Montag, 16.03.2009

Humbug, Grimasse und Tod

„Das war ein beliebtes Subgenre des Gangsterfilms in den 50ern, das Portrait amerikanischer Städte als Nester der Korruption, die bekanntesten Filme darunter PHOENIX CITY STORY und KANSAS CITY CONFIDENTAL, beide von Phil Karlson. Man braucht nicht mehr undercover gehen“, schrieb Hans Schifferle zu William Castles THE HOUSTON STORY von 1956. Das Sichtbarwerden von Korruption, das Offensichtliche von Gier und Gemeinheit ist ein ausgesprochen filmisches Sujet. Eine ausgeraubte Stadt, unterhöhlt, im Erdboden versinkend, während auf einzelnen Gesichtern die Strapaze des Leugnens als grässliche Verunstaltung offen zu Tage tritt – dazu drei Links: Späte Lüge (5:03) – frühe Neugier (8:13) – letzte Aufklärung (2:50).

Wir fuhren, wie auf der Flucht, von Köln weg, aus dem Regen raus, nach Brüssel. Doris Kuhn und die Filmkopien aus der Sammlung des Werkstattkinos kamen aus München. B-Film-Archäologe Jack Stevenson referierte über das „Gimmick“. Besucher standen Schlange, um zwei Filme zu sehen von William Castle. Und ganz nach dessen Willen wurde dann in der Nacht tatsächlich laut geschrieen im Kinosaal.

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„Schock und Thrill, Rock’n’Roll und makabre Scherze, darum geht es in Castles Horrorfilmen. Es geht aber auch um das Subtile im Grellen, um die Verknüpfung von Scherz und Ernst, von Realität und Magie, letztendlich um die Neugier des Menschen und diesen faszinierenden Hokuspokus der Kinematographie. Mit fast kindlicher Radikalität hat er sich in den frühen 60ern an Tabuthemen herangewagt wie der Transsexualität in HOMICIDAL (1961). Nichts ist so, wie es scheint, und doch ist der Schein alles. Castle ließ lange offen, ob der großartige Star des Films mit dem nom de plume Jean Arless Mann oder Frau ist.“

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„Wie ein gerissener Impressario hat Castle alte Hollywoodstars wieder vor die Kamera geholt, ein Impressario aber auch, der das Filmgeschäft kennt, der Respekt und Liebe empfindet den einst großen Darstellern gegenüber und Trauer über den Lauf der Zeit. Barbara Stanwyck und Robert Taylor spielen die Hauptrollen in NIGHTWALKER (1964), einem Thriller über die Wirklichkeit von Alpträumen. In STRAITJACKET stellt Joan Crawford eine Axtmörderin dar, die zu ihrer Tochter zurückkehrt. Dass die Zeit heilt, ist eine Lüge. Bei aller Freude am Experiment haben Castles Filme einen pessimistischen Zug. Sie zeigen die Erbärmlichkeit des Alters, die Grausamkeit der Jugend.“ (Hans Schifferle)

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MR. SARDONICUS (Guy Rolfe) gräbt, wo er nicht graben soll. Mit dem verstorbenen Vater ist ein Lotterielos beerdigt worden. Gestraft wird der Grabräuber durch eine bleibende Grimasse. Unter seiner Maske grinst er wie ein geifernder Hund. „In diesem Film wird besonders deutlich,“ schreibt Schifferle, „wie stark Castle beeinflusst ist vom Stummfilm, der Zeit, als das Kino noch unschuldig war und gefährlich.“

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In den späten 50ern sahen sich viele Kinobetreiber nicht in der Lage die hohen Verleihmieten für aktuelle Produktionen zu entrichten und anstehende technische Neuerungen zu finanzieren. In den Zeiten von Cinerama, Stereo und 3-D suchten sie im Stummfilmabspiel ein Nischendasein.
THE TINGLER entdeckt solch ein Kino als wirklich effektvollen Schauplatz.

Dankbar, wie selige Pilger streunten wir vor der Heimreise in der Mittagssonne noch gemeinsam zum „Cinema ABC“, dessen handgemalte Reklametafeln den Boulevard Adolphe Max mitsamt des alten Hotels „Manhattan“ in eine belgische 42nd Street verwandeln. Viele kleine „Striptease!“-Pappdeckel sitzen wie Schmetterlinge auf den verblichenen Pornofilmplakaten: Deutsche Titel aus dem Hause Constantin – aus besseren Zeiten. Wann sah ich zuletzt eine so verlockende Kinofassade. Eine Reliquie. Ein Tabernakel. Ein Trost.

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In meinem Heimatort, als mein Vater jung war, spielte man einem Betrunkenen, der am Kneipentisch einschlief, einen bösen Streich. Man löschte alle Lichter und tat in völliger Finsternis so, als streite man lautstark beim Kartenspiel. Der Geweckte musste glauben, er sei erblindet, und schrie vor Angst.

Die Brüsseler Cinematek zeigt am Dienstag MATINEE (von Joe Dante, 1993) und THIRTEEN GHOSTS (von William Castle, 1960), am Donnerstag STRAIT-JACKET (1964), am Samstag ZOTZ! (1962) und HOMICIDAL (1961), am Sonntag THE NIGHT WALKER (1964) und HOUSE ON HAUNTED HILL (1959). Im Juni wird das Münchner Filmmuseum Filme von William Castle zeigen.


Ein kleiner Hinweis in eigener Sache:

3sat sendet morgen, Dienstag 17.3.2009, um 22:55 DIE QUEREINSTEIGERINNEN

Ein Kommentar zu “Humbug, Grimasse und Tod”

  1. Thorsten Krämer schreibt:

    We all cried at the ending
    We all stayed for the credits
    And i kept my ticket as a souvenir

    We found our way by the usher’s light
    To the place outside where we parked the bikes
    Underneath a neon sign

    Matinee
    Hey hey
    Why go late
    When the movies are cheaper during the day?

    We come down about twice a week
    To put our feet on the theatre seats
    Admission’s cheap & the soda’s free

    Well, my best friend’s girl works the ticketstand
    When the boss is gone, she gets us in
    We all see a matinee

    Matinee
    Hey hey
    Why go late
    When the movies are cheaper during the day?

    Damian Jurado, Matinee

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