.“

Audrey Hepburn - They All Laughed 1981 Peter Bogdanovich
They All Laughed (1981 Peter Bogdanovich)

„If you said to me: What Film that you made is most like you? I would say: They All Laughed“ (Peter Bogdanovich im Gespräch mit Wes Anderson)

el orfanato 2007 J.A.Bayona
El Orfanato (2007 J. A. Bayona)

Boris Karloff hat erzählt, wie sehr ihn die Fanpost rührte, in der dem Monster Frankenstein „Hilfe und Freundschaft“ angeboten wurde. Karloff beschrieb dies als eine der bewegendsten Erfahrungen seines Lebens.

Hickling Family During the War
Hickling Family During the War (1940s amateur film) Yorkshire Filmarchive

hotel des invalides 1952 georges franju
Hotel des Invalides (1952 Georges Franju)

„Nicht anfassen“, sagt der Saalwächter.

hotel des invalides 1952
Rechts: Die Turnierrüstung des Fürsten von Alba

Karnevalistisch und katholisch wie das Kino ist, braucht selbst der Filmprojektor seine Masken. Tonspur und Perforation sollen Geheimnisse bleiben. Wie die Sekretärinnen an ihren Fingernägeln, so feilen die Filmvorführer an den vielfältigen Formaten. „Herr Beck von der Firma Hasso hat mal in Baden Baden auf dem HDF Kongress einen Maskenwechsler für eine B 11 vorgestellt. Dazu auch einen Objektivrevolver. Aber das war vor ca. 30 Jahren.“ So plaudert man im Filmvorführerforum.

Rochester Bestiary
Rochester Bestiary

The Devil Commands 1941 Dmytryk
The Devil Commands (1941 Edward Dmytryk)

„Liebe war für die Welt des Westens von Anfang an etwas Ambivalentes. Bereits Sappho (600 v. Chr.) oder noch früher, im Epos von der trojanischen Helena, registriert die Kunst das Hin und Her zwischen Attraktion und Feindseligkeit, das jene perverse Faszination auszeichnet, die wir Liebe nennen. Dank der Abgegrenztheit der westlichen Person gibt es im Westen einen Magnetismus der Erotik: ein elektrisches Kraftfeld zwischen Masken.“ (Camille Paglia: „Die Masken der Sexualität“)

Wegen der von Camille Paglia gepriesenen Vorzüge der chronologischen Betrachtungsweise, schlage ich vor: Wir fangen noch mal von vorne an.

the face behind the mask 1941 a

the face behind the mask 1941 b
Peter Lorre – The Face Behind the Mask (1941 Robert Florey)

Tyrone Power - Son of Fury 1942 John Cromwell
Tyrone Power – Son of Fury (1942 John Cromwell)

„Der Mensch empfindet die Unaufhörlichkeit des Lebens auf dem öffentlichen Festplatz, in der Karnevalsmenge, indem er sich mit fremden Leibern jeden Alters und jeder sozialen Stellung berührt. Er fühlt sich als Glied des ewig wachsenden und sich erneuernden Volkes. Deshalb schließt das festtägliche Lachen des Volkes nicht nur das Moment des Sieges über die Furcht vor den Schrecken des Jenseits, vor dem Geheiligten, vor dem Tod in sich ein, sondern auch das Moment des Sieges über jede Gewalt, über die irdischen Herrscher, über die Mächtigen der Erde, über alles was knechtet und begrenzt.“ (Michail M. Bachtin: „Literatur und Karneval“)

The Flesh and the Fantasy - 1943 Julien Duvivier
The Flesh and the Fantasy (1943 Julien Duvivier)

Der treue Husar - 1954
Der treue Husar (1954 Reinhold Schünzel)

Ein reiner Hochgenuss sind die Texte von Silvia Szymanski über Omafilme. Zum Beispiel: Der Kongress tanzt (das ist einer meiner Lieblingsfilme) oder Gräfin Mariza („man sollte sich in die Vorstellung hineinsteigern, dass das eigentlich alles Sex ist“) oder Der treue Husar.

