Freitag, 04.12.2009

Fragmentarisches. Zu Günter Peter Straschek

Von Johannes Beringer

Günter Peter Strascheks fünfteiliger Film über Filmemigration aus Nazi-Deutschland (WDR 1975, insgesamt 287 Min., Redaktion Werner Dütsch). Wenn man bedenkt, dass Straschek mit einem hauseigenen Team drehen musste, nur beim USA-Teil konnte er als Kameramann Carlos Bustamante einsetzen, ist man erstaunt, was er da erreicht hat: Kamerastandpunkte und fixe Kadragen, wie sie im TV ganz und gar nicht üblich sind – mithin ein Schnitt und ein kinematographisches Erzählen, das auch für die Dokumentation und das Feature hätte beispielgebend sein können. (Statt der gewohnten journalistisch-filmischen Sauce also ein ‚anderes Fernsehen’.)

Das kann nicht ohne Auseinandersetzungen und Kämpfe abgegangen sein: wenn man, zum Beispiel, Fragment 55 im Straschek-Heft der ‚Filmkritik’ (August 1974) liest, wird einem das plastisch (situationskomisch) vor Augen geführt. GPS hatte der ‚Titel Thesen Temperamente’-Redaktion einen Beitrag über ‚Umschulung von Diplom-Politologen’ vorgeschlagen und konnte nach drei Wochen Recherche den Beitrag realisieren. „Schon vor Drehbeginn gab es Zores mit dem Kameramann; ich verbat mir jedes Herumgezoome und verlangte Stativ. Er habe die ruhigste Hand im ganzen Sender, war die Replik, ich würde gar nichts merken. Von Naheinstellungen mit draufgeknalltem Licht konnte ich ihn (schon wegen der ungenügenden Ausrüstung) kaum auf ausgeleuchtete Raumeinstellungen bringen … Als ich für eine Bewegung um einen Tisch Schienen verlangte, war man direkt konsterniert. Man tat, als ob das TV keine DM 200 mehr investieren könne, wiewohl es andererseits bei beschissenen Unterhaltungssendungen das Geld rauspulvert – nur bei den normalen Magazinsendungen, dem Fernsehalltagsgeschau, muss gespart werden, heisst graue Durchschnittlichkeit und liebloses Machen die Devise. In Frankfurt am Main benahm sich die verantwortliche Redakteurin Dr. Swantje E. (zum Film ein Verhältnis habend wie W.C. Fields zu Hunden & kleinen Kindern) mir gegenüber so beleidigt wie vor 15 Jahren mein Deutschlehrer, als ich meine Schularbeit nicht über Grillparzer sondern über den Hula-Hupp-Reifen ablieferte. Schliesslich ist es üblich, dass die arme Cutterin das Material schon irgendwie auf 12 Minuten zusammenfummelt und der Macher, neben ihr sitzend, schnell seinen Kommentar fabriziert. Nur weil mir diese Art des Filmemachens und der Information ein Greuel ist, ich diese nichtssagenden Bilder mit dem hastig heruntergesprochenen Kommentar nicht ausstehen kann, hatte ich meinen Beitrag so konzipiert, dass ein Kommentar überflüssig geworden war, die verschiedenen Ansichten der Protagonisten (Einstellungssequenzen) quasi kontrapunktisch nur noch aneinandergeklebt zu werden brauchten (was die Cutterin berufsschädigend fand). Eine starre 7 Minuteneinstellung von mir war dann das Ende. Nicht dass die Redakteurin auch nur hingehört hätte, was an wichtigem darin gesagt wurde: sie fragte mich, schon unruhig ob des ruhigen Bildes, nach weniger als einer Minute, ob es so weitergehen würde, ich antwortete höflich mit ja, sie befahl der Cutterin, im Schnelldurchgang durchlaufen zu lassen. Dann kam natürlich die Uraltmasche von den Millionen Fernsehzuschauern und der Verantwortung, die man habe: als ob sich die Fernsehfritzen je um das Publikum Sorgen gemacht hätten. Ich konterte, das Publikum sei eben nicht so blöd, wie man immer wieder arrogant im TV (natürlich unausgesprochen) zu glauben meint (…), es würde sehr wohl eine ruhige und dezidierte Information mehr schätzen als diese zusammengeschnittenen, pseudoobjektiven Magazinsendungen à la TTT. Jedenfalls verlangte Dr. Swantje E., das ganze ‚neu und besser’ zu machen, was ich ablehnen musste, schon weil ich es nicht ‚besser’ kann. (…)“

