Samstag, 23.02.2002

Liebling, ich habe das Kino geschrumpft

Krieg und Kino und Kritik.

Von Michael Girke

Im Jahr 2000 lieferte Hollywood „U-571“, einen Weltkrieg 2-Film, der die Erbeutung der Maschine, mit der die Nazis ihren Funkverkehr chiffrierten Amerikanern zuschrieb. Jetzt gibt es „Enigma“, einen europäischen Film der historische Korrektur betreibt – er spielt tatsächlich in Bletchley Park, jenem britischen Labor, in dem Alan Turing den Apparat entwickelte, der die Enigma-Codes entschlüsselte. Gute Gründe Geschichtsfilme in amerikanischen, europäischen und anderen Kinematographien zu vergleichen, ihre Möglichkeiten und Probleme zu diskutieren.
Eine Debatte findet nicht statt. „Unabhängig davon ist hier jedoch großes weit überdurchschnittliches Kino entstanden: spannend, intelligent, reich an emotionellen und an historisch grundierten Tönen und mit einem eigenen europäischen Sound: Es wird spannend zu sehen sein, wie die USA auf diese Erzählweise einer gemeinsam erlebten Weltgeschichte an der Kinokasse reagieren“ freuen sich hiesige Filmkritiker über „Enigma“. Großes Kino mit Stars und Glamour kann Europa jetzt auch. Filme müssen nur groß genug sein, dann geht viel Geschichte rein. „Dem Geschichtsbild der römischen Historiker, wie der Logik des Spielfilms entspricht es dabei, daß sich dieser Widerstand in einzelnen Personen kristallisiert, die zu Gegenspielern des Imperators und seiner Exekutoren werden. Der Film kann und muß auch hier stärker abkürzen, doch die Dialektik der Herrschaftslogik ist beinahe die gleiche wie in Rom.“ Das schreibt Uwe Walter im FAZ Feuilleton zur Frage, ob „Star Wars: Episode 1“ als Geschichtsfilm taugt. Weil römische Historiker geschichtliche Ereignisse an Individuen fest gemacht, Geschichte personalisiert haben, kannte die Antike schon Spielfilmlogik. Wenn das so ist, kann man Spielfilme als Autoritäten für Geschichte und Erinnerungsarbeit ansehen. In „Star Wars“ sieht man Rom, auf Geschichte im Kino reagiert nicht der Verstand, sondern die Kinokasse. Wie kommen solche Gedanken in die Köpfe?

Zeitgleich mit dem Start von „Enigma“ räumen Feuilletons und Filmzeitschriften ihre besten Plätze frei für Einschätzungen und Gespräche zur Frage wie es dem deutschen Film geht: „Heute gibt es keinen gesellschaftlichen Aufbruch, keine dezidierte Suche nach Bildern vom eigenen Land und seiner Geschichte und die Berufung aufs Autorenkino wird eher gemieden“ schreibt beispielsweise Rainer Gansera in Film epd. Was dieser Satz überspielt: Der schlechte Ruf des Autorenfilms ist nicht gegeben, er ist gemacht. Mit Hilfe der Filmkritik. Die zentralen Texte der deutschen Filmkritik sind Wegbeschreibungen. Nicht Analyse einzelner Filme oder Bilder, sondern Blick aufs große Ganze. Wo wollen wir hin, was haben wir hinter uns. Wege zum Ruhm, Wege ins Abseits. Mit Filmkritikern als Reiseleitern. „Daher sind diejenigen, die das Kino zur Kunst machen wollen auf dem Holzweg: ein Kunstkino, wie es programmatisch von Regisseuren wie Godard oder Greenaway vertreten wird, das auch bei deutschen Autorenfilmern sein Unwesen treibt, von den revolutionären Blockflötenfilmen eines Jean Marie Straub gar nicht zu reden“ (Kurt Scheel, Herausgeber des Merkur). „Dabei ist es gerade jetzt höchste Zeit sich endlich von den Illusionen der siebziger Jahre zu verabschieden“ (Andreas Kilb). Was ist eine filmkritische Jugendsünde? „Wir haben das Interview trotzdem gemacht, und noch heute schießt mir die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich an den kompletten akademischen Blödsinn denke, den ich Jim Hoberman damals gefragt habe“ (Mariam Niroumand, Der Alltag). Autorenfilm und Akademie (was daraus zum Kino kommt), das sind in Deutschland Namen für das Falsche am Film.

