Donnerstag, 31.01.2008

Ein kleiner Kristall, der in der blauen Nacht am Rande einer Straße funkelt

André Bazins Geburtstag würde sich im April zum 90. Mal jähren; gestorben ist er im November 1958. Aus diesem zweifachen Anlass drucken die Cahiers du cinéma das Jahr hindurch Artikel von Bazin wieder ab, die bisher nicht in Buchform vorliegen; jeden Monat gibt es etwas von Bazin zu lesen.

Den Anfang macht im Januarheft eine Besprechung von Joshua Logans Film BUS STOP mit Marilyn Monroe und Don Murray. Ein 21-jähriger Bursche – „My name’s kinda french too, Beauregard … Everybody just calls me Bo“ -, der wenig anderes als die heimische Farm in Montana gesehen hat, aber nicht nur als Cowboy von schneller Auffassungsgabe, wenn auch etwas unbedarft ist, fährt zusammen mit seinem gutmütigen Mentor nach Arizona zum Rodeowettbewerb. Es sei nun Zeit, auch einmal ein Mädchen kennen zu lernen, wird ihm auf der Reise anvertraut, und er repliziert polternd, dass er schon wissen werde, wenn es soweit sei. Jedenfalls, soviel ist ihm klar, müsse es ein Engel sein.

Man ahnt schon, dass Marilyn Monroe, die Kneipen-Tänzerin Chérie (oder „Cherry“, wie Bo es ausspricht) dieser Engel ist und Bo die Sache mit vergleichbarer Energie und denselben Handgriffen angeht, mit denen er ein fliehendes Kalb zu Boden ringt. Gegen Ende sieht er sich tatsächlich einmal gezwungen, das Lasso einzusetzen.

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Bazins doppelte Optik nimmt Logans Film und seine Einbettung in der Kultur und Politik der USA zu gleichen Anteilen in den Blick. Eine Vermittlung von „reinem Erzählen“ und sozialer Erdung sei hier, wie überhaupt in den gelungensten Beispielen des amerikanischen Kinos, zu finden: „Hollywoods Genie besteht genau in dieser Synthese, die in keinem anderen Kino erreicht wird; die Bedeutung sozialer Zeugenschaft verbindet sich mit der reiner Erzählung; dabei muss erstere vollständig von letzterer absorbiert werden.“

Logans Film ist wie Bazins Text 1956 entstanden, kurz nach den ersten deutlichen Niederlagen des McCarthyismus und einer Lockerung der Zensurmaßnahmen. Der Terrorismus des HUAC habe dazu beigetragen, das Produktionssystem ziemlich verdummen zu lassen, schreibt Bazin. Durch seinen Hinweis wird man im Gegenzug aufmerksam darauf, wie freizügig BUS STOP ist. Das Selbstbewusst-Libertäre der Tankstellenbesitzerin, ihre laszive Art, abwechselnd den Busfahrer und Bos Mentor mit ihren Reizen zu locken. Nirgendwo die Familie als Horizont, überall andere, losere Beziehungen. Chéries Körperlichkeit, und die Gespräche über „physical attraction“. Man merkt, dass hier ein Anschluss an die Komödie der 30er Jahre gesucht wird, aber nicht im naiven Modus des bruchlosen Wiederanknüpfens. Eher mit einer leichten Verwunderung, dass nun so wieder gesprochen und agiert werden darf. Ein Film, der aus dem dumpfen Schlaf der Zensur aufwacht und sich erstaunt die Augen reibt.

Es ist kein Zufall, dass die Wiederaneignung einer freieren Form der Gesten und des Sprechens in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rodeo und einer Parade geschieht, bei der Szenen aus der US-Geschichte aufgeführt werden. Die amerikanische Tradition wird vom Hinterland aus zurück gewonnen, fernab der Metropolen. Bazin fasst den Film entsprechend als nationale Allegorie auf: „Ausgehend von dieser kleinen Enklave der Zivilisation, abgeschirmt in den Bergen, von diesem amerikanischen Kristall, der in der blauen Nacht am Rande einer Straße funkelt, kondensiert sich eine ganze Lebensart, eine ganze Ethik des Glücks und der Liebe. Das geschieht implizit durch die Verknüpfungen und geht bis hin zu einer virtuellen Rekonstitution Amerikas.“

Besonderen Spaß macht Bazins Ernsthaftigkeit beim Ausbuchstabieren kunst- und kulturgeschichtlicher Analogien. Godard, auf dessen Jahresliste BUS STOP 1956 auf Platz 4 landete, und andere Bazinschüler haben das dann manieristisch überdreht und zur polemischen Spitze ihrer Autorenpolitik geschärft. Nicholas Ray ist Shakespeare, Fritz Lang ist Dostojewksi; na gut. Bei Bazin ist es ganz anders und der vermeintlich adelnde Vergleich bleibt frei von allem Hyperbolischen. Wenn er Logan in einem Atemzug mit La Fontaine und Marivaux nennt, ist das nicht als kämpferische Parole gemeint; es ist kein Statement, sondern beschreibt einen Wahrnehmungsmodus.

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