Donnerstag, 25.08.2005

Ein paar Dinge über Michel Delahaye

Ich weiß nicht, wann mir der Name Michel Delahaye zum ersten Mal begegnet ist. Vielleicht im Abspann von Eustaches „Offre d’Emploi“. Vielleicht eher früher, in einer Nebenrolle bei Godard, „Alphaville“ oder „Bande à part“. Vielleicht, als ich ein langes Gespräch mit Bresson in der Filmkritik las und er die Fragen stellte. Wie so oft hakt sich ein Name erst dann fest, wenn er an zwei Ecken auftaucht, die verbunden sind, deren Verbindung aber nicht vollständig erwartbar war und die deshalb etwas kurz aufblitzen lässt, eine Ahnung von Umwegen, Streuungen. Jedenfalls hatten die drei Orte, an denen ich den Namen las, den, der ihn trägt, für mich als Fragenden, Schreibenden und Schauspielenden charakterisiert, und das gefiel mir.

Geboren ist er 1929, ungefähr zur gleichen Zeit wie Godard (*30), Rivette (*28), Truffaut (*32) oder Demy (*31). Demy kommt aus Nantes, Delahaye ist ganz in der Nähe groß geworden. Im Netz findet man eine Biographie, die sich so paraphrasieren lässt: Sein religiöser Vater war im ersten Weltkrieg Pilot; jemand, „who lived poorly with love for the beautiful“. 1951 geht Delahaye zum Wehrdienst nach Deutschland, 1953 wird er wegen Diebstahls verurteilt. Es folgen Arbeiten als Postbeamter und Fabrikarbeiter. In den Fünfzigern kommt er nach Paris, verdient sein Geld da zuerst an einem Zeitungsstand, dann in einem Buchladen. Durch Vermittlung von Eric Rohmer stößt er 1959 zu den „Cahiers“ und schreibt dort die ganzen Sechziger hindurch. Es entstehen viele Gespräche mit Filmemachern und Theoretikern: Dreyer, Bresson, Lévi-Strauss, Barthes. Parallel dazu arbeitet er als Schauspieler und – so stelle ich es mir vor – auch darüber hinaus an Filmen. Truffaut und er sitzen an gemeinsamen Projekten, in den Filmen von Godard tritt er wie andere Cahiers-Schreiber in kleineren Rollen auf, später in Rivettes „La religieuse“. Mit Jean Renoir soll er eng befreundet gewesen sein – mir fällt die schöne Stelle in Jean Eustaches Renoir-Porträt ein: Wie begeistert Renoir da über den Schimmelfleck in seiner feuchten Wohnung spricht. Der Interviewer hatte ihn nach einer Definition von Poesie gefragt, und um klar zu machen, dass es dabei nicht um irgendeinen phantastischen Schmarrn geht, sondern um etwas sehr Reales, beschreibt er die feuchte Fläche, die er von seinem Bett aus sehen konnte. Wie ein beweglicher Rorschach-Test breitet sich dieser Fleck aus und generiert dabei immer neue Farben und Formen. Neben Armut bedeutet der Schimmel auch noch etwas ganz anderes, Undefiniertes, Unplanbares. Beim Erzählen leuchten Renoirs Augen.

Als Delahaye bei den „Cahiers“ 1969 rausfliegt, scheint er keine Lust mehr aufs Kino gehabt zu haben. Jedenfalls wird er Sicherheitsbeamter, anschließend Schauspieler fürs Fernsehen und Theater. Und er schreibt. 1974 erscheint der Roman „L’Archange et Robinson font du Bateau“, aus dem ein Film hätte werden sollen, von Claude Miller mit Depardieu in der Hauptrolle. Das Projekt zerschlägt sich, wer weiß warum. Für „Passe-montagne“ schreibt Delahaye später gemeinsam mit Jean-Paul Stévenin das Drehbuch (Stévenin ist auch so eine Figur, über die mehr herauszufinden wäre). Zwischen 1984 und 1994 verdient Delahaye das wenige Geld, das er hat, als Sozialarbeiter in einer Organisation mit dem Namen 24/24. Ab 1998, inzwischen ist er knapp siebzig, schreibt er wieder regelmäßig über Filme, jetzt in der Zeitschrift „La lettre du cinéma“, die in ihrer Anfangsphase im gleichen Verlag wie „Trafic“ erschien. Die Zeitschrift ist 1996 gegründet worden, die Namen Hervé LeRoux und Vincent Dieutre tauchen in fast jeder Ausgabe im Inhaltsverzeichnis auf. Offenbar ist Delahaye auch immer noch – oder wieder – Schauspieler, jetzt in den Filmen jüngerer Autoren und Regisseure, die bei „La lettre du cinéma“ mitmachen. Als mir ein Freund kürzlich eine Ausgabe der Zeitschrift aus Paris mitbrachte, erzählte er, sie sei ihm im Buchladen mit den Worten ausgehändigt worden, das sei die Zeitschrift, die keiner kaufe.

Allein die Internet Movie Database listet 85 Filme mit Delahaye als Schauspieler auf, und ich bin mir sicher, dass es mehr sein müssen, weil die zwei einzigen, die ich gut kenne, dort nicht auftauchen: Der oben erwähnte „Offre d’Emploi“ von Jean Eustache, 1980, nicht lange vor Eustaches Tod entstanden. Delahaye spielt einen Arbeitslosen, der eine Stellenanzeige liest, einen Bewerbungsbrief schreibt und den der Film dann verlässt, um stattdessen diesem Schreiben zu folgen und den Begutachtungsprozeduren, die es durchläuft. Außerdem „Kinostadt Paris“ von Harun Farocki und Manfred Blank, 1988. Einer der Witze in diesem Film ist das Missverständnis, dass Delahaye die beiden Berliner für „Das deutsche Fernsehen“ hält. Er wird in einem Pariser Café, ganz ähnlich dem, in dem er in Eustaches Film acht Jahre vorher seine Bewerbung geschrieben hat, danach gefragt, was das Kino in den 80er Jahren in Paris bedeute. Delahaye erzählt dann, wie er kurz nach 1968 aus der „Cahiers“-Redaktion rausgeworfen wurde, weil er sich nicht marxistisch-leninistisch auf Linie bringen lassen wollte. Jetzt, zwanzig Jahre später, habe er noch nicht einmal genug Geld, um ins Kino zu gehen. Schon witzig, sagt er verbittert, dass das Deutsche Fernsehen ausgerechnet ihn zum Kino befrage. Wie er da sitzt, erinnert er mich an Michel Subor in den Filmen von Claire Denis. Aber bei Subor leuchtet die Kraft eher aus dem Körper heraus, während sie bei Delahaye gefangen zu sein scheint oder sich nach innen wendet.

***

In jemanden wie Delahaye, stelle ich mir vor, haben gut sechzig Jahre Kinogeschichte hineingestrahlt. Tausende von Filmen, Begegnungen, Gesprächen darüber, Auseinandersetzungen, Verwerfungen und Brüche, die in ihm als Spuren aufgehoben sind. Seine Geschichte wird eine sein, die mit der Liebe zum Kino zu tun hat und bestimmt auch damit, was passiert, wenn das Kino einen nicht mit der gleichen Kraft zurückliebt.

– Volker Pantenburg –

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