Was ist Ziel des Kinos? „FAZ: Wann haben sie das letzte mal im Kino feuchte Augen bekommen? Staatsminister für Kultur: Bei „Weil es Dich gibt“ muß ich gestehen, hat mich eine ziemlich kitschige Szene doch ziemlich berührt. FAZ: Was hat sie zuletzt gerührt? Neuer Berlinale-Leiter: Ich weiß das präzise, weil es erst eineinhalb Wochen her ist. Im Berliner Delphi-Kino wurde einer meiner Lieblingsfilme gespielt, nämlich „Zugvögel – Einmal nach Inari“. Und siehe da, es passierte, und zwar nicht einmal, sondern mehrmals, daß mir die Tränen in die Augen stiegen, bei diesem Gespräch zwischen Joachim Krol und der Finnin, ob der schnellste oder der schönste Weg der Beste ist“ (FAZ).Und was hätte Brecht dazu gesagt? „In einer Drehpause im Hotelzimmer blätterte ich im Telefonbuch nach den Namen aus vergangenen Zeiten, die ich aus der Fachliteratur kannte. Und wirklich sie lebten noch fast alle in Augsburg, die Freunde und Schulkameraden des jungen Brecht. Man konnte sie besuchen und ihnen die uns bewegenden Fragen stellen, die so in den Sekundärliteratur Bibliotheken nicht gestellt und beantwortet worden waren. Hatte er Angst? War er zärtlich? Haben sie ihn mal weinen sehen?“ (Heinrich Breloer, Unterwegs zu den Manns).Emotionen sind hierzulande nicht Ausdruck persönlicher Befindlichkeiten, sondern Qualitätskriterien. Kriterien für Geschichtlichkeit, die der Fachliteratur (akademisch) abgehen. „Nicht daß das Melodrama vom Leben und Sterben der Familie Weiß in Deutschland so viele Zuschauer hatte wie zuvor in Amerika, war das eigentliche Ereignis von „Holocaust“ – sondern, daß es so viele Münder zum Sprechen, so viele Fragen zum Vorschein, so viele Augen zum Weinen brachte“ (Andreas Kilb). Wetten, sie haben noch nie eine deutsche Filmkritik gelesen, die Gedanken lobt. Die davon ausgeht, Menschen, die Filme machen oder sehen hätten einen. Sind Bilder Emotionen? Ermöglichen Filme keine Gedankengänge mehr? „Wie komme ich in das Bild hinein, in den Roman, in den Film, wie mache ich aus einer Geschichte meine Geschichte? Der ursprüngliche Weg ist der über Identifikation mit dem Helden, und ein Grund, warum der Film in seinem Jahrhundert die ganze Welt erobert liegt eben darin, daß er bis heute diesen Königsweg geht(…) Aber um in einen Film hineinzukommen, muß man sich in ihm wiederfinden: das bin ja ich!“ (Kurt Scheel). Ein klassischer Königsweg: Was ich gut finde, müssen alle so sehen. Die totale Sentimentalisierung des hiesigen Kinodiskurses verwandelt das Kino gleichsam zur Natur, legitimiert und erfordert es blind zu werden für das Technische, Gearbeitete, Gemachte des Kinos. Zugleich ist hinter all dem Beschwören von unmittelbaren, großen Gefühlen ein spießiger Akt von Bürokratie sichtbar: Im Kino wird Ordnung gemacht. Die Möglichkeiten des Films werden geregelt, in dem man sie auseinander dividiert. Zum Dokumentarischen oder Fiktiven oder Experimentellen erklärt. Eine von Kritikern und anderen Ordnungsfanatikern zu verwaltende Hierarchie schafft. Mit Spielfilmen (und ihren Fans) in der Königsposition.
Seitdem die ganze Filmgeschichte einen Typen verfilmt, seitdem dessen Gefühl Filmkritiken schreibt, begeben sich hiesige Texte beim Versuch die emotionellen und die historisch grundierten Töne des Spielfilms zu sortieren in den fröhlichen Unterscheidungsirrsinn: „Und trotz aller Veränderungen, trotz manchem dazu Erfundenem, hat man immer das Gefühl: Ja, so muß es gewesen sein“ (Detlef Kühn über „Schloß Gripsholm“). „23 ist ein Thriller, aber er verzichtet auf die Tricks und Formeln des Genres. (…)23 ist schon deshalb ein großartiger Film, weil er der erste authentische unter die Haut gehende Film über die 80er Jahre in Deutschland ist.“ (Rainer Gansera). „Da ist ein Film, da ist ein Autor, der sich ein Thema des Zeitgeschehens genommen und daraus einen Kinofilm gemacht hat. Man kann hier nicht anfangen zu diskutieren – das stimmt, das stimmt nicht – das wäre absurd, lächerlich und unfruchtbar. (…) Es gibt keine rationale Erklärung für die RAF, es gibt nur eine irrationale. Die fängt der Film ein. Er ist auch sehr mutig, denn der Baader ist so unheimlich unsympathisch. Seine Frauenfeindlichkeit ist unerträglich. Und das stimmt, das ist authentisch“ (Daniel Cohn-Bendit über „Baader“).

