Tageskino
„In der Münzgasse hinter dem Alexanderplatz befinden sich mehrere Tageskinos, die alle schon um 11 Uhr vormittags eröffnen. (…) Wie in jenen verschollenen Zeiten, als noch die Filme stumm waren und schöner, muss man an der niederen Leinwand vorbei in die Hintergründe des Zuschauerraums, der ein unermesslich langer Schlauch ist. Er strömt einen Geruch aus, an dessen Herstellung offenbar Generationen gearbeitet haben, und wimmelt von Menschen.“ Wir erleben auch mit, wie Hans Albers („der Favorit der Münzstraße“) zu Heinz Rühmann in die Badewanne springt und das Publikum begeistert ist, als er den Schmächtigen mehrmals untertaucht. – Von diesem Kinobesuch erzählt Siegfried Kracauer in dem schönen Band „Straßen in Berlin und anderswo“, der neu herausgegeben wurde, 1964 zuerst erschienen, blieb er fast unbeachtet. Die Sammlung von Feuilletons (entstanden zwischen 1926 und 1933) lässt uns Kracauer als wachen und auch wahr-träumenden Beobachter des Vorkriegsalltags kennen lernen. Und nicht nur für Filmfreunde ist der Text „Ansichtspostkarte“ aufregend und unheimlich zu lesen, weil sowohl Kommendes hinein- oder herausgelesen werden kann. Die Ausgabe ist mit einem (interessante Verbindungen herstellenden) Nachwort von Reimar Klein versehen. Siegfried Kracauer, Straßen in Berlin und anderswo, Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt, 2009, 268 Seiten, 15,80 €.