Montag, 25.03.2013

Vermischtes / Notiertes 1981 – 1984

Von Johannes Beringer

[Alte Notizhefte in einer anderen Sache durchsehend, war ich doch frappiert, wie viel ich selbst davon schlicht vergessen habe. Weiterlesend kam mir vor, ich sollte – des dokumentarischen Werts wegen – einfach mal ein bisschen exzerpieren und zusammenstellen. Geschönt ist das also insofern, als ich vieles weggelassen habe: aber ich habe diese Notizhefte nie als Tagebücher betrachtet, sondern einfach sporadisch etwas notiert, wenn ein Satz oder ein Gedanke sich aufdrängten. Das habe ich jeweils für mich und nicht im Sinne einer Veröffentlichung getan (der „Dialog, den ich hier mit mir selbst führe“, schreibe ich an einer Stelle). Im Vordergrund stand auch erstmal die Aktualität: ich wollte die Titel der Filme festhalten, die ich im Kino oder im TV gesehen hatte, klebte Ausschnitte aus der Tagespresse ein. – Unter der Hand, sehe ich jetzt, ergab sich da manchmal fast so etwas wie ein Austausch mit Michael Stone, der sich im ‚Tagesspiegel’ im vierzehntägigen Turnus kritisch mit TV-Sendungen auseinandersetzte. Einmal schrieb ich sogar einen Leserbrief, der ihn auf einen Irrtum aufmerksam machen sollte: Edward G. Robinson war vor dem HUAC kein ‚unfreundlicher’, sondern ein ‚freundlicher Zeuge’. Woraufhin er mich anrief und sich für die Berichtigung bedankte. – Was aber vielleicht am meisten frappiert, und in dieser Zusammenstellung nur ungenügend zum Ausdruck kommt, ist die ganz andere Medienlandschaft (die TV-Programme beschränkten sich auf ARD und ZDF, SFB III, DDR I und II). Wie viele ‚Kleine Fernsehspiele’ habe ich im ZDF gesehen, alle nach zweiundzwanzig Uhr angesetzt und nicht nach Mitternacht! Aber es gab auch kleine Reihen für Filmliebhaber: Yasujiro Ozu, Kenji Mizoguchi, Yoji Yamada, Fritz Lang, Jacques Becker, Eric Rohmer, Jean-Charles Tacchella, hie und da einen Sohrab S. Saless-Film, italienische Filme aus den Fünfzigern samt Antonioni auf DDR II und sehr schöne ungarische Filme, nicht nur von Márta Mészáros – die allerdings im Westen (deren äusserst kritischer Realismus lief offensichtlich der DDR-Politnorm zuwider).]


[1981]

Sanguineti: „Ich glaube, eine Art lebendige Verneinung des Dolce far niente zu sein. Es geht mir nicht um Befreiung von der Arbeit, sondern um die Befreiung der Arbeit.“ Eine anarchistische Parole?
‚Literarisches Colloquium: Autorenportrait Italo Calvino und Edoardo Sanguineti’ (Tagesspiegel, 24.1.81).

Vor einiger Zeit im TV gesehen (kurz vor der Verabschiedung von Gaus als Staatssekretär / Ständige Vertretung der BRD in der DDR): Günter Gaus und Erich Honecker (mit anderen natürlich) auf der Hasenjagd. Der Führer des ersten Arbeiter- und Bauernstaates schiesst gut, und rühmt sich dessen unverhohlen, der sensible Gaus tut mit aus Pflicht, wie es scheint. Aber die beiden, Honecker hat ein Herz gefasst für den zurückhaltenden Mann aus dem Westen, verstehen sich gut.
Heute ist Antrittsvisite für den Neuen, Staatssekretär Bölling. Titel: Journalismus als Sprungbrett zur Staatskarriere. Hofberichterstattung, grosse Verdienstkreuze, die Bonzen mit den geschniegelten Anzügen und Gesichtern … und ach so menschlich alle. (9.2.81)

„Der Henker ist unterwegs“ („The Lineup“, USA 1958, Don Siegel). Die Autobahn am Ende: die abbrechende Fahrbahn und danach die sich verengende Fahrbahn. Die Szenen im Vergnügungspark mit dem puppenhaften Rollstuhlboss. Drehbuch: Stirling Silliphant. Eli Wallach [in der Hauptrolle] vielleicht fehlbesetzt. (ARD, 14.3.81)

‚Kontakte der spanischen Putschisten zur Reagan-Mannschaft.’ (Tagesspiegel, 17.3.81)

Mein Erstaunen, als ich, vielleicht 1968, zum erstenmal das Wort ‚Arbeitshemmungen’ hörte, und es auch gleich anwandte. (12.5.81)

Silbernes Kreuzchen auf braungebrannter Brust. (18.7.81)

Kommt es wirklich darauf an, ‚was einer zu sagen hat’? Und nicht vielmehr: was die Worte zu sagen haben? (16.8.81)

Wenn man die Kinder, ihr Verhalten, nicht mehr versteht, versteht man überhaupt nichts mehr. (16.8.81)

Ich denke jetzt, und auch einige Zeit vorher schon, oft an die Tage in Madrid, die ich völlig isoliert / mit einem Gefühl zunehmender Isolation verbrachte. Die brach sozusagen hinterrücks über mich herein … Umstände: Zuloaga nicht gekommen; Telefonate nach Barcelona. Stadt als steinerner Körper. Lärm. Menschen. Verkehr in Restaurants, Bars, Pension, am Kiosk als einzige Kontakte.
[1965, nach einem Sommer als Recepcionista an der Costa Brava; Sr. Zuloaga gehörte das kleine Hotel, in dem ich arbeitete.]