Es geht nicht darum Emotionen oder Geschichtsfilme unmöglich zu machen, es geht darum Filme zu diskutieren. Kennt man ein bißchen Filmgeschichte, kann man sehen, daß Europas „Enigma“ und Hollywoods „U– 571“ Thriller des Modells Hitchcock sind. Fast alle Hitchcock Filme drehen sich um einen Mac Guffin. So nennt Hitchcock eine Sache, die ungeheuer bedeutend erscheint (in „Notorius“ ist es der Rohstoff für eine Atombombe), die ihn als solche aber überhaupt nicht interessiert. Sie dient als Motiv, das Bewegung und Spannung in den Film bringt, die Handlung, die den Thriller ausmacht. Nichts anderes als Mac Guffins sind die Enigma und Alan Turings Entschlüsselungsmaschine in beiden Filmen. Wir sehen, wie sich verschiedene Parteien um die Maschinen reißen, wir fiebern mit und vergessen die Maschinen darüber. Von deren Wirkung wir auch nichts erfahren. Damit wird in solchen Spielfilmen die Geschichte selber zum Mac Guffin. Das heißt: Die Wirklichkeit des Krieges und das Wissen um die Kriege und Geschichte verändernde Wirkung von Technologie.
Maschinen sind für Kriegs- und Geschichtsfilme und ihre Beobachter nicht von Bedeutung, für Krieg und Frieden aber gerade: In Wirklichkeit waren es nicht große Strategen und Soldaten, die den Weltkrieg 2 entschieden, sondern unter strenger Geheimhaltung entwickelte Technologien und Maschinen. Die im 2. Weltkrieg eingeleitete Eskalation von Technologien und Antitechnologien, hochtechnologischen Waffen und Antiwaffen hat auch in angeblichen Friedenszeiten nie aufgehört. Sie bestimmt Bedingungen, Verläufe und Ausgänge gegenwärtiger und zukünftiger Kriege. Die Position des Menschen in dieser automatisierten, selbststeuernden Geschichte ist denkbar klein, denkbar austauschbar. Für Hochtechnologien sind Menschen allenfalls Fehlerquellen und Biomasse. Diese Einsicht zuzulassen bedeutet offenbar Erschütterung und Kränkung der Selbstwahrnehmung (royal) von Kinozuschauern.
40 Jahre lang hat militärisch industrielle Geheimhaltung jede Wahrnehmung, jedes Wissen von der neuen unfaßbaren Vernichtungskraft per Geschwindigkeit der von Alan Turing entwickelten Technologie verhindert. Es ist, als ob populäre Kriegs- und Geschichtsfilme sich dadurch gezwungen sehen auf technischem Vor- Weltkrieg-2-Stand stehenzubleiben. In „U-571“ und „Enigma“ nimmt die Kamera U-Boot-Schaltknöpfe, Dechiffriermaschinen, Periskope und Meßinstrumente in den Blick. Diese Bilder dienen nicht als funktionales Mittel der Narration, daß über Spannungserzeugung mit der Geschichte in Beziehung steht, sondern sie stellen von der Geschichte unabhängige Bestandteile der Filme dar. Das Spiel der Kamera erhebt die materielle Realität der Technik zum ästhetischen Objekt, zum Gegenstand eines vertrauten, intimen Ineinandergehens von Mensch und Technik. „Ein Auto voller Zauber. Unendlich stark, unendlich schön. La Machina. Italien betet sie an“; „Knackiges Fahrwerk, 150 PS starker 2,0 Liter Vierzylinder (0 – 100 in 10,6 Sekunden, 185 km Spitze), nur das Radio fehlt, ansonsten ist zum Glücklichsein alles dran. Sogar Alufelgen“ (BILD). Das Verhältnis von Kriegsfilm und Technologie ist das von 1001 Werbespots – tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten. Etwas fehlt bei diesen Bebilderungen von Fahrgefühl: „Fahren heißt auch gefahren werden. Einen Wagen fahren heißt mittels seiner technischen Eigenschaften gefahren werden“ (Paul Virilio). Etwas, das Millionen bewegt, das Emotionen, den einen oder anderen Rausch nach technischen, in Serie gegangenen Prinzipien erzeugt – kann man Kino nicht als Auto beschreiben? Wie kann man das serienmäßige, das Gefahren Werden durch Kino in den Blick kriegen?

