Dienstag, 06.03.2018

Mit Godard sprechen

Wilfried Reichart über deutsch-französische Film- und Fernsehgeschichte(n)

von Thomas Helbig

Wilfried Reichart hat seit etwa 1970 in wechselnden Funktionen die Filmredaktion des WDR geprägt, von 1980 bis 2004 leitete er diese. Dort war er an der Produktion zahlreicher filmvermittelnder Sendeformate beteiligt, die dem Fernsehpublikum mithilfe von Interviews, Berichten und Kritiken das internationale Kino nahebrachten. Nicht zuletzt in dieser Funktion hat Reichart mehrere Gespräche mit Jean-Luc Godard geführt und sich darüber hinaus in Kritiken, Artikeln und Aufsätzen immer wieder mit dem Werk des Filmemachers auseinandergesetzt (s. Bibliografie). Das nachfolgende Gespräch fand im Herbst 2017 an zwei Terminen in Berlin statt.

 

Anfänge

TH: Können Sie sagen, wie Ihr Interesse für die französische Filmlandschaft geweckt wurde?

WR: Ich habe ein paar Semester französische Literatur in Paris an der Sorbonne studiert, zu einer Zeit als die Nouvelle Vague gerade anfing. Und ich bin zu dieser Zeit auch mehr ins Kino gegangen als in die Universität und habe Gastvorlesungen am damaligen IDHEC (Institut des Hautes Études Cinématographiques) gehört, wo Georges Sadoul und Henri Agel sprachen und saß natürlich auch ständig in der Rue dʹUlm in der Cinématheque, wo ich die alle auch hin und wieder gesehen habe – und ich habe zu mir gesagt, ich werde euch wiedertreffen (lacht), das verspreche ich Euch. Und das hat dann auch geklappt.

TH: Das war doch bei Godard ganz ähnlich. Zuerst hatte er ein paar Semester an der Universität zugebracht, ist dann aber mehr ins Kino als in die Vorlesungen gegangen. – Später haben Sie Filmkritiken beim Kölner Stadtanzeiger geschrieben, bevor Sie schließlich zum WDR kamen. Was hat Sie bewogen von der Zeitung zum Fernsehen zu wechseln? Hatten Sie damals schon den Wunsch den Schreibtisch mit dem Schnittplatz auszutauschen?

WR: Also konkret war es so: Ich war beim Feuilleton des Kölner Stadtanzeigers, wo ich meinen ersten Job hatte. Dort schrieb ich viel über Film und wurde deshalb von der Filmredaktion des WDR wahrgenommen. Da waren Reinold E. Thiel, Wilhelm Roth und Georg Alexander. Und die haben dann im Fernsehen Birth of a Nation (1915) von Griffith gezeigt. Und darüber habe ich geschrieben. Ich hatte mich über die Musikbearbeitung lustig gemacht, die ich grauenhaft fand, obwohl sie von Griffith selbst stammte. Und da hat mich Georg Alexander wutentbrannt angerufen, was für ein Idiot ich wäre, dass ich das kritisiere, wenn sie schon einmal solche großartigen Filme im Fernsehen zeigten. Auf jeden Fall war er außer sich vor Wut. Im Dritten Programm gab es eine regelmäßige Sendung, die mit Kritik zu tun hatte, Werner Höfer war da noch der Direktor. Und zu dieser Sendung haben sie mich dann eingeladen. Alexander haben sie allerdings nicht erlaubt, mit mir zu reden, weil sie Angst hatten, dass wir uns sonst in die Haare gerieten. Und dann haben wir in dieser Sendung, vielleicht mit Thiel oder Roth, das weiß ich nicht mehr genau, über Griffith und über die Filmmusik geredet und dass die Redaktion des WDR ein großartiges Programm macht. Und dann nach einiger Zeit, als Alexander inzwischen Chef der Redaktion geworden war, kam er auf mich zu, ob ich nicht Lust hätte, ein paar Sendungen für den WDR zu machen. Ich habe dann zugesagt und einige Sendungen bearbeitet.[1]

TH: Was für Sendungen waren das und was haben Sie sich von dem Formatwechsel erhofft? Welche Möglichkeiten und Versprechungen lieferte das Fernsehen und in welchem Verhältnis stand das zum Kino?

WR: Kennen Sie die Reihe Cinéastes des notre temps?[2] Der WDR hatte die Rechte gekauft und hat die Sendungen für die Ausstrahlung im deutschen Fernsehen nachbearbeitet. An Sendungen über Luis Buñuel, Jean Renoir und John Ford kann ich mich zum Beispiel erinnern.[3] Aus dem Material wurden deutsche Fassungen gemacht, aber nicht in dem Sinne, dass ich das übersetzt hätte, sondern ich habe das neu geschnitten und neu kommentiert. Für mich war das neu. Ich hatte noch nie einen Film gemacht und wusste nicht, was ein Schneidetisch ist. Und dann hat mich Alexander gefragt, ob ich nicht in die Filmredaktion kommen wolle. Nur war es beim Fernsehen damals schwer, eine Planstelle zu finden – wo man dann fest angestellt wurde – und so bin ich zunächst als „fester“ freier Mitarbeiter zum WDR gekommen. Ich habe eine feste Summe erhalten, blieb aber freier Mitarbeiter. Heute würde das sicherlich niemand mehr machen: aus der Festanstellung bei der Zeitung in so eine Unsicherheit zu wechseln… Und dann habe ich etwa zwei Jahre als freier Mitarbeiter gearbeitet, bis dann eine Planstelle gefunden wurde und ich Fernsehredakteur beim WDR wurde.

TH: Eine recht bekannte Äußerung von Godard, die er auch Ihnen gegenüber gemacht hat, besagt, dass er seine knapp zehnjährige Arbeit bei der Filmkritik, u.a. für die „Cahiers du cinéma“, so verstand, als hätte er damals schon Filme gemacht. Haben Sie das ähnlich empfunden?

WR: Ja, es wurde immer wieder betont, dass die Filmkritiken eine Art Vorbereitung waren. Man müsste sich seine Sprache noch einmal genau ansehen und mit derjenigen von Truffaut und Rivette vergleichen. Irgendwie ein merkwürdiges Phänomen. Heute denke ich nicht, dass es Leute gibt, die erst Kritiken schreiben und später ernsthaft Filme machen wollen.

TH: Vielleicht noch im Umfeld der Zeitschrift „Filmkritik“? Zum Beispiel bei Harun Farocki und Hartmut Bitomsky.

WR: Ja, aber die haben ja keine richtigen Filmkritiken gemacht. Die haben aus einer besonderen Perspektive über Film geschrieben und sich dabei, glaube ich, nicht so richtig als Filmkritiker verstanden.

TH: Hat sich Ihrer Meinung nach in der gegenwärtigen Filmkritik etwas grundlegend geändert?

WR: Im Falle der aktuellen Filmkritik könnte man darüber nachdenken, dass jetzt unter viel besseren Voraussetzungen gearbeitet werden kann. Damals musste man immer aus einer vagen Erinnerung heraus schreiben. Heute hat man den Film, den man gesehen hat, vielleicht schon auf DVD oder Blu-Ray vor sich liegen und kann alle Aspekte und Assoziation, die man hat, gleich nachprüfen. Aber was bedeutet das für die Kritik und die eigene Wahrnehmung? Ich bin groß geworden mit der Beschäftigung mit Kino aber kannte eigentlich sehr wenig, weil man vieles nicht sehen konnte. Wenn man Glück hatte, hat man mal eine Retrospektive gesehen. Trotzdem haben sich bestimmte Dinge festgesetzt. Kennen Sie zum Beispiel den Film Blast of Silence (1961)? Das ist ein amerikanischer Film, der etwa um die gleiche Zeit entstanden ist wie Godards À bout de souffle (1959). Den Film hatte ich gesehen und nie wieder vergessen! Das ist ein Gangsterfilm – ein Gangster kommt nach New York um jemanden umzubringen, gerät in eine Krise und kommt am Ende selber zu Tode – das ist die Geschichte. Das war amerikanische Nouvelle Vague – wirklich toll! Und als ich jetzt beim WDR saß, dachte ich, den Film müssen wir zeigen. Den kennt keiner hier. Und so schaute ich, wer den Film produziert hat und fand aber nichts. Der Film war völlig verschwunden – selbst der Regisseur war verschwunden.

TH: Wo hatten Sie den Film gesehen?

