August 2017

Mittwoch, 23.08.2017

Filme der Fünfziger XXXVI: Heimatlos (1958)

Gegen Ende der 50er Jahre machten Heimatfilme nicht mehr die grossen und sicheren Umsätze. Dabei waren sie in der Produktion immer noch billig; Schauspieler, Regisseure, das gesamte Produktionsteam waren sich klar, dass hier kein großer Kassenschlager, sondern ein Brotfilm gedreht wurde. Und die Außenaufnahmen waren so günstig. Manfred Barthel, lange Jahre bei der Gloria-Film, weiß Bescheid. „Filmleute fielen in einen Ferienort ein, sorgten für Neugier und Unruhe unter den Urlaubern, bestellten beim Fremdenverkehrsverein Volkstänze und Trachtenumzug gegen Freibier und eine Spende in die Vereinskasse, und schon konnte gedreht werden.“
Ein bisschen Zeitgeist aber sollte schon sein; und so heißt dieser Film Heimatlos nach dem großen Erfolgsschlager von Freddie Quinn, den schon alle, alle kannten und von dem in dem Film nun so getan wird als würde er gerade erst aufgenommen.
Barbara Kirchner (Marianne Hold) hat sich mit Franz Leitner (Rudolf Lenz) verlobt, schon gibt es die erste Auseinandersetzung. Barbara möchte ihre Freundin in München besuchen, Franz findet das unpassend und wird eifersüchtig. Sofort lernt Barbara den Hallodri Konrad Fürst (Peter Weck) kennen, der schicke Autos nach Italien verschiebt. Als Barbara nach München fährt, ist ihre Freundin dummerweise verreist. Wo soll sie jetzt unterkommen für die Nacht? Konrad ist zur Stelle, quartiert sie in einer Pension ein und führt sie abends in die „Bar Pigalle“ aus. Als Barbara am nächsten Tag nach Hause kommt, hat Franz schon alles ihrem Vater (Willy Rösner) gepetzt; große Auseinandersetzung, Barbara zieht um nach München und lebt mit Konrad zusammen. Der will kurzzeitig anständig werden, wird aber von der Polizei erschossen. Jetzt muß Barbara arbeiten und findet in der „Bar Pigalle“ einen Job. Dort singt Freddy unter anderem sein Lied:  „Keine Freunde, keine Liebe/ keiner denkt an mich das ganze Jahr/ keine Freunde, keine Liebe/ wie es früher, früher einmal war.“ Bei seinem Vortrag hebt er traurig mal den einen, dann den anderen Arm, dann müde vom Elend beide auf einmal. Ein Showtalent ist er nicht, aber nett. Er besorgt Barbara eine billigere Wohnung; sie bekommt aus ihrer Liaison mit Konrad ein Kind, ein herziges Mädchen. Da kommt der Pfarrer aus dem Heimatort des Weges und entdeckt die vielen unglücklichen Umstände. Aber Barbara ist auch patent und praktisch. Von jetzt auf gleich wird sie Modeschneiderin. Ihr ehemaliger Verlobter, vom Pfarrer eingeweiht, wirbt wieder um sie und bringt dem Kindchen einen Hundewelpen mit. Freddy will dem Kind einen Spielzeughund aus Holz schenken; er hat jetzt einen Plattenvertrag und hält um Barbaras Hand an. So unbeholfen und so nett – Barbara heiratet Franz. Freddy geht ins Aufnahmestudio und singt: „Ruhelos zieh ich von Ort zu Ort, ruhlos wie Wolken im Wind. Überall such ich ein liebes Wort, such ich Menschen, die gut zu mir sind.“ So bleibt Freddys Polydor-Legende als Heimatloser intakt und Marianne Hold kann noch im selben Jahr in Mein Schatz ist aus Tirol und Der Priester und das Mädchen erneut die Liebe finden.

Herbert F. Fredersdorf hat den Film inszeniert; Fredersdorf war ursprünglich Cutter, dann Regieassistent. Als Regisseur ist er mit dem Film „Weit ist der Weg“ (1947/48) über einen Holocaust-

Der oben vollverglaste touropa-Bus

Überlebenden bekannt geworden, kehrte dann zunächst zu seinem Beruf als Cutter zurück und drehte in den 1950er Jahren nur noch Märchen- und Heimatfilme. Ganz außergewöhnlich ist ein Auftritt von Sybille Pagel, der späteren Dany Mann, mit dem Lied „Auf der Gamsbockalm“, in der sich Schuhplattler und Swing vermischen.
Das Land, die gar nicht so intakte Heimat, ist mit Aufnahmen von einem Trachtenumzug, Wiesen, blühenden Bäumen und Bergen präsent. Die Stadt dagegen hat nur die Innenräume der „Bar Pigalle“, die Wohnungen und ganz zum Schluß das Aufnahmestudio Freddys zu bieten. Auch die Freundin, ursprünglich der gute Stadtkamerad, taucht nicht mehr auf. Sie ist ein Totalausfall.