„Vielleicht ist dieser Schnittplatz ein Geheimschreiber oder eine Dechiffriermaschine. Geht es darum ein Geheimnis zu enträtseln oder zu bewahren?“ Alan Turing spielt auch in Harun Farockis Film „Schnittstelle“ eine Rolle. Angeregt von Turings Denken formuliert Farocki die Problematik des Geschichtsfilmgewerbes. „Schnittstelle“ zeigt den Regisseur bei der Arbeit am Schneidetisch. Zu dem gehören 2 Monitore, die es ermöglichen Ausschnitte aus älteren und jüngeren Filmen der Filmgeschichte nebeneinander zu betrachten. Dadurch kommt er auf Fragen. Wenn ein Motiv aus dem ersten je gedrehten Film („Arbeiter verlassen die Fabrik“ von 1895) auch zu sehen ist in einem Hollywoodfilm mit Marylin Monroe, welcher Zusammenhang ergibt sich daraus? Bilder haben offensichtlich eine Geschichte, in der sie wiederholt, abgewandelt, fortentwickelt werden. Es muß etwas hinzukommen zum Zuschauergefühl (dem, daß in erster Linie sich selbst genießen will), um diese Geschichte in den Blick zu kriegen. Ein Gedanke: Ich stelle mir vor und schon erinnere ich mich nicht mehr, ich stelle mir vor. Wenn nun in einem Kriegsfilm der 30er Jahre, in einem Western, in einem Vietnamkriegsfilm das gleiche Motiv auftaucht, was repräsentieren diese Bilder dann, was treffen sie von der historischen Wirklichkeit, die sie jeweils illustrieren wollen/sollen? Wie kann Film ein historisches Arbeitsinstrument sein?
Weil Farocki, den Bildern gegenüber, unsicher wird, zögert, bremst, neue Verbindungen versucht, kommt der Zuschauer von dem Weg ab, der per Identifikation „in den Film“ (Witz!) führt. Er ist unterwegs zum Film. Die Zusammenhänge zwischen Bildern und Geschichte(n), Story und History, also das, was die hiesige Kritik als Genre, Gewißheit und Selbstverständlichkeit ansieht wird hier Thema. Vor allem: Farocki verbindet all die von der Filmbürokratie naseweis getrennten „fiktiven“, „dokumentarischen“, „essayistischen“ Möglichkeiten des Films. Wie heißt so ein Film? Der Abspann läßt auf Autorenfilm, die zitierten, gefundenen Bilder lassen auf Found Footage-Film schließen. Auf Kunstausstellungen firmiert er als Videoinstallation, auf Festivals und in 3-SAT läuft er als Dokumentarfilm. Da Farocki den Regisseur auch spielt, den Arbeitsplatz inszeniert, kann man „Schnittstelle“ durchaus als Spielfilm sehen. Und: Film ist hier eine Form der Filmkritik. Wie wollen wir umgehen mit einem Film, dessen Umgang mit Tradition partout nicht in eine Richtung führen will? Wer Ordnungskriterien herausfordert wird abgestempelt – seit über 10 Jahren erscheint in deutschen Filmzeitschriften keine Kritik mehr zu Filmen von Harun Farocki.

