Einträge von Werner Sudendorf

Mittwoch, 05.04.2023

Filme der Fünfziger LX: Wenn die Abendglocken läuten (1951.R: Alfred Braun)

Willy Birgel war aus dem Film der Nazizeit unbeschadet in den Film der Bundesrepublik hinübergeglitten – immer noch Gutsbesitzer und Rittmeister – ganz alte Schule. Gutsbesitzer Finke (Birgel) präsentiert Michael (Hans Holt), dem jungen Studenten der Musik und Sohn des Schulmeisters (Paul Hörbiger), sein Anwesen  „So dicke Mauern für die Ewigkeit. Da braucht man eine Ecke, in der man sich wohlfühlt“, geht in einen Billardraum und zeigt „lauter Erinnerungen an Turniere – jetzt soll ich mal endlich wieder in den Sattel steigen“. Er wendet sich zum Billardtisch. “Spielen Sie? Außer Pferden mein einziger Spass.“ Aber Michael spielt nicht Billard, er trinkt auch keinen Schnaps mit. Er gehört einer anderen Generation an.
Seine Jugendliebe Johanna (Julia Fjorsen) ist mit dem Gutsbesitzer Finke verheiratet, gemeinsam haben Finke und sie eine Tochter, Evchen. Das Kind schaut in die Limousine von Michael und staunt über die vielen Koffer. „Die Welt ist mein Zuhause“, erklärt ihr Michael und Evchen weint um ihn, der kein wirkliches Zuhause und keinen Schutzengel hat.
Alle tragen in diesem Film schwer an ihrem Schicksal, den Jungen wird es von den Alten einfach übertragen. Michael und Johanna lieben sich, aber Johannas Eltern haben ihre Tochter an Finke versprochen und der Schulmeister erklärt seinem Sohn: „Es bleibt dem Vater kein Ausweg übrig, wenn er seinen Hof retten will.“ Und er gibt Michael eine Weisheit mit auf den Lebensweg: “Man kann auch ohne Glück leben, Michael, aber mit einer Schuld – ist viel, viel schwerer.“ Vor der Hochzeit mit Finke verbringt Johanna eine Liebesnacht mit Michael. “Drei Stunden müssen reichen für ein Leben“ resumiert Johanna. In den Worten steckt noch die Erinnerung an das kurze Glück des Heimaturlaubs. Warum denn sollen die Jungen es besser haben als die Alten?
Michael hat ein Lied komponiert: die Abendglocken. Im Film hört man es als deutsches Heimatlied;  die Melodie stammt jedoch vom französischen Komponisten und Widerstandskämpfer Jean Villard. In seinem Liebeskummer macht Michael daraus einen Boogie Woogie und spielt es mit grossem Tanzorchester als schmissige Nummer ein. Das klassische Gegensatzpaar von Stadt und Land wird durch die Musik thematisiert. „Mein Gott, „ kommentiert sein Vater die Aufnahme aus dem Rundfunk, „muss es dem Jungen schlecht gehen“. Er selbst spielt das Lied am Spinett, der Film unterlegt es mit Geigen und Harfe.
Der Film ist wie ein Friedhof, aus dessen Gräbern die Geister der Vergangenheit sich der Gegenwart bemächtigen wollen. Aribert Wäscher warnt als Musikproduzent seine Tochter vor Michael: „Der Junge ist in Gefahr“ , Otto Gebühr spukt als Küster in der Kirche herum und Hilde Körber ist das ewige Kindermädchen. Wer fegt die Spinnweben aus diesem Geistergewölbe? Natürlich niemand anderes als Willy Birgel. Sein Arzt untersucht die Lage eines Granatsplitters in seinem Körper, warnt Birgel vor weiteren Reit-Eskapaden und Birgel antwortet starr und falsch: „Ave Caesare“ und fügt hinzu: „Soldaten, die da sterben wollen, muß man geben, was sie wollen.“ Zu den Klängen von „Ich hatt’ einen Kameraden“ sollen alle, alle bei seinem Begräbnis innerlich strammstehen. Nun können Johanna und Michael zusammenkommen. Die Schuld bleibt. „Ich glaubte“, sagt Johanna, „die Schuld würde uns voneinander trennen – aber jetzt weiß ich, wie sehr sie uns aneinander bindet.“ Welche Schuld denn eigentlich? Egal –  Hauptsache Schuld. Johanna bittet Michael, sie zu heiraten und ihr gemeinsamer Blick – der letzte des Films – wendet sich zur Kirche, jenseits des Mühlbaches.
Alfred Braun, getreuer Mitarbeiter von Veit Harlan, führt Regie und Georg Krause, über den Thomas Brandlmeier in seinem Buch „Kamera-Autoren“ im Schüren Verlag geschrieben hat, steht an der Kamera. Die Fachkritik bemängelte fehlendes und schludriges Handwerk, was Krause sicher gekränkt hat. An ihm lag es jedenfalls nicht.
Dem Publikum war es egal, es weinte heftig und gerne. 1952 war dies einer der erfolgreichsten Filme des Jahres.

 

Freitag, 17.12.2021

Filme der Fünfziger LIX: Die Freundin meines Mannes. 1957. R: Axel von Ambesser

„Verzeih mir, dass du dich in jemanden anderen verliebt hast“, sagt Gabriele Roscher (Hannelore Schroth) im Garten ihres Hauses zu ihrem Mann, dem Architekten Alfred Roscher (Hans Söhnker). Fast könnte es das Schlussbild der Ehekomödie sein, aber Regisseur Axel von Ambesser hält noch eine Szene bereit. Er sitzt im Flugzeug nach London im Gang neben Barbara Rütting, zieht sich den Ehering ab und fragt, ob sie auch nach London fliege. „Nein, ich springe unterwegs ab“, antwortet sie etwas schnippisch. Aber man darf ihr die Antwort abnehmen – so viele altbackene Entschuldigungen und Erklärungen hat sie über sich ergehen lassen müssen, da darf sie eine dämliche Ansprache ruhig auch etwas ruppig beantworten.
Eine alleinstehende, beruflich erfolgreiche Frau hat es in diesen Zeiten schwer; die Gesellschaft verzeiht es nicht, wenn sie nicht beizeiten zu einem Mann unter die Decke geschlüpft ist und geheiratet hat. „Alle Plätze besetzt“ ruft es von der Leinwand bei Titeln wie Vater unser bestes Stück. „Mama räumt auf“ sollte Die Freundin meines Mannes zunächst heissen – so als wäre die Liebelei des Ehegatten ein Problem der hausfraulichen Organisation. Ambessers Film ist eine Boulevardkomödie, die in Wohnräumen, Büros, in Restaurants und im Garten spielt und vom Wortwitz und der Situationskomik lebt. Filmästhetisch darf man sich von einem Ambesser-Film nicht mehr erwarten als solides Handwerk mit professionellen Schauspielern – hier allerdings mit der Ausnahme von Peter Kraus, der außer einer zu großen Portion Selbstbewußtsein wenig zu bieten hat.
Der Titel führt etwas in die Irre, denn die Liebelei des Ehemannes wird nicht gleich aus der Perspektive der Ehefrau geschildert; es kommt auch die Perspektive der Geliebten (Barbara Rütting) zur Geltung,, die solche Affären offensichtlich schon des öfteren erlebt hat.

Die Modedesignerin Charlotte Bernhard (Barbara Rütting)nimmt den Architekten Alfred Roscher (Hans Söhnker) in ihrem Wagen mit.

