Sonntag, 02.12.2007

MADONNEN

Man kann ganz mutlos werden, wenn man in der heutigen FAS den Text über Maria Speths MADONNEN liest.

Grotesk, dass ausgerechnet ein Film mit einer derart komplizierten Produktions- und Fördergeschichte, bei dem – wenn ich’s richtig weiß – lange Zeit nicht klar war, ob er regulär ins Kino kommen würde, hier als paradigmatisch für ein von irgendwelchen Fördergremien verhätscheltes Kunstkino diskutiert wird. Jede dumpfe Verallgemeinerungsmutmaßung („es wird wohl jeder…“, „und immer…“), jedes hässliche Ressentiment („offenbar zu faul war…“, „scheinen sich zu fein zu sein…“) steht im Dienst eines fröhlich-regressiven und zum nationalen Anliegen hochgepitchten Begriffs vom Kino.

„Regel Nummer eins: Sie brauchen eine Handlung.“ (File under: Kleines Film-ABC, Syd Field für Arme.) Ach herrje.

Ganz hübsche Pointe allerdings, dass die amerikanischen Filmemacher Lubitsch und Wilder hier umstandslos renationalisiert werden, um einmal mehr das alte Lied vom fehlenden deutschen Erzählkino runterzuleiern. Eine karitative Fehleinschätzung scheint mir auch, dass die alte Tante namens Dreiaktstruktur es nötig habe, dass jemand ihr mit einem FAS-Artikel publizistisch über die Straße hilft; bei den letzten Familientreffen der Deutschen Filmakademie kam sie mir fideler und tyrannischer vor als je zuvor.

Für mich war MADONNEN einer der erstaunlichsten Filme der letzten Berlinale. Wer darin nur Pizza in Echtzeit sehen will und statt des Films eine Zustandsbeschreibung des „deutschen Kinos“ erwartet (was das sein soll, dieses „deutsche Kino“, das war mir noch nie klar), ist selbst schuld. Mutlos wird man, weil das Produktionsumfeld in Deutschland eben wahrscheinlich doch so knallhart ist, dass ein Text wie der in der FAS darüber mitentscheidet, ob weitere solche Filme überhaupt gemacht werden können.

Peripher sei Dank, dass man MADONNEN ab Donnerstag im Kino sehen kann.

„Il n’y a pas de loi, ma Sophie, dans le cinéma. C’est pour ça que les gens l’aiment encore.“ (Godard: PASSION, 1981)

8 Kommentare zu “MADONNEN”

  1. Christoph schreibt:

    Wenn ich daran denke, wie zärtlich, frei und überraschend die Szenen mit dem amerikanischen Soldaten sind, wie „unpädagisch” Sandra Hüller spielen darf, wie erwachsen der Film erzählt, ohne Gefallsucht, ohne Sentiment — verblasst die Kategorie „deutsches Kino” dahinter völlig.

    Umgekehrt ist man versucht, in der Unmündigkeit vieler deutscher Filme eine Art nationale Krankheit zu sehen: die Pädagogik (AUF DER ANDEREN SEITE), die Sentimentalität (VIER MINUTEN), die Gefallsucht (WINTERREISE), die Unfreiheit (DAS LEBEN DER ANDEREN) …

    P.S.: Ernst Lubitsch als deutschen Filmemacher zu bezeichnen ist korrekt, finde ich. Sicher, er hat seine bekanntesten Filme in Hollywood gemacht, aber in Deutschland hat er immerhin 39 Filme gedreht (von insgesamt 72), und in Berlin hat er ohne Zweifel seine formenden Erfahrungen gemacht, u.a. als Schauspieler bei Max Reinhardt. Anders als gebürtige Österreicher Wilder, der vor den Nazis fliehen musste, wurde Lubitsch übrigens von Mary Pickford 1923 nach Hollywood geholt – so gut war der Ruf seiner deutschen Filme. Davon völlig abgesehen ist es natürlich absurd, ausgerechnet Lubitsch gegen Maria Speth auszuspielen.

