Mittwoch, 08.05.2013

Umschlag Geschichte

Time 1960 - Midi Minuit Fantastique 1962

„Und der Deutsche ist, wie die Erfahrung zeigt, für Filme solcher Art anfällig. Wenn er sie nicht aus dem Ausland beziehen kann, macht er sie sich selbst. Das war schon nach dem ersten Weltkrieg so. Es wurde dann besser. Jetzt scheint die Entwicklung wieder anders zu gehen. Da sich in Deutschland gute Filme offenbar nicht mehr auszahlen, setzt man wieder auf ‚Sex‘.“ (D. Otto Dibelius, Evangelischer Bischof von Berlin, in „Die Kirche“) – Zitat aus „Film“ 6/1965

film 1965-1 und 3

„In einer Heidelberger Diskussion, an der sich Universitätsprofessoren beteiligten, (…) fanden sich denn auch bald genug Stimmen, die ganz unverblümt nach einer staatlichen Zensur für alles, was sich Film nennt, riefen. (…) Kurz vor der Wahl ist es eindrucksvoll einen Kreuzzug gegen die Unmoral zu führen. Nur, man findet da so recht keine Gegner. Denn wer möchte sich selbst in der Öffentlichkeit geringen Moralbewusstseins zeihen? Die SPD steigt da nicht auf die Barrikaden, und die FDP biegt sich ihre Liberalität so zurecht, daß sie die Intoleranz ohne Federlesens toleriert.“ (Reimar Hollmann in „Film“ 6/1965)

„Wir sehen uns alle Filme mit Werner Krauss, Heinrich George, Ferdinand Marian, Christine Söderbaum usw. noch einmal an. Sie sind uns lieber als alles, was uns jetzt vorgesetzt wird.“ (Elise S., Leserbrief an das Hamburger Abendecho, 28.10.1965) – „Ob uns die Tendenz nicht passt, das ist eine andere Frage. Besonders gegenüber der Flut der entsetzlich faden Sex- und Gesellschaftsfilme hat der KOLBERG-Film wirklich eine spannende Handlung.“ (Friedrich-Karl Z., Leserbrief an das Hamburger Abendecho, 28.10.1965) – Beide Zitate aus „Film“ 12/1965

film 1965-8 und 66-11

Notizen der Redaktion (in „Film“ 9/1966): „Alexander von Cube, Kölner Mitarbeiter dieser Zeitschrift, früher Redakteur des ‚Vorwärts‘, heute beim WDR – Cube hat in seiner Besprechung von Truffauts und Richards Mata-Hari-Kolportage ‚Agentin H 21‘ eine kleine Anmerkung über Kino-Nuditäten eingebaut.“ – „Nudität, die spätestens seit Agnès Vardas ‚Le bonheur‘ das Betrachten der Filmzeitschriften so prickelnd und den Konsum der dazugehörigen Zelluloidprodukte so rätselhaft unerotisch macht“. Neben der Enttäuschung, dass die Truffaut-Produktion die Motive für Mata Haris Spionagetätigkeit im Dunkeln lässt, findet Cube etwas anderes bemerkenswert: „wo selbst Opas Kino sich eine kleine Fleischbeschau kaum verkniffen hätte, geht die Avantgarde sittsam hochgeschlossen.“

Die Notizen der „Film“-Redaktion widmen sich eingehend einem „pikanten Zufall“: die Titelbilder der Augusthefte von „Film“ und „Filmkritik“ ! „beide zeigten – jeweils nur in einem anderen Motiv – die zentrale Liebesszene in Formans Film. Das Geschäft freilich hat sich deswegen nicht gehoben: die schmalen Kinder-Körper Formans vermögen gegen Brigitte Sachs (‚Quick‘) und die aus dem Grab geholte Monroe (‚Stern‘) und die Liebe zwischen Frau und Frau (‚Twen‘) und die studentischen Sexparties (‚konkret‘) wenig auszurichten.“