WR: Ich hatte den Film Anfang der sechziger Jahre im Kino gesehen. „Atlas“ oder ein anderer kleiner deutscher Verleiher hatte den Film im Kino gezeigt. Und da habe ich ihn gesehen und nie wieder vergessen. Ich habe dann alle Leute, die ich getroffen hatte, in Frankreich, in New York und in Los Angeles, allen habe ich gesagt: „Ich suche Allan Baron. Wenn ihr ihn entdeckt, sagt es mir!“ Und eines Tages ruft einer an und sagt: „Ich habe Baron entdeckt, er ist Fernsehregisseur in Los Angeles, hier ist seine Telefonnummer“. Dann habe ich bei ihm angerufen und mit ihm geredet. Der ist von einem Staunen ins andere gefallen. Dass sich jemand an seinen Film erinnert, das war unglaublich für ihn. Wir verabredeten, dass wir uns sehen müssen, sobald ich wieder einmal in Los Angeles bin. Dort traf ich ihn und er hat nicht mehr aufgehört zu reden. Ein tragisches Beispiel von Filmemachen vielleicht. Er fängt mit einem Film an, der außergewöhnlich gut ist. Der so gut ist wie À bout de souffle. Und dann geht es nicht richtig weiter. Dann macht er den nächsten Film, der schon nicht mehr so interessant ist, schaut sich um, sucht Produzenten, findet keine und landet schließlich in Kalifornien, wird Fernsehregisseur und macht viele Serien. Auch berühmte Serien … Und das wurde dann sein Leben, das hat er dann akzeptiert. Er hat nie mehr einen Spielfilm fürs Kino gemacht … aber unendlich viele andere Dinge. Und dann habe ich gesagt: „Ich mache einen Film über Dich“. Ich bin mit ihm quer durch New York an alle Drehorte gegangen, die in seinem Film vorkamen. Überall hat er erzählt, wie sie damals gedreht haben, auf Dachterrassen und alles Mögliche. Darüber ist dann ein Film entstanden.[4]

TH: Was ist das eigentlich für eine Art von Interesse, wenn man in dieser Weise die Entstehung eines Filmes nachvollzieht? Was können die ergänzenden Hintergrundinformationen noch zusätzlich über den Film verraten?

WR: Dort erfahre ich etwas über das Leben eines Menschen – das ist es! Auch die Tragik. Bei Baron zum Beispiel kam hinzu, dass er plötzlich dachte, der Film, den ich da mache, ist sein eigener Film – in gewissem Sinne war es auch sein Film, denn ich habe ihn nicht interviewt, sondern habe ihn zusammen mit einem Kamerateam an die verschiedenen Drehorte begleitet. Er war ein brillanter Schauspieler. Er war sogar ähnlich angezogen, wie er auch im Film aussah – er hatte darin selbst die Hauptrolle gespielt.

TH: Regisseur und Darsteller zugleich?

WR: Ja. Als Typ kommt er aus der Ecke von Peter Falk, der die Rolle eigentlich spielen sollte. Der hatte aber kurzfristig einen anderen Job bekommen und so hat Baron die Rolle selbst gespielt. Und das war toll! Der Falk hätte wieder seine Falk-Nummer abgezogen aber Baron war ganz die Person, die er verkörperte. Die erste Einstellung, wie der Zug in New York Central Station einfährt, die Tür aufgeht und er mit dem Koffer in der Hand da rauskommt – das ist wirklich eine starke Einstellung. – Also, die Sendung sagt etwas über diesen Mann, über den Film, dass es ihn gibt und wie er gedreht worden ist.

TH: Einmal bezeichnen Sie das Fernsehen, was mir eine sehr treffende Bezeichnung erscheint, als eine Art Katalog.[5] Also ein Medium zum Listen, Nachschlagen und Klassifizieren. Darin steckt zunächst eine eher bescheidene Selbstverortung. Andererseits könnte man diese Einordnung mit einer Bemerkung in Verbindung bringen, die Godard in einem Interview mit Ihnen gemacht hat. Demnach kann das Fernsehen auch als ein Labor verstanden werden, das einen Gegenstand auf eine analytische Weise betrachten lässt. Die Komplexität von Film einerseits und Gesellschaft, Wirtschaft, Ästhetik, Kultur und Technik andererseits wird auf ein reduziertes Modell gebracht: „Man sieht das Ganze, was beim Film nicht möglich ist“, sagt dort Godard.

WR: Nun ist ja die Frage, was ist Film und was ist Fernsehen? So wie sie es gerade beschrieben haben, ist Fernsehen der Versuch auf eine schnelle einfache Art und mit einer anderen Technik, die verschiedensten Dinge auszuprobieren – und dem gegenüber steht der Film. Aber in der Zwischenzeit gibt es ja diese Unterscheidung nicht mehr. Ich frage mich, was ist denn Film? Ein anderes Beispiel: Wann habe ich die Mona Lisa gesehen? Wenn ich sie in einem Katalog sehe, oder wenn ich im Louvre vor ihr stehe? Wenn ich das nun auf Film übertrage und sage: Wann habe ich einen Film gesehen? Wenn ich ihn im Fernsehen oder sogar auf einem Handy gesehen habe? Habe ich dann wirklich einen Film gesehen? Oder ist der Film durch die Projektion im Kino definiert? Viele die über Film schreiben, verwenden das Wort „Kino“, was ja ein wenig ein Durcheinander ist. Kino ist dann nicht mehr nur der Ort, sondern auch noch etwas Anderes – aber das ist reine Erfindung. Man spricht immer vom Kino statt zum Beispiel von der Kinematographie. Man sagt: „Das Kino der sechziger Jahre“ – und meint dann die Filme und nicht den Ort. Wie sehen Sie diese Begriffsdefinitionen?

TH: Ich denke hier gibt es unterschiedliche historische Perspektiven, deren Ansichten sich permanent verschieben. Für die Zeit von Godard kann man analog zu Ihrem Vergleich sagen, dass das Kino ein Ort der Produktion war, während das Fernsehen einer der Reproduktion war, der vielmehr der Kommunikation und Information zuarbeitet als der Ästhetik. Godard fasst das in das Modell, dass das Kino eine Sache der Projektion und das Fernsehen eine der Rejektion wäre, eine Gegenüberstellung über die nachzudenken mir sehr produktiv erscheint. Gleichzeitig denkt er das Fernsehen als ein Mittel der Recherche und Untersuchung, wenn er sagt: „Fernsehen ist nur eine Phase des Films, das, was ich die Phase des Drehbuchs nennen würde.“ Übrigens kommt er dort zu einer bemerkenswerten Feststellung, die indirekt auch Ihre Arbeit für den WDR berührt: „Was nicht geht, ist, daß die Fernsehleute niemals Filme machen und die Filmleute niemals Fernsehen. Jeder arbeitet für sich, obwohl beide zusammenarbeiten sollten.“ – Diesen Schritt haben Sie und die Anderen aus der Filmredaktion des WDR seinerzeit zweifellos vollzogen.

WR: Nein, das war bei mir nicht der Fall. Ich wusste immer, dass ich keine Filme im engeren Sinne machen wollte – die „Filme“, die ich gemacht habe, sind Essays, Sendungen, journalistische Arbeiten aber nicht Filme. Gleichzeitig wusste ich auch, dass viele, die solche Sendungen machten, nicht wussten, dass sie eigentlich keine Filme machen können (lacht).

 

Mit Godard sprechen

TH: Mir ist aufgefallen, dass Sie Godard immer in Situationen angetroffen haben, in denen seine Arbeit entweder gerade in einem Umbruch begriffen war oder sich dieser bereits unmittelbar ankündigte. In Köln 1971 steht Godard beinahe schon am Ende der Phase der „Groupe Dziga Vertov“[6] und wird wenig später Paris verlassen. 1976 besuchen Sie ihn in seinem neu eingerichteten Video-Studio in Grenoble. 1979 war er bereits in das schweizerische Rolle umgezogen, wo er bis heute lebt. Blickt er im ersten Schritt auf seine politischen Filme zurück, so hatte er 1976 mit der Fernsehserie Six fois deux die Videotechnik, das Serienformat und das Fernsehen für sich entdeckt. 1978 beendete er mit France tour détour deux enfants diese soziologisch-dokumentarische Phase und hat bereits erste Überlegungen für ein historiographisches Projekt, das später zu den Histoire(s) du cinéma (1988–98) führen wird, entwickelt. Zu diesen Gelenkstellen und Wendepunkte würde ich Sie gern näher befragen. Doch zunächst, was hat Sie an der Person Godards interessiert?

WR: Ehrlich gesagt bin ich seit jeher fasziniert von dieser Person. Mir gefällt dieses ständige Neuanfangen, dieses permanente infrage stellen, um dann noch einen weiteren Schritt zu machen. Das ist etwas, was ich unglaublich spannend an ihm finde. Diese grundsätzliche Haltung. Das Prinzip seines Denkens ist ja immer das Nein sagen. Also nicht zu akzeptieren, was ist, sondern alles in dem Moment, wo man es wahrnimmt, infrage zu stellen. Und so macht er À bout de souffle. Er kennt alle Regeln des Kinos und die Regeln kennend verletzt er sie. Er sucht nicht nach Anschlüssen. Er muss nicht Schuss-Gegenschuss machen … und alles Mögliche. Das Prinzip seines Denkens ist das „Nein“ sagen … das muss man in seinen Filmen sehen.

TH: In dem Interview, das Sie 1979 mit ihm geführt haben, gibt es eine interessante Stelle, die genau damit zu tun hat. Dort spricht er darüber, wie er dazu kam, – eher aus der Not geboren, denn es gab viel zu viel Material – im Schnitt von À bout de souffle rigoros und mit einer gewissen Brutalität gegen das Material vorzugehen.

WR: Genau, und daraus entsteht dann ein neuer Stil!

TH: Und zwanzig Jahre später stellt er ohne jedes Anzeichen von Bedauern fest: „Heute macht das auch die Werbung“. Die Möglichkeit, Film anders zu machen, hat sich damit für ihn erledigt und es gab keinen Grund mehr, weiterhin so zu arbeiten. Die einzige Tradition, der sich Godard verpflichtet fühlt, ist immer wieder neu mit der Tradition – und sei es die eigene – zu brechen.