  2. Volker Pantenburg schreibt:

    Schon klar: Lubitsch hat etliche Filme in Deutschland gemacht und ist als erfolgreicher Filmemacher früh nach Hollywood gegangen. Ich mutmaße allerdings, dass Adorján nicht an DIE AUSTERNPRINZESSIN oder KOHLHIESELS TÖCHTER denkt, wenn sie „Lubitsch“ sagt (falls sie überhaupt an Filme denkt). Und um Geburtsorte oder Staatsbürgerschaften ging es mir bei der Bezeichnung „amerikanische Filmemacher“ nicht; ich finde die Zuschreibung meist schlicht absurd (kleine Nebenpointe zu Wilder/Adorján noch: In Berlin hat Wilder in den Zwanzigern unter anderem für die Zeitschrift TEMPO gearbeitet).

    Was die merkwürdige Kategorie „Nation“ angeht, so geht es mir anders als Dir: Ich würde die negativen Zuschreibungen, die Du als „Unmündigkeit“ beschreibst, ebensowenig wie die skurrilen Forderungen nach dem „Erzählen“ auf etwas wie Nation beziehen wollen. Mir ist schleierhaft, welchen Sinn das haben soll. Eine produktive oder auch nur interessante Diskussion darüber kann ich mir kaum vorstellen. Man ist damit sofort auf einer filmpolitischen Ebene unterwegs. Das mag (auf dieser Ebene) seine Funktion haben, aber um über einzelne Filme zu sprechen kommt es mir fast immer untauglich vor. Was nicht heißt, dass Filme per se nicht auf beispielsweise nationale Geschichte beziehbar wären, aber dafür braucht es konkrete Beschreibungen von Hintergründen, Erzählweisen, Eigenheiten (ein Beispiel neulich Bert Rebhandls Text über das rumänische Kino in der taz).

  3. knoerer schreibt:

    Diese furchtbare, furchtbare Frau Adorján. Ich habe gestern – und ich bereue es hinterher stets – auch die FAS gekauft. (Aber immerhin stand da auch schon, dass der Vizeressortleiter Matussek beim Spiegel rausfliegt!) Über die schiere Dummheit dieser Person hinaus darf man da, denke ich, auch eine Gekränktheit spüren, darüber, dass das von ihr gemeinsam mit Heike Makatsch verfasste Buch zum Film „Schwesterherz“ – habe ich nicht gesehen, will ich nicht sehen – bzw. eben dieser selbst nicht gerade freundlich besprochen wurde. Auch wieder so typisch FAZ/FAS, dass sie auf derlei denkbare Hintergrundmotiviertheiten nicht hinweisen. Und Peter Körte, der doch wohl ein kluger Kritiker ist und der doch wohl das Filmressort da leitet, der sollte nach dieser von ihm nicht verhinderten filmkritischen Bankrotterklärung den Weg aller Vizeressortleiter gehen oder eine Erwiderung schreiben, hätte er eine Ehre oder sowas im Leib.

  4. Christoph schreibt:

    Ich weiss nicht, ob die Ablehnung einer nationalen Kategorie nicht vorschnell ist… Es geht ja nicht nur um einen Sprach- und Kulturraum, sondern auch um Strukturen, um eine Produktionswirklichkeit, die sich in den Filmen einschreibt. Wenn ich schreibe: „ein deutscher Film”, dann meine ich einen Film, der unter bestimmten Bedingungen entstanden ist. Lässt man eine deutsche Jahresproduktion Revue passieren, ergeben sich (erschreckend) viele Gemeinsamkeiten. Übrigens ist es im französischen Kino nicht viel anders. Ich verstehe nicht genau, warum dich diese Kategorie stört. Aus meiner Sicht macht es auch Sinn, von der amerikanischen Short-Story zu sprechen oder der schweizer Architektur… Natürlich, wenn man über einen Film schreibt, sollte man diesen Film auch meinen, versuchen, diesem Film gerecht zu werden. Und je besser er ist, desto weniger relevant ist der Sumpf, aus der er gekommen ist. Aber Münchhausen ist eine Ausnahme…

  5. Volker Pantenburg schreibt:

    Wie gesagt: Ich streite nicht ab (das wäre naiv), dass „Nation“ eine Kategorie ist, die in der Welt ist und etwas bezeichnet. Eine Produktionsrealität, Förderzusammenhänge etc. (obwohl: müsste man da nicht eher über die Bundesländer sprechen oder über die Bundeskulturstiftung?).

