Dienstag, 21.09.2004

Le velours rouge

Beim Betreten der Neubauwohnung fordert Camille für die noch kahlen Fenster roten Samt als Vorhangstoff ein. Wenn der Freund Pauls – offensichtlich Filmausstatter – aus Spanien zurück ist, wird dieser Wunsch in Erfüllung gehen, sichert daraufhin Paul zu. Dieses fin-de-siècle Verlangen, roten Samt um die Fenster zu drapieren, das zumindest altmodisch zu nennen gestattet sein muss, steht in seltsamem Kontrast zur Modernität der Frauenfigur, die Brigitte Bardot hier verkörpert – denkt man zunächst – den Vergleich zur noch kargen Möblierung zu Rate ziehend, die – auf der Höhe der Zeit – die klassische Moderne zitiert oder interpretieren will. Die Suche nach den Grundfarben auf der Möbelbespannung wird 1963 nicht lange gedauert haben. Tatsächlich liegt aber in dieser Vermischung der Dekors die Vorstellungswelt einer Barbiepuppe verborgen, einer Puppe, die nahezu simultan das Licht der Welt erblickte und die auf gebildeten Geschmack keinen Wert legt, da sie nicht weiß, was das ist: Amerika ist wunderbar und befreit von dieser Art Konvention. Camilles Perückentick unterstreicht diese Parallelität geradezu. Somit hat sie die Modernität der Möblierung bereits überrundet. Ein Teil des Welterfolges der Bardot wird darauf zurückzuführen sein, dass sie in der Lage war, gleichzeitig für altes Europa und Camp eine Projektionsfläche zu bieten; das lebende europäische Missing Link zur Campbell-Dose. Paul wird später in Wut bereuen, sich auf eine 28-jährige Tippse eingelassen zu haben – einer Antwort auf all die ungezählten Telefonistinnen, um die es zwanzig bis dreißig Jahre zuvor in amerikanischen Filmen zu buhlen galt. Bevor es dort allerdings zum Eheleben kam, wurde bereits abgeblendet. Was somit aufgeschlagen wird, würde bei Klaus Heinrich wahrscheinlich GESCHLECHTERSPANNUNG heißen und über Marilyn Monroe wurde angesichts von MISFITS einmal vom hohen Maß an intuitiver Emanzipation gesprochen. Wir unterbrechen! Ballett.

Ort der Handlung: Cinecittà. Eingeführt mit Hilfe der ersten Einstellung des Films, in der Francesca völlig pur das ist, was sie den ganzen Film hindurch bleiben wird: Assistentin. Im Hintergrund sehen wir dabei, wenn mich nicht alles täuscht, die Neubauwohnung von Camille und Paul in Hanglage. Und ebenda in Cinecittà, jedoch an anderem Orte: Der alte Regisseur, Grandseigneur seines Wesens, verlässt den Projektionsraum und drückt seinem bekittelten Scriptgirl das Drehbuch in die Hand. Kaum vernehmbar, auf Deutsch: HIER, KLEINES, NIMM MAL DEN QUATSCH, ICH KOMM DANN SPÄTER NACH. Die Szene ist eröffnet, und indem ihr Signora Francesca Vanini gleich zu Anfang ins Off entzogen wird, ist auch jede Form immanenter Sprachübersetzung aus dem Spiel genommen, so dass bis zu ihrer Rückkehr gar keiner groß zu reden braucht. Zunächst entwickelt sich alles traditionell-organisch. Paul steht außen an der Studiowand vor dem HATARI-Filmplakat, Camille, von links die Treppe hinunterkommend, will auf ihn zustürzen, wird aber durch Prokosh in seinem roten Alfa Romeo, der ihren Weg kreuzt, kurz daran gehindert. Camille und Paul umarmen einander, während Prokosh neben ihnen zum Halten kommt. Zuvor im Projektionsraum hatte er bekundet: OH, I LIKE GODS – I KNOW EXACTLY HOW THEY FEEL, was in der lakonischen Übersetzung Francescas noch eine Zuspitzung erfährt: MONSIEUR PROKOSH AIME LES DIEUS. Hier nun als Deus in der Maschine würdigt er Camille keines Blickes, als sie ihm von Paul vorgestellt wird. Ganz im Gegensatz zu Fritz Lang, der, da durch Alter dem Geschlechtermessen entzogen, allerlei wohlanständige Formen für dererlei Einführungen zur Verfügung hat. Jetzt aber: Pas de deux, allerdings für eine Solo-Tänzerin. Camille entzieht sich dem Gespräch von Paul und Fritz Lang und umkreist, nach außen völlig motivationslos, den Sportwagen von Prokosh. Wie, um zu erkunden, was es mit dessen Verächtlichkeit auf sich hat – dabei die Unschuld in Person. So etwas nennt man kokett, möchte man sagen, so dass die Entrüstung anlässlich des Angebotes von Prokosh, mit der sie das Eingreifen ihres Mannes erzwingen will, etwas aufgesetzt wirkt. Im flexiblen Handhaben der Ebenen ist sie modern, verlangt aber von ihrem Mann, altmodisch zu sein. YOUR POWERS OF PERSUASSION, YOURS QIZZICAL EYES/HAVE TIRED AND TIED ME, WITH INNOCENT GUILE heißt es bei den Pet Shop Boys (So sorry, I said) oder INTUITIV BERECHNEND, so der Vorwurf gegenüber einer Frau meiner Lebenswelt. Das läuft konträr zu einer Bewegung des Films, Paul als Beziehungseinfaltspinsel hinzustellen, dumpf gegen die Aufrichtigkeit seiner Frau. Mag Camille schlicht sein, ihren Empfindungen kann sie scheinbar blind vertrauen. TU VERRAS – JE TE CONNAIS, JE TE CONNAIS! – prophezeit sie Paul, dessen Opportunismus beschwörend, auch wenn sie diesmal ein Opfer ihrer eigenen Intuition geworden ist; – denn tatsächlich wird Paul das Filmscript letztlich nicht beenden, da Camille zuvor zu Tode kommt. Das ist die Sache mit der Frau, die in jeder Oper, in der es um Liebe geht, nach Kluge im fünften Akt geopfert wird.