WR: Und darin unterscheidet er sich von allen anderen. Rivette hat immer dieselben Filme gemacht, Truffaut auch, Rohmer ganz extrem. Die haben alle ihren Stil gefunden und bis an ihr Lebensende durchgezogen. Godard ist der Einzige, der das nicht getan hat. Und das ist etwas, was mich wirklich fasziniert hat. Dabei war er am Anfang ganz unsicher und wusste nicht so richtig, was er tun sollte. Und er sieht alle seine Freunde, die ihn aber gar nicht so richtig ernst nehmen. Chabrol, Rivette und Truffaut – die machen schon Filme und ihm gelingt es nicht, er schafft es nicht, bis ihm dann Truffaut diese Geschichte schenkt und er dann mit À bout de souffle „den Film“ macht. Das konnte man vorher eigentlich gar nicht erwarten. In der Biographie von Antoine de Baecque erfährt man über diese Zeit sehr viel.[7]

TH: Vielleicht ist es gar kein Zufall, dass Godard im Gespräch von 1979 ausgerechnet auf À bout de souffle zurückkommt. Der Stil, der mit diesem Film zwanzig Jahre zuvor geprägt wurde, wird von der Ästhetik, die mit der Video-Technik einhergeht, abgelöst. Zwar hat sich schon lange vorher seine Art Filme zu machen extrem verändert aber der Wechsel zum Video ist ein ganz substanzieller Umbruch. Dieser führt zu einem neuen Stil, der ganz und gar dem Vorhaben entspricht, stärker die Mittel zu reflektieren mit denen man arbeitet. Das meint er wohl, wenn er in dem Gespräch über die Handhabung des „Bleistifts“ (stylo!) sinniert, mit dem man etwas zu Papier bringt. Ohne Zweifel steht der Bleistift für die Kamera und den Gedanken, dass es nicht nur darauf ankommt, was man aufnimmt, sondern auch wie man es aufnimmt. Sein Film Caméra-œil (1967), wo er fast die ganze Zeit beim Hantieren mit der Kamera zu sehen ist und darüber reflektiert, was nicht zu sehen ist, treibt diesen Aspekt sicherlich auf die Spitze.

WR: Das Interessante ist ja bei allem was er tut, die Reflexion – die politischen Filme die er macht sind es nicht, die eine politische Lage verändern könnten. Sondern es sind Filme, die das Medium reflektieren. Und der interessanteste politische Film aus der Phase der „Groupe Dziga Vertov“ ist ja, finde ich, Ici et ailleurs (1974), wo er darüber nachdenkt: „Was habe ich gemacht, wie wirken die Bilder? Warum habe ich diese Einstellung gewählt?“ Das heißt, er redet nicht mehr über politische Inhalte, sondern über ästhetische Wirkungen. Dass ist es immer gewesen, was ihn vor allem interessiert hat.

TH: Ursprünglich begann das Projekt unter dem Titel Jusqu’à la victoire (ab 1970) und sollte die politischen Auseinandersetzungen in Palästina dokumentieren. Als der Sieg dann ausblieb, stellte sich auch das ganze Projekt in Frage. Zusammen mit Anne-Marie Miéville hat Godard dann das Material 1974 unter dem Titel Ici et ailleurs neu zusammenmontiert. Bezeichnenderweise verwendet Godard genau an diesem Punkt Video. Das vorliegende 16mm-Material wird auf Video übertragen und im Videoschnitt einer Analyse unterzogen. Der Film selbst ist eine Art Gelenk oder Scharnier, hin zu einer anderen Filmform.

 

1971 Köln – Film-Politik, Rückblick und Reflektion

Abb. 1a-b, Alexander, Godard und Reichart 1971 in Köln

 

TH: Nun noch einmal zurück zum Anfang. Zusammen mit Georg Alexander haben Sie 1971 in Köln Ihr erstes Interview mit Godard geführt. Wie kam das zustande?

WR: Es kam zustande – das war für ihn ausschlaggebend – weil wir seine Filme ausgestrahlt haben. Wir waren ja die einzigen, die im Fernsehen seine politischen Filme gezeigt haben. Wir haben Filme wie Pravda und Lotte in Italia (beide 1969)[8] gezeigt, sehr zum Leidwesen unserer Intendanten und Direktoren. Die fanden das alles natürlich ganz grauenhaft, was wir da machten. Und das war mein Zugang zu Godard: „Du zeigst meine Filme und wir reden zusammen“ – das war der Deal. Und dann kam er nach Köln und wir saßen zusammen am Tisch und haben geredet (Abb. 1). Ich kann mich noch erinnern. Er kam zusammen mit Jean-Pierre Rassam, einem französischen Produzenten. Ich weiß noch, wie ich mit denen dann aus Köln rausgefahren bin, damit sie den Weg zur Autobahn finden (lacht).[9]

TH: Wie Sie schon sagten, ist Godard zum Zeitpunkt des Gespräches dazu übergegangen „politisch“ Filme zu machen. Die Sendung, die sie zusammen mit Alexander produziert haben, zeigt neben dem Gespräch auch zahlreiche Filmausschnitte und thematisiert den Bruch mit Godards vorigem Filmschaffen, der sich allein schon in der Namensgebung „Groupe Dziga Vertov“ manifestierte. Wie haben Sie, diesen Umbruch vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Seherfahrungen empfunden? Gab es da ein Moment der Enttäuschung, das Godard dem Kino den Rücken gekehrt hatte?

WR: Nein, überhaupt nicht, das war die Zeit der Politisierung. Und ich habe mich damals genauso wie Godard politisiert. Ich war nicht derjenige, der im Mai 1968 auf die Straßen geht, sondern war Teil der ästhetischen Revolution (lacht). Und wir hatten die Möglichkeit, das im Fernsehen zu realisieren. Wir waren die einzigen, die diese Filme gezeigt haben. Bei den Dritten Programmen war es so, es gab sechs „Dritte Programme“ – Hamburg, Frankfurt, München, Köln, Stuttgart und Saarbrücken – und die haben sich ein- oder zweimal im Jahr getroffen und jeder durfte die Filme des anderen spielen. Das heißt die hätten alle diese Godard-Filme spielen können ohne, dass sie etwas dafür bezahlen müssten – aber keiner hat es getan!

TH: Sie haben den Missmut der Zuständigen bereits genannt. Dennoch war es möglich, die Filme im WDR zu zeigen?

WR: Auch beim WDR gab es großes Kopfschütteln. Werner Höfer hat gesagt: „Wie kann man solche Filme zeigen!“ Aber der Höfer war einer, der ein großes Herz hatte. Er sagte sich: „Meine Redakteure wissen, was sie tun. Auch wenn mir das nicht gefällt.“ Vielleicht hatte das auch etwas mit seiner unglücklichen Rolle bei den Nazis zu tun, die ihn später wieder eingeholt hat. Denn man hat ihm später antisemitische Äußerungen nachweisen können, die er früher als Journalist getätigt hatte. Er hat den großen Fehler gemacht, das unter den Teppich kehren zu wollen statt es einfach zu benennen. Er hätte sagen müssen: „Ich war zwar verblendet, bescheuert und blöde aber ich bin jemand der etwas gelernt hat“ – das hätte ihn gerettet. Das hat er nicht getan und als es später dann bekannt wurde, war es ein Skandal. Insgeheim hat ihn dieser Hintergrund aber zu einem sehr offen denkenden, großmütigen und liberalen Menschen gemacht. Er wollte keinerlei Zensur mehr ausüben. Wenn man ihn gesehen hat, dann hat er einen immer spöttisch angelächelt und gefragt: „Was habt ihr denn da wieder?“ Aber alles war möglich (lacht). Es war die politische Haltung, die dazu führte, dass die Filme gezeigt wurden und dass man sie sehen wollte. Wir haben damals nicht gedacht: „Scheiße, warum macht der Godard keine richtigen Filme mehr.“

 

1976 Grenoble – Sonimage und Video (1973–79)

Abb. 2a-b, Reichart und Godard 1976 in Grenoble

 

TH: Und dann haben Sie Godard 1976 in Grenoble besucht, wo er zusammen mit Anne-Marie Miéville die Video-Gesellschaft „Sonimage“ gegründet hatte (Abb. 2a).

WR: Und das war eine schöne Form der Begegnung, denn das hatte nicht in erster Linie damit zu tun, dass man ein Interview macht. Das war vielmehr wie ein Arbeitsgespräch: Ich kam nach Grenoble in sein Studio, wo unendlich viele Monitore rumstanden, überall Videokassetten und alles Mögliche. Er zeigte mir, was er so gemacht hatte und dann gingen wir etwas essen, saßen zusammen und kamen wieder zurück in sein Studio. Wir kannten uns ja. Natürlich hat er immer den Eindruck erweckt, als ob es völlig überflüssig ist, ein Interview mit ihm zu führen. Warum Interviews? Wichtig ist, dass man stattdessen Filme macht und zeigt … Nein er war sehr nett und mochte mich vielleicht auch. Es war wirklich eine intensive Arbeitsatmosphäre, die erst dann unterbrochen wurde, als mein Team kam. Dann musste er sich hinsetzen die Technik wurde aufgebaut und dann war es plötzlich wieder Fernsehen (Abb. 2b).

TH: Haben Sie das Interview damals ebenfalls in Video aufgezeichnet?

WR: Lassen Sie mich überlegen … Ich glaube in Grenoble ist noch mit 16mm gedreht worden.

TH: Das muss eine skurrile Situation für Godard gewesen sein.

