„Der überfüllte Film bleibt sonderbar leer“ (Friedrich Luft)
von Harun Farocki
Zu:
Martina Müller, Werner Dütsch:
Lola Montez – Eine Filmgeschichte
Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln 2002
€ 39.80
Das Buch ist mit Liebe und Mühe gemacht. 296 Seiten, viele Fotos, davon 105 im CinemaScope-Format und in Farbe, in schwarzes Leinen gebunden. Soviel wird kaum je für ein Filmbuch aufgewandt und höchstens für eines zu einem Klassiker. Aber das ist „Lola Montez“ von Max Ophüls nicht. Es ist nicht einmal sicher, dass dieser Film erinnert wird, wenn es um die wenigen Produktionen geht, die aus dem Deutschland der Nachkriegs- und Adenauerzeit herausragen.
Das Buch ist keine Streitschrift, die dem Film ausdrücklich die Anerkennung erkämpfen will, die er verdiente. Die verschaffen ihm Dütsch und Müller viel nachhaltiger, indem sie ihrem Gegenstand wohlbedachte Aufmerksamkeit im Tonfall größter Selbstverständlichkeit widmen, wie einer Hauptfigur in einem Roman. Und wie in der literarischen Fiktion erschaffen sie damit eine Parallelwelt, in der dieser Film glänzt. Ophüls erzählte seine Geschichte unter Einsatz von viel Geld und Technik, ohne sie dabei aufzublasen und in eben dieser Kunst folgen ihm die Autoren Müller und Dütsch mit ihrem Buch.
Als der Film, eine deutsch-französische Koproduktion, Ende 1955 in Paris und Anfang 1956 in München herauskam, waren die Produktionsfirmen schon hoch verschuldet und bald darauf bankrott. Der Film hatte 7 Millionen DM gekostet und war damit der teuerste im Deutschland nach dem Kriege – die spielte er bei weitem nicht ein. Aus Hilflosigkeit oder Bosheit wurde er bald neu synchronisiert und immer wieder gekürzt, von zunächst 113 Minuten, auf 110, auf 91, schließlich, in den USA, auf 75 Minuten. Es blieb diesem Film sogar versagt, als große Pleite erinnert zu werden.
Das viele Produktionsgeld wurde aufgebracht wegen der Hauptdarstellerin Martine Carol, 1951 mit „Caroline Chérie“ erfolgreich, danach als Lucretia Borgia, Lysistrata, Madame Pompadour, Du Barry. Kostümfilme „mit einer sexuell bedenkenlosen Heldin und den damals vor allem in Deutschland bescheidenen Möglichkeiten ihrer Entkleidung.“ (Müller/ Dütsch) Ophüls stellte mit einer Szene besonders klar, dass er die Serie der sexuellen Bedenkenlosigkeit und der bescheidenen Möglichkeiten nicht fortsetzen wollte. „Wenn sie vor dem Bayernkönig Ludwig I die vielversprechende Korsage aufreißt, um ihn von ihrer Eignung fürs Ballett zu überzeugen, schwenkt die Kamera hastig auf den Rücken der Dame, und der lakonische Ruf des Königs nach „Nadel und Faden“ eilt wie ein Kettenecho über Treppen und Gänge des Schlosses.“ (Karena Niehoff) „Eine gelungene Pointe, so scheint es, wenn die Szene jetzt zu Ende wäre, stattdessen fährt die Kamera mit dem laufenden Diener ins Treppenhaus. Der Ruf wird weitergegeben, jeder scheucht den nächsten auf. (…) Bei Brecht wäre die Auswalzung der Situation politisch motiviert, wäre eine Demonstration des Feudalismus draus geworden: Der Herrscher ruft und alle müssen laufen!“ (Wilfried Berghahn)
Ophüls hatte andere Vorstellungen von Politik und Feudalismus. „Sie greift nach dem Papiermesser, das auf dem Schreibtisch liegt und beginnt das Kleid aufzuschneiden. Genau so schnell SCHNEIDEN WIR / noch ehe man etwas richtig sieht, zum Vorzimmer.“ (Ophüls, Exposé)
Mit dem Messer, das nicht ins Spiel kam, haben wir die Idee des Tyrannenmordes, im nächsten Augenblick die der Selbstzerstörung, man müsste fürchten Blut zu sehen in Erwartung von Nacktheit. Die „Hatchiere, Lakaien und Kammerzofen“ (Müller/Dütsch), die nach Nadel und Faden rufen und laufen, künden nicht von der Macht des Königs, eher davon, dass die begehrenswerte Frau an dessen Stelle rückt, wenn die politische Herrschaft entzaubert ist. Lola ist keine Königin von Geburt, nur aufgrund ihrer Liebeskunst kann sie – für kurze Zeit – zur Konkubine aufsteigen.
Man gab Ophüls das viele Produktionsgeld, um die Schaulust auf Martine Carol seriös zu machen und wenn er nichts „richtig“ zeigen wollte, so mußte das Geld wenigstens dafür entschädigen.
