Klaus Lemke, Harun Farocki
Vor anderthalb Jahren war ich an der Kamera bei den Dreharbeiten für „Die Quereinsteigerinnen“ von Rainer Knepperges und Christian Mrasek. Zwei Frauen entführen den Telekomchef; gefangen gehalten – fast ohne Fesseln, weil es weit und breit keine Verbindung zu potentiellen Rettern und bald andere Bindungen gibt. In diese einsame deutsche Landschaft, die ein PKW-Kennzeichen aus drei Buchstaben hat – in der Bedeutsamkeits-Hierarchie der Versicherungen, d.h. Unfallzahlen, ganz unten, obwohl es eine ganze Region ist: HSK – in den Hochsaulerlandkreis also wurde er eingeflogen wie ein Star, von Paderborn mit Chauffeur geholt: Klaus Lemke – den die beiden Regisseure verehren. Er übernahm eine Rolle, spielte ein dunkle Figur mit tiefer Stimme und schwarzer Sonnenbrille, die von den Frauen als „Stuten“ spricht. Er wirbelte das Drehen auf, forderte Gefährlichkeit und trieb zum Tanz der Darsteller mit der Kamera.
Bei dieser Gelegenheit lernte ich Lemke kennen. Neulich gab er mir den Film, den er im letzten Jahr fertiggestellt hatte, auf Video. „3 Minuten Heroes“, der noch nirgends gelaufen ist.
Klaus Lemkes Synopsis: „Miles: Genialer DJ, der an Koks und Größenwahn zugrunde geht. Timo: In dem das Herz von St. Pauli steckt. Claudia: Killer-Lilly aus Schnelsen, inzwischen 28, Barfrau, Geliebte von Miles und Timo. Eine bittersüße Love-Story.“
An Harun Farocki hatte ich kurz geschrieben, nachdem ich den Film sah: „dieser 25jährigen-Look macht mich skeptisch, weil Lemke einiges über 60 ist und ich keine Verstellungen mag. Und dann ist da aber die unverschämte Dreistigkeit, mit der er in die Szenen springt wie ein Bungee-Jumper. Was mich nervt sind die ollen Kamellen von Typen und Bienen und Waffen und Kohle; das langweilt mich; deshalb guck ich auch nicht mehr fern – oder eben nur Boxen und Autorennen, wo es wenigstens ums Ganze und wirklich perverses Geld geht.“
Harun Farocki wollte den Film selbst sehen. Er hat es innerhalb einer Woche geschafft, eine Werkschau von Lemke-Filmen anzustoßen, denn er fand großen Gefallen. Damit der Film vielleicht aufm Münchner Filmest laufen kann und überhaupt erst die Hürde nimmt, von der Auswahl-Jury gesichtet zu werden, schrieb er dorthin. Dieser Brief wiederum gefällt mir, und um ihn zitieren zu können, bedurfte es dieser Vorrede.
Harun Farocki schreibt zu „3 Minuten Heroes“ ans Filmfest München: „Als ich davon die ersten drei Szenen sah, dachte ich, ich hätte ein Jugend-Club-Video vor mir, ein paar Minuten später murmelte ich etwas wie „Meisterwerk“. Endlich ist es jemandem gelungen, durch Armut frei zu werden. Die Figuren in diesem Film staunen über sich selbst, daß sie Gesten und Worte aufgreifen und sich anverwandeln und mit diesem Apparat fliegen können – wenigstens eine Weile. Und auch der Film ist glücklich darüber, dass Film möglich ist. Diese Begeisterung habe ich seit der Nouvelle Vague kaum noch gesehen, sie hat mich angesteckt.“