Alfred und Gabriele Roscher (Hans Söhnker und Hannelore Schroth) müssen sich mit dem Wunsch ihrer Tochter auseinandersetzen, mit ihrem Freund zur Modemesse nach Paris zu fahren. Dort haben sie eine Wohnung, wo sie „tun und lassen können, was sie wollen“. Das gefällt den Eltern natürlich überhaupt nicht; Alfred, von seiner Frau Panther genannt, wird auf der Strasse von einem Mercedes angefahren; die Fahrerin ist Charlotte Bernhard (Barbara Rütting), eine berühmte Modedesignerin. Alfred beginnt eine Affäre mit Charlotte; er behauptet, dass er seiner Frau alles erzähle und diese ein sehr verständnisvoller Mensch sein. Man führe halt eine moderne Ehe, was natürlich alles nicht stimmt. Die Moderne – oder was man dafür hält – ist ein Trugbild, das keiner Belastung standhält. Frau Bernhard tritt im Fernsehen auf, bei Roschers gibt es einen Fernsehabend mit Freunden und Familie. Freund Heinrich (Willy Reichert) bekleckert sich beim Fernsehen immer den Anzug – also hängt ihm seine Frau eine Kochschürze um. Der gemeinsame Fernsehabend ist eine emotionale

Fernsehabend bei Familie Roscher mit Freunden (Corny Collins, Willy Reichert, Irene von Meyendorff, Hans Söhnker, Hannelore Schroth, Peter Kraus)

Tortur – niemand amüsiert sich wirklich. Alfred Roscher hat nun immer öfter abendliche „geschäftliche“ Verabredungen; Tochter Mariella (Corny Collins) besucht Charlotte Bernhard, um eigene Modeentwürfe vorzulegen und entdeckt den Schal ihres Vaters an der Garderobe. Gabriele lädt ihre Nebenbuhlerin zum Tee ein und schlägt ihrem Mann die Scheidung vor; der mimt gegenüber seiner Frau und seinen Kindern die verfolgte Unschuld und wird, quasi um seiner Familie einen Gefallen zu tun, mit Charlotte nach Stockholm fliegen. Sohn Claus findet heraus, dass Charlotte statt nach Stockholm nach London fliegt; bis auf Alfred weiß dies die ganze Familie; Claus bringt am Morgen schnell noch einen Blumenstrauß zum Flughafen, Alfred bleibt zu Hause, Gabrieles Entschuldigung („Verzeih mir, dass du dich in jemanden anderen verliebt hast“) glättet die Wogen.
Nur Charlotte ist weiterhin den Avancen reifer Herren ausgesetzt. So ist halt die moderne Zeit.

Hans Söhnker spielt souverän, auch selbstironisch den älteren Herrn und rutscht auch schon mal absichtlich auf der Treppe aus, Hannelore Schroth dagegen muss etwas schnippisch die betrogene Ehefrau darstellen – das ist eine eher undankbare Rolle, während Barbara Rütting charmant und elegant die Geliebte ist. Das Drehbuch kann leider auf einige Indiskretionen nicht verzichten; Söhnker beklagt sich bei Charlotte, dass seine Frau ihn nicht versteht, Gabriele Roscher bereitet Charlotte Bernhard auf den Ehealltag vor: Alfred schnarcht und hält auf seinem Schreibtisch keine Ordnung. Die Ehe bzw. das familiäre Zusammenleben ist in dieser Konstellation kein Kinderspiel, sondern gleicht dem Leben in einem Raubtierkäfig. Wehe, jemand will ausbrechen.
Das war die letzte Produktion von Alfred Greven, der es nach dem Krieg in der BRD nicht mehr so leicht hatte. Da war es ihm in der NS-Zeit besser ergangen.

Montag, 30.08.2021

Filme der Fünfziger LVIII: Ihre große Prüfung 1954. Regie: Rudolf Jugert

Jede Zeit hat ihre eigenen Probleme mit der nachwachsenden jungen Generation; in den 1950ern gab es das Phänomen der Halbstarken, das durch Rock-Musik, Mopeds und Boogie-Woogie klassifiziert und definiert wurde. Das Kino thematisierte die Halbstarken zunächst in Good-Will-Filmen, in denen an die Vernunft der Erwachsenen wie an die Einsicht der Jugendlichen appelliert wurde. Einer der frühen Filme dieser Reihe ist Ihre große Prüfung, wobei mit „Ihre“ nicht etwa eine Gruppe von Menschen resp. Jugendlichen gemeint ist, sondern die Lehrerin Helma Krauss, die an der Schule einer ihr fremden Stadt eine Oberprima übernommen hat. Luise Ullrich hatte in den Nachkriegsfilmen die Figur der patenten, lebenspraktischen und auch erotisch nicht unerfahrenen Frau entwickelt; in Vergiss die Liebe nicht (1953), Regina Amstetten (1953) und Eine Frau von heute (1954) verkörpert sie Frauen, die sich im Leben gut ohne und gelegentlich auch gegen Männer behaupten können. Ihre große Prüfung ist zwar 1954 gedreht, das Drehbuch ist aber noch ganz dem Geist des Jahres 1950 verhaftet. Unter den Schülern der Oberprima gibt es den verwaisten Jugendlichen Bruck (Paul Bösiger), der in einem Heim wohnt und mit dem Klassenlehrer so aneinandergeraten war, dass dieser an einer Herzattacke starb. Eine Schülerin stammt, an ihrer Aussprache klar erkennbar, aus dem Osten und wohnt mit ihrer Mutter in prekären Verhältnissen. Und die Lehrerin Helma Krauss befindet sich, so der Tierarzt Dr. Clausen (Hans Söhnker), im „Paragraphengestrüpp der Zölibatsverpflichtung“ – bis 1951 durften Frauen nur dann den Lehrberuf ausüben, wenn sie unverheiratet waren.

An der Schule gibt es gravierende Spannungen; der Schüler Bruck weigert sich, den Grund der Auseinandersetzung mit dem früheren Klassenlehrer  zu offenbaren, der Lehrer Dr. Rottach (Ernst Schröder) plädiert für seine Relegation. Helma Krauss und der Schuldirektor sehen dafür aber keine juristische Handhabe. Helma Krauss wird Klassenlehrerin der Oberprima, aber die Klasse fürchtet, dass Dr. Rottach, der

Dr. Rottach (Ernst Schröder)

eigentlich damit gerechnet hatte, Klassenlehrer der Oberprima zu werden, die Schüler aus Rache durchs Abitur fallen lassen wird. Dr. Rottach ist ein intelligenter, vor Ehrgeiz schwitzender Lateinlehrer, der die Klasse schon mal aus Bosheit minutenlang das Aufstehen und Setzen üben lässt. Helma Krauss behandelt im Unterricht auch Sartre, Dr. Rottach konfisziert ein Sartre Buch bei einer Schülerin („Ich habe meine Gründe“.) Helma Krauss wird im Kollegium wegen ihrer verständnisvollen Art zunehmend angefeindet und gibt ein Versprechen ab: sollte ein Schüler ihrer Klasse das Abitur nicht bestehen, wird sie die Schule verlassen. Der Weg zur Abiturprüfung ist also wie ein Showdown, der Lehrerin geht es nun darum, das Vertrauen der Schüler zu gewinnen und sie zum Lernen zu motivieren. Das gelingt ihr, weil sie vor allem keine Scheu davor hat, soziale Klassenzugehörigkeiten zu überspringen und jugendliche Frechheiten großzügig zu thematisieren und in die Schranken zu weisen. Es geht um Übergriffigkeiten beider Seiten, der Alten wie der Jungen, und um die Bequemlichkeiten des Einrichtens in Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid.

Drei Typen der Lehrerin: die selbstbewußte Frau

Als Pin-Up

Die nachdenkliche Frau

 

Anders als in späteren Jugendfilmen spielen Kriminalität und explizite Feindschaft keine Rolle; Regisseur Jugert zeigt stattdessen eine Typologie der Kleinstadthonoratioren, die in ihrer geballten Einfalt durchaus auch gefährlich werden können. Auffällig ist das Fehlen der Kirche als sittlicher Autorität – ihr wurde in dieser Funktion schon keine Glaubwürdigkeit mehr zugetraut. Es werden neue Topoi eingeführt, die in Filmen späterer

Die Mädchen der Abiturklasse: 2. Reihe rechts: Karin Dor

Die Jungs der Abiturklasse: Vorn Wolfgang Völz und Götz George

Jahre wieder auftauchen. Das Hallenbad ist der Treffpunkt der Jugend und der alleinstehende, liberal gesinnte Tierarzt eine gute Partie für eine alleinstehende Frau. Karin Dor als Tochter des Tierarztes und Paul Bösiger als Schüler Bruck sind zwei relativ neue, junge Charaktere im deutschen Film; Rudolf Jugert hatte sich bei allen Erfolgen mit Schmachtfetzen wie Ein Herz spielt falsch (1953) einen Sinn für eine realitätsnahe und typensichere Inszenierung des Kleinstadtlebens bewahrt. Es ist noch die Zeit, da Jean Paul Sartre als Phänomen zwar diskutiert wird, aber als Abiturstoff die klassisch-romantischen Epigonen (Paul Heyse, Felix Dahn, Martin Greif) abgefragt werden. Richard Dehmel gibt mit dem Satz „Ein bißchen Güte von Mensch zu Mensch ist mehr wert als alle Liebe zur Menschheit“ den Tenor der Abituransprache des Direktors vor.
Die Prüfung ist bestanden. Es hätte schlimmer kommen können.

