Februar 07
Anfang Februar, ich war zu einem Spaziergang am späten Nachmittag aufgebrochen, es war kurz nach 5 und es wurde langsam dunkel, und beim Spazierengehen kam mir wieder das Verhalten gegenüber den Filmen in den Sinn. Das Verhalten von den vielen verschiedenen Leuten, das ganz von meinem verschiedene Verhalten und mein Verhalten dazu. Wie schwer es ist, sagte ich mir wieder, sich zu all dem stimmig zu verhalten und ob es noch richtig ist, all dies, was um die Filme herum als Verhalten geschieht, als Verhaltensaufforderungen zu durchschauen, als Verhaltensaufforderung aber, die man geradezu ignorieren sollte, um stimmig weitermachen zu können; ob man aber von beabsichtigter Unaufmerksamkeit schließlich doch, wie die anderen meinen, unbeabsichtigt unaufmerksam und daher unerheblich wird? Beim Lesen von Texten und beim Hören von Gesprächen zu Filmen hatte ich in den letzten Tagen immer öfter an die Sache mit dem Verhalten gedacht und die vielen Sachen, die das Verhalten ausmachen. Immer mehr Gedanken über das stimmige und das unstimmige Verhalten und die Filme und was das mit den Leuten und mit mir macht kamen mir nun auch beim Spazierengehen in den Sinn. All dies zerrte nun schon seit Tagen in meinem Kopf herum und genervt brach ich das Spazierengehen und Nachdenken daraufhin ab. Ich ging zum Reichelt und kaufte mir ein halbes Brot. Es war Samstagnachmittag, weit nach 5 Uhr und eine Auszubildende mit einem Auszubildendenschild am Revers verkaufte mir da dieses Brot. Es war erstaunlich, wie viele Brote in den Brotregalen lagen am Samstagnachmittag weit nach 5. Das hatte ich nicht erwartet. Als ich mit dem Brot in der einen und dem Schlüssel in der anderen Hand die Treppen zu meiner Wohnung hinaufstieg, fiel mir der vor Jahren gesehene Film „Babes on Broadway“ von Busby Berkeley ein, MGM 1941. In dem Film fragt Mickey Rooney July Garland, ob sie ein Lied für ihn singen würde. Gar nicht abgeneigt, ein Lied für Mickey Rooney zu singen, hält sie ihn aber noch hin, die Süße der Situation genießend: „How do you know I sing?“, und er antwortet prompt: „You sing when you talk, and you dance when you walk, and when I look in your eyes, I see a song.“ Die Erinnerung an diese Überredung gefiel mir sehr und ich ging wieder hinaus auf die Straße und machte doch einen Spaziergang und dachte weiter nach dabei.
Dann war die Berlinale.
Ich fragte mich nachher, nach dem Text von DE, ob ich eine gute oder eine schlechte Berlinale hatte. Ich hatte keine Routine darin, diese Frage zu beantworten. Auf der Berlinale hatte ich nach einem Tag erst drei Filme gesehen und nach zehn hatte ich den Schnitt nicht gehalten. Hatte ich eine gute oder eine schlechte Berlinale? Zwischen den Filmen bin ich manchmal nach Hause gefahren oder woanders hin, meist aber stand ich mit anderen herum und habe mich zwischen den Filmen unterhalten.
Einer Freundin hatte ich mit dem Akkreditierungstrick Zutritt verschafft zu dem SUBSTITUTE Film und sie hatte sich darüber und später auch an dem Film gefreut. VP traute sich nachher nicht, ein Autogramm von Dorasso zu verlangen. Dorasso stand in unserer Nähe und ich verlangte das Autogramm, für SP; es war erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich ein Autogramm verlangte. Das erste Mal war vor ein paar Jahren im Winter im Bastard als Kimya Dawson dort spielte und ich HV gezogen hatte für die Beschenkung in Bielefeld, HV, die Kimya Dawson Fan ist. Später musste ich oft an den SUBSTITUTE Film denken. Das Dispositiv des SUBSTITUTE Films ist eigentlich total fies, eine miese, marode Künstlerfantasie, eine Pygmalion-Anschafferei, ganz das Gegenteil zwar des Wortmanngemaches, aber darum ja nicht weniger fies. Doch schau mal, wie der Fußballer Dorasso sich in dem Film mittels Gegenschuss dem entgegenstellt. Während der Berlinale machte die Nachricht die Runde, dass eine Vereinigung deutscher Filmkritiker den Wortmannfilm zum besten Dokumentarfilm des Jahres gewählt hatte.