WR: Absolut! Da war ein komplettes WDR-Team mit dabei, mit Kameramann, Tonmann und Assi und die haben dann in seinem „Video-Studio“ eine eigene Beleuchtung aufgebaut. Das war wirklich ganz schön absurd. Godard war aber sehr geduldig, kann ich mich erinnern. Er hat sich das alles angeguckt – aber ich weiß nicht, was er dabei gedacht hat (lacht). Es ist in der Tat so, dass dort noch mit Film gedreht worden ist. Wir haben lange geredet und dann ist ein Film für den WDR entstanden, für den ein Teil des Materials verwendet wurde.[10] Aber ich fürchte, dass das Restmaterial verschwunden ist. Wir hatten da noch kein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass man das alles eigentlich aufbewahren müsste, was natürlich richtig dumm ist.

TH: In den gerade erschienenen Fragmenten einer Autobiographie – der erste Band der Schriften Harun Farockis – findet sich dazu eine wunderbare Passage. Demnach habe er in seiner Zeit als freier Mitarbeiter beim WDR die Schnittreste ihres Godard-Interviews im Papierkorb gefunden. Das Material hat er dann mitgenommen – eine Form des „produktiven Diebstahls“, wie er es dort nennt.[11] Es wurde transkribiert und für den Abdruck in der „Filmkritik“ verwendet. – Eine Geschichte, die selbst aus einem Godard-Film stammen könnte.

WR: Stimmt! So war das. Ich habe das Interview dann redigiert und ein Vorwort geschrieben. Unglaublich (lacht), so ist er damals durch die Räume geschlichen und hat geguckt, was er mitnehmen kann.

TH: In dem Vorwort erwähnen Sie, dass Godard Ihnen etwas aus Six fois deux gezeigt hatte.[12] War er an Ihrer Meinung interessiert?

WR: Er hat mir einzelne Episoden gezeigt und wir haben darüber gesprochen. Für mich ging es nur um Informationen. Das war ein neues Format, – immer wissend, dass das nicht Kino ist. Ich wollte auch gar keine Meinung dazu entwickeln. Es ging darum, was macht der da und wie macht er es – das habe ich ihn dann gefragt. Manche Dinge fand ich schön, manche amüsant und manche haben mich weniger interessiert. Was er in Grenoble produziert hat, war auch sehr schwer auszustrahlen, denn das waren ja Serien. Man hätte dazu extra Sendeplätze haben müssen und eine Spielfilmredaktion hat eigentlich keinen Seriensendeplatz. Und dann haben wir einzelne Episoden ausgewählt und ausgestrahlt.

TH: Somit waren Sie mit der Schwierigkeit der Übersetzung konfrontiert. Das ist ein Problem, das sich im Falle Godards schlichtweg nicht gut lösen lässt. Neben den unterschiedlichen Tonspuren arbeitete Godard schon damals mit zahlreichen Schrifteinblendungen, die mit nachträglich eingefügten Untertiteln zwangsläufig kollidieren müssen.

WR: Genau, also entweder Untertitel oder Voice-over. Wobei wir uns regelmäßig in den Haaren lagen. Die Puristen waren für Untertitel – denn sonst ginge die originale Stimme verloren. Aber dabei wird immer vergessen, dass Untertitel das Bild zerstören (lacht) und dass die Untertitel die Form des Sehens verändern. Man springt immer hin und her. Nehmen wir mal einen Film wie His Girl Friday (1940) von Howard Hawks, wo von der ersten bis zur letzten Sekunde ununterbrochen geredet wird. Diesen Film würde man vor lauter Untertiteln überhaupt nicht mehr sehen können.

TH: Nur lesen …

WR: Genau! Eine Lösung könnte vielleicht sein, – das ist eine Theorie, die ich habe, – dass man jeden Film verstehen kann, wenn man vorher ein paar Informationen bekommt. Wenn man weiß, um was es in etwa geht, würde man selbst einen japanischen Film wie von Ozu verstehen können. Man würde die Bilder sehen und man würde sie sogar unglaublich intensiv sehen, weil man ja verstehen möchte. Man würde aus der Bewegung der Personen schließen können, in welchem inneren Zustand sie sich befinden. Das wäre eine hochinteressante Form, Filme zu sehen.

TH: Weil die Bilder und die Bewegung für eine Sprachform stehen, die selten adäquat in Wörter übersetzt werden kann.

WR: Richtig. Aber das war natürlich unvorstellbar, dass man im Fernsehen einen neunzigminütigen japanischen Film ohne Untertitel zeigt.

TH: Dass sich ein berühmter Filmkünstler wie Godard dem Fernsehen zuwandte und eine Technik wie das Video bevorzugte hat damals weite Kreise beeinflusst. Unter anderem hat er im gleichen Jahr vor dem Verband der Schweizerischen Film- und AV-Produzenten über seinen Wechsel zur Videotechnik gesprochen.[13]

WR: Ja, das Fernsehen sagte er, da müssen wir hin, dort finden wir das große Publikum, dort können wir kommunizieren. Im Kino können wir das nicht mehr tun. Im Kino dominieren andere Filme. Die Filme, die er damals machte, hatten im Kino keinen Platz mehr. Im Fernsehen dagegen schien alles möglich. Er hätte zum Beispiel gern einen Film über den FC Bayern München gemacht um zu zeigen, wie die Dramaturgie eines Fußballspiels aussieht. Nur das hätte damals niemand haben wollen.

 

1979 Rolle – Geschichte(n) machen

Abb. 3a-b, Reichart in der WDR-Sendung Kinoʹ 81

 

TH: 1979 haben Sie Godard dann noch einmal besucht. Das war in einer Zeit, als er und Miéville gerade an der Serie France tour détour deux enfants[14] arbeiteten und die Idee der Beschäftigung mit der Geschichte des Kinos sich bereits deutlich am Horizont abzeichnete.

WR: Ja, am Anfang stand die Frage „Was macht der jetzt?“. Ich habe ihn dann in Rolle am Genfer See besucht, wo er auch heute noch lebt. Da ist etwas Lustiges passiert. Ich habe das Gespräch aufgezeichnet, bin ins Hotel zurückgegangen und musste feststellen, dass nichts auf dem Tonband zu hören war. Das Schlimmste, was einem passieren kann (lacht). Und dann bin ich sofort aus dem Hotel in sein Büro zurückgerannt und habe ihm das erzählt: „Es ist etwas ganz Schreckliches passiert, es ist nichts drauf auf diesem Tonbandgerät.“ Und dann hat er gesagt: „dann machen wir es eben gleich noch einmal“. Schließlich hat er mir sogar sein Tonbandgerät geliehen.

TH: Haben Sie über seine aktuelle Arbeit mit ihm gesprochen?

WR: Ja, er wurde ja damals ein bisschen pädagogisch. Er machte France tour détour deux enfants, aber das kam nicht richtig an. Der Sender, der die Serie ursprünglich bei ihm in Auftrag gegeben hatte, wollte das eigentlich auch gar nicht mehr haben. Godard hatte dort für sich eine neue Form gefunden, in der er sich plötzlich mehr für Personen interessierte. Personen, die keine Schauspieler sind. Mit denen redete er dann. Sie sollten ihm erzählen, was sie tun und warum sie es tun.

TH: Godard hat Ihnen im Zusammenhang Ihres Interviews von 1976 ein Exposé mit dem Titel Histoire(s) du Cinéma et de la Télévision ausgehändigt. Das sind zwanzig Xerografien, die recht eigenwillige Bild-, Text-Montagen zeigen, die Godard mit Schere und Kleber eigenhändig ausgeführt hatte. Soweit ich sehe, handelt es sich dabei um das früheste Zeugnis eines Projektes, aus dem später die viereinhalbstündige Videoarbeit Histoire(s) du cinéma (1988–98) hervorgingen. Die Blätter wurden dann zusammen mit dem Interview erstmals in der Zeitschrift „Filmkritik abgedruckt und haben von dort aus einen gewissen Wirkungskreis entfaltet. So hat Siegfried Zielinski eines der Collagenblätter später in seinem Buch Audiovisionen (1989) veröffentlicht. [15]

WR: Ja, ich erinnere mich, der Zielinski hat mir das einmal mitgeteilt …

TH: Und auch Friedrich Kittler fügte in sein Buch Film, Grammophon, Typewriter (1986) eine der Collagen ein (Abb. 7a).[16] Die Veröffentlichung in der „Filmkritik“ hat also alle angesteckt. Offenbar traf allein schon die Projektskizze des Films einen ganz bestimmten Nerv. Sie kommen in den Gesprächen von 1976 und 79 auf dieses Projekt zurück. Die Entstehung der Histoire(s) war ja ein Prozess über viele unterschiedliche Etappen. Sie beginnen mit diesen Collagen und bekamen mit den Vorlesungen, die Godard in Montreal 1977/78 gehalten hatte, eine konkretere Form. Aufgezeichnet und transkribiert gelangen diese – nicht ohne Reibungsverluste – in die Form des Buches[17] bevor dann ab 1988 die ersten beiden Episoden in einer vorläufigen Fassung fertiggestellt und im Fernsehen ausgestrahlt wurden.