Freitag, 18.12.2020

Filme der Fünfziger LVII: Illusion in Moll (1952) R: Rudolf Jugert

„Unser Hotel“ kommentiert die Off-Stimme von Paul Alsbacher (Hardy Krüger) die ersten Bilder eines großbürgerlichen Anwesens; als werde hier ein Familienalbum aufgeschlagen. „Vater“ (Albrecht Schoenhals) wird im Rollstuhl im Garten herumgefahren. Der Garten ist eher ein Park mit angeschlossenen Tennisplätzen, Anlegestegen für Motorboote (man fährt auch Wasserski oder segelt zur Entspannung) und einem Schwimmbad am See. „Unser Hotel“ ist auch die Formulierung des Vaters an den Sohn, sein Vermächtnis „klar, sachlich, schonungslos: Lass es nicht in falsche Hände geraten.“
Herr Gidou (Maurice Teynac) ist Hotelgast, Sänger, Orchesterleiter und vor allem ein Herzensbrecher. Er hat es zunächst auf Pauls kleine Schwester Dorothy (Gaby Fehling) abgesehen, flirtet aber auch ungehemmt mit Pauls Freundin Lydia Bauer (Hildegard Knef), mit der Hotelchefin Maria Alsbacher (Sybille Schmitz) und nebenbei auch mit Vera (Nadja Tiller), einem abenteuerlustigen Flittchen.
Der Vater ist gestorben, Gidou schmachtet die Mutter mit dem Lied „Du bist wunderbar“ an, Lydia singt für Paul „Illusionen“, mit Strophen geistreich scheinender, aber ziemlich sinnloser Wortreihungen. „Illusionen, Illusionen, Sie sind das, was uns am Leben hält/ Illusionen sich belohnen/Ohne Zweck und ohne Sinn!/ Nur nicht denken/sich verschenken!“ Lydia ist Modezeichnerin, hat eine etwas rauhe, von Lebenserfahrung gefärbte Stimme und sagt gelegentlich den in dieser Gesellschaft erstaunlichen Satz: „Ich muss zur Arbeit“. Lydia ist ursprünglich ein lebenspraktischer Charakter; gegenüber den Avancen des Herrn Gidou verhält sie sich wie auch sonst im Leben klar, sachlich und schonungslos. Das macht sie für einen filmischen Schmachtfetzen eher uninteressant; der Autor Fritz Rotter dichtet ihr eine unheilbare Krebserkrankung an und wendet ihre Jugend zu einem bittersüßen Dramolett aus Molltönchen.

Der Geschichte geht es um die Tugend des Verzichts, die reiche Menschen immer mit tragischem Edelmut umgibt.. Ganz und gar zufälligerweise sind es hier nur die Frauen, die Verzicht, Enttäuschung und Entbehren als moralische Lektion auf sich nehmen. Die kleine Schwester Dorothy muss auf die Liebe des Gigolo verzichten, Lydia bewahrt Mutter Maria mit einem selbstlosen erotischen Trick vor dem Vollzug der Hochzeitsnacht und entlarvt Gidou als „niederträchtigen öligen Lump“ (Paul). Was für eine Zukunft hat die krebskranke Lydia, nun, da sie das Hotel nicht in unrechte Hände hat kommen lassen? Sie will sich vor einen LKW werfen, ins Wasser gehen – da kommt Paul und hilft ihr wieder ins Leben. Aus dem lockigen Männlein ist ein Mann geworden, auf ihn können die Frauen mit ihren zerschmetterten Träumen jetzt richtig stolz sein.

Mit großem Eifer verriss die Kritik den Film und die schwache Geschichte, unterschlug dabei aber die Brillanz von Inszenierung und Kameraarbeit. Tordurchgänge, Fensterausblicke, Spiegelansichten – auch Kameraperspektiven, in denen die Objekte zum handlungstreibenden Element werden – wenn man sich erstmal geöst hat vom Zwang, der

Hardy krüger, Hildegard Knef und Sybille Schmitz

Handlung zu folgen, entdeckt man die Lust, mit der sich Jugert und Vich der visuellen Inszenierung gewidmet haben. Vielleicht war es auch ihre ganz eigene Antwort auf das von Architekt Ludwig Reiber eingebrachte plüschige Interieur des Hotels und die von ihm sinnlos vollgestopfte Moderne in Lydias Mädchenzimmer.
Der Film hatte kein Glück beim Publikum und das unglückliche Skript brachte noch ein eigenes Unheil mit sich. Fritz Rotter hatte denselben Stoff schon Jahre zuvor an eine kleine amerikanische Firma verkauft, die daraus unter der Regie von Edgar Ulmer den Film „Strange Illusion“ (USA 1945) produziert hatte. Ulmer wollte Geld und stellte Pommer eine Frist von zehn Tagen, um sich mit ihm außergerichtlich zu einigen. Pommer dachte nicht daran, er wusste, dass Ulmer keinerlei Rechte an „Strange Illusion“ hatte.

 

Keine DVD, kein Video.
Bei Ulmers „Strange Illusion“ (USA 1945) ist das copyright abgelaufen. Der Film ist auf YouTube von verschiedenen Anbietern eingestellt; es gibt ihn auch als DVD.

Ergänzungen zu filmportal:
Standfotos: Paul Filipp.
Dreharbeiten: Begin  der Aussenaufnahmen in  München  15. September 1952 – Beginn Aussenaufnahmen in Velden am Wörthersee am 24. September 1952 – Beginn der Atelieraufnahmen in München 10. Oktober 1952 – Ende der Dreharbeiten 7. November 19t52.
Mit Albrecht Schoenhals (Werner Alsbacher), Viktor Afritsch (Ein Portier), Else Wolf (Klara) Rudi Risavy (Ein Geiger)

 

Dienstag, 19.05.2020

Filme der Fünfziger LVI: Ich denke oft an Piroschka (1955; R: Kurt Hoffmann)

Ein Herr mittleren Alters sitzt gedankenverloren in einem leeren Zugabteil und blickt auf den roten, leeren Sitz neben ihm. Dort haben seine Jugend, seine Hoffnungen, eine nicht erfüllte Romanze und – ja, auch sie – die verlorenen Ostgebiete ihren imaginären Platz eingenommen; alle sind zusammengefasst in dem Frauennamen „Piroschka“. Kommentiert von der Stimme des Reisenden geht es zurück in die zwanziger Jahre, als Andreas (Gunnar Möller) – wir erfahren nur den Vornamen – als Austauschstudent nach Ungarn fährt. „Es sind Erinnerungen an eine so nicht mehr existierende und für uns unzugänglich gewordene Welt. Darüber hinaus hatte das verlorene Ostdeutschland etwas mit dem alten Ungarn gemeinsam: Einen gelassen fröhlichen, breiten Lebensstil, dessen Krönung die vielgerühmte östliche Gastfreundschaft gewesen ist.“ (Hugo Hartung) Der Autor Hartung hatte 1951 für den Bayrischen Rundfunk ein sehr erfolgreiches Hörspiel verfasst, das von 28 Radiostationen übernommen wurde. 1954 entstand eine Romanfassung, 1955 dann der Film von Kurt Hoffmann.

Andreas trifft auf dem Weg zu seinen Gasteltern Greta (Wera Friedberg), eine selbstbewusste junge „Neue Frau“, die eine Arbeitsstelle in der Türkei antreten will. Der junge Andreas ist gleich in Balzlaune, stellt sich aber eher ungeschickt an. Er steht vor allem sich selbst im Wege; in seinen amourösen Versuchen verhält er sich wie ein Schlafwandler, magisch angezogen von der Weiblichkeit, aber immer wieder seiner Unerfahrenheit und der Tücke des Objekts ausgeliefert. Das Objekt ist eine mitgeführte Plattenkamera samt Stativ, das Andreas selbst dauernd zum Zusammenbruch bringt. Die Kamera begleitet Andreas wie ein Sinnbild seiner Überforderung. Das war eine Paraderolle für Gunnar Möller; zu seinem Leidwesen wollte ihn das Publikum fortan am liebsten als leicht verschusselten Liebhaber sehen.

