Samstag, 09.07.2011

Bergmanveckanrapport

Letzte Woche war ich ein paar Tage in Schweden, auf Fårö. Cristina Nord von der taz hatte mich gefragt, ob ich Lust habe, zur Bergmanveckan zu fahren, weil ich soviele Bergmanfilme auf der Berlinale gesehen hatte, und, klar, ich habe sofort zugesagt. Freitag war der Artikel dann in der Zeitung, hier kann man ihn nachlesen.
Im nachfolgenden Rapport stehen andere Sachen, die ich ebenso aufgeschrieben hatte in Schweden, die aber nicht mehr in den taz-Bericht passten, Outtakes. Ich würde erst den Text in der taz lesen. Wenn man danach noch mehr von der »Bergmanveckan« lesen mag, kann man hier gerne weitermachen.

Donnerstag – In der Flughafenhalle am Morgen waren wir eingeladene Berichterstatter nach und nach zusammen getroffen und hatten uns gegenseitig erkannt wegen unserer Umhängetaschen. Die Inderin aus Mumbai sieht die rote weiche Berlinaletasche, denkt, ich habe was mit Film zu tun, und spricht mich an. Der Brasilianer aus Rio, der Russe aus Moskau, der Engländer aus London und der Amerikaner aus New York, der am frühen Morgen angekommen war und mit seinem rotweißen Karohemd in einer der bequemen graugepolsterten Sitzschalen an Gate 41 im Flughafen Arlanda sitzt. Etwa eine halbe Stunde Flug im kleinen Flugzeug von Stockholm nach Visby. Dort, auf Gotland, warten die beiden Leihwagen, die von unseren Begleiterinnen vom Swedish Institute gefahren werden. Das Institut hat uns eingeladen und die Reise bezahlt. K, eine unserer Begleiterinnen, Pressebetreuerin des Swedish Institute, ist dieses Jahr das zweite Mal dabei, S hat die Tour schon öfter gemacht. Dieser Wind, dieses Meer, diese Möwen! Überall in Schweden herrscht das Rauchverbot und selbst hier draußen meine ich schräg angeschaut zu werden, als ich meine Camel ohne raushole. Gerade in solchen Situationen ist das wie zwanghaft. Es ist recht warm, die Sonne scheint, aber es wird gesagt, dass es morgen regnen soll und man sieht, dass die Schwalben schon tiefer fliegen.
Fünf schwedische Kurzfilme, die aufgefallen waren auf dem Festival von Göteborg, dem größten Skandinaviens, drei von Frauen. Der erste Film, »Svamp« von Charlotta Miller, eine Verlassenwerden- und Rachegeschichte mit schönen Tonideen und rabiatem Kurzfilmschluss. Der zweite, »Banga Inte«, von Fanni Metelius, einer Teenagerin, die ihre Filmhandlung auf 1999 datiert und um rauh behandelte Rriot Girls eine kleine Geschichte aus momenthaften Aufnahmen erzählt. Zum dritten, »Sent På Jorden« von John Skoog, der mir am besten gefällt, etwas in der taz. Der Familienaufstellungsfilm (»Stora Scenen« von Tova Monzard) und der auf YouTube betrailerte Film mit dem echten Baby als Grobian in einer Animationsszenerie (»Las Palmas« von Johannes Nyholm). Nach den Filmen vor dem Kino: Eben war man noch Zuschauer, jetzt steht man so rum. Da, der kurzgeschorene Hüne, der Aufführungen von Bergmanfilmen hinterher reist und gewaltbereit aussieht. Beide Unterarme sind mit flächigen Tätowierungen markiert: auf dem rechten steht fett und tiefschwarz »Persona«, auf dem linken in kyrillischer Schreibweise »Stalker« und »Tarkovsky«. Am Abend in der Unterkunft verbrauche ich ein paar Minuten für eine dringende Mail, danach Text.
Freitag – Wir müssen früh aufstehen und ich kann deswegen schlecht schlafen. Die Aussicht, wenig zu schlafen, lässt einen schlecht schlafen. Nach dem Duschen rutsche ich beinahe gefährlich im Badezimmer aus. Ich erinnere mich an das, was Bergman auf den Fußboden seines Badezimmers zur ständigen Warnung geschrieben hatte: »Achtung, verflucht rutschig!« Wir frühstücken im Freien vor der Unterkunft, Kaffee, Brot, Butter, Eier, Müsli, Blick aufs Meer. Jetzt zu Ingmar Bergmans Privatkino, das Dämba heißt. Die besten Projektoren sind darin und ausgebleichte grüne Sessel. An der Wand hängt ein schöner Wandteppich. Eine Künstlerin schenkte ihn Bergman nach der Premiere von »Die Zauberflöte« und auf dem Teppich sind in naiver Manier Motive der Oper und der Inszenierung Bergmans dargestellt. Man erkennt in einer Figur Bergman, der wie aus dem Hintergrund, aber doch auch in der Szene, die sichtbaren Handlungen bestimmt. Drei neue schwedische Filme: Über den ersten, der noch keine Festivalpremiere hatte, darf noch nicht geschrieben werden, weil das Beschreiben den Premierenbetrieb stören würde. Der zweite, »Svinalängorna« (Beyond), von Pernilla August, die als Schauspielerin bei »Star Wars« mitspielte und bei »Fanny och Alexander«, ist sehr schön und schon gezeigt worden; ich schreibe kurz in der taz dazu. Nach den Filmen ist es warm und es wird schwül. Auf zur Bergmansafari!