Helke spielt mir etwas vor das Drama der alleinstehenden Frau. (Anfang September 81)

Graffiti an der Mauer eines 50er oder 60er Jahre Neubaus:
„Weg mit den Hunden! Hoch die Katzen.“ (19.9.81)

Ein Besoffener, der seine Sinne halbwegs beisammen hat, ist mir lieber als ein Nüchterner, der besinnungslos ist. (dto.)

Der Augenblick … Ausdruck.
Es gibt privilegierte Momente. Im Ganzen: es leuchtet, Intensität. (20.9.81)

‚Nixon billigte Gewalttaten gegen Kriegsgegner.’ (Süddeutsche, 27.9.81)

In „White Castle“ (den ich heute abend im Arsenal gesehen habe) von Johan van der Keuken spricht ein junger Schwarzer davon, „that life is pain and darkness“.
Aus der Hamburger-Station ‚White Castle’ wird im Film bei Nacht und Regen und Autofahrt das Weltgeheimnis schlechthin. – Die Musik und die Geräusche wie Musik.
(18.10.81)

Sätze nicht nur über Filme. (Titel)

Soll einer sich im Sozialismus, der nicht funktioniert, begraben lassen? (Anfang Nov. 81)

Deutsche Badeanstalt (Duschen und Wannenbäder):
Wasserrauschen und türkische Schlacht- oder Freudengesänge. Einer, der ‚Ruhe’ schreit – deutsch. (19.11.81)

Da gibt es welche, denen stehen buchstäblich die Haare zu Berg. (dto.)

„Das Innere bloss“ (Kleines Fernsehspiel, Stephen Dwoskin, ZDF, 10.12.81). [Originaltitel: „Outside In“.]

… Die Einzigartigkeit des persönlichen Dokuments, auch in der Sentenz, im Satz: das ist wirklich ein Aufgehen des Subjektiven im Objektiven. [Wenn der Satz gut ist, sich ablöst.] (16.12.81)

„Das Gegenteil eines ‚richtigen’ Satzes ist ein ‚falscher’ Satz. Das Gegenteil eines ‚wahren’ Satzes wird aber häufig wieder ein ‚wahrer’ Satz sein …“
„Der Abgrund zwischen den schon bekannten und den neuen Begriffssystemen kann durch intuitives Denken übersprungen, nicht durch formales Schliessen überbrückt werden.“
(Werner Heisenberg, Was ist eigentlich Wirklichkeit? [Philosophie-Manuskript, 1939-40, aus dem Nachlass], in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 296, 24./25./26./27.12.1981.)


[1982]

In der ARD um 23 Uhr (11.1.82) „Zu früh / zu spät“ von Huillet und Straub.

Flugzeugabsturz. – (…) In Utes Zimmer, von dem unheilverkündenden TV-Ton angelockt, sah ich Szenen wie aus dem Inferno. Nacht, Eiseskälte (in den letzten Tagen in USA 20 Grad und mehr unter Null), der von Eisschollen übersäte Potomac, gesplittert wohl durch das aufschlagende Flugzeug, von dem man nichts mehr sah. Hubschrauber, die Rettungsringe runterliessen zu einigen im eisigen Wasser schwimmenden Menschen. Zwei an einem Ring hängende übers Eis und Wasser geschleift. Die Frau kann sich nicht mehr halten, bleibt liegen auf dem Eis, halb im Wasser. Sie macht hilflose Schwimmbewegungen, unter einem extremen Schockzustand stehend. Ihre Augen wie zugekleistert, Todesangst. Der Kameramann, wohl auf der Brücke stehend und sicher nicht mehr als 50 Meter von ihr entfernt, zoomt auf sie zu. Das muss man sich als ganzes Bild vorstellen: oben der Kameramann, unten die um ihr Leben ringende Frau …
Die Grossaufnahme von der Frau sah ich dann sonntags im ‚Wochenspiegel’ der ARD als Standbild hinter dem Sprecher, der nüchtern die Berichte ankündigte.
(…)
Heute (3.2.1982), wo ich die Sache hinschreibe, weil ich es aufschreiben wollte, ist das Ganze natürlich längst vergessen. Ich glaube aber, es ist wichtig, gerade auch das Unglück festzuhalten. Schnell leergeräumt von den Trümmern der Autos war die Brücke des Potomac, über die wieder das Einerlei des täglichen Verkehrs fliesst. Zeichen, Reales, das weggewischt und verdrängt wird. Aber die Unglücks-Bilder wollen doch etwas sagen, das nie genug verstanden wird …
(Ausschnitt aus ‚Spandauer Volksblatt’, 15.1.82: „74 Todesopfer – Boeing 737 der Air Florida prallte in Washington gegen eine Brücke und stürzte in vereisten Fluss.“)

Unabdingbar ist heute, neue Wissenshorizonte aufzuschliessen – das heisst, die alten, vortechnischen, vergessenen wieder fruchtbar zu machen.
(Nach „Hiroshima hat mich aufgeweckt.“ Der Biochemiker und Wissenschaftskritiker Erwin Chargaff im Gespräch mit Wulf Krause. SFB, Radio / Studio Drei, 4.2.1982.)

„Er und ich“ von James Benning, ‚Kleines Fernsehspiel’ um 22 Uhr 35 im ZDF (11.2.82).