Gunnar Möller, Liselotte Pulver

Greta bleibt am Plattensee, Andreas fährt zu seinen Gasteltern nach Hódmezővásárhelykutasipuszta (der Ortsname ist dem Ort Hódmezővásárhely nachempfunden) und nimmt uns mit in eine Welt des Zaubers und der Absurditäten. Schon im Zug wird er als deutscher Student erkannt; was für eine Freude! Und er muss essen und trinken, denn als junger Mensch hat man ja immer Hunger. Der Stationsvorstand von Hódmezővásárhelykutasipuszta Istvan Rasc (Gustav Knuth) lädt ebenfalls gleich zum Essen und Trinken ein; seine Lebensaufgabe besteht darin, zweimal am Tag ein Zugsignal zu setzen und auf die Pünktlichkeit des Zuges zu achten. „Nur zwanzig Minuten zu spät. So pünktlich war der Zug noch nie“, freut sich Istvan und ist ganz aufgeregt. Sind wir ins Alice’s Wunderland geraten? Da kommt Freund Sandor (Rudolf Vogel) mit dem Fahrrad in das Haus geradelt. Sandor ist Briefträger, Landbote, Weichensteller, Stationsgehilfe, alles in einer Person. Er stellt sich vor: „Guten Morgen, guten Abend, sehr gut, küß die Hand, lieber Bruder.“ Andreas wohnt bei einem Arzt und seiner Frau; morgens tritt er aus dem Zimmer– sechs fremde Menschen stehen in dem Flur auf. Er begegnet Piroschka (Liselotte Pulver), die ihn glauben lässt, dass sie kein Deutsch versteht, so dass ihm seine Worte später peinlich sein werden. In dieser Welt der Wunder wird Andreas von einem Fremden zu einem Freund. Piroschka zeigt ihm die Pferde der Puszta, die Schweine und Gänse, die Schafhirten und die Roma. Aber es gibt noch Greta und die Welt, aus der er gekommen ist. Greta schreibt eine Karte (“die ist von Franz, einem Freund“, erklärt Andreas Piroschka). Andreas fährt mit dem Morgenzug an den Plattensee, Piroschka folgt ihm. In der Peinlichkeit, sich zwischen Greta und Piroschka entscheiden zu müssen, tritt Andreas in lauter Fettnäpfchen. „Du machst alles kaputt“, sagt Piroschka, bevor sie allein nach Hause zurückfährt. Ein Fest bringt das Paar wieder zusammen. Jetzt bleibt ihnen noch eine Nacht bis zum endgültigen Abschied.
Auf der Bühne und im Film war die Ungarn-Operette ein fester Bestandteil des Repertoires. Hoffmann gibt dem Filmpublikum auch in Piroschka das romantisch-folkloristische Ungarn mit Musik, Tanz, Lagerfeuer und Liebe. Kameramann Richard Angst lässt die Farben leuchten, staffelt Menschen und Objekte zu kunstvollen Bildern, kann aber mit dem wilden Tanz nicht mehr anfangen als ihn in gelegentlichen Top-Shots auf Distanz zu halten. Kurt Hoffmann, das merkt man jeder Szene an, liebt seine Schauspieler. Liselotte Pulver hatte gerade in O.W. Fischers Hanussen (1955) eine skeptische Journalistin gespielt, die Fischer mir nichts, dir nichts überwältigt – nur das war der Sinn der Figur. Bei Hoffmann ist jede Rolle eine Paraderolle; Liselotte Pulver wurde mit ihrer Interpretation zum Liebling der Nation. Jeder konnte sich in die Unschuld verlieben und die Geschichte der vergangenen 30 Jahre im Seufzer bitter-süßer Melancholie vergessen. Die Entlastungsstrategie gelang vollkommen.

Weil der Verleih ein Happy End wollte, drehte Hoffmann ein alternatives Ende, das doch nicht verwendet wurde. Die Filmbewertungsstelle versagte zunächst ein Prädikat: „Diese Geschichte ist nicht originell gemacht, entfernt sich auch nicht von Klischees. Sie ist auch nicht so humorvoll gestaltet oder künstlerisch gespielt, dass man den Film durch ein Prädikat auszeichnen kann. Dem Film gelingt es nicht, zum echten Volksstück vorzustoßen. Er zeigt auch nicht den Zauber eines Märchens.“ Der Produzent legte Widerspruch ein; der Film erhielt das Prädikat „Wertvoll“ und gehörte kommerziell zu den zehn erfolgreichsten Filmen der Saison.

 

Auf DVD und Blu-Ray
Präzisierungen zu filmportal: Pressefotos: Kurt Huhle – Dreharbeiten vom 12. 9. 1955 in Palic bei Subotica (damals Jugoslawien) bis 5. 11. 1955 in Geiselgasteig

Donnerstag, 30.01.2020

Filme der Fünfziger LV: Schule für Eheglück (1954)

„Die Mehrheit der Filme [bringen] heute in unwürdiger Weise Ehebruch und sittliche Verfehlungen auf die Leinwand“, erklärte 1954 Familienminister Wuermeling. Im deutschen Film beobachtete er Erotik, Frauenhelden und eine auf vornehm frisierte Prostitution. Tatsächlich gab es 1953 vermehrt Filme über Eheprobleme wie Ich und Du von Alfred Weidenmann, Muss man sich gleich scheiden lassen von Hans Schweikart oder Hochzeit auf Reisen von Paul Verhoeven. In der Regel fanden die zerstrittenen Paare in diesen Filmen wieder zusammen. Und alle hätten auch „Schule für Eheglück“ heißen können, aber es brauchte vielleicht doch einen Film mit genau diesem Titel, um die Sittlichkeit der westdeutschen Filmindustrie unter Beweis zu stellen. Die Scheidungsrate war übrigens in der Bundesrepublik seit 1950 kontinuierlich rückläufig; das ließ sich dem Film schlecht anlasten. Und wie stand es mit dem Verfall von Sitte und Anstand? Den konnte man statistisch nicht erfassen, aber gefühlt wurde es natürlich immer schlimmer.
Der Film entstand nach einem Buch von Andre Maurois; Franz Geiger schrieb das Drehbuch (sein zweites von mehr als sechzig). Ein interessantes Interview mit Geiger führte Dr. Wolfgang Habermeyer für den Bayerischen Rundfunk. www.br.de › alpha-forum › franz-geiger-gespraech100~attachment.
Rainer Geis, ehedem Regieassistent bei Tourjanski, Karl Anton und Harald Braun führte Regie, aber der Produzent Toni Schelkopf erklärte sich selbst, reichlich ungewöhnlich, auch zum Regisseur.

Justus (Paul Hubschmid) Arbeitsplatz

Die Schule für Eheglück, mit Liselotte Pulver und Paul Hubschmid als Ehepaar, vermittelt unter anderem diese Lektionen:
1. Männer müssen ertragen, dass Frauen immer zu spät sind. Deswegen hat  Ehemann in spe Justus Schneemann (Paul Hubschmid) auch Zeit, dem Publikum seine Geschichte erzählen. Später im Film wird Liselotte Pulver ihrem Justus die Lektion nochmals erteilen.
2. Es gibt ein Recht des Mannes, sich Frauen wie auf einer Viehauktion anzusehen. „Die Beine sind tadellos“, lobt Tobby, Chefredakteur der Frauenzeitschrift Kristine (Wolf Albach-Retty). Als würden sie wie Jugendliche durch die Bretterwand eines Schwimmbades linsen, sehen die Männer durch die Vorhänge eines Schaufensters nach der Dame, die zu den Beinen gehört. Zur Belohnung fällt sie Justus beim Betreten des Geschäftes in die Arme.

Mariannes Arbeitsplatz

3. Frauen sind eher praktisch, Männer sinnlich orientiert. Beim ersten Rendezvous in einem Tanzcafe (Gisela Griffel singt „Diesmal muss es Liebe sein“) holt Justus einen Wohnungsplan heraus und richtet als erstes das Schlafzimmer mit kleinen Klötzchen ein. Marianne fragt: „Und wo ist die Küche“?

Marianne hat übrigens die Meisterschule abgeschlossen, möchte gern eigene Entwürfe machen und unabhängig sein. Sie hat keine Eltern, keine Geschwister, nur eine Freundin. Justus dagegen hat eine Sekretärin, einen Arbeitsplatz, einen Freund/Chef, alte Freundinnen und vor allem Ambitionen. Er will nicht länger Kristine sein, die Kummertante der Frauenzeitschrift, sondern ein ernsthafter Schriftsteller werden. Zunächst aber schreibt er den Bestseller „Die praktische Hausfrau“, kauft sich vom Vorschuss ein Opel-Kabrio, hält Vorträge zum Eheglück und plant auch gleich ein Buch zum Thema. Dann aber begegnet er Regina (Cornell Borchers), lässt Frau und Kind und auch die Anstellung bei der Illustrierten sausen und arbeitet nur an seinem Roman. Doch
4. Als Sachbuchautor und Illustrierten-Heini kann man schnell und ohne Mühe viel Geld verdienen. Kunst dagegen ist mühsam und bringt wenig ein.