Ein vollbesetzter gelber Bus fährt mit uns über die Insel und hält an Stellen, an denen Bergman Filme gedreht hat. Bis auf einen Film, den Dokumentarfilm »Fårö Dokument« von 1979 sind alle Filme, die Bergman auf der Insel gemacht hat, in Schwarz und Weiß, »Scener ur ett äktenskap« ist nicht in Schwarz und Weiß, aber es gibt ja kaum Szenen außerhalb des Hauses. Die Stelle, wo Bergman »Persona« gedreht hat. Dieser Film sollte ursprünglich Kinematografie heißen, also Kino, ein Film, der »Kino« heißt. Ein schmaler Küstenstreifen, viele Steinplatten und -stücke, die dort wie gesprenkelt hingetan aussehen. Das ist alles sehr fotogen. An einer anderen Stelle stehen Rauken in einem Ensemble, die Natur hat das gemacht, es sieht ein bisschen so aus wie die berühmten Steine von der Osterinsel. Die Steine hier wirken aber doch auch harmloser in ihren Formen und Dimensionen als die Osterinselsteine, die Zufälligkeit ihrer Gestalt und die Zufälligkeit ihres Zueinanderstehens machen sie einem zugänglich. Eine Szene aus »Skammen« ist dort gedreht worden. Die Bergmansafari ist sehr aufwändig. Man fährt mit dem Bus, aber der Bus kann nicht überall fahren, deshalb steigt man bisweilen um in wartende Autos, die die schmaleren Wege befahren können zu einzelnen Bergman-relevanten Stellen und einen dann wieder zurückbringen zum Bus und dann geht diese Aus-, Um- und Wiedereinsteigen von vorne los. Die Führung wird von zwei Frauen gemacht, die eine, eine Fåröerin, erzählt manchmal Geschichten aus der Zeit auf der Insel mit Bergman, wie nett und hilfsbereit er zu den Bewohnern gewesen ist und wie er ihnen Geld gespendet hat. Ich höre später aber auch, dass Bergman wie eine besenkte Sau mit seinem Jeep über die Insel gefahren sei, immer in der Mitte der Straße, man musste sich schleunigst in Sicherheit bringen, wenn er mit seinem Jeep ankam. Im Bus sind zwei Monitore, einer vorne, der andere hinten, darauf sieht man eingespielte Ausschnitte aus den Filmen und man kann die Filmausschnitte dann mit der Realität vergleichen, zu der man bei dieser Tour gebracht, vor die man hier gestellt ist. Fördert dies das Verstehen? Ich kann es noch nicht sagen. Am Horizont kommt das Gewitter. Es kommt näher, die Blitze erscheinen über der See, dann regnet es.
Samstag – Es hat in der Nacht geregnet. Die Luft ist nun noch frischer. Wegen des Meeres weht immer ein Wind, der frisch ist. Später am Tag erzählt der Schriftsteller Mankell von einem Bluttropfen, der auf dem Zauberflötenwandteppich zu sehen sei, aber bis man ihn finde, könne man lange suchen. Einmal hatte Bergman den Fleck dem Schriftsteller und Aktivisten zeigen wollen. Da haben sie eine halbe Stunde vor dem Wandteppich gestanden und gesucht. Mankell ist seit Jahren mit einer Tochter von Bergman verheiratet, jetzt hat er das Drehbuch für eine vierteilige Fernsehserie geschrieben, die von Bergmans Leben handle, aber kein Biopic sei.