WR: Genau, er fing an mit den Vorlesungen in Kanada. Und da war ja das Prinzip: Ich vergleiche einen meiner Filme mit anderen Filmen und so kann ich dann mit anderen Filmen über meine Filme reden. Das ist dann fortgeführt worden und hat sich bald über das ganze Weltkino erstreckt – das war der Anfang. Und das Buch – das erste Buch mag ich auch sehr, weil es voller Fehler, voller Druckfehler ist. Und die deutsche Ausgabe haben dann Frieda Grafe und Enno Patalas herausgegeben. Die haben das sozusagen domestiziert, das heißt die haben das in die richtige Form gebracht (Abb. 3a-b).[18]

TH: In Bezug auf die Vorlesungen in Montreal hatten Sie erwähnt, dass Godard seine Filme anderen Filmen gegenüberstellt. Das erinnert mich daran – und das scheint mir ein elementarer Schritt in seinem Werk – das er für die Histoire(s) beinahe vollständig auf bereits bestehendes Filmmaterial zurückgreift. Eine Form der (Re-)Produktion, die sich in dieser Spielart im Wesentlichen erst der Video-Technik verdankt.

 

Histoire(s) du cinéma

Abb. 4a-b, Godard, Histoire(s) du cinéma (Toutes les histoiresLes signes parmi nous)

 

WR: Ich glaube er konnte mit Video schneller denken. Das war der Grund. Was ihn immer beim konventionellen Filmemachen gestört hat, ist, dass alles viel zu lange dauerte. Am Anfang ganz schlimm: Man muss immer warten, bis was kopiert ist und bis man es angucken kann – und das widerspricht völlig seiner Art zu arbeiten. Und was er liebte, führt er ja dann selber in den Histoire(s) du cinéma vor: er sitzt in einer Höhle, holt sich alles dorthinein und kann damit arbeiten und zwar so, dass in dem Moment wo er arbeitet, sofort etwas hergestellt wird. Aber warum kommt er plötzlich auf die Idee Histoire(s) du cinéma zu machen? Was will er wirklich? Er macht ja keine Filmgeschichte …

TH: Das kommt darauf an. Er sagt, ich mache eine Filmgeschichte – aber nicht im Medium der Schrift, sondern im Medium Video. Also eine Art filmgeschriebene Filmgeschichte.

WR: Aber man muss sehen, dass das kein filmhistorischer Diskurs ist, den er verfolgt. Es interessieren ihn ja andere Sachen. Wieder ist es die Reflektion über Bilder. Aber es ist keine Filmgeschichte, wie sie Sadoul schreibt.

TH: Und dennoch interessiert ihn vordringlich das Historische. Nur verwendet er die Dokumente nicht wie ein Positivist, der einen historisch spezifischen Moment beleuchten möchte. Vielmehr handelt es sich um einen Blickwinkel auf die Geschichte, der auch ein poetisches Moment visiert. Eine Filmphilosophie mit historischem Hintergrund. Eine Erzählung, die nicht nur bis an die Anfänge des Kinos zurückreicht, sondern bis Dante, Vergil und Homer ausgreift. Und deshalb bedient sich Godard bei Wissenschaftlern und Historikern wie André Malraux und Élie Faure, deren Sprache selbst mit einer gewissen Nähe zur Poesie und Literatur behaftet ist.

WR: Und er zeigt sich immer dabei, wie er arbeitet! Die anderen, die Filme machen, zeigen sich nur selten selber. Und Filmhistoriker, die vergleichbar dem Projekt Godards einen Film machen würden, die würden Filmausschnitte zeigen, Interviews mit Autoren und Regisseuren zeigen. Die würden über Töne, Musik und Montage nachdenken und würden das alles demonstrieren. Die könnten sagen: „So ist die Kadrage bei Bresson…“ und könnten das dann alles vorführen. Und was macht Godard? Er zeigt sich und was er tut – und das ist eine ganz andere Haltung.

TH: Doch bemerkenswerterweise präsentiert er sich nicht als Filmemacher, sondern als Autor am Schreibtisch (Abb. 4a-b). Er hätte sich ja auch im Schneideraum zeigen können. Aber das macht er nicht. Stattdessen entscheidet er sich für eine Form der Inszenierung, die irgendetwas Bestimmtes aussagen soll. Das Bild der Höhle ist treffend und ruft eine Vielzahl von Ikonografien in Erinnerung. Etwa die der berühmten Hieronymushöhle. Der Gelehrte, der sich wie ein Eremit von den äußeren Versuchungen zurückzieht. Warum diese Art von Theatralität, wo die Histoire(s), bis auf die vielfachen Bildmanipulationen, sonst keinerlei Inszenierungen aufweisen? Haben Sie dafür eine Erklärung?

WR: Ständig ausprobieren! Und zwar ausprobieren in dem Sinne, dass man etwas macht, um zu sehen wie es funktioniert. Und dann kann man es verändern, das ist sein Prinzip. Es erinnert mich manchmal an den berühmten Kleist-Text über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden – so macht er Filme. Er fängt an zu denken und entwickelt etwas und schaut ob es funktioniert. Mir ist zum Beispiel dieses Bild in Erinnerung geblieben, wo Lilian Gish auf einer Eisscholle liegt. Da gibt es doch eine Stelle, da beschreibt er eine Szene mit einer Eisscholle auf einen Fluss mit Lilian Gish … und da fängt er plötzlich an, ganz weit zu denken. Was demonstriert er damit?

TH: Dazu gibt es ein besonders aufschlussreiches Dokument, das die Erarbeitung genau dieses Gedankens demonstriert. 1987 wurde er für das französische Filmmagazin Cinéma, cinémas interviewt.[19] Und dort führt er seine Arbeitsweise im Umgang mit Video exemplarisch vor. Er sitzt an seinem Arbeitstisch in Rolle und greift unter anderem genau dieses Bild heraus. Daneben hält er die Titelseite des Buches Die Erfindung der Hysterie auf dem die Fotografie einer Frau im hysterischen Anfall zu sehen ist (Abb. 5a-b). Georges Didi-Huberman, der Autor dieses Buches, hat sich mehrfach auf diesen Bildvergleich bezogen.[20]

Abb. 5a-b, Godard 1987 in Cinéma cinémas und das Titelbild des gezeigten Buches

 

Godard hat das Motiv dann auch in seine Histoire(s) übernommen: Die Fotografie der bewusstlosen Gish aus Griffithʹ Film Way Down East (1920) – eine Fotografie mit Griffith am Filmset – und dann ein Gemälde das den Neurologen und Lehrer Freuds, Jean-Martin Charcot, während der Demonstration eines hysterischen Anfalls durch eine Probandin zeigt, – sowie ein Ausschnitt des Bildes auf dem Buchtitel (Abb. 6a-c).[21]

Abb. 6a-c, Histoire(s) du cinéma, Une histoire seule

 

Vordergründig führt er in dieser Form der „Überblendung“ Psychoanalyse und Filmgeschichte zusammen. Darüber hinaus scheint er aber auch die Frage stellen zu wollen, ob die seltsam überzeichnete, exaltierte Gestik mit der Gish auf der Eisscholle dargestellt ist, nicht auch einen zeitgeschichtlich realen Kern hat. Warum überhaupt hat das Bild eine so einprägsame, ikonische Wirkung? Doch sicher wegen der Fremdartigkeit der Gestik, die selbst eine entfernte Resonanz in der bei Charcot dokumentierten Hysterie findet. Man könnte vielleicht behaupten, dass Godard die Verfahren der Psychoanalyse auf die Filmgeschichte und das unbewusst in ihr Eingeschlossene anzuwenden versucht. So wie Sie Ihrerseits das Surplus beschrieben haben, dass dabei entsteht, wenn man Filme mit den Umständen ihrer Entstehung in Verbindung bringt.

WR: Ja, der Film ist im Unterschied zur Musik und Bildenden Kunst etwas ganz Konkretes und Hergestelltes. Der Regisseur hat permanent mit ganz vielen Personen zu tun … das definiert den Film.[22] Ich finde zum Beispiel, das die Filmgeschichte sich zu sehr auf die Regisseure fokussiert und nie über die Produzenten spricht, nur, wenn sie sympathisch sind oder so. Was falsch ist! Der Filmproduzent ist ja der erste Zuschauer. Der hat seine Interessen, wie auch ein Zuschauer seine Interessen hat, nämlich: „Ich zahle Geld und will etwas sehen, was meinen Erwartungen entspricht.“ Das ist doch genau die Definition des Produzenten (lacht). Mit diesem Bewusstsein sieht sich der Produzent die Muster an. Und dessen Reaktion kann ja auch für einen Regisseur interessant sein, weshalb gerade diese Wechselwirkung spannend sein könnte.

TH: Genau diese Blickerweiterung vollzieht Godard in den Histoire(s), wenn er neben den Regisseuren auch die Verwicklungen der Filmproduktion beleuchtet. Das kann man zum Beispiel an der Thematisierung von Irving Thalberg sehen, dessen Konflikt mit Erich von Stroheim er heranzieht.

 

Zitieren und (Re-)Produzieren

TH: In Ihrem sehr lesenswerten biografischen Essay Au contraire stellen Sie Godards Hang zur „Kleptomanie“ heraus. Obwohl aus reichem Elternhaus, litt er anfangs unter permanenten Geldmangel, der sich zu einer regelrechten Beschaffungskriminalität auswuchs. Selbst vor der Kasse der „Cahiers du cinéma“ machte er nicht halt. Ich frage mich, ob es nicht dieselbe Skrupellosigkeit ist, die ihn dazu brachte, sich die vielen Zitate anzueignen, mit denen er seine Filme permanent bestückt. In gewisser Weise hat er seine Kleptomanie zu einer künstlerischen Methode gewendet.