Liselotte Pulver im Großmutter-Chic

Justus trennt sich auch von Regina, gibt das Romanprojekt auf und wird wieder zur Kummertante Kristine. Aber so ganz allein verschlampen Justus und seine Wohnung. Jetzt nimmt Marianne die Sache in die Hand, kehrt zu Justus zurück und räumt als erstes die Wohnung auf. Alles wird wieder gut.
Der Film hat das Problem, dass die Figuren in diesem Spiel nur vorgefasste Thesen illustrieren und die Schauspieler wie in einem Lehrfilm mit Spielhandlung agieren. Die Liebesgeschichte von Marianne und Justus wird als Tanzeinlage mit gezeichneten Kulissen dargestellt, aber die Choreographie ist bieder und wenig elegant und Paul Hubschmid ist nun mal kein Gene Kelly noch ein Fred Astaire. Er gibt sich, man sieht es deutlich, redlich Mühe; am besten gelingt ihm ein Schuhplattler oder ein Tanz, der in Hubschmids Interpretation wie ein Schuhplattler aussieht.
Wollte man, selbst in den 50er Jahren, im Kino die Alltags-Probleme einer Ehe sehen? So vom Katheder doziert sicher nicht; sittliche Verfehlungen waren doch wirklich attraktiver.

 

Keine DVD, aber bei youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=LkfQF3WhXJ4

Präzisierungen und Ergänzungen zu filmportal:
Drehrbeiten: Begonnen Mitte Februar 1954 in Geiselgasteig, Halle 2; Regieassistent: Adolf Schlyßleder, Kostüme: Ursula Maes; Ton: F.W. Dustmann; Standfotos: Ferdinand Rotzinger

Montag, 23.12.2019

Filme der Fünfziger LIV: Moselfahrt aus Liebeskummer (1953; R: Kurt Hoffmann)

Die Moselfahrt gehörte in den Fünfzigern zum Bildungs- und Kulturfahrten-Pflichtprogramm. Für die Winzer waren die Fahrten ein gutes Geschäft, kistenweise sollte der bestellte Wein später für trunkene Erinnerungen sorgen.
Rudolf Binding hatte 1932, ein Jahr bevor er gegenüber Adolf Hitler das Gelöbnis „treuester Gefolgschaft“ erklärte, die Novelle „Moselfahrt aus Liebeskummer“veröffentlicht. Sie bildet die literarische Vorlage für diesen Film, ohne dass es wirklich zwingend einer literarischen Vorlage bedurft hätte. Doch wir sind hier nicht zum Vergnügen, sondern wegen der Kultur. Das Presseheft will uns „an das Werk heranführen, das Beachtung und Liebe verdient. … Der Geist des schmalen Büchleins, seine Besinnlichkeit, seine Wahrheiten, seine Menschen und seine Schauplätze haben Gestalt gewonnen, ohne die Unantastbarkeit eines literarischen Kunstwerks von überzeitlicher Bedeutung zu verletzen.“ Oha – der Gang ins Kino soll etwas Besonderes werden – so lasset uns denn sehen, was das Lichtspiel uns Beglückendes anheim gibt.

Thomas (Will Quadflieg) ist eifersüchtig

Dr. Thomas Arend (Will Quadflieg), man hört es en passant, wurde gerade bei einer Universität als Dozent für Kunstgeschichte angestellt; mit seiner Freundin, der Opernsängerin Dorette Sorel (Renate Mannhardt), will er nun eine Moselfahrt machen. Dorette mault etwas, sie möchte lieber nach Paris oder nach Italien und was vom Leben haben. Das kommt nicht in Frage, Thomas freut sich doch so darauf, ihr die Sehenswürdigkeiten zu zeigen und zu erklären. Jetzt muss Dorette schnell in die Oper zur „Hochzeit des Figaro“, sie singt den Cherubino, singt von der „Liebe, die so brennt“ und grüßt diskret einen unbekannten Herrn in einer Loge.. Thomas steht, ganz Herr des Geschehens, in ebendieser Loge und beobachtet alles genau; im Auge glimmt der Zorn.
Am nächsten Morgen ist Dorette nicht zu Hause, ihr Bett ist unbenutzt. Ganz gekränkte Primadonna fährt Thomas nun allein los.
Werbeheft: „Thomas Arend wird leichter ums Herz, als er mit seinem Wägelchen [ein VW Cabrio] den Windungen der Straße an der Mosel folgt. Wanderer winken ihm freundlich zu, Winzer heben bedächtig die Hand, dem Fremden Gruß und Willkomm bietend. Da wird Toms – seine Freunde nennen ihn nur Tom – Kummer kleiner und kleiner, der ihm gestern noch als nicht zu verwindende Endgültigkeit erschien.“

Mutter (Elisabeth Müller)

Angela Schaefer (Elisabeth Müller), Verlegerwitwe und junge Mutter, ist mit ihrem Sohn Kaspar (Oliver Grimm) ebenfalls auf Moselfahrt. Sie geht in den Dom in Trier, da braust die Orgel, Kaspar versinkt im Gebet, geht daraufhin verloren und wird von Thomas gefunden. Wenn das nicht Schicksal ist! Mit einem Mal sind wir in einem Kulturfilm über Land und Leute und Weine wie das Erdener Treppchen, das Trittenheimer Altärchen oder die Wehlener Sonnenuhr, wir schunkeln und singen auf einem Weinfest und gehen mit Quadflieg und Albert Florath in ein Lokal, wo man in Ruhe einen guten Tropfen trinken kann. Ach, der Bürgermeister (Bum Krüger) ist auch schon da; Frau Bürgermeister möchte, dass ihr Mann nach Hause kommt, aber jetzt trinken die Männer noch ein Fläschchen, har-har. Die Kamera steht auf Höhe der dicken Männerbäuche – so sieht Gemütlich- und Behaglichkeit aus. Am Nachbartisch blättert Angela im Gästebuch und sieht den alten Eintrag von sich und ihrem verstorbenen Mann –es seufzt die Erinnerung.

Vater (Will Quadflieg)

Thomas und Kaspar freunden sich an, streifen singend durch die Lande; Angela und Thomas sehen sich ein Madonnenbild an und Thomas staunt nicht schlecht, dass Angela so gebildet ist. Er nimmt ihre Hand, sie lächelt schüchtern; sieht sie nicht aus wie eine Madonna? Da taucht mit einem Mal wieder Dorette auf, die ein fescher Holländer in seinem Wägelchen [einem Mercedes Cabrio] an der Mosel herumkutschiert hat. Aber Thomas bekennt sich zu Angela, drei Jahre mit Dorette sind wie ausgelöscht. Thomas, Angela und Kaspar gehen ihren Weg jetzt gemeinsam.
Will Quadflieg ist der hoffnungsvolle Mann mit dem romantischen Blick; mal stemmt er die Hände in die Hüften, dann wieder versenkt er sie fast trotzig entschlossen in den Anzugtaschen. Er lebt in den Männlichkeitsposen der Vergangenheit und spielt

Kind (Oliver Grimm)

Kaspar gegenüber eine Vaterrolle als falscher Kinderkamerad. In der ersten Krise – der Diskussion mit Dorette über das Reiseziel – wird er schon autoritär und unleidlich. Die Opernsängerin sitzt ihm zwar zu Füßen , will aber auch eine eigene Karriere. Angela dagegen, der Witwe eines Kunstverlegers, fehlt der Mann, ihrem Sohn der Vater. Bei ihr kann Thomas Karriere machen.
Kurt Hoffmann inszeniert Angela als vorsichtige, aber überwältigungswillige junge Witwe. Die Moselfahrt ist auch eine Phantasie über das angerichtete Nest, in das sich geschickte und einfühlsame junge Männer setzen können. Der träumende Blick deutscher Innerlichkeit richtet sich wie verzaubert auf zukünftigen Wohlstand, die Beherrschung der scheuen Frau und ein Leben im Geiste der Vergangenheit. Der Gedanke an eine Geschichte über einen bösartigen Heiratsschwindler wäre reizvoll, da doch der ganze Film eine einzige Hochstapelei ist. Gunther Groll konstatierte: “Der Kummer beginnt, als der junge Kunsthistoriker seinem Fräulein Braut solange Binding vorliest, bis sie etwas nach ihm wirft.“ Groll hat das mal eben so erfunden, der Film inspiriert zu solchen sonderbaren Geschichten. Groll fügt hinzu: “Mit Recht.“

Das Werbeheft bietet einen Artikel für die „Frauenseite“ an, im Internet gibt es eine webseite https://moselfahrt.film/ zu dem Film, der mit Mitteln des Förderprogramms Filmerbe restauriert wurde.

