Montag, 07.04.2003

Harun Farocki, Kriegstagebuch (3)

31.3.03
„Erstausstrahlung“ von Madonnas „American Life“ auf dem Musikkanal Viva, – dem Sender mit dem Friedens-Zeichen als Logo. Der Clip will sich gegen jeden Einwand schützen, indem er ins Zentrum eine Modenschau stellt, mit Mädchen in Talibankleidung auf dem Laufsteg, über den schliesslich ein jeepähnliches Fahrzeug mit Mädchen in Uniform hereinbraust. Es soll also um die Mode der Politik gehen. Es war eine Politik der Mode, dass Anti-Militaristen Uniform-Teile anlegten, um deren Magie zu brechen. Umgekehrt haben US-Soldaten im Vietnam-Krieg Attribute der Protestbewegung angenommen: lange Haare, Drogen, Rock-Musik. All das ist seither völlig entzaubert und taugt nicht mehr zum Ausweis einer Geisteshaltung. Darüber gibt es schon Bücher und das muss Madonna, die als nicht dumm gilt, wissen. Dass der Clip schon vor der Premiere umgeschnitten worden sein soll und danach wieder zurückgezogen wurde, also eine Provokation bedeuten soll, hat mit der Krise der Institution Militär zu tun. Weil es für das überkommene Militär keine Funktion gibt, wird der Soldatenrock wieder zu einem Heiligtum. Zur nationalen Folklore trägt Madonna bei, indem sie so tut, als könnte sie für ihren Clip an die Wand gestellt werden. (Ein „Fashion Victim“). Zu unterstellen, ihr Spiel könne die Soldaten beleidigen, während jeder zweite Arbeitslose in Armee-Klamotten rumläuft („Reserve-Armee“), weist auf die ideologische Konfusion und ist damit vielleicht sogar ein subversiver Akt.

2.4.03 (Chicago)
Der Krieg ist eher in den Börsen-Schwankungen abzulesen als in den Alltagsbildern. In den Bars laufen nur Sportbilder. Im Hotel müssen wir durch viele Kanäle schalten, bevor der Krieg erscheint. CNN hat hier einen anderen Tonfall als in Europa. Der Grundton ist der eines Sportreporters, der entschieden für das eigene Team Stimmung macht. Strassen im Irak sind zu sehen, auf denen Panzer in Richtung Bagdad fahren. Bei Sportereignissen ist es heute üblich geworden, vor und nach dem Spiel Experten einzuladen und mit ihnen zu sprechen, weil das Bild nichts hergibt. Hier gibt das Bild nie etwas her, die „überraschend heftige Gegenwehr“ ist nie zu sehen und auch eine Totale von Bagdad während des Bombardements macht nicht deutlich, was getroffen wurde und mit welchen Folgen. Also werden auch hier Experten zugeschaltet, ein ehemaliger Verteidigungsminister und ein ehemaliger Aussenminister. Sie haben an der Kriegsführung einiges auszusetzen und am aussenpolitischen Kurs der Bush-Regierung, meinen das aber konstruktiv. Der Ex-Aussenmminister sagt, es wäre schön, dass Bush „this animal“ Sadam jetzt killen wolle. Mal erscheint das Bild des TV-Hosts links und daneben, übereinander, sind die beiden Experten zu sehen, im nächsten Augenblick ist der eine Experte grösser zu sehen und die beiden anderen Köpfe sind in kleinere Rahmen gekästelt. Das Umschalten und grösser und kleiner erscheinen lassen von zugeschalteten Köpfen ist sowieso die Hauptaktion bei CNN. Hier ist nun auch stets noch die irakische Landschaft mit den Fahrtaufnahmen dabei.

5.4.03
Anders als im vorigen Krieg gegen den Irak 1991 ist die Kriegsführung darum bemüht, möglichst keine oder möglichst wenige zivile Opfer zu verursachen. Die Live-Bilder aus Bagdad, Totalen, die das Ausmass der Bombardements nicht ermessen lassen und auch die langen Einstellungen von Truppenbewegungen irgendwo lassen sich mit den Bildern aus Überwachungskameras in einem Bürohaus oder Krankenhaus vergleichen. Sie zeigen nicht alles und es ist ihnen nicht abzulesen, ob einer die Bücher fälscht oder die Narkose verpatzt. Aber dass es die Kameras und die Bilder gibt, das steht für eine gewisse Ordnung und soll für Rechtlichkeit gelten. Wir sind als Zuschauer in die Rolle des Sicherheitspersonals versetzt, vor dem diese Bilder ablaufen. In jedem Film sind die Leute vor diesen Kontrollschirmen elende Idioten und kriegen eins auf die Mütze beim Überfall. Sie werden wenigstens bezahlt fürs absitzen, wenn auch schlecht.

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