‚Auf dem Fernsehschirm. West: Greuelgeschichten’ von Michael Stone (Tagesspiegel, 16.2.82).
Im dritten Fernsehprogramm des Senders Freies Berlin war nämlich am 14.2.1982, zu bester Sendezeit (20.15-21.00 Uhr), als Reaktion auf die zuvor gesendete sowjetisch-amerikanische Dokumentarserie „Der unvergessene Krieg“ eine Diskussion angesetzt über die Rolle der deutschen Wehrmacht, „die alles überbot, was man sich einerseits an Unverschämtheit, andrerseits an Hilflosigkeit im Zusammenhang mit dem Thema ‚Soldaten im Weltanschauungskrieg’ vorstellen kann“ (schreibt Michael Stone). Eingeladen waren „drei damals führende Militärs, zusammen mit einem Historiker“ – und diese höhere Soldateska sprach halt so wie sie damals gesprochen hatte. Beim Angriff auf die Sowjetunion habe es sich „eindeutig um einen Präventivkrieg“ gehandelt, meinte Oberst a.D. Helmut Ritgen, der sich auch „darüber beschwerte, die Russen hätten in ihrer Serie nur wieder ‚Greuelgeschichten’ erzählt“. In diesem Jargon ging das weiter – „Ehre des deutschen Soldaten beschmutzt“ / „Haftbarmachung des Militärs für Hitlers Bestialität“ / „kein Weltanschauungskrieg, dem Primat der Politik ausgeliefert“ –, und wenn der Historiker (Prof. Dr. Helmut Krausnick) mal ein bisschen zu widersprechen wagte, stürzten sich die drei wie Habichte auf ihn.
[Ich sollte an diese Stelle auch den Namen von Dr. Erich Mende setzen, Major a.D., FDP-, dann CDU-Abgeordneter, früher mal ‚Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen’ und ‚Stellvertreter des Bundeskanzlers’, der im Bundestag mit denselben lügenhaften Phrasen hausieren ging.]

Warum läuft ein amerikanischer Film über die Machenschaften der C.I.A. nur im DDR-TV-Programm und nicht im Westen? (2.82)

Manchmal hört man in vorgerückten Kinovorstellungen (unter dem, was aus den Lautsprechern kommt) ein schreckliches Gerutsche und Gestöhne und Geschnaufe – wie in Träumen oder Alpträumen. (18.2.82)

„Etwas wird sichtbar“ (Harun Farocki, BRD 1982): Lachen provozierende Stellen – wo von Liebe und Arbeit die Rede ist („… sich Rücken an Rücken umarmen …“ u.a.). Voreiliges Lachen: schon bei der ersten Einstellung („Schönheit als das mögliche Ende der Schrecken“) habe ich den Eindruck einer Abwehrhaltung eines Grossteils des Publikums.
(Aufführungen in der Akademie der Künste, 23.2.82, Tag davor im Delphi.)

Es gibt Tage, die sind so unsäglich flau … dass man sie schon vergessen hat, bevor sie überhaupt angefangen haben.
(Müsste man in ihrer Öde nicht – wie am „Melancholie-Hang“ Hohls – das aufsuchen, was unscheinbar ist, dem eine Stimme verleihen, was sonst nicht spricht?) (1.3.82)

„Unter heissem Himmel“, D 1936, Gustav Ucicky (mit Hans Albers). – Die schwülstige Atmosphäre vieler Nazi-Filme, oft schon äusserlich ausgedrückt durch Süden, Hitze, Glut der Gefühle, Schurkereien etc. (ARD, 5.3.82)

Nicht dass ich den Kult meines Innenlebens treiben will, aber … es wahrnehmen, es fördern vielleicht, es kultivieren – wie man einen Boden kultiviert – scheint mir das einzig Wahre. (Kultur der Person, Kultur der Gesellschaft.) (15.3.82)

„Zwei Berge gibt es,
auf denen ist es hell und klar,
den Berg der Tiere und
den Berg der Götter.

Dazwischen aber liegt das
dämmerige Tal der Menschen.

Wenn einer einmal nach oben sieht,
erfasst ihn ahnend
eine unstillbare Sehnsucht,
ihn, der weiss, dass er nicht weiss,
nach ihnen, die nicht wissen, dass sie nicht wissen,
und nach ihnen, die wissen, dass sie wissen.“
(Aus: Paul Klee, Gedichte, Zürich 1960.)

Die Apologie der Macht ist immer lügnerisch. (Und andere Merksätze …)

Jeder Redakteur, der etwas auf sich hält, jeder Theorie-Aspirant und Möchtegern-Gesellschaftskritiker verwendet heute unauffällig-auffällig das Wort ‚gleichsam’. Das ist so ein friedliches Wörtchen, da kann man sich gleichsam dahinter verstecken. Gefügiges Sich-Wundern, redet die Sprache der Anpassung. (23.6.82)

„Miracolo a Milano“, Italien 1950, Vittorio de Sica. – Bemerkung von Godard, der Neo-Realismus sei kein armes Kino gewesen, wie die Legende es will, bestätigt sich hier: so konstruiert wie Lubitschs’ Himmelsepisode oder besser noch Capra u.a. Der Film ist trotzdem interessant, gerade weil er die ‚Wirklichkeitsabschilderung’ unterschlägt, ins Märchen- oder Parabelhafte geht. (Siehe später Rainer Erler, Rolf Thiele … „Seelenwanderung“ „Orden für die Wunderkinder“, „Das Mädchen Rosemarie“ haben etwas mit diesem „Miracolo“ zu tun, nur freilich viel schlechter.) (4.7.82)

„Das makellose Schwert / Meito Bijomaru“ (Japan 1945) von Kenji Mizoguchi: Was für eine herrliche Totale, nachts, mit dem Sternenhimmel im Hintergrund; ein Weg, vorne links der Schwertmacher, den Kopf verzweifelt in die Hand gestützt, auf die unerreichbare Frau wartend – die dann auch wirklich vorbeikommt. Der Ton aus altem Licht- und Originalton im Studio. (ARD, 12.7.82)

„Das System der Bedürfnisse wird vergöttlicht.“
(Hans F. Geyer, Philosphisches Tagebuch, Bd. 6, Gedanken des Leibes über den Leib, Freiburg i. Brsg. 1974, S. 21.)