Bergmanmuseum. Die Ausstellung ist in diesem Sommer neu eröffnet worden. Sie präsentiert den Zusammenhang der hier entstandenen Bergmanfilme mit den Einwohnern der Insel. Sie ist in einer alten, nicht mehr zum Lehren und Lernen benutzten Schule. Sie besteht aus vier Räumen. Ausschnitte aus Filmen sind zu sehen, auch aus Dokumentationen über diese Filme, und Reproduktionen von Fotografien, die sowohl Bergman und sein Team bei Arbeiten an diesen Filmen zeigen, als auch Dorfbewohner, die in einer Beziehung zu diesen Arbeiten stehen oder direkt mit Bergman zu tun hatten, wie zum Beispiel Bergmans Haushälterin, die auf einem großformatigen Foto zu sehen ist mit einer Kette, die ihr Bergman einst zum Geschenk machte. Cafe in der Kafeteria. Manche schauen noch nach mitnehmbaren Waren für die daheim, Bücher, Postkarten, DVDs, die im Shop zu erwerben sind. Das Grab Bergmans ist auf einem Kirchhof, rauhe graue Steinplatten vor dem Grab markieren einen kleinen stegartigen Weg dahin, die haben etwas Klares, Helles, Schönes, aber auch etwas heidnisch Runenhaftes. In der Nähe des Grabes ist ein Komposthaufen und ein Baum spendet Schatten. Eine schmale Mauer aus unregelmäßig eingesetzten Steinen, wie es hier üblich ist, auf der kann man sitzen.
Jetzt sitzen wir draußen um einen Tisch unter einem Schirm und zwei Mitarbeiter vom Schwedischen Filminstitut geben Auskunft über das schwedische Kino. Wie der Marktanteil des schwedischen Films im letzten Jahr war (etwa 20%), wieviele schwedische Filme letztes Jahr vom schwedischen Filminstitut mitfinanziert wurden (40), dass versucht wird, weibliche Regisseure zu ermuntern, schwedische Filme zu drehen… – solche Sachen. Ich frage nach Klischees und Stereotypen und nach Unterschieden zwischen den skandinavischen Nationalkinematographien. Die schwedischen Filme gelten traditionell als mit guten Darstellern ausgestattet und sie haben viel Natur in sich. Die dänischen Filme, zu den schwedischen im Gegensatz, sind bekannt dafür, besonders gut geschrieben zu sein. Das norwegische Kino und auch das isländische sind sehr klein und man kann schwer etwas wirklich Typisches über diese Kinos behaupten. Das finnische Kino wiederum ist eine Sache für sich. Während des Informiertwerdens über das Kino Schwedens und die Entwicklung und die Pläne und die Filmpolitik, stoßen Winde heran und reißen erst einen, dann noch einen, dann einen dritten Schirm aus ihren Verankerungen. Es ist alles halb so schlimm, erst sind wir alle überrascht und helle spitze Schreie ertönen, als die Schirme uns um die Ohren fliegen, bald aber schon legt sich die Aufregung um die fliegenden Schirme, man kann es in der Sonne gut aushalten, man braucht den Schatten der Schirme nicht unbedingt, denn der wehende Wind kühlt die Menschen.
Im Kino, das »Bio« heißt, was eine Abkürzung für »Biograf« ist, so wird Kino hier genannt, wird der Film »Persona« gezeigt. Eine Schriftstellerin macht auf Schwedisch eine Einführung. Ich verstehe kein Schwedisch, der Name Rosa Parks fällt ein paar Mal und später übersetzt K uns sinngemäß, was die Autorin in ihrer Einführung zu »Persona« sagt. Es geht um das Schweigen und die Widerständigkeit, die auch im Schweigen liege. Im Kino ist es sehr heiß und schwül und ich schlafe einmal ein, wache dann erschrocken auf, genau da, wo Bibi Andersson und Liv Ullmann auf Fårö am Strand gehen an einer Stelle, die wir gestern noch in echt gesehen haben. In der Pause, in der die Rollen gewechselt werden, gehe ich nach draußen. Ich setze mich auf den Rasen und lehne mich an einen schmalen Baum. Die Sonne scheint, der Wind geht, ich liege auf dem Rasen und mein Kopf lehnt an dem schmalen Baum, der leicht vom Wind hin- und herbewegt wird. Ich schließe die Augen und werde nun eingeschlafen sein, denn später ist alles rotgefärbt auf meiner der Sonne zugekehrten Gesichtshälfte. Die anderen sind im Kino geblieben und schauen den Film »Persona« zuende. Wir sprechen jetzt über den Film, er ist zuende, und ich kenne ihn ja gut und kann daher mitsprechen, und K fasst die auf Schwedisch vorgetragene Einführung der Autorin zusammen. Die Sache mit dem Schweigen und dem Widerstand, der Widerständigkeit, der Widerstandskraft des Schweigens. In Schweden grüßen sich die Leute, wenn sie sich nur beiläufig kennen, mit einem nach kurzer Zeit gleichgültig klingenden »Hey«. Kennen die Schweden sich besser, dehnen sie den y-Laut am Ende des »Hey« zu einem nach oben gezogenen Ton. Aus dem »y« wird so ein offenes, etwas angestrengt freudig klingendes, langdauerndes »i«, bei dem, wie ich finde, überzogene Erwartungen an das Gegenüber mitschwingen. Zum Sandstrand. Das Wasser ist warm, der Wind kühlt. Es lässt sich gut aushalten.

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