Landvermesser
Gerhard Benedikt Friedl, 1967 – 2009
Weil ein Nachruf
firmeninterne Details verrät, beschränkt
August Thyssen die Texte der Todesanzeigen
auf amtliche
Lebensdaten.
[HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN?]
(PDF)
Gerhard Friedls Tod hatte mich ratlos gemacht. Ich dachte: Man muss hier etwas darüber schreiben. Und ich dachte: Es ist schäbig, den Tod handlich zu machen und zum Schreibanlass herunterzurechnen; einer stirbt und man hat nichts eiligeres zu tun als die Tastatur zu zücken.
Ich kannte Friedl nicht oder nur flüchtig. Hatte ihn hier mal gesehen, da mal drei Worte gewechselt (und in diesem Fall heißt das: drei Worte). Was ich kannte, waren Leute, die ihn kannten und, wichtiger, die Filme KNITTELFELD und HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN?, dessen Titel zu den schönsten der Filmgeschichte gehört. Überhaupt sind gute Fragen als Titel unterrepräsentiert im Kino. Mir fällt auf Anhieb eigentlich nur noch WILL SUCCESS SPOIL ROCK HUNTER? ein.
In KNITTELFELD und HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN? geschieht etwas ganz Unerhörtes mit dem Verhältnis zwischen Bild und gesprochenem Kommentar. Ich weiß noch, wie abgeklärt und informiert ich mich fühlte – seen & heard it all before, Marker, Godard, du weißt schon. Selbst fremdländische Begriffe wie „acousmêtre“ waren mir nicht unvertraut – und da kommt jemand daher und erfindet das, 70 Jahre nach Einführung des Tonfilms, noch einmal von Grund auf neu. Ich könnte nicht sagen, was genau zwischen dem lakonischen Erzähler und den rigide komponierten Bildern vor sich geht, aber es ist wohl nicht falsch, darin eine Option zu erkennen, die das Kino so vorher noch nicht wahrgenommen hatte. So, als entdecke man nicht nur eine weitere Tür in dem Haus, in dem man seit längerem lebt und das man gut zu kennen glaubt. Nein, hinter dieser Tür ist gleich auch noch ein bislang unbekannter Trakt, in dem aber nur dieser merkwürdige Friedl wohnt.
Es vergingen ein paar Tage, ein paar serviceorientierte Texte über Friedls Tod wurden in österreichischen Tageszeitungen gedruckt. Jetzt dachte ich etwas, das ich schon nach dem Tod von Uwe Nettelbeck gedacht hatte. Auch damals, Anfang 2007, erschien eine Reihe von Nachrufen, manche davon weniger schlampig als andere, aber es wurden immer nur die Ergebnisse – die Texte Nettelbecks – erwähnt oder beschrieben, nie ging es darum, wie diese Texte zustandegekommen waren. Gut, bei Nettelbeck sieht man die Produktion ja am Werk, wenn man DIE REPUBLIK liest, aber aus Erzählungen wusste ich, dass hinter dem monolithisch erscheinenden Projekt tausenderlei interessante Fragen stehen, die gar nicht so monolithisch, sondern in Gespräch und Zusammenarbeit geklärt werden. Es geht nicht um das Anekdotische daran, es geht um die Arbeit.