Pasolini: er hat selbst da noch recht, wo er falsch liegt. Im Gegensatz zu den vielen, die recht haben und trotzdem falsch liegen. (28.7.82)

Ein Titel: Unlogische Gedanken.

Carla Rhode (in zitty 23/81) zu Godards „Sauve qui peut (la vie)“: „… Ein Abbild unserer Wirklichkeit, in der es nur noch ein beziehungsloses Nebeneinander gibt, soll dieser Film wohl sein, doch hätte man ihn sich auch weniger spröde vorstellen können.“ Dieses Wort ‚spröde’ west (unwest) im Redakteursjargon nun seit mindestens Anfang der 70er Jahre – und zwar immer dann, wenn angeblich das Sinnliche fehlt. Es fehlt aber nicht (die ‚Spröden’ haben nur kein Sinnesorgan dafür). (26.8.82)

„Die lichtlosen Weiten der Tiefsee“ – daran denkt man nie oder kaum, wenn man an die Erde denkt. Dabei ist das die weitläufigste Gegend, der dunkle Urgrund, das Vergessen und das Vergessene.

Wie es einmal war, wird es nie wieder sein.

Nicht Notwendigkeit und Freiheit, sondern Freiheit und Zufall. (3.9.82)

„Ob die andern so sind / wie ich mich nach ihnen sehne?“
„Liebsein, gepaart mit Ratlosigkeit.“
(Hugo Sarbach, Collagen aus dem Tagebuch / Ein Auge haben, S. 65)

Regierungswechsel in Bonn. Was da für Lemuren aus ihren Eigenheimen kriechen.
Dazu einen Tag später die Meldung: ‚Bericht über Bedenken gegen Staatssekretär Würzbach’ (Tagesspiegel, 7.10.82) „… hat sich Würzbach in seiner Zeit als aktiver Offizier von ihm untergebenen Soldaten beim Bau eines Eigenheims helfen lassen.“

ARD, 11.10.1982: „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ (mit David Bowie, Sydney Rome, Kim Nowak, Maria Schell, Curd Jürgens, Marlene Dietrich u.a., BRD 1978, Regie David Hemmings): Abschreibungs-Kunstfilm-Desaster.

„Du sollst nicht begehren … / Blind Husbands“, USA 1918, Erich von Stroheim (SFB III, 13.10.82): Musik von Klaus Wyborny (Klavier und Geige oder Viola, am Schluss Gesang: „Sei gut zu ihr “ … letzter Satz des Sepp’ an den blinden Ehemann).

Der Sinn von ‚Enttäuschung’ ist, dass ‚Täuschung’ das Gegebene ist. (22.11.82)

Hitlers ‚Vorsehung’: gerade weil er sie in Dienst nehmen zu können glaubte, hat sie ihn (Schicklgruber) umso rascher eingeholt. (24.11.82)

Liebe ist, für einen Psychologen, eine ‚vorübergehende Psychose’.


[1983]

Revenir aux mêmes pensées.
Die Differenz in der Wiederholung.

Die Differenz zwischen dem vorgestellten und dem realen Liebesakt. (9.3.83)

Er hat – sozusagen – die Enttäuschung tief in sich eingesogen, und jetzt steht sie ihm ins Gesicht geschrieben. (24.3.83)

‚Washington Post: USA arbeiteten mit früheren Nazis zusammen. Zeitung verweist auf Dokumente des State Department.’ (Tagesspiegel, 29.3.83)

Gedichte, Bilder, Texte, Filme, Musik … was für ein Leben. Dazu vielleicht noch etwas mehr Rauchwaren und Wein, gutes Essen. Dann ist das Glück wohl komplett. Und das Elend auch. (31.3.83)

Neuer Titel: Der Horror der Freizeit.

Das System ‚Hund – Bildzeitung – Wohnung – Einrichten der Wohnung – Auto – Fernsehen – Urlaub – …’
Nur von der Arbeit ist kaum die Rede: sie ist der Preis dafür, dass all das da ist – muss nur, widerspruchslos, gemacht werden. Der Dank dafür ist das System. (Deshalb sind die Gewerkschaften ganz mächtig: sie sorgen für den Dank im Undank.) (15.5.83)

SFB III (Radio), 6.5.83, 22.05-23.00: ‚Spätlese’. Meine Schallplatten. Von Peter Brückner. – An „Das Abseits als sicherer Ort“ erinnernd …

Die Idee wäre, zu beschreiben was zu sehen ist, nachts.
In Anlehnung an Max Gublers Gemälde ‚Nachtlandschaft mit weissem Baum’.
Dass es Nacht ist, ist das Entscheidende – das verändert alles. „Nächtlicher Weg“ – aber ohne Hohls innere Dramatik; die Dramatik ist gewichen der Selbstverständlichkeit des Nachtseins. Denn es ist Nacht. (31.5.83)

Die „innere Stadt“. (W.B.)