    Vielleicht ein paar Punkte, ich bin nicht sicher, ob sie präzisieren, was ich meine:

    1. Ich habe den Eindruck, dass eine Rubrik wie „deutscher Film“ in den seltensten Fällen das Ergebnis einer analytischen oder sonstwie gearteten Beschäftigung mit Filmen ist, sondern fast immer diffus den Ausgangspunkt des Sprechens und Handelns bildet. Ob das im Modus des Vorwurfs und der Kritik („der deutsche Film muss“) oder in der vollmundigen Rhetorik des „Wir-sind-wieder-wer“ geschieht, markiert strukturell zwei Seiten einer Auffassung.

    2. Dieses Sprechen ist meist ein institutionelles Sprechen, das mich wenig interessiert. Entweder eines, das aus Institutionen kommt oder eines, das selbst Institution sein will (oder Institutionen als Partner braucht – das ist absolut nachvollziehbar, wenn man Filme macht, aber ich mache keine). Das Sprechen von „Europa“, wie gestern beim „Europäischen Filmpreis“, ist um keinen Deut besser, da ist nur das Referenzobjekt des Standortsprechs ausgetauscht.

    3. Ich glaube auch nicht an das Sprechen von „Jahresproduktionen“ (sowenig ich meist mit dem Sprechen von „Festivaljahrgängen“ etwas anfangen kann). Selbst wenn man 100 aktuelle Produktionen sieht (oder 30 bis 40 Filme auf einem Festival) bleibt das doch partikular, und genau dieses Partikulare, Zerfaserte, Chaotische gefällt mir daran sehr.

    4. Ebensowenig glaube ich an so etwas wie eine gemeinsame kinematographische „Heimat“ von Filmen und Filmemachern (manchmal hört man ja solche cinéphilen Verklärungen). Viele Filmemacher, die ich schätze, wären (wenn überhaupt) Bürger eines gemeinsamen Auslands. Genau das scheint mir die Utopie: im Austausch mit allem Denkbaren sein zu können, ohne dazugehören zu müssen.

    5. Nochmal auf Lubitsch bezogen: Ja, man kann und sollte Lubitschs frühe Filme angucken und sie auf ihre Kontexte beziehen. Aufs Theater, auf Max Reinhardt, auf seine Anfänge als Schauspieler, auf Berlin in den Zwanzigern. Vielleicht auch auf Lotte Eisners Bezeichnung von Lubitschs „jüdischem Slapstick“, wenn man beschreibt, was das im Einzelnen meinen könnte. Wofür braucht es da noch die Makro-Kategorie „Deutsch“? Was bezeichnet sie?

    6. Eigentlich glaube ich auch nicht an Glaubensbekenntnisse. Entschuldige, dass es jetzt so tabellarisch wurde und aussieht wie das Credo eines Agnostikers.

  6. Christoph schreibt:

    Wahrscheinlich ist die Perspektive eines Kritikers / Wissenschaftlers notwendigerweise transnationaler als die eines Filmemachers, der ja in aller Regel einen ganz konkreten Arbeitsort hat. Die europäische Szene ist in dieser Hinsicht kein bisschen durchlässig. Für einen deutschen Regisseur ist beinahe unmöglich, das System zu wechseln und etwa einen dänischen oder englischen Film zu machen (Koproduktionen bedeuten in der Regel nur die Kombination verschiedener Geldquellen, haben aber auf die konkrete Arbeit wenig Einfluss). Selbst Fachleute aus Nachbarländern zu engagieren ist heikel. Die deutsche Förderpolitik ist dezidiert national in dem Sinne, dass das Geld zu 150 % vor Ort ausgegeben werden muss, was künstlerisch natürlich keinen Sinn macht, aber angeblich Arbeitsplätze schafft. Lediglich in Frankreich gibt es hin und wieder Arbeitsmöglichkeiten für „Groß-Cineasten” aus anderen Teilen der Welt.