Mit dem Artikel ‚Vor, während und nach Schicklgruber’ in Andi Engels ‚kino’ Nr. 6 (November 1967) war Strascheks Projekt des deutschen Filmexils bereits angekündigt – es ergab sich sozusagen zwingend aus der fehlenden Tradition, dem (in Strascheks Augen) geschichtslos filmkünstlerischen Herumgewerkle des jungen deutschen Films, der fehlenden Gegnerschaft auch (denn die Regisseure des deutschen Mainstream-Kino waren ihm, ausser Staudte und Wicki, eine solche nicht wert). „Indessen geht die Auseinandersetzung um Personen ganz an der Sache vorbei; nicht von ungefähr kommen Straub und Kristl aus dem Ausland. Nicht versöhnt von Jean-Marie Straub ist wirklich der aufregendste und beste deutsche Film seit Dezennien, seit Langs M (1931) und Dudows Kuhle Wampe (1932).“

Wenn man erfahren will, was GPS schon zu jener Zeit umtrieb, höre man sich an, wie er in Huillet & Straubs Film Einleitung zu Arnold Schoenbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene (BRD 1972) die Briefe bzw. Briefstellen von Arnold Schoenberg an Wassily Kandinsky liest: etwas von dieser Abgrenzung und Schärfe war auch in seinem eigenen Wesen. (Das Drehbuch zu Begleitmusik zu einer Lichtspielscene ist nachzulesen in ‚Filmkritik’, Februar 1973, S. 80 – 87; die Briefe sind datiert ‚Mödling, 20.IV.1923’ und ‚Mödling, 4.V.1923’.)

In ‚film’, Oktober 1968 (in der Redaktion von Werner Kließ), ist die ‚Flugschrift II’ der ‚Projektgruppe Schülerfilm Frankfurt/M., M. Lukasik – H. Meins – G.P. Straschek’ vom August 1968 abgedruckt – Ausfluss der Haltung, Filme nicht nur ‚besser’, sondern ‚anders’ machen zu wollen (wie Straschek und Meins sie schon in meinem Film Situationen, in einem Gespräch über die Westberliner-Filmakademie, Herbst 1967, geäussert hatten). Es ging darum (wie auch bei dem ‚Lehrlingsfilmprojekt’ von 1969 in Frankfurt am Main), die Filmarbeit zu einem Teil der antiautoritären und sozialistischen Bewegung zu machen – die Schüler, Lehrlinge oder andere Gruppen sollten ihre Probleme selbst formulieren, die Filmemacher boten dazu ihre ‚helfende Hand’. Das gesellschaftlich gültige Schema Produzent – Konsument sollte aufgebrochen und gewendet werden, diejenigen, die immer nur als Objekte behandelt wurden, sollten die Möglichkeit erhalten, als Subjekte selbstbestimmt zu handeln: was freilich eine ganz andere – eben alternative – Verleih- und Vorführstruktur bedingte. Die Filme waren also niemals für das normale TV- oder Kino-Programm gedacht – sie sollten Teil des gesellschaftlichen Veränderungs- und Bewusstwerdungsprozesses sein: „Der Schülerfilm ist nicht die Herstellung und Vorführung eines abgeschlossenen Films, sondern die einzelner Teilfilme (Kapitel), welche, zueinander in Beziehung stehend, eine langfristige Filmarbeit erst ermöglichen.“ „Die angestrebte Aufhebung der Trennung von Produzent und Konsument lässt sich anfänglich nicht (oder nur partiell) und in der Fortführung nur tendenziell verwirklichen.“

Dieses Konzept scheiterte (vermutlich) nicht an sich selbst, sondern am Zusammenhang, in den es sich stellen wollte – der 1969/70 einsetzenden Fraktionierung und Zersplitterung der Ausserparlamentarischen Opposition. Es hatte sich, von jedermann einsehbar, die ‚Organisationsfrage’ gestellt (wie sollte man ohne eine schlagkräftige Organisation in der Lage sein, einzugreifen und etwas zu erreichen?) – nur wähnte sich fortan jede Parteiung, jedes K- und ML-Grüppchen auf dem alleinrichtigen Weg; und die Argumente, je erbitterter sie ausgetauscht wurden, wurden vielfach immer gestanzter und holzhammerhafter. (Der SDS hatte inmitten dieses Treibens die Grösse – Zeichen der da herrschenden Intelligenz –, sich selbst aufzulösen.) Allerdings gab es ja, unterhalb dieser Ebene sozusagen, auch die abertausende von Bewegten, die guten Willens waren und etwas tun wollten – in den Basisgruppen, den Roten Zellen, der Roten Hilfe, der Kinderladenbewegung, der Frauen- und Hausfrauenbewegung, der Gefangenenbewegung, den Gewerkschaften … Es war wirklich, bis hin zu den ‚umherschweifenden Haschrebellen’, sehr viel in Bewegung. (Und über den Terrorismus können wir unterdessen mit John Ford sagen: „print the legend“ – die Massenmedien haben ja vorgemacht, wie man den ‘Mythos’ produziert.)