1958 Virgil Finlay fantastic universe
Virgil Finlay: Fantastic Universe, 1958

Claudia Basrawi erzählte mir eben am Telefon, sie habe vor einiger Zeit mal einen ganzen Tag lang das schöne Gefühl gehabt, eine weithin sichtbare Aura zu besitzen. Von gelber Farbe sei diese Aura gewesen – und beim Herumlaufen ein wenig hinderlich, wie aus Pappe.

Queen of Outer Space (1958 Edward Bernds)
Queen of Outer Space (1958 Edward Bernds)

„Das Bewusstsein macht Feiglinge aus uns allen. (…) Wir sehen zuviel und müssen deshalb unser Blickfeld konsequent einengen. (…) Die Natur übertrifft uns nämlich alle an Obszönität.“
(Camille Paglia: „Die Masken der Sexualität“)

In The Grass is Greener (1960 Stanley Donen) hat Jean Simmons ein weißes Telefon mit schwarzer Wählscheibe. Mitten im Film sagt sie: „There is no honour, where sex is“.

Belinda Lee - Les Draguers 1959 Mocky
Belinda Lee in Les Draguers (1959 Jean-Pierre Mocky)

„Die Sünde ist eine Erfindung der Heiligen,“ sagt Belinda Lee als Messalina (1960 Vittorio Cottafavi), und außerdem: „Die Nachwelt wird immer nur euch Männer wohlwollend beurteilen. Nie uns Frauen.“

the twilight zone - eye of the beholder 1960 Douglas Heyes
The Twilight Zone: Eye of the Beholder (1960 Douglas Heyes)

Breakfast at Tiffany's 1961 Blake Edwards
Breakfast at Tiffany’s (1961 Blake Edwards)

In der heidnischen Vielgötterei Hollywoods formiert sich ein triumphaler Maskenzug der Sexualität, um uns aus dem Alptraum der Natur zu wecken. Camille Paglia versteht „den Humor als die einzige Lösung für den Krieg zwischen den Geschlechtern. (…) Ändern wir, was zu ändern ist, und lachen wir über das übrige.“

Laut Michail Bachtin „geht großen Umwälzungen, selbst noch in der Wissenschaft, eine gewisse Karnevalisierung des Bewußtseins voraus.“

Operazione Lady Chaplin 1966 Alberto de Martino
Operazione Lady Chaplin (1966 Alberto de Martino), Musik: Bruno Nicolai

Who is Lady Chaplin? A high-fashion dress designer? A peace-loving nun? A military driver attached to NATO? An eminent scientist? This is what CIA man Dick Malloy is assigned to find out.“

Maria Grazia Buccella -  After the Fox, 1966 - de Sica
Maria Grazia Buccella in After the Fox (1966 Vittorio de Sica)

Tony Randall  whats my line
Tony Randall 1966 in „What’s My Line?“

Woody Allen: “In my next life I want to live my life backwards. You start out dead and get that out of the way. Then you wake up in an old people’s home feeling better every day. You get kicked out for being too healthy, go collect your pension, and then when you start work, you get a gold watch and a party on your first day. You work for 40 years until you’re young enough to enjoy your retirement. You party, drink alcohol, and are generally promiscuous, then you are ready for high school. You then go to primary school, you become a kid, you play. You have no responsibilities, you become a baby until you are born. And then you spend your last 9 months floating in luxurious spa-like conditions with central heating and room service on tap, larger quarters every day and then Voila! You finish off as an orgasm!”

take the money and run 1968 woody allen
Take the Money and Run (1968 Woody Allen)

toys and techniques
Michael Grater: Paper Faces (1968) via Toys and Techniques

In einem Wohnwagen
In einem Wohnwagen an der holländischen Küste: ein Altar für George Lucas.

Frohe Ostern!