Auf der Berlinale traf ich im Arsenalfoyer MG. Er saß mit einer großen Kamera an dem runden Tresen.
In der Schlange zu LOVE ‚EM OR LEAVE ‚EM traf ich BS und AR und AR sagte ich da im Gespräch, dass ich mich eigentlich doch nicht so recht für Kunst interessieren kann und danach kam mir das unverschämt vor ihr gegenüber, die ja Künstlerin ist. In der Schlange standen auch AH und RS. AH fragte nach unserem Buch und nachdem ich kurz von der zweiten Auflage erzählte, berichtete er sofort vom Erfolg seines Buchs. Auch er ist ja monoman, dachte ich dann später. Wie BS, der auch immerfort von seinen Sachen erzählt und ein bisschen versucht, mir ein Schuldgefühl zu geben, als er mich begrüßt und sagt, wir haben uns lange nicht gesehen. Das hat mir nicht gefallen, weil ich nicht mehr einsehe, dass man sich immerzu sieht, nur weil man die gleichen Filme anschaut. Ich glaube auch nicht, dass er das denkt, aber er denkt, ich müsse seine Arbeit mehr achten.
Während der Berlinale musste ich auch oft an den Film THE TRACEY FRAGMENTS denken – nicht, weil er etwas Besonderes ist, sondern weil sein Splitscreengemache gänzlich unelektrisierend war. Vor dem Film THE TRACEY FRAGMENTS saß ich im Kino und telefonierte mit LB und auch mit CB, aber leise und dezent. Hinter mir saß ein englischsprechender Spanier und als ich noch nicht telefonierte, telefonierte er sehr laut und ich drehte mich zu ihm, mit der Drehung bedeuten machend, dass sein lautes Telefonieren mich störe. Als ich dann selber telefonieren musste, tat ich es leise und dezent.
In einer Schlange vor dem Arsenal stand ich neben AE, HF und CH. CH trug eine Bluse in Orange und Braun und Beige, die wie Seide aussah, aber doch war sie aus Plastik, wie CH beteuerte. Jeder kann sich also diese Bluse kaufen, wenn er mag. In dem Film dann, X LOVE SCENES, fühlte ich mich nicht wohl, auch wenn ich im Abspann dieses Films genannt wurde, weil ich eine Übersetzungsarbeit für den Film gemacht hatte. Ich stand mit AE vor dem Kino und begründete ihr meine Unlust an dem Film.
Im Cinemaxx-Cafe waren RK mit zwei Freunden aus Heidelberg und KW. Es war schön, RK und KW zu sehen. KW und ich machten uns auf, den Film PRINZESSINNENBAD von Bettina Blümner anzuschauen. Lange Schlangen waren vor dem Kino und ich stellte mich ans Ende einer aussichtslos langen für Leute mit schlechten Akkreditierungen. KW aber besorgte sich eine Karte bei einer Frau und schickte mich zu dieser und schon bald hatte auch ich eine. Von der ersten Reihe des großen Kinos wirkte die Leinwand besonders groß auf uns, wir saßen ja fast unter ihr. Die eigentlich beiläufig zu betrachtenden Knutschflecke der Mädchen wirkten von unserem Sitzen wie zu erratende Hieroglyphen. Einmal sagt eines der Mädchen, sie sei „jung, dynamisch und naiv“. Man sieht sie in dem Film oft rauchen und durch Kreuzberg laufen. Dem Film war nicht viel dazu eingefallen, wie er von einer Sequenz zur nächsten kommt und hatte Schnittbildintermezzi aus Kreuzberg, die mit moderner basslastiger Musik unterlegt waren, dafür herangezogen. KW, der erst neulich einen Herzinfarkt hatte, verließ deshalb nach einer Stunde das Kino. Später traf ich ihn wieder im Cinemaxxcafe und er berichtete von seinem Tischnachbarn und zeigte auf ihn, ein Musiker und Komponist, der dann erzählte, dass die Subwoofer aus der amerikanischen Kriegsforschung hervorgegangen seien. KW war gar nicht wegen der Berlinale in Berlin. Er war in der Stadt um einen Dichter zu treffen bei einem Abendessen mit einem anderen Dichter. Später. Vor dem Film sagte KW, dass aufgrund des Ekels die Menschen an bestimmten Wegkreuzungen ihres Lebenswegs ausweichen und der Lebensweg der Menschen, nimmt man ihn einmal als solchen, aus vielen solcher Ausweichmanöver besteht; man könne sich fragen, wie der Lebensweg der Menschen aussehen würde, wichen sie nicht so häufig vor dem Weg aus, den der Ekel einem zu versperren scheint.