WR: Obwohl man sich dann fragen muss, wohin diese Willkür führt. Damit muss man sicherlich auch kritisch umgehen. Hanns Zischler hat mir das erzählt. Das war glaube ich während der Produktion von Allemagne année 90 neuf zéro (1991). Godard war in Zischlers Wohnung, der eine riesige Bibliothek besitzt und hat dort scheinbar blind Bücher herausgeholt und Zitate für seinen Film daraus benutzt. Jetzt kann man natürlich sagen, das ist amüsant, aber ist das in Ordnung? Was macht er daraus? Aber am Ende macht er aus allem etwas.

Abb. 7a-b, Godards Collage und die Vorlage

 

TH: Zum Beispiel hier in dieser Collage, wo er das Bild eines Zebras – ein Stockfoto, das kurioserweise zur Werbung für Farbfernsehgerät als passend empfunden wurde – mit einem Bild aus dem Vietnam-Krieg vertauscht (Abb. 7a-b). Ein Bild der Banalität des Alltags wird durch eines der Realität ersetzt. Beide scheinen nicht recht zusammenzupassen, stehen sogar einander im Widerspruch, gehören aber dennoch in dieselbe Epoche. Dabei könnte man auch an Martha Roslers Collagenserie Bringing the War Home (1967–72/2004–08) denken. Wie bei Godard dringt auch dort der Krieg in die heimischen Wohnzimmer ein.

WR: Ja, alles nehmen ohne lange zu fragen. Das hat er ja mit Brecht gemeinsam – einfach nehmen und benutzen.

TH: Das erinnert mich an eine weitere Bemerkung von Zischler, die er im Rahmen einer Aufführung von Allemagne année 90 neuf zéro gemacht hatte.[23] Godard habe demnach nicht nur einzelne Zitate aus den Büchern entnommen, sondern auch ganze Bilder herausgeschnitten.

WR: Man muss sich das vorstellen! Er sitzt da mit der Schere, spielt herum und montiert – und das macht man doch nicht so schnell. Immer mit der Frage, was kann ich daraus machen, was steckt latent da drin? Das ist ja eine unglaubliche Begabung, die man kaum erklären kann. Wo kommt das her? Oder ist das einfach da?

TH: Das ist ein bildkünstlerisches Vermögen, das weit über den filmischen Referenzrahmen hinausreicht. Er hantiert mit diesen Bildvorlagen wie ein Collagekünstler. Und etwas von solchen Schnittkanten findet sich dann auch in seinen Filmmontagen wieder. In den Histoire(s) wird das ganze Material durch die Form dieser Postproduktion definiert. Und nicht selten gebraucht er die Video-Ästhetik mit Überblendungen und Verfremdungen auf eine Weise, die als malerisch bezeichnet werden könnte. Dabei ist er Künstler und Kritiker zugleich, permanent vergleichend und in Konstellationen denkend. Also nie bei nur einem Bild verharrend: „Ich habe ein Bild … aber welche Bilder gibt es noch? Ist das ein angemessenes Bild?“

WR: Auch um das Gesehene zu strukturieren und eine klare Form zu finden. Aus dem, was man zunächst nicht genau definieren und benennen kann, daraus macht er dann einen Sinn. Die Blätter sind ja für sich genommen alle sinnvoll.

TH: Und sie spiegeln die technische Entwicklung einer historischen Phase, mit all ihren Illusionen und Utopien, ganz genau wieder.

WR: Und wo kommt er denn eigentlich her? Da ist das bürgerliche Milieu seiner Eltern. Er latscht unsicher umher. Beendet gerade noch so in letzter Sekunde die Schule, weil ihn das auch alles nicht so besonders interessiert und steht überall herum und guckt zu und bereist mit seinem Vater, der Arzt war, schon ganz früh Nord- und Südamerika. Dann arbeitet er als Hilfsarbeiter bei einem Staudammprojekt. Darüber handelt dann sein erster Film Opération béton (1955). Das heißt, er weiß eigentlich noch gar nicht genau, was er will. Er geht nicht zielgerichtet los. Und das entspricht ja eigentlich auch seinem Denken. Nicht so ein zielgerichtetes Denken, sondern ein experimentelles Denken. Mal gucken, wo ich raus komme …

TH: Und das obwohl seine Sprache einen anderen Anschein vermittelt. Als wüsste er ganz genau, was zu tun sei.

WR: Ja, ständig erklärt er was. Sagt, wie eine Sache funktioniert. Das ist doch merkwürdig! Und zwar nicht in der unterhaltenden Form, sondern in der aufklärerischen, pädagogischen.

 

Kino und (k)ein Ende

WR: Godard hat schon früh gesagt: „Das Kino wird jung sterben.“ Dieser Gedanke hat ihm irgendwie gefallen, dass das Kino vielleicht, so wie Rimbaud, – früh sterben müsse (lacht), um dann in einer anderen Form wieder aufzuerstehen. Aber er hat sinngemäß gesagt: „100 Jahre Kino, was ist das im Vergleich zu 2000, 3000 Jahren Musik und Bildender Kunst?“ Das Kino, das jung stirbt. Ein Gedanke der so natürlich nicht stimmt. Denn es wird etwas Anderes. Aber das Kino als Institution ist schon auf eine Weise gestorben oder etwas Anderes geworden. Wenn man jetzt DVDs, Blu-Rays sieht, das ist ja nicht Kino, aber alles ist verfügbar. Und insofern hat sich da etwas ganz Grundlegendes verändert, alles ist da. Nur das Kino ist nicht mehr da.

TH: Aber Sie vergessen, dass der Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“, den Sie 1976 anlässlich des Besuches bei Godard und dessen aktuellen Video-Arbeiten veröffentlichten, den Titel: „Das Kino der Zukunft“ trägt!

WR: Ja, aber das Kino ist heute doch zu etwas Anderem geworden. Dazu habe ich mir kürzlich ein Zitat von Godard notiert. Dort sagt er: „Das digitale Bild ist kein Bild. Es ist die Beschreibung eines Bildes. Kino heißt geben – aber davor muss man empfangen. Heute wird nichts mehr empfangen, sondern nur noch eingefangen. Die Oberfläche des Bildschirms ist an jedem Punkt gleich, man könnte auch von der Demokratie der Pixel sprechen“ – Dieses rigorose, das er immer in seinen Formulierungen hat – scheinbar weiß er genau: „Heute wird nichts mehr empfangen, sondern nur noch eingefangen[24] (lacht). Das ist doch merkwürdig! Da schwingt auch immer eine Empörung über den Zustand und die Dummheit dieser Welt mit.

TH: Ja, diese Rhetorik ist fest verankert bei ihm. Und nicht selten gerät er auch mit sich selbst in Widerspruch. Sein Denken und Sprechen scheint auch von einer gewissen Mehrstimmigkeit getragen. Das gibt er auch einmal in einem Interview deutlich zu verstehen: „Vor zwei Jahren haben Sie dies gesagt und jetzt sagen Sie das. Ist das nicht ein Widerspruch, Herr Godard?“ wobei er mit einem diabolischen Lächeln entgegnet: „Ja, natürlich!“ Und trotz dieses Skeptizismus, der in Ihrem Zitat mitschwingt, hat er dennoch keinerlei Skrupel mit digitalen Techniken umzugehen. Und sei es die bloße Handykamera oder, wie zuletzt in Adieu au Langage (2014), das 3D-Kino. Schon dem Videobild hat er seine Flachheit vorgehalten. Dennoch lag gerade in dieser Technik für ihn die Voraussetzung zur Kritik und Analyse. Um im Bilde seiner Formel zu bleiben: der technologisch begründeten Oberflächlichkeit stellt er die Notwendigkeit einer umso substanzielleren Arbeit mit den Bildern und Tönen entgegen. Dieser Begriff der Arbeit, den er immer wieder in Stellung bringt, ist grundlegend für sein Vorgehen. Vielleicht hält er deshalb bis heute daran fest, in Vorbereitung seiner Filme, mit Schere und Kleber diese etwas unzeitgemäß erscheinenden Collagen herzustellen (Abb. 8).

Abb. 8, Godard im Gespräch mit Edwy Plenel, Ludovic Lamant und Sylvain Bourmeau, Rolle 2010

 

Möglicherweise hat es auch mit einem anderen Verständnis seiner Rolle als Autor zu tun. Ähnlich, wie Sie es gerade in dem Zitat benannt haben und wie es auch durch Kaja Silverman formuliert wurde, sieht er sich als ein Empfänger.[25] Ein Autor, der nicht mehr originär erschafft, sondern montiert und kombiniert. Auch um davon wegzukommen, dass alles, was in den Filmen gesagt wird, allein auf ihn als Urheber zurückgeführt. Da ist wieder diese Mehrstimmigkeit, die auch in den Zitationen eine materielle Voraussetzung hat. Er „demokratisiert“ sein Sehen und macht sich – als erster Betrachter – durchlässig für die Reibungen, die im Zusammenkommen der Dinge entstehen.

WR: Dazu muss man einen sehr offenen Geist haben und bereit sein, sich ständig von dem beeinflussen lassen zu können, was einen umgibt. Das findet vielleicht schon seit seinen ersten Filmen statt. Zum Beispiel in der Wahl der Drehorte, die sich häufig zufällig ergeben haben.