    Ich gebe dir völlig recht, dass sehr viel Unsinn geschrieben wird unter der Überschrift „Der deutsche Film” oder auch „Der europäische Film”, aber ich glaube, dass gute Filme eigentlich immer konkret verortet sind, in einer Sprache, einem Milieu, einer handwerklichen Tradition — insofern ist für mich die Kategorie „deutscher Film” unbedingt sinnvoll. „Bürger eines gemeinsamen Auslands” verstehe ich nicht ganz — klingt wie internationalistische Propaganda. Der einzige Ort, der „kein Ort” ist vielleicht, ist Hollywood…

  7. Rainer Knepperges schreibt:

    „Selbst Fachleute aus Nachbarländern zu engagieren ist heikel.“ (Christoph)

    Tom Tykwer in der Akademie der Künste, am 8. Februar 2004 auf die Frage „Was ich am deutschen Film hasse“: …das Lächeln von Hannelore Elsner, das Glühen von Nina Hoss. Das Zwinkern von Heino Ferch, das Schmunzeln von Joachim Król, das Grinsen von Moritz Bleibtreu, das Lachen von Benno Fürmann, das Geiern von Jürgen Vogel. Die Stille von Angela Schanelec. Die Ruhe von Christian Petzold. Die Strenge von Romuald Karmakar. Die Inbrunst von Oskar Roehler. Das Sentiment von Caroline Link. Die Neugier von Dominik Graf. Die Leidenschaft von Rosa von Praunheim. Die Wehmut von Dani Levy. Die Demut von Andreas Dresen. Die Anmut von Achim von Borries. Der Unmut von Ulrich Köhler. Die Präzision von Hans Christian Schmid. Die Sorgfalt von Wolfgang Becker. Die Triebhaftigkeit von Hans Weingartner. Die Lakonie von Detlev Buck.

    „Übrigens ist es im französischen Kino nicht viel anders.“ (Christoph)

    „Eine Beengung ergreift mich immer in Räumen, wo die Fenster weit weg von irgendeiner Dachrinne sind, und wo man sich im Fall des Falles nicht in Sicherheit bringen kann.“ (Emmanuel Bove: ARMAND)

  8. Volker Pantenburg schreibt:

    Heute in der SZ nochmal in a nutshell was ich meinte, als ich vom üblichen Sprechen über „deutsches“ oder „europäisches“ Kino schrieb:

    „Wir müssen den Wert der Kinofilme steigern“. Wolf Bauer und Thomas Friedl über die Gründung ihrer Produktionsfirma Ufa Cinema und kommerzielle Qualität (SZ Sa/So 15.16.Dezember 2007, S. 21, „Medien“)

    Bauer: […] Wir müssen den Attraktionswert [Anm.: in der Überschrift kurzentschlossen zu „Wert“ eingedampft] der Kinofilme steigern. Wir werden Budgets zwischen vier und 15 Millionen Euro stemmen, in Ausnahmefällen auch darüber. In Frankreich liegen die Budgets durchschnittlich über sechs, in England über elf Millionen Euro. Um da konkurrenzfähig zu werden, müssen wir nachziehen. Wir glauben, dass wir das mit der Ufa Cinema schaffen. […] Im deutschen Produzentenmarrkt gibt es eine Strukturschwäche. Es gibt viel zu wenig große Unternehmen. In den fünfziger Jahren hatte man zehn Firmen, die pro Jahr bis zu zehn Filme gemacht haben. Damals hatten wir eine Filmindustrie. Die ist verloren gegangen. […]
    SZ: Sollen die Stoffe rein deutsche Stoffe sein, die Sie verfilmen werden?
    Bauer: Zunächst ja. Ufa Cinema produziert vor allem für den deutschen Markt. Es wird sicher den ein oder anderen Bestseller-Stoff geben, der über Deutschland hinausgeht. Wenn wir mit Ufa Cinema so erfolgreich sind, wie wir es uns vorstellen, werden wir zusammen mit Freemantle Media in anderen europäischen Märkten Kino-Produktionsunternehmen aufbauen. Die Vision ist ein europäisches Major Studio.“

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