Gastfreundschaft oder Gewalt
In den letzten Wochen lernte die halbe Welt Deutschland von seiner wahren Seite kennen. So erging es auch dem bekannten Kameruner Filmemacher Jean-Pierre Bekolo, der nach Deutschland eingeladen war und im Konsulat zu Yaoundé (Jaunde) sein blaues Wunder erlebte. In seinem Offenen Brief an den deutschen und die westlichen Konsuln in Afrika, „Das Konsulat – Ort von Feindseligkeit oder Gastfreundschaft?“, schreibt er:
„Gerade landen Schiffe mit Tausenden Migranten an den Küsten Europas. Mal tut der Westen so, als wäre er blind, mal gibt er sich als Opfer einer Invasion, obwohl diese doch nur ein Rückfluss ist, natürliche Gegenbewegung zu jener, in der die Westler seit Jahrhunderten ihre Grenzen bis zu uns ausgedehnt haben, wir von ihrer Gewalttätigkeit, ihrer Ausbeutung ereilt worden sind und die ansässige Bevölkerung ihre Verachtung zu spüren bekam. Da lohnt es sich, einen Blick auf die Gewalt zu werfen, der ein Immigrationswilliger bereits ausgesetzt ist, wenn er sich noch zu Hause, jedoch in dem Sonderraum des Konsulats befindet.
Das Konsulat ist die Türschwelle, Grenze zwischen zwei Welten, Tür, an die man klopft und die sich öffnet und jenem Kontrollwillen ausliefert, in welchem dein Gastgeber deine Papiere verlangt, weil er anhand ihrer feststellen will, wer du bist, und prüft, ob du es verdienst, eingelassen zu werden. An dieser Türschwelle könnte das anfangen, was bei allen Völkern der Erde bekannt ist: die Gastfreundschaft, die sowohl Migranten einschließen sollte, die von Afrika Abschied nehmen, um ohne Visum in Europa zu scheitern, als auch solche, die offiziell um ein Visum ersuchen, und schließlich solche wie mich, die eingeladen worden sind.
Weil ich zu einem renommierten Berliner Künstlerprogramm geladen wurde, in welchem ich, wenn nicht der erste afrikanische Filmemacher, so doch der erste aus Kamerun bin, stelle ich mich mit Dutzenden anderer Kameruner, die nach Deutschland wollen, vor dem deutschen Konsulat zu Yaoundé in die Schlange. Auch wenn die Erfahrung der Demut nie ganz unwillkommen ist, erstaunt es mich doch sehr, dass es gar keinen anderen Weg gibt, um in dieses Konsulat zu gelangen, keinen, um unbelästigt von schamlosen Blicken eine Anfrage zu stellen und mit Anstand empfangen zu werden.
Von dem Moment an, in dem einer nach Deutschland muss, muss er auch die unmenschliche Behandlung erdulden, die eigens zur ‚Bearbeitung‘ jener organisiert wird, die um Einreise nach Deutschland bitten. Doch dies letztere trifft auf mich nicht zu, ich bin eingeladen worden. Sprache und Anlage dieses Ortes – wir befinden uns noch immer auf der Straße – lehren mich, dass es für Deutschland nur eine Sorte Kameruner gibt, die auf dem Konsulat wegen eines Visums vorsprechen: Wir sind allesamt von Anfang an Armselige, Bittsteller, Parasiten oder Betrüger, die es zu demaskieren gilt, bevor sie es ins Konsulat schaffen. In der Vorstellung der Deutschen gibt es keinen Kameruner, dessen Hilfe sie selbst nötig hätten, keinen Afrikaner, der ihnen etwas geben könnte, keinen Kameruner, über den sie sich freuen dürften. Dummerweise beweist meine Einladung, dass ich zu jenen gehöre, deren Kommen Deutschland sich zur Ehre anrechnen darf, auch wenn das dem deutschen Konsul in Yaoundé missfällt, der überrascht zu sein scheint, dass es solche Leute in Kamerun geben soll, ja sogar noch höher angesehene als mich.
Lieber Konsul, das diskriminierende, verächtliche und demütigende Narrativ, in das Sie schon an Ihrer Schwelle, also in deren Heimat, Afrikaner drängen, ist menschlich unannehmbar. Sie sollten sich schämen, nach allem, was Ihr Land den Kamerunern angetan hat, ohne dass sie jemals eine Entschuldigung gehört oder eine Wiedergutmachung erhalten hätten. Und das gilt nicht allein für Deutschland. Denkt man an den Brain-Drain, der der Tribut der Afrikaner an die derzeitige Entwicklung des Westens ist, ist es inakzeptabel, dass Sie statt Kompensationen und Reparationen uns auf unserem eigenen Boden bloß Erniedrigung zu bieten haben. Weshalb halten Sie ein Narrativ aufrecht, nach welchem wir lediglich zu Ihnen kommen, um zu schmarotzen? Dabei ist doch bekannt, dass Sie auf den schwarzen Kontinent setzen, um einige Ihrer Zukunftsprobleme zu lösen, die sich schon jetzt klar abzeichnen.
Wenn ich den umgekehrten migrantischen Weg gehe und wie viele andere in mein Land zurückkehre, dann, um Ihr Narrativ Lügen zu strafen. (…)“