Im Buch ist das Plakat zu der US-Fassung , „The Sins of Lola Montès“, wiedergegeben, mit der merkwürdigen Angabe: Produced by Max Ophüls. Das Werbemittel zu der am stärksten beschnittenen Fassung zeigt eben das, wovon Ophüls schnell wegschneiden wollte. Und während sie im Film energisch ihre Macht ausspielt, indem sie ihr Kleid aufreisst, lächelt sie auf dem Plakat gewinnend, ihre Hände sind nicht in Aktion zu sehen sondern liegen am Körper auf, um den Augenblick zu verewigen. Zu solchen Studien lädt das Buch mit seinen reichen und sehr verschiedenen Materialien ein, ein besonderes Vergnügen sind die Stills aus der Kopie, die etwas von der Transparenz einer Projektion wiedergeben. Es bietet sich an, die sorgfältig dokumentierten Änderungen nach der Premiere – Abweichungen bei der Synchronisation, weggelassene Sätze, Bilder, die herausgeschnitten wurden, weil die Personen weit am Rand stehen und bei falscher Projektion nicht zu sehen waren – nicht nur als Geschichte einer Zerstörung zu lesen. Vielmehr als Varianten, die mit einander in Vergleich gesetzt, die Motive und Ideen des Films erschließen helfen. Die Geschichte der Lola Montez war zum Zeitpunkt der Filmherstellung schon hundert Jahre in Umlauf und etwas von der Fortsetzungs- und Wiederholungslust ihres Aufstiegs und Niedergangs wirkt im Sprechen über den Film, seine Herstellung und Aufnahme, fort.
Vom ersten Entwurf an stand für Ophüls fest, die Geschichte einer Lola zu erzählen, die an der Verwertung der Geschichte ihres Lebens mitwirkt. „Am Ende eines bewegten Lebens spielt und mimt Lola Montès in einem amerikanischen Zirkus ihre „Passion“, das heisst, einige Episoden aus einem Leidensweg der Gefühle, der seinesgleichen sucht.“ (Francois Truffaut) „Dieser Zirkus ist tatsächlich die Hölle. Die Hölle für Lola Montès, die erniedrigt, verhöhnt und dazu verurteilt ist, sich der Menge zu verkaufen, weil sie das Vergnügen und den Reichtum zu sehr geliebt hat…Und dieser despotische Spielleiter (bewundernswert dargestellt von Peter Ustinov), der sie mit der Peitsche in der Hand dirigiert, ist kein anderer als der Teufel…“ (Ohne Namensnennung, Le Monde)
Zu Jahrmarkt und Zirkus gehören Übertreibung und unhaltbares Versprechen – wie das US-Plakat mit der Ansicht, die im Film nicht vorkommt. Die Peitsche knallt und aus der bleichen Frau wird eine Heilige, aus ihrem Peiniger der Teufel. Truffaut („Leidensweg, der seinesgleichen sucht“) liess sich von diesem Ton anstecken, schrieb, der Film sei neorea“isch und ein Autorenfilm und organisierte ein Manifest zur Verteidigung von Ophüls und Lola.
Übertreibung als Selbstschutz, die gebraucht wird, die eigene Rührung zu verbergen, das ist eine Pathos-Formel, die auch der Film anwendet. Ophüls machte den Spielleiter Ustinov zur Erzählstimme, die durch den Film führt, selbst in Rückblenden eingreift: „Der Maler malt, solange er kann,/ von Malen zu Malen hat sie weniger an./ Das Herz des Königs wird von Liebe erfasst,/ und er schenkt ihr einen kleinen Palast.“
Martina Müller hat sich über viele Jahre mit Ophüls und diesem Film beschäftigt, ist Bankbelege durchgegangen und Drehpläne, hat mit vielen der am Film beteiligten Gespräche oder Korrespondenzen geführt. Es kann den beiden Autoren nicht leicht gefallen sein, aus diesem Wissensschatz jeweils die Wahl so zu treffen, dass das viele Wissen im Hintergrund als Strahlung gegenwärtig bleibt. Das Buch ist hauptsächlich aus Dokumenten – aus denen auch hier zitiert wird – über die sich Müller/Dütsch in den eigenen Beiträgen nicht erheben.
„Zum Glück erforderte die Einrichtung der Szene für Ophüls und seine Assistenten mehrere Stunden und auch (der Chef-Kameramann) Matras brauchte nicht wenig Zeit, um das immense Dekor auszuleuchten. So hatte ich Zeit, in der Stadt an die fünfzig Meter Packleinen zu kaufen, in der Farbe, die dem Sand der Arena entsprach. Zwei Bühnenarbeiter haben den Stoff vor dem zurückfahrenden Kamerawagen abgerollt, um die Schienen abzudecken. Eine Tarnung, die man auf der Leinwand sieht, wenn man es weiss, aber es ging.“ (Der Kameramann Alain Douarinou) Auf den Photogrammen im Buch sind die Schienen unter dem Leinen deutlich zu erkennen, was mir in über dreissig Jahren nicht aufgefallen ist. Es geht hier um die erste Einstellung im Film und es ist merkwürdig, dass der Planungsstab den sonstigen Aufwand an Darstellern und Kostümen bedachte, nicht aber, dass die Schienen der Rückfahrt das ganze Bild durchziehen müssten. Als hätten auch die Producer vor Lola den Kopf verloren, „Zerfetzte Herzen, vergeudete Vermögen“, als sei die Bavaria ein umständlicher Hofstaat, in dem Dutzende nach Nadel und Faden riefen und liefen. Im Zirkus zeigt man den Umbau und macht ihn zum Teil der Darbietung und es stellt sich die Frage, was die kinematographische Entsprechung dazu sein kann. Wahrscheinlich müßte der Film zeigen, wie choreographierte Pagen die Schienen mit wunderbarem Schwung abdecken.
