„Around my way“ – Anmerkungen zu einem kleinen Juwel
Beim ziellosen Umhergehen in Manhattan, irgendwo in einer kleinen Seitenstraße irgendwo zwischen Madison Avenue und Park Avenue South, stolpere ich über Stadtimpressionen aus Kinderhand; ausgesondert, zu Müll erklärt, stehen dort auf dem Gehweg herum: ein mannshohes „Empire Building State“, so jedenfalls liest es sich auf dem aufgeklebten Kartonschildchen, ein „Apartment Building“ und ein in Silberfolie eingeschlagener Turm, der Ähnlichkeiten mit dem Chrysler Building aufweist.
Ich hätte mir denken können, dass mir diese kindliche Pappschachtelarchitektur – diesmal jedoch in zweidimensionaler Form – in dem Kurzfilm „Around my Way“ (USA 1962) von Stewart Wilensky wieder begegnen würde, der auf Kinderzeichnungen der Stadt basiert. Den Film hatte ich mir aus purer Neugierde in die Library for the Performing Arts im Lincoln Center, einem Zweig der New York Public Library, zur Sichtung bestellt. Diese Bibliothek ist im Besitz einer der erstaunlichsten Filmsammlungen überhaupt. Allein 6.000 Filme auf 16mm wurden seit den frühen 1950er Jahren gesammelt, darunter eine beachtliche Anzahl von Avantgarde- und Experimentalfilmen. Bis vor kurzem war die Sammlung im inzwischen geschlossenen Donnell Center – dem MoMA gegenüber – untergebracht.
Im Sichtungsraum der Library for the Performing Arts bekam ich das kleine Juwel „Around my Way“ (USA 1962) zu sehen, das aus etwa 120 Kinderzeichnungen besteht, welche vermutlich in Grundschulen, mit einer Aufgabenstellung wie „Male dein New York“ versehen, entstanden sind. Und da ist es wieder, das Apartment Building – und noch eins und noch eins! Und da sind die Wolkenkratzer mit ihren nicht enden wollenden, aufstrebenden Fassaden, Fenster über Fenster über Fenster. Entgegen der gewohnten Blickrichtung schwenkt die Kamera einmal über die Fassade gleitend von Oben nach Unten, um, unten angekommen, eine im Bild enthaltene Pointe zu enthüllen: Am Fuße des Towerblocks, den wir gerade mit unseren Blicken entlanggefahren sind, steht in Kinderschrift das kleine Wort „etc.“ geschrieben. (Wie ermüdend muss es gewesen sein, all die Fenster zu zeichnen, wie ermüdend erst, das Haus zu bauen!)
In den Zeichnungen der Kinder erkennt die Kamera häufig Details, zoomt hinein und heraus, schwenkt über die Bilder, um das Statische aufzuheben und sie ins Leben zurückzuholen, dem sie entsprungen sind. Mitunter entspinnen sich kleine Geschichten, wenn eine Kameraoperation Verbindungen zwischen zwei Menschen in einer Zeichnung herstellt, statt einfach nur das Bild zu zeigen. Zeichnung folgt auf Zeichnung, motivisch geordnet. Spielende Kinder, ein Boxer, ein schlacksiger Mann mit kleinen Muskelpaketen am Oberarm wie Popeye nach Spinatzufuhr. Tiere im Zoo – ein Zebra, noch ein Zebra, ein Löwe. New York im Regen: die vielen dunklen Striche, rund ums Apartmenthaus gezeichnet, zeugen davon – und auch die Menschen mit Schirmen im nächsten Bild. Baustellen, Bagger, Baustellen. Ein brennendes Haus, eine Feuerwehr. Brücken, Schiffe, die Freiheitsstatue. Kirmes, Jahrmarkt – Coney Island, was sonst? New York im Winter, Schlittschuhläufer, Schneeschieber. Alles begleitet, nein besser: untermalt, von Chuck Israels’ Jazz-Tune, der, wie die verschieden gestalteten Kinderzeichnungen, manche in Farbe, andere in Schwarz-Weiß, Stimmungen nuanciert. Dem Spaziergang durch das New-York-Album, den vielen kleinen Bilderserien ein Ende zu setzen, gelingt Wilensky mit Hilfe eines kleinen Worts: etc.
„Around my way“ wurde von der New York Public Library for the Performing Arts restauriert, genauso wie viele andere Filme aus der Sammlung, etwa die der Avantgardefilmerin Storm de Hirsch. Ein weiterer Film von Stewart Wilensky, ein eher konventioneller dokumentarischer Stadtfilm mit dem Titel „Greenwich Village Sunday“ (um 1960) steht online bei www.archive.org: