Zuhause
Wenn man verletzt und krank ist, Kreuzbandriss und Grippe, und man liegt zwischen Säften und Zeitungen und Büchern und Fernbedienungen, dann kann man hineingeraten in einen anderen TV-Slot, in eine andere Programmschiene. Man schaut Fernsehen zu bisher unmöglichen Zeiten. Samstagnachmittag. Freitag früh. Die anderen, die Gesunden, die machen weiter, mit Harald Schmidt und Relegation und Frankfurter Sonntagszeitung.
Gestern geriet ich um 16 Uhr 15 in eine Sendung des bayrischen Rundfunks. Zuvor hatte ich Apache von Aldrich gesehen, im WDR. Der Kinofilm ist ja aus dem Fernsehen verschwunden, eben wegen der Slots. Das Programm muß ablaufen und die einzelnen Programmteile müssen identische Längen haben, damit das Schema unverrückbar und unverschiebbar bestehen bleibt. Die Kinofilme, die richtigen, nicht die Movies, haben diese exakten und identischen Längen nicht. Sie passen nicht. Sie finden in den dritten Programmen oder sonst nach 23 Uhr statt. (Daran hängt filmpolitsich eine Menge: Die Verleiher können die Lizenzen von Filmen, der neue Chabrol, der neue neue von Claire Denis, nach Auswertung im Kino, was meistens Zuschussgeschäft ist, nicht mehr weiter an Fernsehen verkaufen, zu einem halbwegs anständigen Preis, weil die Filme dort nicht mehr in oder wenigstens der Nähe der Prime laufen und die Sender für so was nichts mehr zahlen. So kommen die Filme oft gar nicht mehr ins Kino. Nur die kleinen Verleiher, die auf diese Lizenzverkäufe nicht angewiesen sind, schaffen da noch kinematographische Öffentlichkeit.)
Also, Apache findet im WDR um 15 Uhr statt, am Samstag, und ich denke mir, dass ist die Zeit der Kranken, der Alten, der Betreuten und der Einsamen. Der Menschen, die Tabak in Hülsen stopfen und die fertigen Zigaretten in Reih und Glied auf das Tischtuch legen. Heimarbeit, der Rest davon. Sonst findet die ja im östlichen Trikont statt. Aber vielleicht sind die Kranken und Verletzten und Gepflegten und Alten ein wirkliches Kinopublikum, eines, das früher auch schon in die Nachmittagsvorstellungen gegangen ist, als es noch Kinos in den Städten gab und die Einsamkeit ein Teil der Öffentlichkeit.
Also, Apache fand statt, da wo es hingehörte und es ist ein großartiger Film. Ich kannte ihn schon und ich kannte ihn nicht und das Maisfeld am Schluß, dass vom Sesshaftwerden eines umherdriftenden Kämpfers erzählt, und in dem er sich noch einmal verbergen will, als die Häscher kommen, das ist schon toll. Burt Lancaster sowieso.
Nachher auf Bayern 3. Ein Film, 45 Minuten. Über ein Weinanbaugebiet am Main, wo der beste fränkische Spätburgunder gemacht wird.
Normalerweise werden ja auch die 15UhrKucker von den Programmmachern vorgeplant. Die schon beschriebenen Alten und Sterbenden und Kranken und auf die Enkel Wartenden. Für die gibt es Kalenderbilder. Nebel im Chiemgau. Am Main. Klarinetten dazu. Ein sinnender Vogel, der kurz sein Gefieder zeigt. Ein mit Köstlichkeiten aus der Umgebung gefüllter Fresskorb.
Der Film hier war jedoch anders und vielleicht gibt es viele davon.
Auch er zeigte den Nebel. Im Morgenlicht. Aber der Nebel bedeutet, dass man die Trauben noch nicht ernten kann. Das man warten muß. Und so ernten sie Kürbisse. Und suchen Pilze, Steinpilze. Und der Film zeigt, was aus dieser kleinen Ernte entsteht. Wie der Koch mit den geernteten Früchten und Gemüsen umgeht. Der Film folgt dieser Schleife. Erst dann kommt er zum Wein zurück.
Er folgt dem Handwerk, den Tätigkeiten. Er ist still. Er beobachtet. Setzt zusammen. Zeigt, was Tradition ist. Und was der Moderne geschuldet. Nebenbei setzt sich eine ganze Genealogie einer Winzerfamilie zusammen. Wenn der Winzer erklärt, was dieses Anbaugebiet ausmacht, auszeichnet (Der Main, am Fuß der Weinberge, wie ein Sonnenreflektor, der Fichtenwald am Kopf der Hänge wie eine Mütze usw.), dann zeigt das der Film. Aufwändig. Er versucht, eine Einstellung zu finden. Und diese Suche und Arbeit war sichtbar. Dem Handwerk, dass die Winzer verrichten, setzt er sein eigenes Handwerk entgegen.
Weil die Trauben noch nicht gekeltert werden können, wird Schnaps destilliert. Der Film beobachtet den Winzer, der Williamsbirnenmus in die Brennerei schaufelt. Dann, nach der Arbeit, steht er still neben dem Becken, in das der Schnaps rinnt. Auch das beobachtet der Film. Jetzt tritt der Autor vor die Kamera, tritt auf den Winzer zu. Der Winzer steckt einen Zeigefinger in den Schnaps, fordert den Autoren auf, es ihm gleichzutun. Beide kosten. Dann nicken sie sich zu. Der Autor sagt: „JA!“ Ganz für sich. Der Winzer sagt einen Bruchteil später auch ja. Auch er ganz für sich. Schöner habe ich die Begegnung zwischen der sogenannten Wirklichkeit und den sogenannten Bildern lange nicht gesehen. Es war die zwischen Herstellern, Produzenten. Es ging um den Respekt der eigenen Arbeit und der der anderen. Und die Begegnung ist Genuß. Und Geschmack.
Der Film, der sich im Abspann auch so nannte und nicht Reportage, war von Alexander Samsonow.
Die Old Filmkritik hatte Mitte der 70-er Jahre auch diesen Begriff der Arbeit als Analysebegriff und Werkzeug gebraucht. Für einen Moment dachte ich, dass das auch ein Film von Bitomski hätte sein können (Wenn ich ihn nochmals sehe und alles hier geschriebene bricht zusammen, kann ich mich über den Tablettenkonsum herauswinden). Aber vielleicht ist das wirklich so, dass eine bestimmte Art von Kino und eine bestimmte Art von Bilderherstellung und auch eine bestimmte Art von Genuss in merkwürdigen Slots verschwunden ist. Währenddessen macht die Simulation von Kino da draußen weiter. Man muß die Majors angreifen. Dazu nächstesmal mehr.