Ich verspürte Hunger und wollte mich aufmachen, etwas zu essen, schaute aber noch in das Programm und entdeckte den Film LES ANNÉES DÉCLIC von Depardon. Depardons Vorderzähne waren damals, als der Film gemacht wurde, Mitte der 1980er, noch nicht gemacht und er hatte auch wegen der nichtgemachten Zähne noch etwas sehr Junges an sich. Depardon schaut während des Films auf die vor ihm liegenden Bilder hinunter und dann schaut er über sie sprechend in die Kamera. Ich schrieb in mein Notizbuch: „Auf- und Niederschauen des Depardon“. Magnum, sagte Depardon nach dem Film, sei da, daran zu erinnern, dass es Leute seien, die die Bilder machen.
Die Revolverfeier war laut und voll. Wir fuhren zu viert mit dem Taxi nach Haus.
Mit UH schaute ich mir den Film von Dreyer an, der einen schwierigen dänischen Namen hat, DU SKAL AERE DIN HUSTRU, was heißt: Ehret eure Frauen. UH hoffte, dass ein Däne etwas zu dem Film sagen wird, weil sie das Dänische gerne hört und schon bald kam ein Däne vom Dänischen Filminstitut und führte den Film ein. Es gibt in dem Film eine seltsame Einstellung, etwas, was ich noch nie in einem Film von Dreyer gesehen habe. Das ist gegen Ende des Films, da hat sich der zuvor tyrannische Vater gebessert und jetzt schickt seine Tochter ihm eine Botschaft auf einem Stück Papier. Das Stück Papier hat sie in den Schnabel eines kleinen mechanischen Vogels gesteckt und jetzt hat sie den Vogel auf den Boden gesetzt und der Vogel legt nun die kurze Strecke zwischen der Tochter und dem Vater zurück und die Kamera erfasst dieses Wegstück in einer sehr nahen Einstellung und der Hintergrund verschwimmt dabei, denn die Kamera wird nicht langsam von der Anfangsposition zur Endposition geschwenkt, sondern die Kamera wird von der einen zur anderen Position gerissen. Wie immer ist es schön, Auszüge aus den zeitgenössischen Filmkritiken auf den ausliegenden Din-A-4-Blättern zu lesen. Ich las diese Filmkritiken in der U-Bahn und dachte an die Texte von Peter Nau. Ich hatte da den Eindruck, dass der Peter Nau mit seinem Filmkritikschreiben sich mit viel Respekt genau hineinschreibt in diese Tradition der Filmkritiken, die später auf den Blättern wiederzufinden sind, die auf Retrospektiven ausliegen.
Ich hätte noch zu dem Film THE PATSY fahren können. Der Film lief im Zeughaus Kino. Aber ich bin nicht mehr zu diesem Film gefahren. Ich hatte schon meine Jacke angezogen und den Schal um den Hals geschlagen und die Wohnungstür geöffnet. Ich hätte sofort los können. Den Bus hätte ich rechtzeitig bekommen um noch Zeit zu haben vor dem Film, um vor der großen Eingangstür des Zeughauskinos eine Zigarette zu rauchen. Ich bin dann aber doch zuhause geblieben. Als das Telefon klingelte, wollte ich gerade etwas über die Müdigkeit und die Unlust schreiben. MH war am Telefon. Ich sagte ihm, dass ich mir vor zehn Jahren auf der Berlinale gewünscht hatte, viele der Leute dort kennenzulernen und heute wünsche ich mir, so viele Leute zu kennen auf der Berlinale wie vor zehn Jahren, nämlich wenige. Ich hatte überlegt, etwas in die „new filmkritik“ zu schreiben oder etwas für einen späteren Text aufzuschreiben.
RK war inzwischen eingetroffen, während der Berlinale wohnte er bei mir. Er war erfreut als er am folgenden Vormittag einen Hundertwortetext von VP zu seinem Film las. Ich lag da auf dem Bauch im Bett und schrieb in den Computer hinein und hörte RKs Freude aus dem Nebenraum. Mit ihm schaute ich später, von Minute zu Minute dem Erzählen dieses Films zugetaner, den Film SHOTGUN STORIES. Wie in dem Film die Mutter der drei Brüder im Dunkel verschwindet und noch im Weggehen halb im Licht und halb schon im Dunkel sagt, sie gehe nicht auf die Beerdigung des Vaters. Nur die plotvorantreibende Nebenfigur gefiel uns nicht. Dies ist die einzige gedankenlose Figur in dem Film, was nicht am Filmemacher liegt, denn dessen Verhältnis zum Erzählen ist stimmig, sondern an einer fehlenden Idee des Filmemachers zu dieser Figur. Dem Filmemacher ist wenig eingefallen zu dieser Figur. Diese Figur ist dafür da, die Haupftiguren von den Aktionen der anderen zu informieren und sie damit zu Gegenhandlungen zu treiben. Dass RK und mir diese Figur als gedankenlose aufgefallen war, sprach aber trotzdem für das Geschick des Regisseurs, denn sie ist die einzige missglückte Erfindung des Filmemachers.
Wie immer war ich auf der Berlinale von den Reaktionen des Publikums auf die Filme irritiert. Ich hatte verdrängt: Das Publikum auf Filmfestivals ist das schlimmste. Dass sich die Leute auf Filmfestivals nicht benehmen können, kommt wegen der unpassenden Zusammensetzung der Leute und wegen ihrer großtuerischen Haltung den Filmen gegenüber. Ich schaute den Film YELLA von einem Sitz ganz oben im Berlinale Palast und hörte irritiert die Lacher, als Yella sagt, sie wolle in die Stadt, sich ein paar neue Klamotten kaufen. Gerade das Publikum auf einem großen Filmfestival ist darauf aus, bemerkt zu sein, deshalb kommen immerzu, egal in was für einem Film, aufmerksamkeitserheischende Lacher. Dumm waren auch die Gesprächsfetzen der Gruppe, die sich nachher über den klugen Film THE HALFMOON FILES erhaben fühlte.
Ich erinnerte mich an ein Gespräch vor der Berlinale mit einem, der sagte, ihm habe der Rohrbachartikel aus dem Spiegel aus dem Herzen gesprochen und dass er mir das schon sagen können dürfe und ich erinnere mich an einen Text über Formeln wie „aus dem Herzen sprechen“ und „ich muss sagen“ und „ich muss jetzt mal sagen“. Mit RK saß ich in der Nacht noch zusammen und wir tranken Russian Standard und stellten uns vor, wie Rohrbach einmal ein paar Nächte nicht einschlafen konnte wegen der Wahrnehmung der anderen und er sich gepiesakt fühlte davon und unerheblich und dann seinem Herzen Befreiung verschaffte mit dem Schreiben des Rohrbachartikels, der einer dieser „ich muss sagen“-Texte ist. Nie ist später viel mehr an solchen Texten zu finden als die zu verortende Geste des Aufrufens und Sagenmüssens. Dann dachte ich wieder an die Sache mit dem Verhalten und an die Filmgeschichte. Manchmal kann man denken, die Filmgeschichte, so wie sie sich später darstellt, bestehe nur aus diesen Machtworten und Machttaten und nicht aus den gespeicherten Haltungen der Filme, die denen widerstreben. Später fielen mir die Leute ein, die in dem Film mit Mistinguette in Paris in den Zwischenhandlungen und Zwischenschnitten in die Kamera blicken. Die Filmgeschichte sind diese Leute, die in dem Mistinguettefilm in die Kamera blicken.
In dem schönen Téchinéfilm staunte ich, wieder eine ganz unmotivierte Nacktaufnahme der Emanuelle Béart zu sehen. Beim Betrachten der Bilder der schönen Emanuelle Béart wurde ich ganz großzügig. Ihr Körper ist ja auch Teil der Filmgeschichte.
http://youtube.com/watch?v=qMYLV3cqLKc
Das rauhe Serielle des Hong Sang Soo.
Der lässige Freejazz des Charles Burnett.