In Renate Samis Film Es stirbt allerdings ein jeder (1975) ist noch, auch in der Wahl der auftretenden und über Holger Meins befragten Personen, etwas von der Aufbruchstimmung und den Anfängen zu sehen und zu hören.

In ‚film’, März 1969, erhielten drei relegierte Filmakademie-Studenten – Hans Rüdiger Minow, Hartmut Bitomsky und Harun Farocki – unter dem Titel ‚Film in der Opposition’ Gelegenheit zu ausführlichen Statements und Texten. („Die nachfolgenden Texte stehen im Zusammenhang mit der Vorbereitung der sozialistischen Coop, sind aber nicht als Meinung des Kollektivs zu verstehen, sondern als persönliche Äusserung der drei Autoren“, heisst es im redaktionellen Vorspruch.) In der Mitte des Heftes ein Text von Uwe Nettelbeck, ‚Wer gerade geht wird vorgebeugt’, der begleitet ist von einer längeren Fotostrecke mit prügelnden Polizisten. (Der Titel steht auch, samt Foto, als ‚Thema’ auf der Vorderseite des Heftes.) An anderer Stelle, nämlich vorne, auf den Seiten 1, 6 und 7, ein polemischer Text von Günter Peter Straschek: ‚Gegen Moralismus, für Konsum!’ – eine geharnischte Abrechnung (und ‚Frontenklärung’) mit dem „sich revolutionär gebärdenden, indertat jedoch kleinbürgerlichen Boulevard der späten 60er Jahre“, also etwa mit dem „euphorischen Irrationalismus“ des Undergroundfilms, des weiteren auch mit dem sich ‚unabhängig’ wähnenden oder gebenden ‚anderen Kino’, der Avantgarde. „Der sogenannte Kulturüberbau erweist sich – entgegen aller kurzfristigen Erfolgsstrategie und kulturrevolutionären Ideologie – als einer der sichersten Pfeiler im bundesrepublikanischen System! Nirgendwo anders kann man sich rabbatzmachend so herumtummeln wie hier, nirgendwoanders lässt sich so viel ‚revolutionieren’ ohne Veränderung! Durch die Praxis neuer Verhaltensweisen ist es dem Underground gelungen, die privatisierende Form des ‚nonkonformistischen Befürworters’ der 50er Jahre zu überwinden, und sein eigenes Normabweichen als raffinierten Alltagsprotest erkenntlich zu machen. Keine der schäbigen Kritiken kann dem Underground etwas anhaben – indem das System jedoch Räume zulässt oder mitkonstituiert, die antibürgerliche Verhaltensweisen ermöglichen können, bindet es seine latenten Gegner insofern, als deren subjektive Freiheit nichts anderes ist als das im Produktions- und Verteilersystem repressiv verdrehte Lust- und Schmuckverlangen. (…)“

In einem anderen ‚film’-Heft, November 1969, in dem auch die Hamburger Filmmacher Cooperative vorgestellt wird, noch einmal ein Straschek-Text: ‚Pesaro, Kino und Politik’. Das ist nicht mehr die ‚Italienreise 1968’ (wie ich sie vor kurzem als Erinnerungstext hier beschrieben habe): es ist bereits eine gewisse Ernüchterung eingekehrt – Festivalmacher, der Film- und Buchmarkt, auch das Fernsehen haben den ‚Politfilm’ als ‚Genre’ und als gängige Ware entdeckt. „… Zugleich offensichtlich ist die Krise des ‚politischen Films’; für jeden Festivalbesucher, insonderheit für den der fünften Mostra Internazionale del Nuovo Cinema in Pesaro vom 13. – 21. September 1969, war er zum Konsumgut geworden …“ – was Straschek darin bestärkt, an seiner Auffassung von ‚sozialistischer Filmarbeit’ festzuhalten und neben dem Abzulehnenden (etwa Fassbinder mit seiner „Revolution im ganz Privaten“) auch die Ansätze zu wirklichem (materialistisch vermitteltem) Fortschritt hervorzuheben (die Arbeiten etwa von Bitomsky/Farocki). Er hat unterdessen Antonio Labriola (1843 – 1904) und dessen „comunismo critico“ entdeckt: „Der kritische Kommunismus fabriziert keine Revolutionen, er bereitet keine Insurrektion vor, er bewaffnet keine Revolten. Er verschmilzt sich mit der proletarischen Bewegung, aber er sieht und unterstützt diese Bewegung in voller Erkenntnis des Bandes, das sie mit der Gesamtheit aller Verhältnisse des sozialen Lebens verknüpft …“