Die Nachkriegsfilme (nach WW II): verlorene Eindeutigkeit, Rückzug auf ‚Provinz’ (der Mensch zurückgeworfen auf seine ‚Provinz’) – jetzt erst das Drama und die Hölle der (verlorenen) Zwischenmenschlichkeit. (Das reicht bis spät in die 60er Jahre.) (6.83)

Die ‚Filmkritik’ auf ihrem Sektor die einzige Zeitschrift, die ihre Aufgabe wahrnimmt: die Kino-Produktion verfolgen – richtige Distanz, Ferne und Nähe. Mit Lücken (notwendigerweise) ist das gelungen. Das wird sich noch herausstellen.
Vielleicht einmal beschreiben (die Aufgabe) – zum eigenen Antrieb und zur Selbstvergewisserung. (Gegen Abspringer, Ermüdungserscheinungen.) (30.6.83)

Tagesthemen ARD (bevor es um 23 Uhr Renoirs „Spielregel“ gibt): Kommentar über die Bild- und BZ-Journaille, die sich an Harald Juhnkes Alkoholsucht hängt … Dann eine – für einmal – schöne Überleitung des Moderators: „Der Himmel nicht nur für Aasgeier wolkenlos …“ (Das Wort war im Kommentar gefallen.) (4.7.83)

Diese grässlichen, schöntuerischen Fuchsberger-Talkshows – jeden Dienstag eine, 45 Minuten lang!

Ab 10.7.83, wöchentlich SFB III, 18.45-19.15: ‚David W. Griffith – Filme für die American Biograph Comp.’ Vorgestellt und deutsch bearbeitet von Helmut Färber.
Am 28.8.83: „Eine Spekulation mit Weizen“ (Dezember 1909). „1912 war der Film in Deutschland verboten.“

Deutsches Proletariat heute:
Arbeiter, die auf der Strasse einen kleinen Türkenjungen einfangen, der im Warenhaus etwas gestohlen hat, und ihn den Häschern ausliefern. Zustimmend bis freudig kommentiert von den Umstehenden – was für ein schändliches Gesindel.

Literaturwissenschaftler: die Motten im Pelz der Literaturgeschichte – sie fressen und fressen bis auch die besten Stücke zerfranst sind. (20.7.83)

Die Frauen haben beschlossen, durch massenhafte Entblössung ihrer Brüste die Männer zur Raison zu bringen.

DIVINA MIMESIS. (Aber ich weiss nicht mehr, wo ich das herhabe.)

Paul Valéry: Wie das Bewusstsein arbeitet. Die Wahrnehmung. Die Sensitivität. Das Denken.
Alltagszustand – Traumzustand (siehe ‚Études’ in Variété II).
Tel Quel I + II (1941 / 1943) in der Bezirksbücherei Schöneberg. (17.8.83)

„Oft ist es gerade das systematische Wissen, was einem sonst guten Kopfe den Zugang zu neuen Ideen verschliesst.“ (Georg Forster, Cook der Entdecker. Frankfurt am Main 1976, S. 102) (25.8.83)

„Ne pas se forcer à penser; mais noter aussitôt chaque pensée qui se propose.“ (André Gide, Journal, 5.11.1928.) (30.8.83)

30.8.83: In den Radionachrichten höre ich, dass Kemal Altun sich aus dem 6. Stock des Gebäudes des Verwaltungsgerichts in Berlin gestürzt hat. – Am Abend dann am TV gefundenes Fressen für die Nachrichten-Hyänen, später noch der Beitrag in ‚Panorama’. Eine Deutsch-Inderin (Navina Sundaram), die beim Fernsehen Karriere gemacht hat, weil sie sich kräftig für Minderheiten einsetzte, benützt den Tod Altuns – in einer seltsamen Art von Verblendung –, um der Familie bzw. der Schwester Altuns einen Besuch abzustatten und ihre Reaktion auf die Todesnachricht zu drehen. Das war es dann, was man zu sehen bekam! Im Ton der Empörtheit darüber, dass die Schwester offiziellerseits immer noch nicht unterrichtet worden sei, geht sie also mit Team und Übersetzer da hin, dreht das Klingeln an der Tür, das Öffnen, Eindringen der ganzen Mannschaft in die Wohnung, das Rufen der Mitbewohner nach der Schwester, stellt sich vor sie hin, sagt, was sie zu sagen hat, noch trockener anscheinend der Übersetzer – denn mitten im zweiten Satz bricht die Schwester wie vom Blitz getroffen zusammen, wälzt sich auf dem Boden …
Nachher – im Zwiegespräch mit ‚Panorama’-Moderator Peter Gatter – wird kurz die ‚moralische Frage’ aufgeworfen: wie problematisch das natürlich sei, aber zu rechtfertigen, weil eben, wie die Reporterin sagt, den Zuschauern vorgeführt werden müsse, was für Auswirkungen die neue Asylpolitik der Bundesregierung habe.
Dagegen bleibt dann die Infamie des Innenministeriums, das die Auslieferung betrieben hat, obwohl Altun von Zirndorf schon Asyl gewährt wurde, fast belanglos. Altun: 13 Monate in Untersuchungshaft, bei Verhandlung in Handschellen vorgeführt – und hat nichts anderes gemacht, als eine Schülerorganisation mitbegründet, die gegen die Diktatur [in der Türkei] war. (Allerdings hatte es ja vorher die Türkei-Reise von Innenminister Zimmermann gegeben, der den Militärs nicht ganz so strenge Aufenthalts- und Einreisebedingungen für Arbeitsemigranten versprochen hatte und andrerseits dem Wunsch der Diktatoren nach strengeren Asylbestimmungen und Auslieferung von ‚kriminellen’, sprich politisch linken Elementen gerne entgegenkam.)