AM ANFANG SCHUF GOTT HIMMEL UND ERDEN/UND DIE ERDE WAR WÜST UND LEER/UND ES WAR FINSTER AUFF DER TIEFFE/UND DER GEIST GOTTES SCHWEBET AUF DEM WASSER. (Erstes Buch Mose, I,I, – in der ersten Luther-Übersetzung) Was immer das heißen mag, zumindest macht es deutlich, dass neben Gott auf alle Fälle auch das Wasser schon vor der Erschaffung der Welt seinen Platz hatte. In LE MÉPRIS wird durchweg vom Land aufs Meer hinausgeschaut, nie wird man der Villa Malaparte von der Seeseite angesichtig. In einer zugegeben etwas vulgär-psychoanalytischen Sicht mag das heißen, dass das Weibliche beim Start mit Gott auf gleicher Höhe stand. Der Film trägt dem Rechnung, indem er mit gleicher Ruhe aufs Meer blickt wie auf den Körper der Frau; und beide stehen dabei für etwas Ewiges, etwas ewig Ruhendes. D.h., es kann sich nur um den Blick eines verliebten Mannes handeln. Farocki weist darauf hin, dass es sich bei LE MÉPRIS um das Landschaftserleben durch das Medium der Liebe handeln könnte, wobei sich dieser Landschaftsgenuss nur für den Kinozuschauer ergibt. Die Protagonisten scheinen derart beschäftigt und gefangen, dass sie fürs Naturschöne, dem Nichtidentischen schlechthin, gar kein Auge haben. Godard ist dabei, wie immer eigentlich, der Meister des Wandelns zwischen Fläche und Tiefe. Caspar-David-Friedrich-Einstellungen mit entfliehendem Horizont, wie am Anfang des langen Spaziergangs von Paul und Fritz Lang, der uns den Disput über die Treue oder Untreue der Frau des Odysseus bringt, stehen im Gegensatz zu flachen Einstellungen, oft von der schmollenden Camille. Unter Spannung gesetzt werden sie zumeist mit spätromantizistisch-schwelgender Musik, die in diesem Film durchweg Tiefe durch opulente Süße suggeriert. In ihrer überhöhten Schattenrissdramaturgie breitet sie sich dabei erstaunlicherweise ohne Anwandlung jeglicher Psychologisierung aus, was den Genuss ungetrübt lässt.

LE MÉPRIS ist neben allem anderen eine gültige Inkarnation mediterranen Sommers, des Sommers überhaupt. Wie immer an dieser Stelle muss Irina Hoppe zitiert werden, die eines Sommers anlässlich einer Godard-Retrospektive in einem Kudamm-Kino davon sprach, dass es im Godard-Film ebenso hell ist, wie anschließend beim Hinaustreten am Nachmittag auf die belebte Straße, bruchlos.

Als Signora Francesca Vanini in die Szene zum roten Alfa Romeo zurückkehrt, um die Einladung Prokoshs an Camille zu übersetzen, hat sich ein langer Grashalm in ihren Haaren verfangen. – Eine Erzählung über eines der Dinge zwischen Himmel und Erde, über die wir noch sehr wenig wissen.

Silenzio.

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