Danièle Huillet – Filmemacherin im Film
Von Robert Bramkamp
Ich möchte eine kurze Einführung zu dieser Reihe versuchen, nicht zu allen einzelnen Filmen, die schon pointiert im Programmheft angekündigt sind, sondern zu möglichen Perspektiven einer solchen Reihe, die Arbeiten aus 25 Jahren überspannt. Ergänzend zeige ich Ausschnitte aus zwei Interviews mit Straub-Huillet von Rembert Hüser, Hubertus Müll und mir, aufgenommen 1988 und 1997, alles zusammen in ungefähr 15 Minuten.
Es könnte erstens eine Reihe sein, die zunächst die Wiedergewinnung einer spezifisch modernen Komplexität im deutschen Film rekonstruiert, mit „Nicht versöhnt“ 1965 am Anfang der Entwicklung ‚Neuer Deutscher Film‘; und dann die „Rücknahme von Komplexität im hiesigen Filmbereich seit den 80er Jahren“ – wie sie Manfred Hermes kürzlich in Revolver beschrieb – als den „Rückbau romanhafter Offenheit zu gesetzestreuen Dreiaktern“. Romanhafte Offenheit bezieht sich bei Straub-Huillet zusätzlich auf den geöffneten Bedeutungsraums mündlicher Sprache und eine elementar unverstellte Kinematografie. Plastisch würde diese Reihenbildung, spätestens in der 2. Hälfte, durch den Kontrast: die gegen den Rückbau von Komplexität durchgehaltene Arbeit von Straub-Huillet, die immer schwieriger wurde.
Im September 1997 war laut Georg Seeßlen, der damals die Abwicklung des selbst „oft kontraproduktiven Autorenfilms“ in epd film resümierte, die Situation im deutschen Filmschaffen eine, „in der ein Kino entsteht, das mit der Entwicklung des Mediums, mit seinem Reichtum und seiner Vielfalt, ganz einfach nichts mehr zu tun hat.“ Er bilanzierte unter anderem weiter: „Wir haben unsere einsamen Meister wie Achternbusch, Kristl, Straub-Huillet, aber sie sind Außenseiter im deutschen Film geblieben.“ Tatsächlich war 1997 auch für Straub-Huillet ein kritischer Punkt erreicht, als sich für den gefilmten Schönberg-Einakter „Von Heute auf Morgen“ trotzt Kooperation mit dem berühmten Michael Gielen in Deutschland nicht wirklich eine passende Bühne für die Methode Straub-Huillet finden ließ.
Straub/Huillet, Saarbrücken 1997, Interview Robert Bramkamp / Hubertus Müll
Filmausschnitt [Quicktime, 3 Minuten]
Zum Thema ‚Alleinsein‘ hat übrigens Alexander Kluge in seinem zweieinhalbstündigen, alle Baustellen sortierenden und geradezu aufwühlenden Film-TV-Text-Vortrag während der Berlinale 2007 bilanziert: Das Einzige was er bedauert, sei, daß sie, die Filmemacher, nicht noch mehr zusammengearbeitet haben – auch international. Der Straub-Huillet Film auf Italienisch der nach 1997 folgte, „Sicilia“, leitet bis „Quei Loro Incontri“ 2006 eine weitere, 9-jährige Produktionsphase von Straub-Huillet ein, aber in Italien und Frankreich. Sie führte bis zum Preis in Venedig im letzten Jahr; „zu früh für ihren Tod, zu spät für ihr Leben“, wie Straub dort verlesen ließ. Einen weiteren Film auf Deutsch hat es nicht gegeben. Auch keinen Auftritt der Filmemacherin im Film.