Die Moritatensprache, die Ophüls auch für die Bilder der Zirkusszenen wählte – keulenjonglierende Lola-Ballette, allegorische Darstellung von Lolas Aufstieg als Seil-Nummer, Pagen, die mit einen Lola-Kopf auf der Stange Geld einsammeln – sie macht kenntlich, wie sehr sie veräußerlicht und fragmentiert. Aufs Dramatischste wird das Gefühl an den Augenblick gebunden, aber nach jedem Ausbruch geht der Sinn aufs Innerliche und Ganze. Da wird eine Sehnsucht erweckt, die der Film nicht stillen wollte.
„Ophüls interessieren offensichtlich weniger die starken Momente der Handlung als das, was dazwischen passiert.“ (Truffaut) „Während er die Wahl zwischen zwanzig wichtigen Episoden hatte, von denen jede als Material für einen Film gereicht hätte, scheint der Filmemacher ihren paradoxen Teil gewählt zu haben, um die Episoden nur zu streifen und sie uns als Nebensache zu zeigen. Herausragende historisch getreue Nachbildungen, die eine enorme Anstrengung der Inszenierung voraussetzen, dienen so nur der Hervorhebung eines unbedeutenden Zwischenfalls, der dem wesentlichen Ereignis vorausgeht oder folgt. Über dieses merkwürdige Erzählsystem würde ich gerne sagen, dass es synkopiert ist, wobei der Rhythmus auf dem unbetonten Takt liegt.“ (André Bazin)
Die Rückblenden: Lola, die einen Verehrer ihrer Mutter heiratet, Reise mit Franz Liszt, Affäre in Bayern mit Ludwig I, sind keineswegs die Berichtigung der unwahren Erzählung in Zirkussprache. Mit anderen Mitteln sind sie in gleichem Masse stilisiert wie die Zirkusszenen, einige sind Aussenaufnahmen bei Tag und Sonne und sehen doch aus wie aus einer Welt, in der es Filmkameras nicht gibt. Die radikalen Verstösse gegen die Ökonomie der Produktion, die ein paar Jahre später von Autoren der Nouvelle Vague zur Methode gemacht wurden, verschaffen der Imagination wunderbaren Raum. Bei aller Künstlichkeit in Farbe und Dekor gelingt es, jedem Augenblick ein selbstverständliches Ereignisrecht zu verschaffen.
„Alle Bewegtheit des Films kommt nicht von der Frau, die ihn in Bewegung setzte, sondern vom Bild.“ Damit hat Karena Niehoff in einer Kritik im Berliner „Der Tagesspiegel“ mehr getroffen als etwa Wilfried Berghahn, ein späterer Mitbegründer der „Filmkritik“, der darauf bestand, ein Filmbild werde nur im Aktionszentrum erlebt: „Das Filmbild hat keinen Rahmen, es ist im strengen Sinne kein ‘Bild’. Erlebt wird nur sein Aktionszentrum. Doch eben das: Aktion in seinen Film hineinzubringen, gelingt Ophüls diesmal nicht.“ Dass in diesem Film die Aktion nicht nur von den Personen kommt, das ist wohl die Hauptsache, und wohl nur Kubrick mit seinem „2001“ hat mit einem Großfilm Erfolg gehabt, bei dem die Darsteller so vollkommen im Film aufgehoben sind, im Film aufgehen.
Dass Ophüls seinen Star Lola/Carol in dieser Weise verarbeitete, das ist ihm am meisten verübelt worden.
Die Schönheit dieses Films war zu nichts zu gebrauchen. Wohlmeinend wurde immer wieder, auch von Bazin, der Film „Citizen Cane“ als Referenz angeführt, um eine Bewunderung des Virtuosen zu beschwören. Wenn Schönheit kein Selbstwert sein kann, dann steht sie hier für das, was an einer Figur wie Lola Montes nicht benannt und verbraucht werden kann.
In den Zirkusszenen, als sie ihre große Geschichte in kleiner Münze verschleisst, da muss sie arbeiten, ihre tägliche Darstellung ist auch ein Versuch, sich das eigene Leben, das eigene Geheimnis, anzueignen.
Am Ende erklärt der Spielleiter Lola seine Liebe. Peter Ustinov als Spielleiter, der noch heute, fast fünfzig Jahre später, seinen Namen in Werbespots verwertet, für die Neufirmierung einer Bank, sogar für die Weltausstellung in Hannover, ohne dass noch erinnerlich wäre, womit er sich den gemacht hat.