Auch bei Friedl hätte mich interessiert, wie man einen Film wie KNITTELFELD Schritt für Schritt erarbeitet. Wie man die Motive sucht und findet, in welchen Stufen der Text entsteht, wie man beides zusammenbringt und verschiedene Varianten testet. Glücklicherweise gibt es einen Text, der diese Dinge beschreibt. Werner Dütsch hat ihn über Friedls zweiten Film, HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN?, geschrieben, an dessen Enstehen er – damals noch WDR-Redakteur – als Co-Produzent maßgeblich beteiligt war. In verschiedenen Etappen ist da sehr anschaulich die Entwicklung des Films vom März 2001 bis Ende 2004 geschildert, als der Film sendefertig ist. Keine leichte Zusammenarbeit. Ein Ausschnitt:
„2004 gemeinsame Sichtungen am Monitor. Beim ersten Mal hat der Regisseur Bedenken. Der Rohschnitt sei noch zu roh. Der Redakteur findet das gar nicht so schlecht für eine Einschätzung der Montage, für Änderungen, Vorschläge, Varianten. Zu sehen ist, wie die Dreharbeiten den Bildern eine Autonomie eingeschrieben haben, die sie ganz untauglich machen zur Illustration. Sie lassen sich nicht als die Sklaven des Textes behandeln. Das geht so weit, dass schnell Einigkeit darüber besteht, einige Passagen mit ‚zu viel’ Synchronizität von Bild und Ton wieder zu entzerren. Friedl: ‚Der formale Einsatz: Bild und Wort verfehlen einander.’ Aber jeder neue Schnitt, jeder verschobene Text verändert sicht- und hörbar die Bedeutungsfelder. So eröffnen sich erschreckend viele Möglichkeiten, die Friedl mit unerbittlicher Unzufriedenheit durchdeklinieren wird. Ganze Passagen entfallen, winzige Details werden verändert, der Text ist immer noch nicht endgültig, ein neuer Sprecher beschert Verluste und Neugewinn und weitere Änderungen. Und der Ton? Wie sollen sie miteinander auskommen, der Originalton der Aufnahmen und der Sprecher des Textes? Wer darf wen dominieren oder verdrängen?“ (der ganze Text hier als PDF)
Nebenbemerkung: Man wünscht sich ein Buch „MEMO by Werner Dütsch“, um einen klugen Produzentenblick auf das deutsche Kino der letzten 40 Jahre zu bekommen. Aber wie ich die deutsche Publikationslandschaft einschätze, bekommt man stattdessen die Autobiographie von Bernd Eichinger. Ende der Nebenbemerkung.
Zu den Dreharbeiten zu KNTTELFELD war mir vor einigen Jahren – ich weiß gar nicht, in welchem Zusammenhang – ein Detail kolportiert worden. Rudolf Barmettler, der Kameramann des Films, erinnerte sich an die gemeinsame Arbeit mit Gerhard Friedl: „In Knittelfeld hatten wir auch keine Drehgenehmigung. Wir nahmen die auffälligsten Regenjacken (gelbe und orangene Farben) und schrieben in grossen Lettern drauf ‚Vermessung’. Die Kamera war immer bedeckt auch mit einem auffallenden Stück Regenschutz. Und der Friedl hielt eine Messlatte in der Hand, um die Einstellung zu beschränken, bzw. anzudeuten. Wir stellten jeweils auch ein bis zwei Pannendreiecke auf. Also, nicht verstecken, sondern auffallen, müsste die Strategie sein, aber in eine andere Richtung lenken.“
Barmettler hat jetzt noch einmal im Drehtagebuch von damals nachgelesen. Der folgende Eintrag als Ergänzung:
„17.9.1995
Immer wieder wurden wir als Vermesser angesprochen. Einmal fragte uns eine Frau (Hoffmann), ob wir diese Arbeit ‚dienstlich’ verrichten, was G.B.F. mit ‚Ja’ beantwortete.
Einmal fragte mich ein Automobilist von welchem Amt wir seien und ich antwortete ihm ‚von der Landestopographie’“.
Solche Geschichten und Einblicke in die Filmarbeit würde ich mir wünschen. Nicht, um Gerhard Friedls Filmen etwas Substanzielles hinzuzufügen, die gehören auch so zum Erstaunlichsten, was ich in den letzten 15 Jahren gesehen habe. Auch nicht, um ein wahrscheinlich rätselhaftes und nicht sehr glückliches Leben aus größerer Nähe zu beobachten. Es würde einzig darum gehen, das Handwerk und die Entscheidungen zu sehen, die hinter den Filmen stehen.
Der Tod ist in KNITTELFELD allgegenwärtig. Auch in HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN? wird am laufenden Meter gestorben. Zudem scheint in beiden Filmen jeder Schritt ein Stück tiefer in die Verstrickung und Ausweglosigkeit hinein zu führen. Ich wehre mich gegen den naheliegenden Gedanken, das hätte irgendetwas mit Gerhard Friedls Tod zu tun.
– Volker Pantenburg –
[Dank an Rudolf Barmettler und Matthias Rajmann]
01.08.2009 07:37
Die Nachrufe auf Uwe Nettelbeck (meiner eingeschlossen) waren eine kollektive Hommage: Gemeinsam bekräftigten sie, dass der Verstorbene mit allem, was er über den Kulturbetrieb geschrieben hat, Recht behalten, ja, dabei zur höflichen Untertreibung geneigt hat.