TH: So enthält jede Gleichung mindestens eine Variable. – Hanns Zischler schildert das für die Dreharbeiten von Allemagne année 90 neuf zéro. Der größere Rahmen war die Absicht, in Anlehnung an Rossellinis Film Germania anno zero (1948), ein Zeitbild der ehemaligen DDR, kurz nach dem Fall der Mauer einzufangen. Also eine erneute „Stunde Null“. Zischler hat im Vorhinein und völlig autonom die Drehorte für den Film ausgewählt. Da gibt es diese Szene in einem großen Braunkohle-Tagebau bei Leipzig. Godard entscheidet mitten in diesem Niemandsland plötzlich die Figur des Don Quixote auf einer Landstraße auftauchen zu lassen. Hier das monströse Gerät, das, wie Zischler treffend bemerkt, eine Landschaft „auffrisst“, die politisch ohnehin in Auflösung begriffen ist und dort ein liegengebliebener Trabant, als Relikt vergangener Zeiten, – und dazwischen Eddie Constantine, der sich bei dem gleichfalls orientierungslosen Don Quixote über den „Weg in den Westen“ erkundigen möchte (Abb. 9a-b). In dieser sehr eigentümlichen Vermengung, eines konkret historischen mit einem abstrakt-poetischen Aspektes, erhält die Szene plötzlich eine ganz eigene Evidenz, die über das sichtbare hinaus eine bestimmte zeithistorische Stimmung einfängt.

Abb. 9a-b, Godard, Allemagne année 90 neuf zéro

 

WR: Genau … dieses Denken im Moment. Er ist kein Philosoph auf der Suche nach einer letzten Wahrheit.

TH: Er präsentiert keine finalen Antworten, sondern weist zurück. Die Betrachter können das Material nur nehmen, um sich selbst ihren Ariadnefaden zu spinnen, der sie durch das Labyrinth der Bilder, Töne und Texte führt.

 

Ausblicke

TH: Aus heutiger Sicht erscheint es bedauerlich, dass die Vielzahl der Sendungen, die von der Filmredaktion des WDR produziert wurden, so schwer zugänglich ist. Das ist doch irgendwie ein Paradox. Ursprünglich waren die Sendungen dazu da, Filme für eine breitere Öffentlichkeit bekannt zu machen – heute bedarf es jedoch einer nicht unerheblichen Anstrengung diese überhaupt noch ausfindig machen zu können. Braucht es einen Katalog für den „Katalog“?

WR: Manchmal sind solche Sendungen als Bonus auf DVDs beigegeben. Ich habe jetzt mit Molto Menz von „absolut Medien“ und mit einem französischen Verleger Out 1 (1971/90) von Rivette neu herausgebracht. Und da ist meine erste Sendung drauf, die ich über Rivette gemacht habe, das ist, glaube ich, zugleich der erste Film den ich überhaupt gemacht habe. Der hieß Les Mystères de Paris. Und dann habe ich zusammen mit Robert Fischer, einen Filmhistoriker aus München, noch einen neunzigminütigen Film über Rivette und die Autoren gemacht, der in der französischen DVD-Edition enthalten ist.

TH: Sind Sie Godard wieder einmal begegnet?

WR: Kennen Sie Harald Bergmann? Das ist ein deutscher Filmemacher der eine Hölderlin-Trilogie gemacht hat, sein letzter Film ist ein Film über Nabokov. Der ist einer, wie ich finde, der interessantesten Literaturverfilmer in Deutschland aber wird eher als Außenseiter und am Rande stehend wahrgenommen. Der wollte für seinen Nabokovfilm den Godard haben um den alten Nabokov zu spielen.[26] Dann habe ich gesagt: „Lass uns ihn doch einfach fragen! Aber wir rufen ihn jetzt nicht an oder schicken eine Mail oder so, – darauf wird er nicht antworten. Wir fahren einfach hin und gehen das Risiko ein!“ Und so fuhren wir nach Rolle, gingen zu seinem Büro, klingelten und niemand war da. Na gut, also haben wir Pech gehabt! Dann habe ich ihm eine Nachricht auf ein Stück Papier geschrieben – mit Füller –, weil ich weiß, dass er das natürlich am ehesten liest. Und ich schrieb: „Lieber Jean-Luc, wir waren gerade in der Nähe, es wäre schön, wenn wir uns gesehen hätten aber leider hat es nicht geklappt. Hier ist meine Handynummer, usw.“ Und dann sind wir in Rolle in ein Café gegangen und plötzlich klingelt mein Handy und Godard ist am Telefon! Er hat ja immer so eine leicht zitternde Stimme. Und also sagt er: „Kommt doch noch vorbei.“ Dann sind wir zu ihm gegangen und haben geredet. Der Bergmann hat ihm sein Projekt vorgestellt und ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte diese Rolle zu spielen (Abb. 10). Godard hat das verneint, er sei kein Schauspieler usw. Aber immerhin waren wir so ungefähr eine Stunde bei ihm und haben geredet. Das ging also und war sehr einfach!

Abb. 10, Godard und Reichart ca. 2010 in Rolle, Foto: Harald Bergmann

 

TH: 2006 hatte Godard im Centre Pompidou seine Ausstellung Voyage(s) en utopie. Darüber haben Sie in der Zeitschrift „Film-Dienst“ geschrieben.

WR: Ja genau. Und es war natürlich so, dass wieder alles danebengegangen ist. Es ist auch schwer mit ihm, weil er radikal ist und weil er schnell beleidigend wird. Die Frage ist, wie man mit ihm umgeht. Und so Funktionäre finden häufig nicht den richtigen Ton. Man muss auch eine Haltung haben, dass man sagt, in dem Moment, wo ich mich entschieden habe mit ihm was zu machen, darf er alles. Und das Problem von Funktionären ist, dass sie dann sagen: „Ich will dabei sein, ich will das überprüfen“ und dann sagen sie: „Nein, das geht nicht und das geht nicht und könnte man das nicht so machen?“ … Und dann geht das alles eben daneben. Die Ausstellung stand ja auch kurz vor dem Abbruch.

TH: Die Ausstellung war, so wie ich es verstehe, letztlich eher ein Entwurf – die Skizze einer möglichen Ausstellung oder um den Titel aufzugreifen, die Utopie einer Ausstellung.[27] Und das wiederrum ist sehr überzeugend in Bezug auf sein Herangehen und Denken: So lange nur eine Idee sichtbar wird, egal wie roh und ungeschliffen, hat die Sache schon einen Wert und eine Gültigkeit.

WR: Das Unfertige hat ja auch eine Qualität … Das ist bei ihm ein Prinzip. Auch in den Histoire(s) ist Godard doch mehr poetisch als konkret.

TH: Halten Sie auch noch zu weiteren Personen aus der Film- und Fernsehlandschaft Kontakt?

WR: Manchmal trifft man sich auch zufällig. Zum Beispiel habe ich kürzlich Straub gesehen. In der Akademie der Künste ist gerade die Straub/Huillet-Ausstellung, wo er eine der Veranstaltungen besucht hat. Da saß er ein wenig missmutig herum und wir haben kurz gesprochen. Wussten Sie, dass der genau wie Godard in Rolle lebt? Das muss man sich doch mal vorstellen, wie die sich beide auf der Hauptstraße begegnen (lacht). Anna Karina habe ich auch kürzlich getroffen. Wir hatten uns verabredet, saßen in einem Café und haben miteinander gesprochen. Wir konnten fast nur über Godard reden, was sie vielleicht auch ein wenig enttäuscht hat, wie sie mir auch insgesamt etwas enttäuscht vom Leben erschien. Das sind also keine Interviews, sondern einfache Treffen. Aus dem Gedanken heraus, dass ich alt geworden bin, während die anderen noch älter geworden sind (lacht). Und deren Arbeit hat mich begleitet und sie sind noch immer da – und so sieht man sich manchmal. So habe ich auch Agnès Varda besucht. Dann sitzen wir da – ich kenne die Leute aus ihrem Büro schon ziemlich lange – und sie sitzt da mit ihrer Katze und man redet ein bisschen über das Eine oder Andere. Da hat sie mir auch erzählt von Godard – „diese Ratte!“ – der sie im Stich gelassen hatte. In ihrem letzten Film, der heißt Visages, villages (2017), da ist sie mit einem jungen Fotografen durch das ländliche Frankreich gefahren und sie haben Fotos von Leuten gemacht und haben diese Fotos in riesigen Vergrößerungen an Hauswände und freie Flächen geklebt. Zum Beispiel ein Haus, wo dann die ganze Fassade einen Briefträger zeigt. Und dann hat sie mit den Leuten geredet. Ein Film der optisch absolut aufregend ist. Und sie wollte auch den Godard besuchen. Aber der hat sie hängen lassen und dann war sie wütend. Am Anfang waren die sehr oft zusammen. Godard, Jacques Demy und Varda haben oft zusammen Karten gespielt.

TH: In Vardas Film Cléo de 5 à 7 (1962) hatten Godard und Anna Karina diesen sehr anrührenden Auftritt, wo sie anlässlich ihrer Heirat gemeinsam eine Stummfilm-Romanze nachstellen. Und dann hatten Varda und Godard in Paris 2006 zeitgleich Ausstellungen. Godard im Centre Pompidou und Varda in der Fondation Cartier.

WR: Und so treffe ich ständig irgendjemanden. Zum Beispiel den Rudolf Thomé, der inzwischen keine Filme mehr macht. Dabei hat Thomé viele Filme gemacht, die auch einen festen Platz in der Filmgeschichte haben. Und ich frage mich, was bedeutet so etwas? Ist das nur etwas Persönliches oder ist das darüber hinaus interessant? Was bedeutet das dann? Man begegnet sich und jeder hat eine Geschichte.