Es gibt jetzt 4,7 Milliarden Menschen auf der Erde.
(Grösste Bevölkerungsexplosion in der Geschichte der Menschheit.)

„Als Karl Kraus am 12. Juni 1936 in Wien starb, erschien in einer Wiener Musikzeitschrift ein Nachruf von dem Musiker Ernst Krênek, der dem Toten in seinen letzten Lebensjahren persönlich nahegestanden hatte. In diesem gehaltvollen Nachruf erzählt Krênek das Folgende: ‚Als man sich gerade über die Beschiessung Shanghais durch die Japaner erregte und ich Karl Kraus bei einem der berühmten ‚Beistrich-Probleme’ antraf, sagte er ungefähr: ‚Ich weiss, dass das alles sinnlos ist, wenn das Haus in Brand steht. Aber so lange es irgend möglich ist, muss ich das machen, denn hätten die Leute, die dazu verpflichtet sind, immer darauf geachtet, dass alle Beistriche am richtigen Platze stehen, so würde Shanghai nicht brennen.’ Eigentlich hat Karl Kraus sein Leben lang nichts anderes getan, als diese mystische und doch real gemeinte Gleichsetzung von Wort und Welt in die Praxis umzusetzen.“
(Werner Kraft, Karl Kraus. Eine Einführung in sein Werk und eine Auswahl, Wiesbaden 1952, S. 5.)

Aufpassen, dass Ulrike Meyfarth nicht Ulrike Meinhof zu ersetzen beginnt. (29.9.83)

„Erzählungen eines Nachbarn“, Yasujiro Ozu (ARD, 26.9.83): Was vielleicht am meisten anrührt, ist – im ruhigen Fluss des Erzählens – wie die Verhärtung bei der Frau aufbricht, das Zeigen und Entstehen von Gefühlen … Und wenn ein so entstandenes Gefühl einmal keinen Nachbarn mehr findet (nur den Zuschauer), so ist es vielleicht doppelt anrührend. Von da her die Reife der späten Filme (Ozus), langes Abschiednehmen, Amerikanisierung, leises und behutsames Konstatieren. Immer die Objekt, die in den Himmel ragen: Wachtürme, Fabrikschlote, Masten, Flaschen … auch in Innenräumen.

„Der kleine Soldat“ (Godard, F 1960) ist am Ende doppelt beraubt: das heisst, frei für alles, ausser zur Liebe.
Dem Film ist die ‚Verwirrung’ vorgeworfen worden, die er darstellt. Aber es ist eine Verwirrung, die sich klärt (welche Klärung kommt nicht aus der Verwirrung?) – wie ich erst jetzt richtig sehe. Keiner hat damals einen so klaren Kopf gehabt wie Godard. (Was immer ich auch sonst gegen ihn gesagt haben mag – und teilweise vielleicht berechtigt.) (SFB III, 28.9.83)

„Ein Gedanke kann nicht erwachen, ohne andere zu wecken.“
„So manche Wahrheit ging von einem Irrtum aus.“
„Erinnere dich der Vergessenen – eine Welt geht dir auf.“
„Alle irdische Gewalt beruht auf Gewalttätigkeit.“
„Man darf anders denken als seine Zeit, aber man darf sich nicht anders kleiden.“
„Die Erfolge des Tages gehören der verwegenen Mittelmässigkeit.“
U.a.m.
(Marie v. Ebner-Eschenbach, Aphorismen. Werke, 1., München 1956, S. 875, 878, 889, 891, 893).

Proust. Mémoire involontaire. Durée réelle.
Macht des Vergessens – gewaltiges Werkzeug zur Anpassung an die Wirklichkeit.
… die „der Zeit entzogenen Fragmente des Daseins“, die „illuminations rétrospectives“ wiederaufgerufen und gerettet.

Die Zeit wird immer in der Gegenwart verloren.

Jeder kann jeden beurteilen, weil er ihn von aussen sieht – aber sich selber?
(Im Anschluss an Ludwig Hohls „sich selber sehen, ist aber am schwersten“.) (14.12.83)


[1984]

„Revenge of the Creature“, USA 1955, Jack Arnold: Am schönsten die Szene, wo das Ungeheuer (der „Kiemenmensch“) durch das Bullauge des Aquariums ganz ruhig und ‚sehnsüchtig’ die blonde Frau anschaut, die sich mit ihrem Geliebten unterhält (und beide nehmen keine Notiz von ihm). (SFB III, 23.2.84)

In der U-Bahn: ein Kleinkind, zwei oder drei Jahre alt, weint so herzzerreissend (d.h. heult hemmungslos), dass jedem mulmig wird und mir mit der Zeit, weil das so lange andauert, sich nicht beruhigt, selber fast die Tränen kommen. Die Mutter daneben, etwas hilflos, wischt ihm nur liebevoll mit einem Papiertaschentuch die herunterrinnenden Tränen ab.
Das ganze Elend der Welt … mir geht durch den Kopf, dass das Kind vielleicht nicht auf der Welt sein möchte, niemand hat es gefragt, es kann nicht anders, als sein grenzenloses und namenloses Weh herausheulen. (25.2.84)

