Mittwoch, 18.06.2003

Jaal, Guru Dutt, 1952

Jaal, Guru Dutt, Indien 1952

Eine Stunde fehlt mir, am Anfang (Dank an die taz, die das Kleingedruckte im Arsenal-Programm nicht zu lesen versteht) und als ich ins Kino komme, badet Dev Anand in einem kleinen Trog im Freien, bedrängt von zwei Scheichs, von denen nicht klar ist, wie sie da hin kommen, und einem kleinen Mann mit vielen spanischen Namen, der zwischen Hindi und Arabisch übersetzt. Es geht um Gold. Und es geht um Maria, die Frau, die Tony, den Dev Anand spielt, sich kurz darauf mit einem Seil, das er zum Lasso schlingt, auf den Baum zieht, in dem er sitzt. Sie singen. (In Sangam – von 1964 – sitzt Raj Kapoor, neben Guru Dutt der zweite große Schauspieler&Regisseur des klassischen Bollywood, im Baum, mit einem Dudelsack, und singt. Die Frau, die er begehrt, auch eine Dreiecksgeschichte, schwimmt im Fluß.) Hier nun, in Jaal, brandet das Meer an den Strand, Palmen überall, Fischernetze, Jaal heißt Netz. Die Kamera umspielt den Baum, rückt Maria ins Bild, rückt Tony ins Bild und erklärt ohne Worte, dass es um die beiden geht und gehen wird, nach der Vorgeschichte, die ich verpasst habe. Die Vorgeschichte, von der ich naturgemäß nicht weiß, wie ausführlich der Film sie verhandelt hat, bringt das gestohlene Gold ins Spiel, Gier und Lisa, eine andere Frau, die Tony zugrunde gerichtet hat. Tony ist der romantische Held des Films, gespielt von Dev Anand, den Guru Dutts erster Film, Baazi, im Jahr zuvor zum Star gemacht hat. Eine zwielichtige Figur, um das mindeste zu sagen. Zwanzig Jahre später erst wird dieser Heldentypus Amithabh Bachchan, in Deewar oder Sholay, zur Legende machen, Jaal war kein Erfolg beim indischen Publikum. Danach spielte Dutt seine Hauptrollen meist selbst, bis zum Desaster, das Kagaaz Ke Phool war, sein 8 1/2, das schwerblütige Melodram um den auf ganzer Linie gescheiterten Bollywood-Regisseur.

Das Gold, der Mann, die Frau, die ihm verfallen ist, ihr blinder Bruder Carlo, Simon, der Maria liebt mit der Hoffnungslosigkeit der Aufrechten (die Namen wie der Schauplatz bleiben mir ein Rätsel). Große pathetische Szene: der Lockgesang Tonys, die Gitarre in der Hand, der Wind stößt die Tür des Balkons auf, zum Zimmer, in dem Maria widerstehen will und widerstehen will und, natürlich, zuletzt, nicht widerstehen kann. Er singt, sie singt, sie stürmt hinunter, hinaus ins Freie (des Studios, die Palmen an die Wand gemalt), zu ihm, sie küssen sich. Sie will dann zum Meer, eine letzte, verzweifelte Bewegung, Versuch einer Flucht, sie verfängt sich im Netz, das den Titel gibt und hier, in schöner Überdeutlichkeit, für den Sex steht, den sie haben werden, das Verfallensein, das in lieblicher Musik Ausdruck findet und Bilder braucht (einmal filmt Dutt den Beginn einer Einstellung durch ein Fischernetz, kriecht mit der Kamera darunter hervor). Der Knoten, der sich zum Ende hin schürzt: Sie will mit Tony fliehen, übers Meer – an Hemingway muss ich denken, eigentlich schon die ganze Zeit -, der Bruder aber und Simon, mit dem sie verlobt ist, notverlobt, muss man sagen, eilen hinterher, Schüsse von Boot zu Boot, Schüsse an Land und Maria wirft sich dazwischen, hindert Tony, der nun sich entscheidet, fürs Gute, am Töten. Sie wird auf ihn warten. Auf uns wartet, als letzte Einstellung, ein Kreuz auf Uferfelsen, denn dies ist, noch ein Rätsel, ein durch die gesamte katholische Ikonografie gespieltes Melodram. Vielleicht klärt sich manches in der ersten Stunde, die ich nicht gesehen habe. Schöner wäre es, wenn nicht.

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