Donnerstag, 28.03.2013

Das Testament des Dr. Goebbels

Es ist ja immer etwas billig, Kritiken aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu zitieren, um zu dokumentieren, wie rückständig damals die Kritik war. Etwas anders ist es, wenn man darauf stößt, wie sich der Geist des Nationalsozialismus mit dem der frühen 50er Jahre deckt. Hier eine Fundstelle zum Fritz Lang Film „Das Testament des Dr. Mabuse“. Der Film wurde als Reprise im August 1951 gestartet. Der Film-Dienst schrieb:
„Dieser Film wurde von 1932 auf 1933 gedreht. Er ist am 29. März 1933 von der Filmprüfstelle verboten worden. Mit Recht. Ein konfuser Kolportage-Schmarrn, der Gemüt und Nerven der Zuschauer strapaziert. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass der berühmte deutsche Regisseur Fritz Lang verantwortlich zeichnet.“ Es folgt eine Inhaltsangabe und das Resümee.
„Völlig unwahrscheinlicher Verbrecherfilm, der Gemüt und Nerven stark belastet. Ungesund. Abzuraten.“
Da konnte Fritz Lang ja froh sein, dass er noch nicht in die Bundesrepublik zurück gekehrt war; sonst hätte ihn der gesunde Volkskörper sicher ausgestoßen.

Montag, 25.03.2013

Langtexthinweis

* Johannes Beringer, Vermischtes / Notiertes 1981 – 1984

Samstag, 23.03.2013

Schönheit

„Schönheit heißt das Wort, das unser erstes sein soll. Schönheit ist das letzte, woran der denkende Verstand sich wagen kann, weil es nur als unfassbarer Glanz das Doppelgestirn des Wahren und Guten und sein unauflösbares Zueinander umspielt, Schönheit, die interesselose, ohne die die alte Welt sich selbst nicht verstehen wollte, die aber von der neuen Welt der Interessen unmerklich-merklich Abschied genommen hat, um sie ihrer Gier und ihrer Traurigkeit zu überlassen. Schönheit, die auch von der Religion nicht mehr geliebt und gehegt wird und die doch, wie eine Maske von deren Antlitz gehoben, darunter Züge freilegt, die für die Menschen undeutbar zu werden drohen. Schönheit, an die wir nicht mehr zu glauben wagen, aus der wir einen Schein gemacht haben, um sie leichter loswerden zu können, Schönheit, die (wie sich heute weist) mindestens ebenso viel Mut und Entscheidungskraft für sich fordert wie Wahrheit und Gutheit, und die sich von den beiden Schwestern nicht trennen und vertreiben lässt, ohne in geheimnisvoller Rache beide mit sich fortzuziehen…“
(Hans Urs von Baltasar)

Mittwoch, 20.03.2013

Steine sehen dich an

In einem Vorwort zu dem großartigen schwarz-weißen Fotobuch „Andreas Feininger fotografiert Steine“ (1960) schreibt Kasimir Edschmid:
„In einem Zeitalter, das solche Zauberdinge wie die Kanzeln der Pisani hervorbrachte, an deren Wänden Hunderte von Gestalten sich tummeln, hätte man die Sublimität besessen, höchst persönliche Porträts herzustellen – aber die Bilder, die wir auf der Goldmünze oder auf der Plastik des damaligen Weltwunders, des Staufers Friedrich des Zweiten, bestaunen, zeigen nur die Majestas. Das Übermenschliche und Unpersönliche. Keine Person, nur den Verkörperer des Reichs.
Hitler meinte in seiner ersten Kulturrede (und glaubte es sicher auch), dass die Künstler dieser Frühepoche, welche die romanischen Kathedralen bauten, ihre Figuren nicht porträt-ähnlich, sondern verkauzt, verbogen und dämonisiert gebracht hätten, weil sie es nicht anders gekonnt hätten. Sie hätten es natürlich gekonnt, aber sie sahen anders. Sie wollten und sahen ihre Verkürzungen und Verbildungen, die immer dem Allgemeinen dienten. Nur Hitler sah nicht richtig.“