„Die lange Hoffnung“ – Ein Videofilm der Medienwerkstatt Freiburg: eine (wie es scheint) spontane Reise im April 1983 nach Spanien mit Clara Thalmann und Augustin Souchy (die im Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner gekämpft haben). Schauen, was rauskommt, jetzt nach Francos Tod ist das möglich. Ganz schön: Souchy und Thalmann während der Fahrt hinten im Kombiwagen schlafend … Diskussionen zwischen den beiden Alten werden belauscht. Etwas viel Gratis-Parteinahme für die Anarcho-Syndikalisten vielleicht, aber na gut. „Das letzte Dokument eines bewegten Lebens – Augustin Souchy ist am 1. Januar 1984 in München gestorben“, steht da im Ankündigungstext. (ZDF, 14.3.84)

„Ich wurde geboren, aber …“, Japan 1932, Yasujiro Ozu: schon hier (siehe späteren Farbfilm) die Weigerung der beiden Kinder zu essen (Hungerstreik also) – weil der Vater kein ‚grosser Mann’ ist, vor dem Chef katzbuckelt.
[In „Ohayo / Guten Morgen“ von 1959 sind die beiden Kinder im „Redestreik“ – ihnen ist gesagt worden, endlich den Mund zu halten: es geht um die Anschaffung eines Fernsehers. Donald Richie in seinem Buch über „Ozu“: „The two boys in the 1932 film question the assumption the world entertains about bosses and workers, the two boys in the 1959 picture question the basis of all social conversation …“]

Man muss sich halt an den eigenen Ohren aus dem Sumpf ziehen … (12.6.84)

Das Einfache und das Subtile … S. 69-71, Jean Paulhan, Unterhaltungen über vermischte Nachrichten [1962, übersetzt von Friedhelm Kemp; Entretiens sur des faits divers, Paris 1945].

Drei Filme von Yoji Yamada im TV: „Wo der Frühling später kommt“, 1970, ist auch ein ‚On the road’-Film auf japanisch – man sieht sehr viel vom Land, es geht ganz vom Süden in den Norden, nach Hokkaido; „Ein ferner Schrei des Frühlings“, 1980, führt diesen Film fort und auch „Das gelbe Taschentuch“, 1978, spielt auf Hokkaido (wo der Winter streng ist). Ankündigungstext in ‚zitty’: „Es sind keine Filme für eine intellektuelle Minderheit, sondern Filme aus dem Volk und für das Volk.“
(ZDF, 22.5., 8.6. und 17.6.84)

‚Die Nacht der tiefen Depression. Am Ende des EM-Traums blieb nur noch die Flucht in den Alkohol’ von M.S. und ‚Auf dem Fernsehschirm: West: Tor’ von Michael Stone. „(…) Um 22 Uhr 17 hatte das Schicksal zugeschlagen, als Maceda das verhängnisvolle Tor erzielte. ‚Ich dachte, ich bekomme einen Herzinfarkt’, sagte Rudi Bommer noch auf der Ersatzbank. Dann kamen sie alle herein vom Rasen, wo sich die Spanier in den Armen lagen. Jupp Derwall als erster, der Kapitän hintendrein. ‚Das kann nicht, das darf nicht wahr sein’, stammelte Karl-Heinz Rummenigge, während Hans-Peter Briegel einem Spanier unwirsch klarmachte, dass er an einem Trikottausch nun wirklich nicht interessiert sei. Uli Stielicke dagegen palaverte noch ein bisschen mit seinen ‚Landsleuten’. (…)“ (Tagesspiegel, 22.6.84).

In ARD und ZDF drei Filme von E.W. Emo mit Hans Moser („Zirkusvagabunden“, 1935, „Schwarz auf Weiss“, 1943, „Reisebekanntschaft“, 1943) und dann noch einen von Franz Antel mit Hans Moser („Hallo, Dienstmann“, 1951): die von Emo sind um eine Klasse besser. (GPS machte mich darauf aufmerksam.)

Hofrat Meuchel.

Das Denken kann mächtige Empfindungen versetzen … (15.7.84)

Die Frage nach der Kunst im Kino hat sich seit langem erledigt. (Eher unbemerkt.)
(Den ‚Querschnitt’ lesend und auf die Filmnummer vom Januar 1931 stossend …; aber gemünzt eher auf Ende 60er, Anfang 70er Jahre, als noch und wieder von ‚Filmkunst’ die Rede war …)

Haferstich und arabische Schleiertänze. (Zum ‚Geist der Zeit’.)

„Beschränkt sich das Werk auf das ‚Werk’?“ (Ludwig Hohl)

Musikstücke als ‚Tagesklänge’ … (jetzt gerade Enrico Rava / Roswell Rudd, ‚Lavori casalinghi’). Wenn man nach dem ersten Hören am nächsten Tag Lust hat, nochmal zu hören und wiederzuhören. (25.7.84)

