Das Hieratische in „Ziao cheng zhi chun“ (Frühling in einer kleinen Stadt, Fei Mu / China 1948)
Es gibt viele Gänge auf diesem teilweise kriegszerstörten Anwesen – und immer dieselben: die Gattin (Wei Wei) hat ihren eigenen Raum und geht von dort zum Wohnraum des Ehemannes oder zu den je nochmal getrennten Wohnräumen der ‚kleinen Schwester’ und des Gastes (dem Arzt, der unverhofft ankommt, und in den die Ehefrau, schon von früher her, verliebt ist). Dann ist da die Stadtmauer, der Weg am Fluss, ideal für Spaziergänge …
Bei diesen Gängen gibt es ein Grundtempo – ‚nicht allzu schnell’ –, und dieses Tempo wird auch, bis in die Gesten hinein, durchgehalten. (Es gibt natürlich Ausnahmen: etwa wenn der Ehemann tablettenvergiftet im Bett liegt und schnell gehandelt werden muss.) Das ist schon deswegen bemerkenswert, weil es auf der Ebene der Emotionen eine ansteigende Kurve gibt, die in der Vollmondnacht und dem sechzehnten Geburtstag der kleinen Schwester, ihren Klimax erreicht: in der Unmöglichkeit dem kranken Gatten das Liebesverhältnis zu gestehen … Das Gleichmässige (Hieratische) der Gänge behauptet sich letztlich (also von Anfang an) gegen den ‚Ausbruch’: sie stehen für das Geregelte – für das Sosein und vielleicht auch für das Ausweglose dieses Daseins. (Das Quirlige der kleinen Schwester wird öfter mal zurechtgestutzt.)
Was mir beim ersten Sehen so gefallen hat: dass die Off-Stimme der Frau Tätigkeiten benennt, die man sie eben tun sieht – wie durch diese ‚Verdopplung’ Innen und Aussen zugleich sind. Die Stimme spricht aus einer Ferne, einer unbestimmten Distanz – eröffnet einen Sehnsuchtsraum (im Ausweglosen des Sichtbaren). Wenn der Mann, dem die Liebe gilt, von aussen kommend, diesen Raum betritt – den realen Raum –, kann die Stimme erstmal verstummen: es ist ja zu sehen, wie die Sehnsucht sich im Sichtbaren erfüllen könnte … Entscheidend dann die Stelle, wenn sie wieder einsetzt.
Die Frage wäre jetzt: Ob dieses Hieratische, mit ‚Entschleunigung’ gleichzusetzen, nicht doch der der Menschheit zuträgliche Zustand wäre? Wenn es kein überhastetes Gehen, keine überhasteten Gesten gibt – das Leben also ‚getragen’ verläuft –, kann es auch keine ‚Abstürze’ oder ‚falschen Bewegungen’ geben, dem Beschleunigungskapitalismus und dem sich überschlagenden Fortschritt, wäre erstmal Paroli geboten. Keine Finanz- und Weltwirtschaftskrisen mehr …
Aber das Hieratische geht in „Ziao cheng zhi chun“ ja mit einem Gefühl der Ausweglosigkeit einher. Die Frage also, ob sich nicht dennoch die Sehnsucht gerade darin erfüllen könnte, die Konstellation im realen Raum zu ändern wäre. Wie und in welcher Konstellation wäre diese Liebe (dieser Fort-Schritt) – auf die Menschheit bezogen, politökonomisch – möglich?
(Aus den Medien schreit es immerzu: ‚unmöglich, unmöglich, unmöglich!’ … wie wenn „die Fesselung des Lebens an die Überwindung des Mangels“ sich so tief eingegraben hätte, dass es keinem gegönnt sei, davon loszukommen.)
Das Hieratische wäre das, was die Dinge im Elementaren zusammenhält, die Beziehungen aufrechterhält. (Dagegen wäre der ‚private banker’ ein verächtliches, aus der Bahn geworfenes Wesen.) Die ‚falsche Bewegung’ – dass der Gatte mithilfe eines Fläschchens Schlafpillen sich davonmachen will – wird ‚zurückgenommen’, ist rückführbar eben deswegen, weil es diese elementaren Beziehungen gibt. Dass der Gatte ein schwaches Herz hat, krank ist, der Hilfe bedürftig, bedeutet ‚Ende des Partriarchats’: kein Herr mehr im Hause. (Es gibt aber noch den Diener, der seinen Dienstherrn rettet.)
Die Frau – und ihre Liebe zu dem Aussenstehenden – ist in den Mittelpunkt gerückt. Am Ende sieht man sie oben auf dem Strässchen stehen (ihr Mann ist ihr, am Stock gehend, gefolgt, steht hinter ihr), den Arm ausstrecken und hinaus deuten – hinaus auf die Welt … (in die hinein ihre Liebe verschwunden ist).