film 1966-12 1967-3

„Die Mischung aus Draufgängertum und Zurückhaltung, mit der wir alle gemeinsam in der Bundesrepublik Kulturpolitik des Films in den letzten Jahren geprobt haben, erinnert mich an die Atmosphäre um Friedrich Wilhelm III. von Preußen vor der Schlacht von Jena und Auerstädt. Die Schlacht ging bekanntlich verloren.
Man muss an dieser Stelle dazu sagen, daß es für ein Ministerium des Innern, dessen Struktur der Inneren Verwaltung entspricht, wie sie das 19. Jh. geprägt hat, nicht einfach ist neue Wege zu gehen. Ministerialrat Fuchs und der Leiter der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums, Ministerialdirektor Hagelberg, versuchen zwischen alten und neuen Kräften im Film und zwischen Film und Politik gangbare Straßen zu finden. (…) Es wäre einfacher für fertige Filme, die ‚bemerkenswert‘ erscheinen, Prämien auszuschütten (Gießkannenprinzip). Trotzdem haben sie mit der Drehbuchprämie und dem Kuratorium sich für qualitative Entscheidungen eingesetzt, die auch tatsächlich eine starke Auswirkung auf die Qualitätsverbesserung des Films haben. (…) Es besteht die Gefahr, daß sich ein Phänomen aus der Verhaltensforschung hier auch bei der Verwaltung bewahrheitet: ‚Zwischen Angriffslust und Furcht fällt der Soldat in Schlaf‘.
Hier müssen die filmkundigen Politiker helfen. Dr. Martin und Dr. Lohmar, der frühere und der jetzige Vorsitzende des kulturpolitischen Bundestagsausschusses, haben 1962 gesagt: ‚Wir müssen in kleinen kulturpolitischen Schritten erreichen, daß wir auch in der Bundesrepublik in 10 Jahren eine Filmkultur besitzen, wie Deutschland sie früher einmal hatte.‘ Dieses Programm hat durch die große Koalition (auch dadurch, daß im Bundeskabinett jetzt mehr Leute sitzen, die Kunst nicht für einen unnötigen Luxus halten) eine tatsächliche Chance.“
(Alexander Kluge, „Film“ 3/1967)

film 1967 6 7

„In zwei Jahren, wage ich zu prophezeien, werden sich alle die jungen Filmer und Barrikadenstürmer von heute zurücksehnen nach der Zeit, in der sie es nur mit der Altmänner-Riege der FSK in Wiesbaden zu tun hatten. (…) Aber nun schreien die alten wie die jungen Filmproduzenten nach staatlichem Geld – oder staatlich geregeltem Geld -, und wundern sich, daß Bundesregierung, Abgeordnete, Kirchen und Rundfunkanstalten dafür Mitspracherecht haben wollen. Diese Träumer aus Schwabing. (…) Sie werden sich wundern, wie schnell jeder x-beliebige deutsche Filmverleih, die Bertelsmann-Mutter an der Spitze, nur noch Filme in den Vertrieb nimmt, die geeignet sind, das Wohlwollen der Anstalt ohne Schwierigkeiten zu erlangen.“
(Will Tremper: Blick nach vorn in Zorn, „Film“ 6/1967)

esquire 1966 SGE 2013

Das Filmhauskino in Köln zeigt ab morgen Filme von Thiele (Venusberg) Roland (4 Schlüssel) Olsen (Blutiger Freitag) und Neueres von den Gästen: Buttgereit, Gosejohann und Kupczyk. Freitagnacht läuft Riccardo Fredas Gesicht im Dunkeln.

Gerade frisch erschienen: SigiGötz-Entertainment – Der zweiundzwanzigste Wurf

Ein Kommentar zu “Umschlag Geschichte”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (11-05-13) schreibt:

    […] Thema deutsche Filmgeschichte hat der großartige Rainer Knepperges auf new filmkritik eine schöne Kollage aus Zitaten erstellt, die sich zwischen 1965 und 1967 in der Zeitschrift „film“ befanden. Und […]

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