Tal der Gedärme
Interessant, wie der FAZ bei dem türkischen Film „Tal der Wölfe“ beim Schauen die Phantasie durchgeht. Heute schreibt Heinrich Wefing von „Gedärmen“, die ein jüdischer Arzt muslimischen Gefangenen „bei lebendigem Leib“ herausschneidet, und von sadistischen Christen, „die wahllos Kinder ermorden“. Das ist pure Rhetorik, der Film ist da in jeder Einstellung präziser, weil er tatsächlich ein Projekt hat – allerdings nicht das, die muslimischen Horden ideologisch aufzurüsten. Die entscheidende Differenz, die „Tal der Wölfe“ verhandelt, ist nicht die zwischen „uns“ und „denen“, sondern die zwischen Religion und Nation. Der türkische Nationalismus bricht sich am Islam eines Scheichs, und erst, nachdem der amerikanische Zivilist (!) Sam Marshall den gewaltlosen Prediger samt Minarett zusammenschießt, kommt der türkische Nationalagent zu seinem kruden Racheakt. „Tal der Wölfe“ bezieht sich in vielen Szenen überdeutlich auf faktische Situationen, versucht gleichzeitig aber, islamistische Gewalt ausdrücklich rückgängig zu machen (ein Stellvertreter von Daniel Pearl wird im letzten Moment gerettet), nur um dann als „ultima ratio“ die Tötung des Peinigers Sam Marshall durch einen türkischen Helden zuzulassen. Klar ist das kein globalökumenisches Manifest (dazu ist der Film aber auch zu konkret an den Faktizitäten des Irakkriegs und des „war on terror“ dran), aber man muss schon eine besondere Agenda beim Schauen haben, um nicht zu sehen, daß „Tal der Wölfe“ nicht nur eindimensional agitiert, sondern einige von den wesentlichen „orientalischen“ Positionen in der gegenwärtigen Geopolitik miteinander verhandelt. Die FAZ liest dies kontrafaktisch als Aufruf zum Religionskrieg, und spricht de facto von Überfremdungsängsten, weil ein kommerzielles Werk aus einer Kultur, aus der ein solches nicht vorgesehen ist, in einem Multiplexx in Neukölln läuft, in dem die Leute zu „Tal der Wölfe“ genauso Popcorn essen wie zu „Aeonflux“.