Wie kann man Filme wie „Schnittstelle“ technisch beschreiben? „Die Kreuzung, die Verbindung von zwei Wegstrecken ist ein zentrales Motiv, das in dem Film in verschiedenen Variationen immer weder auftaucht“ (Tilman Baumgärtel). Was wäre dagegen der beste und schnellste Weg in die Geschichte? Das Genre, auf das Filmkritik abfährt? „10 km zwischen Charlottenburg und Wannsee oder die Straße der Zukunft: nur für Autos ohne Kreuzungen und Querwege mit stark überhöhten Kurven, Zuschauertribünen für die geplanten Sportereignisse und (nicht zu vergessen) zwei mittelstreifengetrennte Fahrbahnen. Vom Saumpfad zur Römerstraße, vom Sand über Pflaster zum Asphalt – Jahrtausende des Gehens, Reitens, Fahrens auf Wegen aller Art, aber ohne Mittelstreifen. Im Durcheinander von Zufallsbegegnungen blieb Hermes der Straßengott an der Macht über Boulevards, Lidos und Laan. Erst Autobahnen erlösen den Verkehr (in Wort und Sache) von seiner obszönen Zweideutigkeit, die schon lange vor Freud lauter Wortspiele feierte“ (Friedrich Kittler).
Medientheoretisch sind solche unerbetenen Verbindungen (schon gar in Aufrüstungs- und Kriegszeiten) subversiv: „Zufallsbegegnungen zwischen Lkws und Ochsenkarren wären schon kontraproduktiv genug, zwischen Kanonenfutter und Leichentransporten würden sie zur Katastrophe und Meuterei“ (Kittler). Womit wir beim Autorenfilm wären. Wie er von Königswegen aus betrachtet aussieht, von Anhängern nationaler Repräsentationskunst und anderen Ordnungsfanatikern gesehen wird. „Zuerst rede ich von den Autobahnen in den Gehirnen, von den Begradigungen und Sanierungen, und dann spreche ich von den unsinnigen Betätigungen der Begradigten und Sanierten…sie empfinden beim Anblick meiner Filme Karambolagen, Autounfälle, Unglück, Intensivstation und Amputation, was sehr häßlich ist und mit meinen Filmen nichts zu tun hat“ (Herbert Achternbusch).

