Freitag, 12.03.2004

Losing Las Vegas

Einer der merkwürdigsten Filme der letzten Zeit: „The Cooler“, Regie Wayne Kramer. William H. Macy in seiner meines Wissens nach ersten wirklichen Hauptrolle. Er spielt einen Pech abstrahlenden Loser namens Bernie Lootz, aus dessen Unglück Alec Baldwin als Casinobesitzer in Las Vegas Kapital schlägt, indem er ihn immer an die Tische schickt, wo grad wer Glück hat. Macys Pech ist es, dann plötzlich selbst mal Glück zu haben: Er verliebt sich. Darüber ist dann allerdings der Casinobesitzer, der ihm aus ganz anderen Gründen vor Jahren mal mit einem Baseballschläger die Kniescheibe zerschmettert hatte, unglücklich. Er tritt Macys zu diesem Zeitpunkt noch als schwanger gelten müssenden Schwiegertochter, die mit seinem verschollenen Sohn plötzlich aus dem nichts auftaucht, in den Bauch (sie ist, wie sich nach dem Tritt herausstellt, doch nicht schwanger, sondern will mit dem Kissen unterm Pulli Mitleid hervorrufen und Kohle aus Macy herauskitzeln) und zerschlägt jetzt dem Sohn, der zuviel gewonnen hat, die Kniescheibe. Das findet aber jeder normal da, that’s Vegas, jedenfalls ist es kein ausreichender Kündigungsgrund für Macy. Die Casinobesitzer machen weiter, die Kellnerinnen machen weiter, die Geschichtenerzähler machen weiter.

Die Einzelteile des Films sind so montiert, dass daraus Buster Keatons Haus in „One Week“ entsteht. Entweder die Reihenfolge der Einzelteile stimmt nicht oder die Proportionen, man kriegt es bis zum Schluss nicht ganz klar im Kopf und sitzt ungläubig im Kino, teils nur durch eine hauchdünne Membran von der gutgelaunten Hysterie, die minütlich wächst, getrennt.

Am schönsten ist der Film, wenn er sich ganz hineinfallen lässt in völlig unabgefederte visuelle Spirenzien, die absolut NICHTS erzählen wollen:

* Ein Salzstreuer, den Macy im Diner umstößt, ist nicht nur ins Maßlose vergrößert; die völlig banale Art seines Umfallens ist noch dazu in Superzeitlupe zerdehnt. Beides, um zu sagen: „Der Macy, der hat Pech. Mann, hat der Macy ein Pech. Dass der Macy aber so ein Pech haben muss.“ (Das wusste man natürlich schon längst vorher, schon bevor der Film angefangen hatte).

* Macys zweiter Gang aus dem Fahrstuhl. Er ist jetzt, anders als zu Beginn, verliebt und weiß, dass auch er geliebt wird. Alles hat sich geändert, Luck is on his side. Als er einen Fuß vor den anderen setzt, wird dieser eine Schritt, vielleicht eine halbe Sekunde lang, plötzlich ganz aufwändig von unten durch eine Glasplatte gefilmt. Es ist eine formale Differenz, ein Sprung, aus dem nichts folgt und der auch seinerseits aus nichts folgt. Man versucht es sich einen Moment lang zu erklären und die Schuhsohle mit Macys existentieller Veränderung zusammenzubringen, dann kapituliert man vor der Unverhältnismäßigkeit der Mittel.

* Plötzlich, an einem der Spieltische, die Röntgenaufnahme einer würfelnden Hand, man fragt sich noch, was das jetzt wieder soll, da fährt die Kamera zurück. Sie hat offenbar in Baldwins Auge hineingeschaut und damit seinen Röntgenblick nachempfunden, der nur hier, an dieser einen Stelle zum Einsatz kommt: So ein Röntgenblick, der will doch für was stehen, wundert sich die kurze Sequenz noch, im nächsten Augenblick ist sie schon vergessen, von einer weiteren Unbeholfenheit verschluckt worden.

In ein solches Metapher-sein-wollen versteigt sich der Film immer wieder, auch in den Dialogen: Baldwins Casino alter Schule inmitten der neuen, modischen Läden des Strip: ein „Museum“. Der abgehalfterte, alt gewordene Entertainer, der an der Nadel hängt und immer noch weiter singt: ein „Löwe“, der verwundet auf seinen Tod wartet und sich von den anderen Tieren der Herde zum Sterben entfernt.

Man muss sich Wayne Kramer als jemanden vorstellen, der wie ein Kind irgendwann entnervt die Bauklötze hinschmeißt, weil nichts so hinhaut, wie er es sich vorgestellt hat. Er hat die Schauspieler, er hat das Geld, er hat eine schöne Märchengeschichte. Er versteht es selbst nicht so ganz. Vielleicht hat er einfach nur Pech. Ohne rechten Enthusiasmus, eher aus familiärer Verbundenheit, versuchen die Eltern das ganze dann doch noch hinzubiegen am Schneidetisch.

Oder, und das fände ich noch viel toller: er hat das GENAU SO gewollt. Dann aber wäre er ein Genie.

Heinz Emigholz hat über „The Fountainhead“ von King Vidor geschrieben: „An diesem Film stimmt nichts“, und zwei Sätze weiter: „Gerade deshalb lieben wir ihn.“ Beides läßt sich auch über „The Cooler“ sagen.

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