Sonntag, 17.03.2013

Filme der Fünfziger IX: Christina (1953)

Die Heimatvertriebene Christina hat nur ein Kleid im Gepäck; ihre Tracht zählt sie nicht zur Kleidung, die ist ihr heilig. Als sie auf der Stauffer-Mühle als Magd angestellt wird, muss ihr der junge Klaus Stauffer (Lutz Moik) in der Stadt erst einmal ein paar Kleider kaufen. Die Mühle ist verschuldet; der Müllersohn und die örtliche Bankierstochter Renate Frank (Eva Rimski) sind verlobt – ihre Heirat soll die Mühle vor dem Ruin retten. Einen Müller gibt es nicht; die verhärmte Witwe  – in der BRD gab es über 1 Million Kriegerwitwen – und Herrin Anna (Franziska Kinz) ist in Sorge, denn ihr Sohn verliebt sich in Christina; aber Christina wird auch von dem ritterlichen und reichen Gutsherren Holk (Werner Fuetterer) umschwärmt. Knecht Fritz Ohlsen (Paul Esser) stellt Christina und jedem anderen Frauenrock nach. Das sorgt für Unruhe und Klamauk. Die Klassenverhältnisse werden mit den Verkehrsmitteln deutlich: die Müllersleute fahren Pferde- und Lieferwagen, die Mägde Fahrrad und Direktor Holk ein Mercedes-Cabriolet.
Wie wohltuend sind am Abend die Stunden der Innerlichkeit auf der Holzbank unter der Linde auf dem Hof – hier verlieben sich Klaus und Christina, hier mahnt der alte, ebenfalls heimatvertriebene Knecht Czybulka Christina, nicht über ihre Verhältnisse zu träumen. Die Herrin weist Christina vom Hof; Direktor Holk nimmt sie nicht ohne Hintergedanken bei sich auf. Am Polterabend von Klaus Stauffer und Renate Frank erscheint Christina und kämpft um den Müllersohn. Auch die Herrin sieht, dass gegen diese Liebe kein Kraut gewachsen ist; der Müllersohn bekommt Christina, der reiche Onkel Direktor wird die Mühle unterstützen und Christina hat wieder eine Heimat. Fast wäre sie ein zweites Mal vertrieben worden.

Es werden auch hier wieder Lieder gesungen wie ja ein guter Teil des bundesdeutschen Films der fünfziger Jahre statt eines Drehbuchs den Zupfgeigenhansel zu verfilmen scheint. Auf der Bühne eines Volksfestes stehen dieses Mal die Siebenbürger in ihren Trachten und auch Christina erscheint in ihrer Tracht, im Ehrenkleid und innigen, ewigen und so weiter Angedenken.

Gedreht wurde im Sommer 1953 auf dem Simonshof bei Bad Neustadt im Rhönland; dort wurden heimatvertriebene Jungen ab 14 Jahren aufgenommen. Weil in dem Film ein Liebespaar im Busch aufgeschreckt wird, beschwerte sich der Direktor des Simonshofes auch gleich bei der Filmproduktion über diese Sittenlosigkeit. „Christina“ war Barbara Rüttings dritter Film; für ihre Rolle in „Die Spur führt nach Berlin hatte sie gerade den Bundesfilmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin bekommen. Bei der Premiere in Bielefeld trugen die Platzanweiserinnen Siebenbürger Trachten – Barbara Rütting war aber nicht dabei.