Ursprünglich war Victor Tourjanski als Regisseur vorgesehen, als Darsteller wurden Karl Heinz Böhm, Rolf Pinegger und Willi Fritsch genannt.

Nicht als DVD, nicht als Video

Präzisierungen zu filmportal:
Requisite: Otto Garden, Hans Pewny; Dreharbeiten vom 21. August 1953 bis 3. Oktober 1953; Außenaufnahmen in Trier, Bernkastel, Lieser an der Mosel, Bayreuth; Atelier: Geiselgasteig; Ateliersekretärin: Irmgard Palz.

Dienstag, 29.10.2019

Filme der Fünfziger LIII: Heute heiratet mein Mann (1956; R: Kurt Hoffmann)

Die österreichische Journalistin und Schriftstellerin Annemarie Selinko emigrierte nach ihrer Heirat mit einem Diplomaten 1938 nach Dänemark. Ihre 1937 und 1938 noch in Wien veröffentlichten Romane „Ich war ein hässliches Mädchen“ und „Morgen ist alles besser“ waren in der Bundesrepublik bereits 1955 und 1948 verfilmt worden. „Heute heiratet mein Mann“ erschien erstmals 1940 im Exilverlag Allert de Lange, Amsterdam. Der Roman thematisiert bereits die Besetzung Dänemarks durch deutsche Truppen und die entstehende Widerstandsbewegung. Für die Verfilmung durch Kurt Hoffmann wurden, so das Presseheft, „die politischen Ressentiments des Romas völlig weggelassen“, was nichts anderes heißt als dass sämtliche zeitpolitischen Bezüge eliminiert wurden. Das harmlose erotische Spiel sollte nicht von grässlicher Politik getrübt werden.
Theresa Petersen (Liselotte Pulver), Thesi genannt, ist eine junge geschiedene Frau; sie wohnt in einer kleinen Dachwohnung in Hamburg, arbeitet als Modezeichnerin und ist dauernd auf Trab. Das Bettzeug kommt in eine große Kiste, der Kleiderschrank wird zugeschlagen (ein Kleiderzipfel hängt noch raus), die Wohnungstür knallt, Bücher fallen um – jetzt schnell zum Zahnarzt. Dr. Agartz (Werner Finck) ist ein Schwätzer, erzählt von dem tollen Architekten Robert Petersen (Johannes Heesters), der sich demnächst verlobt. Ja, er hat sich scheiden lassen, das kann nur die Schuld der Frau gewesen sein. Bis nächsten Mittwoch, wie war noch mal der Name? „Petersen“, sagt Thesi spitz und zieht dabei streng die Jacke gerade. Als der Direktor (Ernst Waldow) des Textilhauses – „Ich heiße Wilhelm, meine Freunde nennen mich Billie.“ – hört, dass sie geschieden ist, kauft er ihr alle Modezeichnungen ab, nennt sie „Kleine Frau“ und lädt sie zum Essen ein. Im Restaurant trifft sie auf ihren geschiedenen Mann, seine neue Freundin und deren spießige Familie. Vergiftete Höflichkeiten werden ausgetauscht, Robert Petersen lädt Thesi ein, sein neues Haus zu besichtigen. Wie ist es denn zu der Scheidung gekommen?
Thesi ist etwas unordentlich, Robert hat den Hochzeitstag vergessen. Thesi hat ihre eigene Definition von Ehe. „Den ganzen Tag wartet man auf den Mann und wenn er endlich kommt, ist er schlechter Laune“. Robert: „Ich hasse Unordnung.“ Ein Wort gibt das andere, Türen knallen. Und Thesi zieht aus.

Das unanständige Kleid (Charles Regnier, Liselotte Pulver, Paul Hubschmid)

Im Cafe Elbterrassen lernt Thesi Georg (Paul Hubschmid) und Niki (Charles Regnier) kennen. Georg ist Konsul in Mexico, Niki ein bekannter Schriftsteller. Thesi hat sich ein „herrlich unanständiges Kleid“ besorgt und will damit bei der Verlobung ihres Ex-Mannes auftauchen. Georg und Niki sollen als ihre Liebhaber mitkommen. „Das wird ein Spass!“
Georg verliebt sich in Thesi und will sie mit nach Mexico nehmen, Thesi gibt eine Abschiedsparty und bekommt Scharlach. Aus ist es mit Mexico und Georg, stattdessen Isolierstation im Krankenhaus. Roberts Verlobte sagt die Hochzeit ab – er hat ja nie Zeit für sie. Als Thesi aus dem Krankenhaus in ihre Wohnung kommt, sind alle Möbel fort. Robert hat sie abgeholt und zu sich nach Hause gebracht. „Ohne mich zu fragen!“ Herrlich.

Alle sind reich und angekommen in der Gesellschaft, nur Thesi nicht. Im Off kommentiert und resümiert sie ihre Geschichte. Wer außer ihr zählt die knappen Einkünfte und rechnet sie gegen die Schulden? Thesi ist auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft; sie hat keine Eltern, keine Freunde, nur Bekannte. Und eben ihren geschiedenen Mann Robert. Ihre Erinnerung an die Heirat ist ein Traumbild, die Verlobung von Robert erfährt sie nicht umsonst beim Zahnarzt. In der Gesellschaft ihrer beiden Kumpane Niki und Georg, die sie flott zu ihren Geliebten ernennt, befindet sich auch Betsy (Eva Maria Meineke), die Niki schon mal „Mütterchen“ nennt. Sie ist eine Übriggebliebene, die Thesi nicht werden will. Eine andere Bekannte ist das Mannequin Ulla Radtke (Ingrid von Bergen), bei der sie auch das unanständige Kleid findet. Ulla ist die Geliebte von Karl Nielsen (Gustav Knuth), dem Vater von Roberts neuer Braut; das ist etwas unseriös und nichts Festes. Thesi spielt alle diese Frauenrollen durch und setzt noch einen drauf; als sie in dem „herrlich unanständigen Abendkleid“ bei Robert erscheint, weicht dieser beim Anblick des Kleides zurück wie Mephisto vor dem Weihwasser. Die Verlobte (Eva Maria Meineke) grämt sich: „Und ich in meinem geblümten Kleid!“ Zur Abschiedsparty von Thesi kommen alle ihre Männer und drängen sich in dem engen Flur. Statt der Party wird aber nur die Küche gezeigt, in der Thesi weitgehend allein hantiert und  von ihrem geschiedenen Robert Abschied nimmt, bevor sie mit

Robert Johannes Heesters) hinter Glas

Scharlach endgültig von allen isoliert wird. Vor dem Fenster der Isolierstation erscheinen Robert und Georg, Thesi ist nun endgültig allein und entscheidet sich gegen die Heirat mit Georg. Robert wird zu ihrem Retter, sein Dienstmädchen begrüßt sie freudig mit „Die gnädige Frau!“. Aber als Robert sie stürmisch bedrängt, erinnert sie ihn: „Der Arzt hat gesagt, ich soll mich noch schonen.“ Die Zeit der Abenteuer ist vorbei.

Bei seiner Inszenierung jongliert Hoffmann geschickt mit den Bild- und Tonebenen. Easy Listening Musik mit Mantovani-Anklängen begleitet Thesi und ihre Tagträumereien, lateinamerikanische Rhythmen (Paul Hubschmid singt und spielt sogar ein mexikanisches Volksstück) werden in einem Tanzlokal gespielt (Musik: Hans-Martin Majewski). Für Mambo, entscheiden Robert und Thesi, sind wir schon zu alt. Als Georg im Radio einen Sender sucht, klagt Thesi:“ Leg doch eine Platte auf.“ So wird die Welt ausgeschlossen und der Radio-Plattenspieler spielt dieselbe Platte, immer wieder.

Im Buch zieht Thesi zwar auch zu Robert, aber sie entscheidet sich erst in dem Moment endgültig für ihn, als sie erkennt, dass er für die dänische Widerstandsbewegung arbeitet. Das gehört zu den „politischen Ressentiments“, die das Drehbuch entfernt hat. Der Film rangiert auf Platz zehn der erfolgreichsten Filme der Saison 1956/57. Nur die Filmbewertungsstelle fand die Inszenierung plump und die Darstellung uninspiriert. Die Begründung der FBW und Kurt Hoffmanns Antwort hier.