Aufgefallen ist mir ein schicker Touropa-Bus, mit dem Marianne Hold und Peter Weck nach München fahren. Touropa Busse fuhren keine Linienstrecken in der Provinz. Die Produktionsfirma Divina-Film, ein Ableger des Gloria-Verleihs, hatte touropa und die Abendzeitung München als Werbepartner eingekauft. Unter dem Motto „Frühling und Film in Südtirol“ konnten Münchner beim „Amtlichen Bayerischen Reisebüro“ eine Wochenendreise mit touropa nach Bozen und Meran zu den Außenaufnahmen von Heimatlos buchen. Alle Schauspieler mußten bei der Abendveranstaltung mitmachen; Freddy sang seine traurigen Lieder, Sybille Pagel ihre Schlager, bei einem Quiz konnte man Probeaufnahmen gewinnen und am Sonntag als Komparsen bei den Dreharbeiten mitmachen. Der Programmpunkt ging allerdings schief, am Sonntag regnete es Bindfäden. Macht nichts, die Kosten konnten sowieso als Werbung abgesetzt werden. So kam der touropa-Bus in den Film. Der ist wirklich sehenswert.

DVD bei filmjuwelen

Präzisierungen zu filmportal:
Kameraführung : Günther Grimm
Mit Willy Rösner (Vater Kirchner), Monika John (Frau Huber), Michael Burk (Wiggerl), Nora Minor (Crescentia), Marion Fuchs (Dienstmädchen), Cheryl Benard (Das Kind), Lotar Olias

Samstag, 05.08.2017

Filme der Fünfziger XXXV: Waldwinter (1956)

Über 90 Filme hat Wolfgang Liebeneiner seit 1937 inszeniert. An vielen hat er als Drehbuchautor mitgewirkt, in einigen seiner Regiefilme ist er auch als Schauspieler aufgetreten; von 1931 bis 1937 war er im Film nur als Schauspieler präsent. Man könnte einen Autorenfilmer vermuten, aber kann ein Multi-Funktionär ein Autorenfilmer sein? Liebeneiner war im „Dritten Reich“ im Aufsichtsrat der Terra, Leiter der künstlerischen Fakultät der Filmakademie Babelsberg, Leiter der Fachschaft Film der Reichsfilmkammer und … und … und Produktionschef der Ufa, sogar Professor von Goebbels Gnaden. Man sieht seinen Filmen den Kenner und Könner an und man kann neben den bekannten Propagandaschoten „Bismarck“ (1940), „Ich klage an“ (1941) und „Die Entlassung“ (1942) durchaus Filme entdecken, die viel vom Alltag im „Dritten Reich“ vermitteln. Liebeneiner war ein Alleskönner: Realist, Melodramatiker, Gesellschaftskritiker, Komödiant, was auch immer. Nur politisch war er nach eigener Aussage nie. Ein Konformist, ein Opportunist, gar Parteigänger jeglicher Partei? Vielleicht eher ein Chamäleon – stets in der ersten Reihe und doch nie erkennbar.

Nun also „Waldwinter“ aus dem Jahr 1956, Liebeneiners dritter Heimatfilm nach „… und ewig bleibt die Liebe“ und der schaurigen „Schönen Müllerin“, beide 1954. Liebeneiner hat dem Film in etwas holpriger Diktion einige grundsätzliche Überlegungen beigegeben. „Wenn man dem ‚Heimatfilm’ das Unechte und Kitschige nimmt, wenn man ihn ohne Sentimentalität und ohne heuchlerische Spekulation auf intimste Erinnerungswerte herstellt, dann tritt eines der wesentlichsten und wichtigsten Probleme unseres Daseins hervor: die Frage nach dem Wesen und dem Wert der Heimat, die uns alle angeht. … Hier ist eine Fülle von Konflikten möglich, die Fragen unserer Zeit anschneiden und die die Antwort nicht aufdrängen, sondern es dem Zuschauer überlassen, aus dem Geschehen seine Schlüsse zu ziehen und sich mit der Liebe und dem Hass, mit den Leiden und Freuden der Mitmenschen auf der Leinwand zu identifizieren. Darum ist ein echter ‚Heimatfilm’ aktuell und spannend und ein wahres Kind unserer Zeit.“

Schlesien, tief eingeschneite Felder, ein Rehkitz und dazu das schlesische Volkslied „In dem Schneegebirge“ mit den Zeilen „Ade, mein Schatz, ich scheide. Ade, mein Schätzelein! Wann kommst du denn doch wieder, Herzallerliebste mein?“ Baron Malte (Rudolf Forster) ist mit dem Dorf zu Weihnachten in der Dorfkirche. In einem Kübelwagen kommt Enkel Martin (Claus Holm) gefahren und warnt den Baron, dass das Dorf in wenigen Tagen vom Krieg überrannt wird. Gut, dass es noch das Jagdschloss im Bayerischen Wald gibt. Hast Du nicht gesehen, sind wir mit allen Dorfbewohnern rund 10 Jahre später im Bayerischen Wald.