Der Berlinalebeginn diesmal war nicht hysterisch. Beim Beginn einer Berlinale hatte ich mich seit ein paar Jahren immer gefragt, was das Kino mir noch ist. Tatsächlich war es auch diesmal so. Dann traf ich ein paar Leute, die ich lange nicht gesehen habe und freundete mich an mit der wiederholten Situation. Nachmittags kam ich zum Lesen und Einkaufen und Saubermachen, Vormittags bisweilen zum Schreiben, RK blätterte durch die Programme, an den Abenden besprachen wir die Vorkommnisse des Tages. So und mit den Alltagssachen aus dem Normalleben und den Ereignissachen vom Potsdamerplatzleben im Kopf, kamen wir auf die Idee mit dem Mount Rushmore der Filmkunst, den wir uns im Riesengebirge vorstellen konnten oder in einem noch zu schleifenden Wienerwald. Wäre HH wirklich Kultusminister seines Landes geworden, hätten wir, an diesem Abend jedenfalls, diese Idee ihm vorgetragen. Wir konnten uns aber nicht auf die vier eingemeißelten Regisseure einigen. RK hatte dann aber schließlich die Idee, das bei einem noch zu drehenden Hitchcockremake Brad Pitt am Zigarrenstummel des Jean Marie Straubs hängen werde.
Nach der Berlinale spürte ich Hautunreinheiten im Gesicht, rote Flecken, die sachte brannten. Schließlich war ich doch überrascht, viele Filme auf der Berlinale gesehen zu haben. Während der Berlinale war ich enttäuscht über die Texte, die während der Berlinale zu den Filmen der Berlinale veröffentlicht wurden. Vor allem das Agitatorische vieler Texte war mir zuwider. Zuwider war mir auch das guinessbuchrekordhaft Eilfertige der vielen Weblogs. In den ersten Tagen der Berlinale hatte ich auch oft mit Leuten herumgestanden, die Meinungen vor oder nach dem Film verlangten, was mir von da an zuwider war.
Nach der Berlinale gab es ein Essen in Kreuzberg. Es war endlich Geld gekommen von der Jungle World für die Filmgespräche. Wir sprachen über das Vergangene. SR erwähnte ein Buch über Remediationen. VP machte einen Vorschlag zum Weblog, einen Monat, in dem jeden Tag jeder ein Posting machen muss. Ich wurde während all dem merklich still. Meinungslos saß ich da und spürte den Impuls, mich mit der schriftlichen Formulierung von Stimmungen abzugeben. Hier saß ich mit Freunden und dachte stattdessen an den Überzeugungsterror und den Thesenkitsch und die Stimmungssache. Beim Nachlesen der Goetzblogeinträge erinnerte ich das Theorieschreiben von früher. Doch im Begriffsbemühen ist das Narrativ dann ja doch versteckt. Hier in 2007 fing alles besser an und anders und ich frage mich, ob ich die paar Berlinaletage und deren Nachwehen so auffassen soll, dass das Weitermachen wie bisher nicht mehr geht. RK erzählte von seinen letzten Berlinaleerlebnissen und dem Wiederschauen des Guitarrenfilms von Martin Rit. Ich hatte den Film nicht noch einmal geschaut. Ich hätte den Film nocheinmal schauen wollen, aber es war zu kompliziert. Ich hätte mir auch die anderen Kurzfilme des Programms anschauen müssen, um den Film mit der Guitarre wiederzusehen. Das wäre professionell gewesen. Wäre ich ein professioneller Filmgucker, müsste ich mir nun sagen lassen, mein Handeln sei unprofessionell. Ich wurde krank und schlief bis in den Nachmittag. Im Traum meinte ich in der Realität in eine déjà-vu-Situation hineinzugeraten. Die Situation handelte von der Wohnung von TA. In dieser Traumrealität, die ich durchlebte, schien es mir, in der leergeräumten Wohnung von TA stehend, dies stehend ein zweites Mal zu erleben. Es war im Traum so, als habe ich das Stehen in der Wohnung vor dem dort Stehen bereits an anderem Ort geträumt; geträumt, ohne zu glauben und zu verstehen, was es war. Erst durch das Erleben, welches zwar immer noch geträumt war, konnte ich das zuvor vor langer unbestimmter Zeit Geträumte in einen sinnhaften Bezug bringen.
– Michael Baute –