Bartleby und Two-Lane Blacktop aufeinander zu beziehen, das ist natürlich eine willkürliche Assoziation. Und doch erscheint mir die Erzählung von Melville wie ein Urtext, von dem Monte Hellman einen (durch viele historische Schichten und solche des Unbewußten hindurch veränderten) „Abkömmling“ hergestellt hat, in einer anderen Epoche, in einem anderen Medien, aber immer noch nach der Formel: Ich möchte lieber nicht. Bartlebys Entschluß, das Kopieren (von Gesetzestexten) aufzugeben, und das Anstößige, das sich in seinem Todestrieb äußert (den sogar Deleuze nur als prophetische Magersucht deuten kann), sind entscheidend. Auch der Fahrer und der Mechaniker geben das Kopieren auf, indem sie ihr Auto (das dem klassischen Abschreibprozeß des 20. Jahrhundert entstammt, der fordistischen Produktion) wieder individuell machen, durch Bauteile, derentwegen sie bis Columbus, Ohio fahren würden. Auch der GTO träumt ständig davon, „one of those Detroit machines“ so umzubauen, daß sie seinen Größenphantasien besser entspricht. „A clean machine, homegrown“, sagt James Taylor einmal über das Auto eines Konkurrenten, als wäre der ein lächerlicher Biobauer, aber die Idee des Nonkonformen teilt er natürlich, unausdrücklich und introvertiert zwar. Das Gesetz, das von Melville bis Hellman gilt, ist das der Kopie, und es ist kein Zufall, daß die Kollegen von Bartleby allesamt Originale sind, aber widerspruchslose Abschreiber, während Bartleby eine Null ist, mit der sich nichts mulitplizieren läßt. Die Zweckentfremdung des Automobils in Two-Lane Blacktop wendet sich auch gegen das Gesetz: Ausdrücklich dort, wo die Highway Patrols verhöhnt werden, viel wichtiger aber insofern, als das Auto so „überdeterminiert“ wird, daß man damit gar nicht mehr richtig vom Fleck kommt. Bartleys träumerisches Verweilen vor einer Feuermauer und James Taylors Blick nach vorn durch die Windschutzscheibe sind verwandt: Es ist ein nicht-gegenständliches Sehen, aus dem der Fahrer nur herausgerissen wird, wenn es einen Unfall zu vermeiden gilt, das sich am Ende aber tatsächlich erfüllt, wenn das Bild selbst einen Unfall erleidet und mit seinem Betrachter, dem Lenker, identisch und abstrakt wird. Bartleby bekommt von Melville am Ende noch einen Tod und eine Vorgeschichte, der Fahrer aber wird zu reiner kinetischer Energie, woraus sich kein religiöser Gewinn mehr ergibt, aber auch kein Verweigerungspathos, das sich so einfach politisieren läßt, wie Hardt und Negri in Empire Bartleby für ihre Globalisierungskritik reklamieren. Bartlebys Formel hat sich in Two-Lane Blacktop zerstreut, sie hat ihre Dringlichkeit verloren, und ist nur noch in Echos zu vernehmen: That don’t hardly matter to me, sagt ein Anhalter mit Stetson, der ähnlich von sich selbst abzusehen scheint wie Bartleby auch. No good, sagt das Mädchen, bevor es sich aus dem Film davonmacht, ohne noch den Beutel mitzunehmen. Die Menschen, die den Film durchkreuzen, tragen alle ein Moment dieser Verweigerung in sich, aber in einer Welt, die tatsächlich „vaterlos“ ist, wie Deleuze schrieb, wird die Differenz zwischen Original und Kopie unwichtig, und deswegen kann der Fahrer nicht sterben, sondern muß frontal in das Medium krachen.
Freitag, 26.04.2002
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