Dort will der Baron eine Glashütte aufbauen, aber sein Gut ist verschuldet und sein Wald zu einem beträchtlichen Teil schon abgeholzt. Der Verwalter Stengle (Willy A. Kleinau) drängt darauf, das Jagdschloss an einen Hotelier zu verkaufen. Aber Onkel Malte will „seine Schlesier“ nicht im Stich lassen. „Ich habe die Leute herausgebracht, ich muss dafür sorgen, dass sie zurecht kommen.“

Martin (Claus Holm), Marianne (Sabine Bethmann) und Hansi, Hansili und Hansilein

Enkel Martin ist Geschäftsmann, gerade in Paris im Modesalon seiner Geliebten Simone (Erica Beer). Eigentlich will er mit Simone nach Ägypten und wird jetzt von „grand-maman und grand-pere“ nach Falkenberg gerufen. Martin hat eine einfache Lösung für die finanziellen Probleme; die Großeltern sollen das Gut verkaufen, sich eine nette Drei-Zimmer-Wohnung mieten und ins Theater und in Konzerte gehen. Da bekommt er es aber mit Marianne (Sabine Bethmann in dezenten Blau- und Pastelltönen mit Halsschleifchen) zu tun, der angenommenen Tochter des Barons. Sie spricht von Pflicht und Verantwortung und der Heimat, die sie sich aufgebaut haben; er nennt sie Kindchen und Kleines. Ach, seufzt die Frau Baronin, wie soll Martin sein Leben durchstehen ohne Familie, ohne Heimat. Er weiß doch gar nicht, was das ist. Da läutet die Kirchenglocke; Marianne führt Martin durch den Schnee ins Dorf, wo die Kinder Schlitten fahren und unter „O Tannenbaum“ Gesang Krippenfiguren anmalen. Marianne zeigt Martin auch den Weg in den tiefverschneiten Wald, wo das Rehkitz aus dem Vorspann wohnt. Ist es womöglich auch aus Schlesien geflohen? Marianne ruft es „Hansi“, Hansili“ und „Hansilein“ und Martin wird’s ganz wunderlich im Gemüt, wie er Marianne und Hansilein engumschlungen sieht.

Die todschicke Rivalin Simone (Erica Beer) verzichtet auf Martin

Der Verwalter Stengle ist ein Gauner; er hat dem Baron Geld gestohlen – deswegen die finanziellen Nöte – und steht unter dem Pantoffel seiner modebewußten, ehrgeizigen Frau (Ilse Steppat). Als Martin das herausbekommt, will Stengle ihn erschießen. Aber Martin wird nur verletzt, Stengle gefasst und jetzt werden Martin und Marianne das Gut samt Glashütte, Verantwortung und Heimatpflege übernehmen. Der Förster (Gerd Fröbe als Rübezahl-Figur) hat es schon vorher gewußt. „Nu bleibts beim Alten“.

„Der Baron“, so heißt es einmal, „will sich nicht an die neuen Zeiten gewöhnen.“ Die Paarungen der neuen Zeit sind Geschäft ohne soziale Verantwortung und Kriminalität, die große ferne Stadt und französische Mode, kommunistische Parolen und irre Blicke (Klaus Kinski an der Zither!). Die Integration der vertriebenen Schlesier dagegen ist nur eine Arabeske. Es geht um Martin, einen „der vielen, die ihre Heimat verloren haben oder sie nicht finden können.“ An ihm liegt es, ob die Gegenwart die idyllische Variante der Vergangenheit werden kann. Komm zurück, Martin! Und Martin antwortet im Ton eines abgelaufenen Kalenderblatts „Das ist ja großartig“.

Nicht auf DVD. YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=arFpNhG5Qwc

Ergänzungen zu Filmportal:
Kassiererin: Elsa Cialowicz; Produktionsseketärin: Herta Hirsch; Ateliersekretärin: Irmgard Brahmann; Presse- und Porträtfotograf: Roman Stempka (Cinepress); Presse: Peter Kühn, Hans J. Wiechers (Cinepress)
Dreharbeiten: 19. 12. 1955 – 13.1. 1956 in den Ateliers Tempelhof; Aussenaufnahmen bis 4. 3. 1956 in Viechtach/Bayerischer Wald

 


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