Samstag, 17.08.2019

Filme der Fünziger LII: Die Barrings (1955; R: Rolf Thiele)

Die über Generationen reichende Familiengeschichte, heute pompös zur „Saga“ erhoben, konzipiert der  Film der fünfziger Jahre als eine in die Vergangenheit gerichtete Verlustgeschichte. Die großen Landsitze, die „Stammgüter“ der alten Familien, sind verloren; Schuldige sind die Zeit, die sich wandelnden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände und – fast möchte man sagen natürlich – eine fehlgeleitete erotische Leidenschaft. Schicksal eben.
Die Barrings spielt in der Zeit von 1880 -1900, zur Zeit von Bismarcks Entlassung und dem Beginn des Wilheminismus, aber, so Rolf Thiele, Regisseur und Co-Drehbuchautor: “Der politische Hintergrund tritt zurück, und nur ein grundlegendes Thema beherrscht den Film, ein zeitloses Problem: das Geschick einer Familie und die verhängnisvollen Folgen, die aus falscher Partnerwahl entstehen können.“ Der Film entstand nach dem Buch von William von Simpson, einem Wälzer von 787 Seiten, der 1937 erschien und mit 1,7 Millionen Auflage in jedem gutbürgerlichen Haushalt stand. Eine Eheberatungs-Studie zur richtigen Partnerwahl wurde daraus auch im Film nicht, Die Filmwerbung trifft es schon richtiger: „Ein Großfilm von deutschen Menschen, in deutscher Heimat – Ein altes deutsches Geschlecht zerbricht an dem Leichtsinn einer lebenslustigen jungen Frau.“ Und so weiter.

Ein geselliger Abend im Hause des Baron von Eyff (Heinz Hilpert). Gerda von Eyff tanzt und flirtet mit Graf Wilda (Jan Hendriks).  Baron von Eyff will Gerda mit Fried von Barring (Dieter Borsche) verheiraten. „Ich habe alles auf eine Karte gesetzt,; wenn Du Barring heiratest, sind wir aus dem Schneider; wenn nicht, sind wir pleite.“ Aber die Barrings kommen nicht, denn der Vater Archibald (Paul Hartmann) weiß genau, dass es nur um Geld geht. Und „Gerda passt nicht nach Wiesenburg“. Zuvor haben wir schon Gerda gehört, schneidend und entschlossen: „Ich werde Fried heiraten, ob er heute kommt oder nicht.“ Als Fried doch noch zum Fest kommt, ist er nur noch Staffage.

Nadja Tiller

Verlobungsfeier bei den Barrings. Der Vater hält eine Rede, eine Hymne auf seine Frau (Lil Dagover), eine Mahnung an seine Schwiegertochter, sich ebenso einzufügen Die Kamera fasst die Szenerie in einem Top-Shot ins Bild. Und ebenfalls aus der Obersicht sehen wir Fried und seinen Vater an einer Kutsche auf Gerda warten. Als Gerda endlich kommt, ist der Vater schon gegangen. 35 Minuten ist Gerda zu spät! „In seinem ganzen Leben hat mein Vater noch nicht eine Minute auf seine Frau warten müssen.“

Lil Dagover, Paul Hartmann an den Geweihen und Lil Dagovers Bild zwischen den Pferden

Die wartet, das sehen wir später, bis spät in die Nacht mit dem Abendbrot auf ihren Mann. So war sie, die gute, alte Zeit.
Gerda ist anders, Gerda will das Leben geniessen. Und sie baut ihr Gutshaus um, mit Marmortreppe, Springbrunnen und Terrasse, kauft teure Kleider und gibt Gesellschaften, auch wenn ihr Mann
nicht zu Hause ist. „Sie ist wie ein wildes Pferd, die kannst du nur auf Kandarre reiten und mit Peitsche“, sagt der alte Barring zu seiner Frau, die zur Geduld mahnt. Die Kamera fährt langsam zurück und verwandelt das Gespräch in einen Beschluss.
Fried ist dafür zu schwach; Gerda bekommt ein Kind und alles scheint wieder im Lot. Aber die Schulden bleiben und Gerda gibt weiterhin das Geld mit vollen Händen aus. Frieds Liebe verwandelt sich in Hass. „Die Hexe!“ Gerda wendet sich an den Vater. Sie wolle doch nur glücklich sein mit Fried. Da kommt sie aber an den Falschen. „Heutzutage wollen die jungen Leute auch noch glücklich werden im Leben – davon hat der liebe Gott nichts gesagt.“

Nadja Tiller, Erik von Loewis, Eugen Bergen und Dieter Borsche

Der Vater stirbt; Fried hat einen schweren Unfall, er ist jetzt gelähmt, war ja sowieso kein Mann mehr „Vom Schreibtisch aus kann man ein Gut nicht leiten“, erklärt Gerda mit hartem Ton und will das Gut verkaufen. „Nein!“ ruft Fried, muss aber den Kaufvertrag unterschreiben und bricht im selben Augenblick tot zusammen. Und so verlässt Gerda mit ihrem Sohn das Gut; der blickt nochmal zurück, aber Gerda wendet seinen Kopf nach vorn.

Es ist, in historische Kostüme gekleidet, das alte Nachkriegs-Lügenmärchen, dass die junge Generation verspielt, was die Väter aufgebaut haben. In Nadja Tillers Blick liegt dafür nur Verachtung. Sie kennt ihre Macht und ist entschlossen, sie zu gebrauchen. Tiller spielt das so perfekt perfide, dass die penetrant beschworene Weiblichkeitsrolle der Dulderin dagegen keine wirkliche Chance hat. Günter Anders Kamera fasst die altbackene Geschichte in tief gestaffelte Bilder, in denen sich die Personen in ihren jeweils eigenen Charakterräumen bewegen. Es ist, als lasse Anders seine Kamera gegen die Ideologie des Stoffes sprechen, als argumentierte er mit seinen Bildern dafür, dass das Leben komplizierter und reicher ist als es uns die Erzählung glauben machen will.

DVD bei Filmjuwelen
Präzisierungen zu filmportal:
Geschäftsführung: Günther Klein; Kasse: Hans Mühlberg; Produktionssekretärin: Sigrid Ruttke; Presse: Erwin Peter Close; Atelier-Sekretärin: Anneliese Gubitz; Garderoberiere: Annie Loretto; Aussenrequisite: Kurt Squarra; Innenrequisite: Paul Prätel, Waldemar Hinrichs
Dreharbeiten: 20. Juli 1955 – 16. August 1955 im Atelier Göttingen; Aussenaufnahmen: 16. – 30. August 1955 in und um Göttingen; vom 31. August bis 2. September 1955 in Verden an der Aller.

Freitag, 05.07.2019

Filme der Fünfziger LI: Das doppelte Lottchen (1950; R: Josef von Baky)

Es war die Zeit der bedeutungsschweren, tiefernsten Filme, es war die Zeit von Epilog ( 1950; Regie: Helmut Käutner), Der fallende Stern (1950; Regie: Harald Braun) und Es kommt ein Tag (1950; Regie: Rudolf Jugert). Das waren bemerkenswerte Arbeiten, aber sie ließen ihr Publikum mit bleischwerem Gemüt und dunkel grundierten Fragestellungen zurück. Und das Leben war doch schon schwer genug. Von der Suche nach den einfachen Antworten und eingängigen Geschichten profitierte unter anderem das Schwarzwaldmädel (1950; Regie: Hans Deppe); auch zu den Revuen von Geza von Cziffra konnte man flüchten, spürte allerdings unter dem Pomp und Aufwand immer eine Art kleinbürgerlichen Luxusersatz. Das Publikum trank Kaffeeersatz zum Frühstück, strich Kunsthonig statt Bienenhonig aufs Brot, und jetzt dasselbe auch noch im Kino. Oder eben Schwarzbrot.
„Eine Oase in der Wüste des deutschen Films“ nannte der Dichter Martin Beheim-Schwarzbach Das doppelte Lottchen; er sah den Film 1950 auf der Pen-Tagung in Wiesbaden, auf der sich auch Drehbuchautoren mit der deutschen Pen-Sektion trafen. Das Glück der Oase hielt nicht lange vor; Günter Weisenborn wütete wahrscheinlich völlig zu Recht, aber nicht sehr geschickt gegen die bundesdeutsche Filmindustrie. Auf die Frage: „Wo steht der deutsche Film“, antwortete Weisenborn: „Auf der Hintertreppe, dort, wo sie am schmutzigsten ist.“ Erich Kästner unterschied in feiner Stichelei zwischen den Dichtern (also sich und seinen Pen-Kollegen) und den (Drehbuch)-Autoren („Das Drehbuchschreiben kann man in drei Wochen erlernen“), was den Drehbuchautor Wolf Neumeister zu einer beleidigten Replik veranlasste.
War Das doppelte Lottchen nicht ein Kinderfilm? Ja, zwei Kinder – die Zwillinge Isa und Jutta Günther – spielten die Hauptrollen, aber die verhandelten und gelösten Probleme kannten die Erwachsenen sehr genau. Ungewollte Trennung der Familienmitglieder, individuelle statt gemeinsame Lebenserfahrungen, schlimmstenfalls Fremdheit gegenüber dem einstigen Partner, Kind oder Vater. Bei aller Hoffnung, die Sicherheit des Familienverbundes oder wenigstens stabile Verhältnisse
wiederherzustellen, schwang auch immer die bange Frage mit, ob es denn nochmal gelingen oder nicht doch im Scheitern desaströs enden könnte. Doch da gab es Erich Kästner, der im Film leibhaftig als Lenker und Kommentator präsent ist; mit seiner in milder Ironie gefärbten Sprache dimmt er alle Probleme auf eine lösbare, ja federleichte Ebene herunter. Herzschmerz und echte Tränen gehören als emotionales Brausen in sein Poesiealbum, Hürden müssen genommen werden, damit die Geschichte verdientermaßen in das märchenhafte Glück der wiederhergestellten Unschuld mündet.
Und alle – mit Ausnahme der Dichter der deutschen Pen-Sektion – wollten wieder unschuldig und wunschlos glücklich sein. So wurde Das doppelte Lottchen ein Erwachsenen- und Familienfilm und ein riesiger Erfolg.

