Erziehung der Gefühle
Schon vor ein paar Tagen hatte mir ein Freund aus Paris den Hinweis auf einen Artikel in Les Inrockuptibles (Ausgabe 742, 17. Februar 2010) geschickt. Jean-Marc Lalanne schreibt dort über den Abend zu Ehren Eric Rohmers, der am 8. Februar in der Cinémathèque française stattfand. Der Text endet so:
»Aber den Schock des Abends löste die Entdeckung eines kleinen Films von Jean-Luc Godard aus, den er für den Anlass gemacht hatte. Auf einer schwarzen Leinwand erscheinen nacheinander die Titel der bekanntesten Artikel Rohmers in den Cahiers. Aus dem Off gesprochen evoziert Godard unsichere Bilder aus lange vergangenen, unschuldigen Tagen: zwei junge Freunde, in einer nächtlichen Unterhaltung; die selben beiden in der Küche der Mutter des einen, die ihnen zu essen macht, während sie weiter über Filme diskutieren… Selten hat man Godard über so persönliche Dinge sprechen hören, ganz einfach und ungeschützt. Der Film endet mit einer flüchtigen Einstellung des Filmemachers, etwas scheu vor seiner Webcam. Schon ist er verschwunden. Man würde ihn gern festhalten. Man würde sie beide gern festhalten.«
Nun kommt von Markus Nechleba eine Mail, dass dieser Film von Godard inzwischen auf den Seiten der Cinémathèque zugänglich ist, zusammen mit sehr viel weiterem Material von diesem Abend. Von den Rohmer-Titeln sind mir viele fremd; vertraut dagegen sind mir die letzten Sätze, die Godard in die Kamera spricht:
– C’est là ce que nous avons eu de meilleur ! dit Frédéric.
– Oui, peut-être bien? C’est là ce que nous avons eu de meilleur ! dit Deslauriers.
So endet der wahrscheinlich größte Desillusionierungsroman des 19. Jahrhunderts, Flauberts L’Éducation sentimentale. Flauberts »peut-être bien« lässt Godard weg.
12.03.2010 00:41
„Der Film endet mit einer flüchtigen Einstellung des Filmemachers, etwas scheu vor seiner Webcam.“
Nicht das ich diesem technischen Detail zu viel Aufmerksamkeit schenken will, aber das JLG scheu vor seinem „Tor zum Virtuellem“ sitzt kommt mir doch etwas unglaubwürdig vor. Es scheint mir doch viel eher so als handele es sich hier um eine ganz normale Videoaufnahme (Timcode). Bei der Gelegenheit, weiss hier jemand wer für die Synchronisation der Histoire(s) / Suhrkamp zuständig war? Es handelt sich augenscheinlich nicht um die Übersetzung der ECM CDs.
12.03.2010 08:11
Die Stimme von Godard hat ein Tremolo, das – jetzt deutlicher wahrnehmbar – schon in den ‚Histoires‘ anklang. Vielleicht macht das Sprechen Mühe oder er ist bewegt. Im Vor-sich-hin-Murmeln bei gesenktem Kopf, den er zuletzt hebt, ist der Stimmklang weniger leicht kontrollierbar.
Zwei Tonspuren: Zum einen seine Erzählung – mit dem sonoren Hintergrund von Lüfter oder Gebläse – in scheinbarer Gleichmut, zum anderen die Violin-Sonate aus Einzeltönen, mit Pausen und in motivischer Dynamik, zunächst abwartend, zögerlich, dann unerlässlich drängend.
Gibt das Mischverhältnis zu Beginn – der Pegel von Godards Sprechen bleibt über die gesamte Dauer gleich – die Wörter noch entzifferbar zu hören, werden sie im weiteren Verlauf von der auch in der Lautstärke anschwellenden Bewegtheit der Instrumentalstimme verhüllt. Godard spricht mit der Musik (ab ca. 1:40), er sucht nicht etwa ihre Pausen.
Das Kamerabild gegen Ende gibt ihn gewohnt unrasiert, gediegen in schmal gestreiftem Hemd und Pullover zu sehen. Der Timecode datiert auf den 20. Juli 2009, früher Nachmittag. Der Mann erscheint schmal, zu schmal, was mit der kameraseitigen Wahl des Bildseitenverhältnisses zu tun hat.
Ein Vorschlag zum vorher/nachher:
13.03.2010 13:38
Bei den auteurs gibts neben einer rudimentären Übersetzung ins Englische inzwischen auch einen anschwellenden Apparat zum Text.