Apropos großes Kino. Wie beschreibt man Film mit Blick auf Größe? „Der Statist ist unten. Oben ist anders. Oben ist Licht, Scheinwerfer, Glanz, Frauen, Ruhm, und noch besser fast, Nachruhm. Star kann es nur einen geben, aber es könnte auch ein anderer sein“ (Willi Winkler). „Das deutsche Kino stand hier also eigentlich mehr als Weltkino zur Prüfung an“ (Michael Althen über die Berlinale 2002). „Man kann in Frankreich Budgets von bis zu 20 Millionen oder 30 Millionen zusammenbekommen. Mit solchen Budgets können wir auch in Deutschland herausragende Filmwerke machen, wie beispielsweise „Das Boot“ gezeigt hat. Man kann mit dem Budget, das man hier maximal zusammenbekommt, etwa 10 Millionen Mark, keinen Film über die 70er Jahre ausstatten“ (Bernd Eichinger). „20 Millionen Dollar Herstellungkosten, 30 Darsteller, 12000 Statisten, 100 Stuntleute, 3 Tonnen Sprengstoff, 100.000 Schuß Munition, 9000 Originalaufnahmen, 23 Originalpanzer, eine Original JU-52, 89 Personen wurden verletzt“ (Presseheft zu Josef Vilsmaiers „Stalingrad“). Größe flößt Respekt ein und macht zugleich klein. Weil andere Großes haben, wir aber nicht. Also wird Kino zur Materialschlacht. Größe ist in dem Maße beliebt, wie sie als Thema wie als unmittelbare Erfahrung einen Ausweg aus unnützer Komplexität, schwieriger Lesbarkeit der Geschichte und Vergeblichkeit filmkritischer Intervention verspricht. Anders gesagt: In exakt dem Maße, in dem Kommentaren zum Film ästhetisch nichts einfällt, wird ihre Sprache gigantomanisch, begibt sie sich auf Höhenflüge, in unendliche Weiten (nach oben, zu den Millionen, zur Weltgeltung, zu den Sternen) in Phantasien (ins Licht, in den Glanz, zum Nachruhm) oder gucken Filmkritiker Geschichte wie Sport, gucken nach, wie die eigenen Leute, Werte und Weltbilder abschneiden: „Noch lieber mochte ich nur Joachim Hansen, „Der Stern von Afrika“, den großen Jagdflieger, endlich einmal ein Deutscher, der mindestens so gut wie die Amis und Tommys war – wenn die blöden Nazis nicht gewesen wären, hätten wir den Krieg gewinnen können (Kurt Scheel). „Es gibt nur eine Szene, in der die Deutschen dämonisiert werden: sie erschießen alliierte Schiffbrüchige, die um Rettung gebeten haben“ (Die FAZ über „U-571“). „Breloers Werk ist ein Ereignis. Es sind im 20. Jahrhundert zu viele idiosynkratische Hannos geboren worden und gestorben. (…) Im jungen neuen Jahrhundert reden diejenigen, die aus Stärke überlebt haben. Wie: Elisabeth Mann, und sie reden ohne Qual und ohne Zögern. Die Zeit der Hannos ist vorbei“ (Frank Schirrmacher, FAZ-Herausgeber). Deutschland braucht Siegergeschichten.
„…dieser von fern so bewunderte Fassbinder war klein, hatte einen großen cowboyartigen Hut auf und das Gesicht mit einem popenartigen Bart zugewachsen“ (Winkler). Haben nicht Autorenfilmer ein weniger großkotziges, weniger bleihaltiges Verhältnis zu Hollywood- und anderen Vorbildern ausgestellt? Größe auch als Witz sichtbar gemacht? Alte Hüte anders aufgesetzt? Genres fortgesetzt wie kritisiert? Warum nicht in Texten zum Film der aktuellen Einweg(film)geschichte andere Spuren hinzufügen, Überlegungen der 60er und 70er Jahre mitlaufen lassen? Kann man, zum Beispiel, Größenphantasien nicht nur mit Freude, sondern mit Freud zur Kenntnis nehmen (bzw. mit Adorno, der Deutsche und ihre Vorstellungen mit Freud liest)? Sie identifizieren sich mit realer Macht schlechthin, vor jedem besonderen Inhalt. Im Grunde verfügen sie nur über ein schwaches Ich und bedürfen darum als Ersatz der Identifikation mit großen Kollektiven und der Deckung durch diese.“ Kann man andere Verbindungen als Königswege, andere Verhältnisse zwischen den Teilnehmern der Geschichte als die zwischen wenigen Stars und sonst nur Statisten in unsere Filmbildung aufnehmen? „Dieser Mangel an Eigenständigkeit wird durch Weltteilnahme ersetzt. (…) Wir bleiben hier und leben vom Mund in die Hand. Drehen einmal in diesem Dorf und dann im Nachbardorf und stellen in diesem Riesenloch wieder kleine Stücke Bayern her. Und ich wünsche nicht die Welt, daß sie mich versteht, sondern ich wünsche mir einen in Pasing, der sich selber denkt wie ich und Filme macht für Pasinger, und wenn das den Pasingern nicht gefällt, dann fühlt sich vielleicht einer von Starnberg ermuntert und macht für die Starnberger einen Film und scheißt auf die Welt, weil er schon einen in Weilheim kennt, der fragt: Meinst, daß das in Weilheim auch geht? So könnte man doch Wirklichkeit erzeugen, Pasinger, Weilheimer, Herrschinger Wirklichkeit, der jeweils herrschenden Allerweltswirklichkeit zum Trotz“ (Achternbusch). Kann nicht gehen. Wirkliche Eigenständigkeit = Holzweg des Films. In Tüdel kommen, Diskutieren, Zögern = Macken, die zu Verlierern machen. Unwidersprochen und unkommentiert tobt sich in den hiesigen Spielfilmdiskursen eine gruselige, in mythischen Untiefen herumgeisternde deutsche Reaktion aus. Die politische und ästhetische Ignoranz der Filmkritik, ihre Abwehrbewegung gegenüber dokumentarischen, essayistischen und experimentellen Dialekten, das sind Beiträge zu dieser Rückkehr zu alten Formeln, Denkweisen, Geschichten und Identitätskämpfen, die als junges neues Jahrhundert daherkommen.
Geht es darum Geheimnisse zu enträtseln oder zu bewahren? Wer im großen Kino anderes sehen will als Deutsche versus Tommys, wer in den Blick kriegen will, wie die Geschichte Wert und Spielraum „des Menschen“ taxiert, also welche (militärischen) Technologien wie Gegenwart und Zukunft strukturieren, darf die Mac Guffins der in 40 Jahren laufenden Thriller entziffern oder muß Ausgräber werden.

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