Einige Kritiker hatten es definitiv satt, wieder einen Heimkehrerfilm zu sehen, anderen fanden gerade das gut. In der Zeitschrift „Neuer Deutscher Kurier“ des Altnazi und Gründers des „Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ Theodor Oberländer hieß es in einem Gemisch aus Ressentiment und schmieriger Generosität: „Der Film trägt in unaufdringlicher Form dazu bei, das Verständnis für diejenigen Deutschen im klein gewordenen Vaterland zu wecken, die seit Jahren zusätzlich darin leben müssen. Er zeigt, dass es zumindest ebenso wertvolle deutsche Menschen gewesen sind, die außerhalb der Grenzen Deutschlands wohnten.“ (Ausgabe Nr. 45, 7.11.1953). Vielleicht hat zu dem Wohlwollen auch beigetragen, dass Herbert Windt, der schneidige Kombattant von Leni Riefenstahl, die Musik geschrieben hat.

Was nicht in filmportal und imdb steht:
Drehbuch: Hanns Schuster und Charlotte Kaiser-Henschke; Ton: Ewald Otto; Aufnahmeleitung: Fritz Renner; Regie-Assistenz: Charlotte Kaiser; Kostüme: Gretl Waschneck. Regisseur Dr. Fritz Eichler war zuvor Regieassistent beim „Doppelten Lottchen“.

Zusätzliche Darsteller und Rollen: Ethel Reschke (Magd Lene), Paul Esser (Großknecht Ohlsen), Karl Helmer (der alte Knecht Czibulka), Werner Fütterer (Direktor Holk), Carsta Löck (Babette), Herbert Hübner (Apotheker), Paul Heidemann (Notar), Werner Stock (Stephan, genannt „Tageblatt“), Brigitte Rau (Katrin) Agnes Windeck (Wirtschafterin von Direktor Holl) und Arno Paulsen, Renate Fischer, Elsa Wagner, Charlotte Agotz, Odette Orsy, Kurt Getke, Charly Knetschke.
Nicht als Video, nicht als DVD erhältlich.

Das Nein ist die Grundlage jeder Ethik

Heute in 3sat um 21.50: „Fritz Bauer – Tod auf Raten“(2010), Dokumentarfilm von Ilona Ziok über den unerschrockenen Staatsanwalt, der am 1. Juli 1968 unter nie geklärten Umständen starb. Der Film widmet sich aber hauptsächlich dem Geklärten, aber viel zu wenig Bekannten; dem, was Fritz Bauer für die Bundesrepublik tat – und dem, woran er gehindert wurde.
Da der Film hier im Blog recht kritisch bewertet wurde, möchte ich jedem empfehlen, sich selbst ein Bild zu machen. Dieser Film erweist Fritz Bauer die schuldige Ehre, die ihm die Republik nur spät und nicht angemessen zukommen ließ.
„Das Nein ist die Grundlage jeder Ethik.“ (Fritz Bauer)

Donnerstag, 14.03.2013

Franziskus

Einer der schönsten und übermütigsten Filme von Roberto Rossellini ist „Francesco, Giullare de Dio“, 1950 (Franziskus der Gaukler Gottes). Am Anfang hören wir den „Sonnengesang“ des Heiligen, die hymnische Bejahung der Schöpfung – aber auch des Todes. Danach sehen wir ihn und seine Mitbrüder in strömendem Regen, singend und disputierend, vergeblich ein Obdach suchend. Sie werden an einer Hütte, die sie selbst gebaut hatten, von einem Bauern, der darin mit seinem Esel Unterschlupf gefunden hat, bösartig abgewiesen, doch Franziskus befiehlt den Brüdern, sich fröhlich wieder auf den Weg zu machen. Der Film setzt einige der Episoden aus den Fioretti, den Blümlein, altitalienischen Legenden über den Heiligen ins Bild.
Wie auch Nikos Kazantzakis in seinem Buch „Mein Franz von Assisi“ zeigt Rossellini die Radikalität und Verrücktheit dieses Heiligen, ganz körperlich bedrängend, aber er zeigt es mit einer befreienden Heiterkeit.