Küche in München

Lotte und Luise sind Zwillinge, die eine brav, die andere frech; sie sehen sich das erste Mal in einem Ferienheim für Kinder in Seebühl am Bühlsee. Beide sind zutiefst erschrocken. „Sie hat Angst, die Neue mit den Zöpfen“, spricht Kästner im Off. „Man steht einander nicht alle Tage gegenüber als sehe man in den Spiegel. Was wird daraus werden?“ Die beiden entdecken, dass sie nicht nur am selben Tag geboren sind, sondern auch die gleichen Eltern haben. Lotte lebt mit ihrer Mutter (Antje Weisgerber) in München, Luise mit ihrem Vater, dem Kapellmeister und

Komponisten Palfi (Peter Mosbacher) in Wien. Nein, die Mutter hat keinen neuen Freund, der Vater keine neue Freundin. Lotte weiß es genau: “Mutti sagt immer, sie hat mich und ihre Arbeit, sonst will sie nichts vom Leben.“ Beide beschließen, ihre Identitäten zu tauschen. Lotte fährt als Luise nach Wien, Luise als Lotte nach München. Dafür schreiben sie sich auf, welche Wege und welche Aufgaben sie täglich bewältigen. Luise hat

Küche in Wien

es schwerer als Lotte, denn sie muss nun jeden Tag für ihre Mutter das Essen vorbereiten. Das gelingt nicht gleich. “Entschlossenheit genügt vielleicht, um vom Rathausturm zu springen, aber nicht, um Nudeln mit Rindfleisch zu kochen. Es ist nicht leicht, seine eigene Schwester zu sein“, kommentiert Kästner. Die Mutter bringt

abends noch Arbeit mit nach Hause, der Vater dirigiert abends, tagsüber komponiert er in seinem Atelier. Er lädt seine Tochter zu einer Opernvorstellung von „Hänsel und Gretel“ ein; Lotte sitzt im besten Kleid und dicker Haarschleife in der Loge und winkt ihrem Vater zu; eine junge hübsche Frau (Senta Wengraf als Irene Gerlach) setzt sich zu ihr und grüßt den Vater mit einer verstohlenen Geste. Eine Heimlichkeit. In der Nacht träumt Lotte von der Oper; Irene Gerlach wird zur Hexe, der Vater

Die Stiefmutter-Hexe (Senta Wengraf)

trennt das Bett der Zwillinge mit einer riesigen Säge.
Im München wundert sich die Mutter über die zunehmende Frechheit ihrer Tochter. „Als berufstätige Frau weiß man zu wenig von seinem Kind“, erklärt sie der Direktorin der Schule und verteidigt tapfer ihre Tochter. Am Wochenende geht sie mit Luise in den Bergen wandern. Bergwelt, Schafe, Almhütte, Blicke ins Tal. Und natürlich immer schönes Wetter. „Ach, Mutti!“

In Wien rücken Frau Gerlach und Herr Palfi immer näher zusammen. Lotte besucht ihren Vater in seinem Atelier; Irene Gerlach steht am Klavier – darauf ein Cognacglas -, Palfi komponiert. Lotte serviert Kaffee und stört mit betonter Harmlosigkeit das Tête-à-Tête. Palfi erklärt seiner Tochter,

Rendezvous am Klavier mit Cognac (Peter Mosbacher und Senta Wengraf)

dass Irene und er heiraten wollen. „Nein!“ antwortet die Tochter mit Tränen in den Augen. Und sie geht zu Irene Gerlach, um ihr die Heirat zu verbieten. Das raffinierte Biest.

Weil das nicht nutzt, wird Lotte krank. „Nervenfieber“, konstatiert der Hofrat. Palfi wacht die Nacht über an ihrem Bett, ignoriert Telefonanrufe von Irene Gerlach.
In München gibt der Bildredakteur einer Illustrierten seiner Mitarbeiterin – so erfahren wir jetzt, was für einen Beruf die Mutter hat – ein Foto der Zwillinge, das in Seebühl am Bühlsee aufgenommen wurde. Die Mutter entdeckt die Charade, fährt mit Luise nach Wien. „Die Zeit vergeht; sie weiß es nicht besser.“ (Kästner). Zu ihrem Geburtstag wünschen sich die Zwillinge, dass die Eltern wieder zusammenkommen. Und so geschieht es. Die Mutter: „Ich hätte nie geglaubt, dass man Glück nachholen kann wie eine versäumte Schulstunde.“ Eheglück, Mutterglück, Kinderseligkeit – und das nach sieben Jahren. Wer’s glaubt, wird selig.
Produzent Günther Stapenhorst hatte schon als Produktionsleiter bei der Ufa mit Kästner bei der ersten Verfilmung von Emil und die Detektive (1931; R: Gerhard Lamprecht) zusammengearbeitet. Regisseur Josef von Baky kannte Kästner, damals unter dem Pseudonym Berthold Bürger, durch seine Arbeit an dem Ufa-Jubiläumsfilm Münchhausen (1943). Für Baky schrieb Kästner bereits 1943 ein Drehbuch zu „Das doppelte Lottchen“; daraus wurde nichts, denn nach Münchhausen erhielt Kästner wieder Schreibverbot. „Das doppelte Lottchen“ veröffentlichte er 1949 als Roman und schrieb 1950 für Stapenhorst das Drehbuch. Kästner prägt den Film durch seine Überleitungen und seine Kommentare. Er verknüpft geschickt die Parallelhandlungen, schildert ironisch innere Befindlichkeiten wie etwa die Nöte der kochunkundigen Luise und konstruiert nebenbei verbale Cliffhanger: „Was wird das wohl werden?“ oder spielt mit Erfahrungen der Nachkriegsgeneration: „Vom Waffenstillstand bis zum Frieden ist ein weiter Weg – auch bei Kindern.“ Kästners Tonfall prägt den Film, Josef von Bakys Regie ist fast nicht spürbar. Baky ist ein unsichtbarer Meister der Verzauberung. Luise sitzt, als sie als Lotte zu ihrer Mutter gefahren ist, mutterseelenallein auf dem Bahnsteig, ein eindringliches Bild der Verlassenheit, als sei es aus einem bitteren Heimkehrerfilm. Aber da kommt schon die Mutter, und alles wird gut.
Romy Schneider wünschte sich Baky als Regisseur für Robinson soll nicht sterben (1955); nur unter dieser Bedingung mochte sie das zweite Mal Sissy spielen. Thomas Koebner schrieb zum 100. Geburtstag von Baky eine Hommage unter dem Titel „Der Traum von Versöhnung“.
Das doppelte Lottchen erhielt 1951 den ersten Bundesfilmpreis für den besten Spielfilm und belegte den dritten Platz unter den erfolgreichsten Filmen der Saison 1950/1951.

Er wurde als deutscher Beitrag 1951 für die Filmfestspiele in Venedig nominiert und ging dort neben Titeln wie Rashomon (Japan 1950; R: Akira Kurosawa) und A Streetcar named Desire (USA 1951; R: Elia Kazan) hoffnungslos unter.

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