Straschek war demzufolge dafür, bei dem Metier zu bleiben, für das man ausgebildet worden war oder das man sich selbst angeeignet hatte (erinnert sich noch einer an die Parole ‚Student in die Fabrik’? – nicht wenige sind ihr gefolgt) – und lehnte auch solche pseudoradikalen Sprüche wie den von der ‚Kamera als Gewehr’ ab. Das Problem war eben nur, dass die ‚Organisationsstruktur’ (mithin die ‚proletarische Bewegung’, auf die sich Labriola berufen konnte) sich hierzulande nicht ‚materialisieren’ wollte – die intendierte Filmarbeit also ins Leere lief.

Ab Mitte der siebziger Jahre wollte GPS mit dem Filmemachen nichts mehr zu tun haben – und zog sich ganz auf seine Recherche zum deutschen Filmexil zurück (die über eine Reihe von Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt wurde). Er hatte einen Fragebogen ausgearbeitet und unendlich viele Interviews mit deutschen Exilanten in aller Welt geführt – geplant waren ein lexikalischer Teil und eine Geschichte des Exils nach Ländern. Dieses Vorhaben ist nun unbeendet liegengeblieben; wenn man sich den bibliographischen Apparat, die Fülle der staunenmachenden Anmerkungen in „Handbuch wider das Kino“ (1975) wieder vor Augen hält, kann einem auch schwanen, warum. GPS hatte sich ja schon früh darüber aufgeregt, wieviel falsche Daten da zirkulieren, dass einer vom andern einfach abschreibt und übernimmt – er bemühte sich diesbezüglich um Genauigkeit.

Hinweisen möchte ich noch (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) auf die von GPS verfassten Radio-Typoskripte (Sender Freies Berlin, Redaktion Hanspeter Krüger): „Ideen fallen nicht vom Himmel. Über Antonio Labriola“ (Sendung 13. März 1973), „Besuch mich mal im Lesesaal. Erfahrungen mit dem materiellen Gedächtnis“ (21./22. März 1988). Ausserdem erinnere ich mich an eine Radio-Sendung über ‚frühes Kino’ aus den siebziger Jahren (als man noch ‚der Kino’ sagte, habe aber davon kein Typoskript mehr).

Erwähnenswert auch die Nummer 27, Juli – September 1968, von ‚Sprache im technischen Zeitalter’ (Herausgeber Walter Höllerer), in der es von Christian Deutschmann einen Text zu Herstellung eines Molotow-Cocktails und Ein Western für den SDS gibt. Letzterer, ein von Straschek an der Filmakademie 1967/68 gedrehter 24minütiger Schwarz-weiss-Film, war da schon verschwunden und musste, wie Deutschmann schreibt, „aus Schnittresten mühsam rekonstruiert werden“. Eine Anmerkung von Straschek, ‚Frankfurt am Main, 17. Juli 1968’, berichtet über Vorkommnisse während des Drehens – von einem Westberliner Betrieb war einer Angestellten die weitere Mitarbeit am Film untersagt und die politische Polizei informiert worden. „Der Innensenat von Westberlin führte nun (in Zusammenhang mit anderen ‚linken Umtrieben’ an der DFFB) Beschwerde bei den beiden Geschäftsführern der Berliner Filmakademie, Leiser und Dr. Rathsack, die dann auch Ende Februar 1968 meinen Vertrag fristlos kündigten und mir Hausverbot erteilten. Noch in der Woche meines Ausschlusses ist aus dem Zimmer dieser Geschäftsleitung meine fertiggeschnittene Arbeitskopie ‚spurlos verlustiggegangen’. Über das in einer Kopieranstalt ungeschnitten aufliegende Negativ hat die Akademieleitung eine Sperre verfügt …“

Als es später, November 1968, ein ‚Go in’ in das Direktionszimmer gab, und einer von uns den Schrank öffnete, lag da, oh Wunder, die Filmbüchse von Ein Western für den SDS. Die namentlich festgestellten 18 Studenten, die sich an dieser Aktion beteiligten, wurden dann von der Filmakademie verwiesen und über den Verbleib des Films ist nichts mehr bekannt.

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