Dienstag, 12.03.2013

Filme der Fünfziger VIII: Heidelberger Romanze (1951)

Die Heimat, die Heimat –so oft wird in der „Heidelberger Romanze“ (1951; Regie: Paul Verhoeven) über die Stadt, auf das Schloss und auf den Neckar geschaut. Endlich einmal sind deutsche Ruinen pittoresk, fast lieblich; in ihren Erkern küssen sich die Liebespaare, in den Bäumen singt die Nachtigall. Im Heimatfilm schwenkt die Kamera von höherer Warte über das Städtchen, die Landschaft, die Berge. Ein Liebespaar sitzt auf einer Bank unter einem Baum, auf der Alm oder, wenn es moderner sein soll, auf einer Cafeterrasse. Vor oder unter dem Paar liegt die Landschaft, gern auch blühend, wie ein Blick in die rosige Zukunft.
O.W. Fischer beginnt in „Heidelberger Romanze“ als Fremdenführer und verschwindet dann für rund eine Stunde. Er hat mit seiner Touristengruppe ein Liebespaar (Ruth Niehaus als Gabriele und Hans Reiser als Erwin Turner) beobachtet, einen Amerikaner und eine Deutsche. Der Amerikaner will Gabriele heiraten, muss aber vorher noch seine Verlobung mit Susanne Edwards lösen. Liselotte Pulver – mit einer Frisur wie ein Wischmob – ist diese Verlobte; als Amerikanerin schwimmt sie im Pool und hat ein farbiges Dienstmädchen. Wenn ich es richtig gesehen habe, ist die Farbige tatsächlich eine angemalte Weiße. Willam Edwards (Hans Leibelt), Susannes Vater, hatte vor vierzig Jahren seine Liebschaft Fannerl in Heidelberg zurückgelassen. Eine Rückblende erzählt diese erste Romanze Anfang der 1910er Jahre, mit Burschenschafts-Ritualen, Karzer und Studentenliebe. Aus amerikanischer Sicht kann die deutsche Vergangenheit in Heidelberg nur romantisch verklärt sein. Praktisch ist auch, dass Amerikaner von Natur aus wohlhabend sind.

Vater und Tochter fahren gemeinsam nach Heidelberg zu Erwin, der ja die Verlobung mit Susanne lösen will und damit ihre Cocktail-Party gefährdet. Der Vater trifft die alten Burschenschaftler wieder und Susanne verliebt sich O.W. Fischer, der sich für die letzte halbe Stunde des Films wieder frei machen konnte; Susanne gibt sich, damit O.W. Fischer nicht dazu verführt wird, nur auf ihr Geld zu sehen, als armes Fannerl aus – das ist von sehr bescheidener Heiterkeit. Das wahre Fannerl taucht auch wieder auf. Sie ist eine alte Dame, aber eben auch die Mutter von Gabriele, die nun ihren Amerikaner Erwin heiraten darf. Darauf ein Bier, aber auf Ex.

Heidelberg ist ja wirklich sehr schön und übervoll an inneren Werten, aber mit dem materiellem Reichtum der Amerikaner kommt erst das wahre Glück ins Haus. Soviel vergoldete Vergangenheit – alle sind wohlbehalten aus dem Krieg zurückgekehrt, nicht ein jüdisches Schicksal, nicht ein Emigrant stören diese Geschichte aus Vergangenheit und Gegenwart. Regisseur Verhoeven erlaubt sich sogar einige ironische Töne: die Nachtigall im Baum über der Parkbank ist kein Vogel, sondern ein Student, der sich als Vogelstimmenimitator ein paar Mark dazu verdient. Die Romanze gönnt sich den Realismus als hübsche, augenzwinkernde Arabeske. Aber generell ist man natürlich lieber reich und sitzt mit seiner Liebsten auf der Parkbank statt als Werkstudent im Baum darüber.

Konstantin Irmen-Tschet filmt in knalligen Farben, Fritz Maurischats Bauten sind wie aus dem Bilderbuch entsprungene Schnurren.

Als DVD erhältlich

Samstag, 09.03.2013

Peter NAU – Tschechow


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