TH: Planen Sie darüber etwas zu schreiben?

WR: Man könnte einen Essay schreiben über Filmregisseure, die keine Filme mehr machen (lacht). Vielleicht, – wenn der entscheidende Impuls noch kommt. Man will ja nicht ständig mit dem Gedanken umherlaufen, dass man jetzt etwas tun muss. Man trinkt ja auch gerne (lacht). Gerade haben wir ein Abendessen bei uns zu Hause gemacht – da waren Norbert Grob und der Wieland Schulz-Keil zu Gast. Schulz-Keil hat die letzten beiden Filme von John Huston produziert. Dann sitzt man zusammen, redet und die Filmgeschichte ist anwesend und viel Wein wird getrunken (lacht).

 

Anmerkungen

[1] Zur Filmredaktion des WDR siehe auch die beiden 2008 von Michael Baute und Stefan Pethke geführten Gespräche: „Nicht nur Filme zeigen“ – ein Gespräch mit Wilfried Reichart […]“; sowie „Was wir machen wollten, haben wir gemacht“ – ein Gespräch mit Georg Alexander […], in: Kunst der Vermittlung. Aus den Archiven des Filmvermittelnden Films. [Link]

[2] Die französische Sendereihe zumeist monografischer Produktionen, die 1964 initiiert wurde.

[3] Für eine Zusammenstellung von filmvermittelnden Sendungen im WDR siehe „Filmografie, Kino im Fernsehen: WDR“, wie Anm. 1. [Link]

[4] Das ist der Film Allen lebt hier nicht mehr, USA/BRD 1990, 40 Minuten.

[5] Siehe das Gespräch mit Baute/Pethke (Anm. 1).

[6] Dem 1968 gegründeten Autorenkollektiv „Groupe Dziga Vertov“ gehörten neben Godard und Jean-Pierre Gorin auch Jean-Henri Roger, Paul Burron und Gérard Martin an. Bis zu ihrer Auflösung 1971 gingen aus der Gruppe sechs Filme hervor, von denen die Mehrzahl für internationale Fernsehanstalten produziert wurde. Siehe dazu Volker Pantenburg, Politik der Konfusion. Jean-Luc Godard und die Filme der Dziga Vertov-Gruppe, in: Ders., Ränder des Kinos, Godard – Wiseman – Benning – Costa, Köln 2010, S. 13–29.

[7] Antoine de Baecque, Godard, Biographie, Paris 2010.

[8] Beide Filme wurden 1971 und wieder 1974 im WDR ausgestrahlt. Im Falle von Lotte in Italia, der vom italienischen Fernsehen zurückgewiesen wurde, handelte es sich um eine Erstausstrahlung. Ici et ailleurs wurde 1977 im WDR gezeigt.

[9] Politik – 24 x in der Sekunde. Das neue Kino des Jean-Luc Godard, DE 1971, Regie und Buch: Georg Alexander, Produktion: Westdeutscher Rundfunk (WDR) Köln, 52 Min. 30 Sek.

[10] Kinoʹ 77, DE 1977, Regie und Buch: Michael Klier und Wilfried Reichart, Produktion: Westdeutscher Rundfunk (WDR) Köln, 41 Min. 40 Sek. Neben Godard widmet sich die Sendung auch Claude Sautet.

[11] Harun Farocki, Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig. Fragment einer Autobiografie, hg. von Marius Babias und Antje Ehmann (= Harun Farocki, Schriften, Bd. 1), S. 160.

[12] Six fois deux, zus. mit Anne-Marie Miéville, 1976, 610 Min., Video, Farbe, 12 Episoden.

[13] Jean-Luc Godard, „Die Video-Technik im Dienste der Film-Produktion und der Kommunikation“, in: Filmkritik, Jg. 22, 1978, Nr. 7, S. 358–369.

[14] France Tour Détour Deux Enfants, zus. mit Anne-Marie Miéville, 1979, 12 Episoden, jeweils 25 Min., Video, Farbe.

[15] Siegfried Zielinski, Audiovisionen, Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 17. Eine gekürzte Fassung des Interviews hat Zielinski auch in eine von ihm herausgegebene Anthologie aufgenommen: Video. Apparat/Medium, Kunst, Kultur. Ein internationaler Reader, Frankfurt am Main, New York 1992, S. 197–209.

[16] Friedrich Kittler, Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, S. 191.

[17] Jean-Luc Godard, Introduction à une véritable histoire du cinéma, Paris 1980.

[18] Ders., Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos, München 1981. Für die Sendung Kinoʹ 81 hat Reichart einen kurzen Beitrag mit einer Besprechung des Buches hergestellt (Abb. 3a-b). Weitere Beiträge der Sendung: Wieland Schulz-Keil [Peter Lilienthal], Hartmut Bitomsky [Godards Film], Thierry Filliard [in memoriam Abel Gance], DE 1981, Produktion: Westdeutscher Rundfunk (WDR) Köln, 43 Min. 05 Sek.

[19] Cinéma cinémas, Claude Ventura, Michel Boujut, ausgestrahlt am 20. Dezember 1987, A2/ France 2.

[20] Siehe zuletzt George Didi-Huberman, Passés cités par JLG, Lʹoeil de l’histoire, 5, Paris 2015, hier S. 39–43.

[21] Es handelt sich um das 1887 von André Brouillet geschaffene Gemälde Une leçon clinique à la Salpêtrière. Der Titel des Buches lautet Georges Didi-Huberman, Invention de l’hystérie, Charcot et l’iconographie photographique de la salpêtrière, Paris 1982.

[22] Reichart interviewte 1979 nicht nur Godard, sondern auch den Kameramann Raoul Coutard und die Cutterin Agnès Guillemot. Beide waren an mehreren Produktionen Godards beteiligt.

[23] IKKM-Lecture vom 18. Januar 2017, [Link]

[24] Katja Nicodemus und Jean-Luc Godard, Kino heißt streiten [ein Gespräch mit Jean-Luc Godard anlässlich der Verleihung des Europäischen Filmpreises], in: Die Zeit, vom 30. November 2007, Nr. 49. [Link]

[25] Kaja Silverman, The Author as Receiver, in: October, 96, 2001, S. 17–34.

[26] Aus dieser Idee entstand später Bergmanns Film Der Schmetterlingsjäger, 37 Karteikarten zu Nabokov, D/CH 2015, 135 Min. Siehe auch Bert Rebhandl, Ein Interview mit Harald Bergmann, in: Der Tip, vom 16. Juli 2014. [Link]

[27] Siehe auch Thomas Helbig, [Rezension zu:] Anne Marquez, Godard, le dos au musée. Histoire d’une exposition, in: regards croisés, No. 5, 2016, [Link]

 

Bibliografie Wilfried Reichart 

zus. mit Georg Alexander, Was denkt sich eigentlich dieser Jean-Luc Godard, in: Süddeutsche Zeitung vom 3./4. April 1971

Interview mit Jean-Luc-Godard, in: Filmkritik, Jg. 21, Nr. 2, 1977, S. 54–69; gekürzt abgedruckt in: Siegfried Zielinski (Hg.), Video. Apparat/Medium, Kunst, Kultur: ein internationaler Reader, Frankfurt am Main, New York 1992, S. 197–209, sowie auf MedienKunstNetz [Link]

Das Kino der Zukunft, Frankreichs wichtigster Regisseur experimentiert jetzt mit Video in: Die Zeit, Nr. 6, vom 4. Februar 1977, S. 30 [Link]

Interviews mit Jean-Luc Godard, Raoul Coutard und Agnès Guillemot, in: Peter W. Jansen und Wolfram Schütte (Hg.), Jean-Luc Godard (=Reihe Film, 19), München 1979, S. 41–82

Le petit Godard (Jean-Luc Godard et ‚Der kleine Godard‘ de Hellmuth Costard), in: Jean-Luc Godard, Documents, hg. von Nicole Brenez, David Faroult, Michael Temple, James S. Williams und Michael Witt, Paris 2006, S. 292–294 (=Ausst.-Kat., Voyage(s) en Utopie, Jean-Luc Godard, 1946–2006, Centre Pompidou, Paris)

Eine Zeitreise. Jean-Luc Godard im Pariser Centre Pompidou, in: Film-Dienst, 2006, 12, S. 6f.

Au contraire. Jean-Luc Godard – Ein biografischer Versuch, in: Film-Dienst, 2010, 25, S. 6–10; siehe auch den Radiobeitrag Jean-Luc Godard zum 80. – ein Gespräch über Leben und Werk, vom 4. Dezember 2010 auf detector.fm. [Link]

Godard goes 3D, in: Film-Dienst, 2015, 1, S. 29f.

Ein Kommentar zu “Mit Godard sprechen”

  1. goncourt schreibt:

    Ich hatte mit Freunden 1990 Barons «Blast of Silence» in Berlin gesehen. Das löst Assoziationen aus: Jugendliche auf ihrem ersten Ausflug nach Berlin, der eine setzt sich sofort zu den Hausbesetzern ab, die anderen verschwenden ihr Geld in Berlinsouvenirs und Kinobesuche, wo das gerade erst entdeckte «Blast of Silence» gezeigt wird. (So erzählt klingt das jugendromantisch & langweilig, aber reicht, um sich über dieses Interview gerade sehr zu freuen.)

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