Annett Busch hat in ihrem Nachruf in der taz den spezifischen Feminismus in Danièle Huillets Haltung so beschrieben: „Die Entscheidung für Straub war auch eine Entscheidung gegen das Mittelmaß und für ein Spannungsverhältnis. Die feministische Filmtheorie hat sich für diese Form von Feminismus nie so recht interessiert. Warum sie nicht ihre ‚eigenen‘ Filme mache, hing als unausgesprochener Vorwurf oft in der Luft. Danièle Huillet wollte sich in das Bild von Emanzipation nie so recht einfügen. Es ging um ein anderes Potential: die eigenen Filme waren die gemeinsamen.“ Zu diesem Prozess hat Danièle Huillet öffentlich angemerkt, daß sie zu Zeiten von „Nicht versöhnt“ als Teil eines produzierenden Duos für die Öffentlichkeit „nicht existierte“ und ebenso festgestellt, daß sie das Reden lieber dem Straub überließ, weil der „macht es besser“. Auch aufgrund des offenen Umgangs mit Asymmetrien bildeten die beiden ein faszinierendes gleichberechtigtes Duo, das klassische Konstellationen wie Musenbeziehungen oder die zwischen männlichem Regisseur und weiblicher Schauspielerin transzendierte in eine modellhafte Paarbeziehung – im Hintergrund „das hohe Lied der Liebe“ (aus der Mystik, nicht der Romantik) und im Schneideraum vor Studierenden das legendäre „Taisez vous, Jean Marie!“ oder in der Berliner Akademie der Künste ca. 1999, ein so hartes, strategisches Statement wie: „Wenn mich nicht immer noch interessieren würde, was in seinem Kopf vorgeht, wären wir schon längst nicht mehr zusammen.“
Im Zusammenhang dieser öffentlichen Paarbeziehung wären der zweite Anlass zur Reihe dann die besonderen Momente, in denen Danièle Huillet als Filmemacherin in den Film geht – also Momente, in denen sie durch persönliche Präsenz ihr gemeinsames Projekt in einer Situation der Bedrohung unterstreicht, befestigt, verteidigt, oder eine Botschaft bringt, wie Antonia Weiße in ihrer Einleitung sagt, etwa:
„Schwarze Sünde“, 1988. Das Beharren auf Hölderlin durch Aufgreifen der 3. Fassung des Trauerspiels, trotz des Zuschauerzahlen-Einbruchs, den „Der Tod des Empedokles“ (nach der 1. Fassung) 1987 erlitten hatte (im Vergleich zum Erfolg von „Klassenverhältnisse“ nur wenige Jahre früher).
Angesichts einer großen Verzweiflung beharrt Danièle Huillets Auftritts am Anfang von „Schwarze Sünde“ – Hölderlins Word für Selbstmord – auf der Notwendigkeit, darüber nachzudenken, wie die Einzelnen und die Vielen im Sinne von Aufklärung oder Demokratie oder Revolution zusammenkommen könnten. Dabei scheint die dritte Fassung die Figur Empedokles von dem Wahnsinn zu reinigen, der ihn in der 1. Fassung als Teil der Figurenkonzeption gelegentlich umweht.
„Cezanne“, 1989, schafft für die deutsche Öffentlichkeit, durch die im Programmheft schon erwähnte harte Spracharbeit, die wochenlange Heiserkeit nach sich zog, den Sprung von Hölderlin weg zu einer anderen Zielgruppe: sozusagen hin zu den kunstgeschichtlich Interessierten; es ist auch der Versuch eine deutsch-französische Zielgruppe zu (er)finden.
Die dritte Perspektive, die diese chronologisch angelegte Reihe ermöglichen kann, ist, „Nicht versöhnt“ einfach erneut in den Anfangsbereich einer zukünftigen Entwicklung zu integrieren – nicht im Sinne von ‚jetzt erst recht‘; sondern eher nach der Devise ‚was schon einmal wirksam war, das geht auch öfter oder immer mal wieder‘. Also betont unprogrammatisch, zumal die im deutschen Film – offenbar zyklisch – wünschenswerte Erweiterung der filmischen Möglichkeiten gemeint ist. Man könnte die Reihe – ohne ihre Vorgeschichten – einfach als aktuelle Motivation zu mehr formaler Spannbreite und temperamentvoller Vielfalt sehen. So lassen sich die Filme von Straub-Huillet auch aus der unproduktiven Frontstellung befreien, die einem mit fundamentalistischer Klarsicht als korrupt erkanntem Kommerz zu lange die ehrlichen und anspruchsvollen Filme edler Altruisten entgegenstellt hat. Die Reihe zeigt stattdessen die vielen methodischen Qualitäten und Intensitäten dieser Filme, die sich heute in einen Fundus von Optionen zurückübersetzen können. Ein direktes Aufgreifen der Straub-Huilletschen Methoden scheint nämlich kaum möglich, obwohl Andreas Goldstein 1998 einen paradoxen Gegenbeweis erbracht hat („Erklärung des 1. Kapitels Luce“). Doch ihre Rekombination in einer filmischen Arbeit, die nach überraschenden Kontexten und zeitgemäßen Formen der Vereinfachung sucht, anstatt bewährte Einfachheiten zu stilisieren, bietet sich an.