‚Neonazi Lepzien vorzeitig aus der Haft entlassen’ / ‚Begnadigung Lepziens löst Diskussion um V-Männer aus’ (Tagesspiegel, 25. / 26.7.84).
„Der, wie berichtet, wegen der Teilnahme an zwei Bombenanschlägen zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilte Lepzien war Ende Juni nach 19 Monaten aus der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel entlassen worden. Grundlage dafür war eine Gnadenentscheidung des Ex-Bundespräsidenten Carstens, die dieser zwei Tage vor Ende seiner Amtszeit verfügt hatte.“
Der Ex-Nazi amnestiert den Neo-Nazi!
„… rechtfertigte der Leiter der Verfassungsschutz-Abteilung im Innenministerium, Frisch, nachdrücklich den Einsatz des ehemaligen NPD-Funktionärs und Gründers einer rechtsradikalen Terror-Organisation durch seine Behörde. Nur mit Hilfe solcher V-Männer könne der Verfassungsschutz Erkenntnisse über den ‚schwarz-braunen Sumpf’ erhalten.“

Freundin Frau. (Ein Stücktitel) (3.8.84)

Das Depravierte hat seine eigene Würde.
(Olympiade in Los Angeles – die Ehrlosigkeit der US-Amerikaner, die sie mit Nationalismus zukleistern [Paradebeispiel der Boxer aus Illinois mit seinem blöden Wimpel, der seinem Gouverneur versprochen hat zu siegen – und dann, nach Skandal und Bestechungsurteilen, als einziger ‚geopfert’ wird – zu uninteressant für den Profi-Sport], Mary Decker, die stürzt und die Schuld der vor ihr laufenden Zola Budd aus Südafrika gibt [die im Eiltempo britisch naturalisiert wurde] … bei all diesen Enthemmten und Verwirrten, die nicht mehr wissen, ‚wo links und rechts ist’, bei allem, koste es, was es wolle, mitmachen, alle Zweifel unterdrücken – und sei der Betrug noch so offensichtlich … denke ich plötzlich an die Schwarzen Südafrikas und ihre Würde, Sicherheit, ihr Bei-sich-sein.) (12.8.84)

(Nachdem ich ‚Bossuet’ von Paul Valéry aus dem ‚Querschnitt’ kopiert habe, stosse ich bei der Bibliographie der Werke Bossuets auf:)
„Sur l’éminente dignité des pauvres“, Rede von 1659.

… Aber was ist das spezifische Glück des Schreibens? Sein Unglück.

Die meisten Dinge geschehen unbemerkt.
(Und vielleicht ist gerade dann, wenn man denkt, es ist nichts los, anderswo – dort, wo man keinen Einblick hat – sehr viel und Entscheidendes los. – 70er Jahre Thema.)

„Ich bin 73 und lebe nicht in Nostalgie …“ Jean Genet im Gespräch mit Hans Neuenfels und François Bondy.
Eingeschaltet (umgeschaltet) und gesehen / gehört: die Frage von Genet, ob die Baader-Meinhof-Leute auch Arbeiter umgebracht hätten? Daraufhin bezeichnendes Schweigen von Bondy und Neuenfels. (SFB III, 9.8.84)

‚Querschnitt’ / 20er Jahre: Das Auto – der Sport – die Kunst – der Körper – die Frau – Radio, Film, Musik …

Genf, 25.9.84. (Abends, in der ‚Bagatelle’, vor der Rückkehr ins Hotel.)
Zurückgekehrt, das zu sehen, was man vergessen hat, entdeckt man die alte Misere (die Traurigkeit, die Unausgefülltheit, das Durchbringen der Freizeit – die Abende / Wochenenden) – das Nicht-wissen-was-tun; das Protzen der kleinen Angestellten, die Möchtegern- und wirklichen Unternehmer, internationalen Händler … – nebst auch anreizenden Stimmungen. Aber als vergegenwärtigtes, zurückliegendes Hauptmovens bleibt die Traurigkeit.

Sehenden Auges ins Unglück rennen …
(Kein Tier mehr dem Menschen gefährlich – nur noch er sich selbst; Naturgesetz der Erhaltung der Rasse – spielt es noch?)
(Ob Tiere sich langweilen – und wie? – Langeweile als Zivilisationserrungenschaft. – Der Kreis: Ausweglosigkeit. – In der Natur, wie Pehlke sagt, nicht vorhanden.)

Mangelerscheinungen des Lebens. (Eine Aufzählung.)

Das grosse Übertünchungstheater.

In Winterthur in der ARD (Samstagabend, 6.10.84) einen Film von Ulu Grosbard gesehen, „Stunde der Bewährung“ (USA 1978), der mich an einen früheren Film von ihm erinnerte, ebenfalls mit Dustin Hoffman: „Who is Harry Kellerman and Why Is He Saying Those Terrible Things About Me?“ (USA 1971) Ich weiss eigentlich nicht, ob ich den gut finde, aber der Film hat sich in meinem Gedächtnis festgehakt vor allem wegen des Anfangs. [Dustin Hoffman, als erfolgreicher Pop-Musiker und Komponist, steht auf der Dachterrasse seines luxuriösen Apartments, schreibt einen Abschiedsbrief, der Wind trägt ihn davon – er will danach greifen und stürzt vom Hochhaus in die Strassenschlucht Manhattans … landet auf der Couch seines Psychiaters.]

„Schade, dass du eine Kanaille bist“ (I 1955, Alessandro Blasetti, mit Sophia Loren, Marcello Mastroianni, Vittorio de Sica). (ARD, 3.11.84)
Vielleicht einmal: über die Filmlandschaft Italiens, 50er Jahre … Diese Art Sorglosigkeit (bei aller Schwere des Lebens), die später verloren ist; Grundton von Traurigkeit oft, aber so, dass es noch ‚leicht’ ist.

Er hüllte sich ein in das warme Kleid seiner Gedanken.

Wir Hunde sind doch auch Menschen (sagte mir kürzlich ein Hund).

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