Dienstag, 28.01.2014

Three Poems By Spoon Jackson (Film von Michel Wenzer, Schweden 2003, 14 Minuten)

Gedichteschreiben als Überlebenskampf eines zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe Verurteilten: das ist es, wovon dieser Film etwas zeigt. Spoon Jackson, ein Schwarzer, ruft aus einem Staatsgefängnis in Kalifornien den Filmemacher Michel Wenzer an (Aufnahmen im Gefängnis sind nicht gestattet worden) – der wird von einer Telefonistinnenstimme gefragt, ob er den Anruf annehme und mit der Aufzeichnung des Gesprächs einverstanden sei, und wenn er das bejaht, ist die Verbindung hergestellt. Kurze Begrüssung und Vorstellung im ersten Teil, die Gesprächspartner wissen, dass die Zeit auf drei Minuten limitiert ist; dann liest Spoon Jackson sein Gedicht – bei allen drei Teilen des Films wiederholt sich dieser Vorgang. Jacksons Sprache muss sich wie durch ein Dickicht hindurch behaupten: Pieptöne, das Rauschen der Leitung, die automatisierten Ansagen (eine tieflagige, männliche Stimme), welche die verbleibenden Minuten nennt, stören das Lesen nicht nur – es gerät fast in so etwas wie einen Strudel. (Ein extremer Gegensatz tut sich auf an der Schnittstelle zwischen der zerdehnten Zeit des Gefängnisses und der gehetzten Zeit des Draussen. Wenzer unterstützt dieses Halluzinative durch eine Bild- und Musikmontage, die sich hie und da etwas zu sehr verselbständigt.) Das in der Sprache gut vertäute Gedicht ist jedoch da, hörbar und als Aufnahme wiederholbar, im Film existent; zugleich erscheint darin, dahinter – im Gedicht selbst und durch die Begleitumstände – etwas von der Unmenschlichkeit dieses Gefängnissystems, das den Insassen Jackson lebenslang, also bis zu seinem Tod, festhalten wird. (Eine Perversion sondergleichen, LWOP = Life without the possibility of parole – eine ausschliesslich weisse Jury hatte dem Neunzehnjährigen Ende der siebziger Jahre wegen eines Tötungsdelikts diese drastische Strafe auferlegt. Jackson sitzt heute also über 35 Jahre im Gefängnis – verschiedenen Gefängnissen, er er wird ja, nicht zu seinem Vorteil, immer wieder verlegt.)

Helmut Heißenbüttel hatte im Nachwort zu Ludwig Hohls Ausgabe von „Nuancen und Details“ (1964) von der „erleidenden Beispielhaftigkeit“ der „subjektiven Erfahrung“ gesprochen, die „das äusserste und allein noch gültige Objekt“ der Darstellung sei – Worte, die wie auf den Dichter Spoon Jackson gemünzt sind und von seinen Gedichten jedesmal neu bezeugt werden. Selten auch, dass einem eine existentielle Situation so klar gesehen vorkommt – also ihren richtigen sprachlichen Ausdruck gewonnen hat und von allen verstanden werden kann.

Die letzten Einstellungen des Films: die Telefonverbindung steht noch, aber es ist nur Rauschen zu hören – im Bild sieht man Kinder beim Ballspiel. Welch eindrückliche Visualisierung des Weggeschlossenseins, der Unmöglichkeit der Teilnahme am Draussen!

Mit einem Dank an Rainer Komers.
Spoons Blog:
http://realnessnetwork.blogspot.de/
Spoons Seite im Poetenladen:
http://www.poetenladen.de/spoon-jackson.htm
Deutsche Welle Sendung:
http://www.dw.de/worldlink-crime-and-punishment-2013-10-26/e-17123516

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