Ein neu erschlossener Kontext – in Sizilien – war für Straub-Huillet „die Geologie“, entdeckt bei der Drehortsuche für „Der Tod des Empedokles“ und „Schwarze Sünde“. Ein ständiger Kontext ist die Arbeit mit Literatur. Am Anfang des nächsten Interviewausschnitts spricht Daniele Huillet über ihre editorische Arbeit an einzelnen Worten.
Straub/Huillet, Münster 1988, Interview Rembert Hüser, Hubertus Müll, Robert Bramkamp
Filmausschnitt [Quicktime, 3 Minuten]
Zu den vielen Intensitäten, die heute selten sind, gehört in „Schwarze Sünde“ der nachhaltigste mir bekannte Kameraschwenk, ausgeführt von William Lubtchansky. Er ist auch interessant im direkten Vergleich mit James Bennings kinematografischer Materie.
Nicht nur die Hölderlin-Filme entfalten Sprache zu einer sinnlichen Begegnung mit Vieldeutigkeit, die sie präsent und zugleich flüchtig machen, via Mündlichkeit auf eine Zeitachse setzen; man kann nicht zurückblättern. Die Überforderung ist unvermeidlich und der Zugang also nicht idiotproof – offene Baustelle.
„Nicht versöhnt“ ist eine Familiengeschichte über mehrere Generationen, rasant erzählt in verschiedenen Zeitebenen. Der Film ist vielfach aktuell, etwa in einem interessanten Spannungsfeld zur Tschechow-Tendenz der Berliner Schule.
Für „Zu früh, Zu spät“ waren Briefe von Engels der Anlass, „nicht die marxistische Ideologie, sondern Erfahrungen“ (Huillet), die als eigene wiedererkannt wurden: Er müßte heute ein attac-Kultfilm sein. Zugleich treibt der Film die Spannung zwischen Zeigen und Erzählen weit; so wie überhaupt der Ansatz, daß „die Geschichte und das Gezeigte“ (Straub) nicht genau dasselbe sein dürfen, alle Straub-Huillet Filme prägt und als Schutzimpfung gegen Naturalismus empfiehlt.
Obwohl sie zeigen, daß der Kinematograph eine fundamentale Erfindung ist und dessen Möglichkeiten grundsätzlich erforschen, begrenzen Straub-Huillet ihre Ästhetik nie auf ein visuelles Schwelgen oder andächtiges Staunen oder andere Formen des verlangsamten, insistierenden Blicks, die sich – so scheint es – als cineastische Ethik der Gegenwart mit einem Naturalismus verbinden möchten, der das Phantastische, Polyphone, Poppige und Moderne – eventuell ungewollt – ebenso exiliert, wie es der deutsche Biedermeier-Mainstream tut. Als Ermutigung oder Warnung hielt dazu Danièle Huillet ihre unvergessliche Wendung bereit: „Cineasmus ist nur ein Mangel an Ambition“ und hat in all ihren Filmen ambitionierte Formen realisiert, mit denen ich Ihnen zwei interessante Filmabende wünsche.
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[Einführung zur Filmreihe „Danièle Huillet – Filmemacherin im Film“, Zeughauskino Berlin, 15. Juni 2007]