Fernseh-Hinweis
Eric Zoncas “La vie rêvée des anges” (dt.: “Liebe das Leben”), 18.1., 0:50 – 2:40, im ZDF.
In einer Szene im letzten Drittel des Films liest Elodie Bouchez das Tagebuch eines Mädchens. Dieses Mädchen liegt bewußtlos im Krankenhaus, eine zum Schluß des Films immer bedeutender werdende, obwohl nur effektiv, kaum szenisch weiträumig ausgebaute Parallelgeschichte handelt von der Begegnung zwischen Elodie Bouchez und dem bewußtlosen Mädchen.
Die Bewußtlosigkeit dieses Mädchens stellt der Film durch das trotzige Engagement Elodie Bouchezs in Frage, dem es darum geht, dass man mit psychisch Abwesenden kommunizieren können müsse. Es gibt dazu eine sakral anmutende Szene im Kerzenschein einer Krankenhauskapelle, die vielleicht einzige unmittelbar symbolische Darstellung dieser Empathieversuche Elodie Bouchezs. Bestimmt gibt es in der Theologie Diskurse, die mich den Titel des Films besser verstehen ließen, von Kirchenvätern, die darüber nachgedacht haben, ob Leben etwas von Engeln geträumtes ist. Während des Filmguckens sind mir damals, 1998, als der Film in den deutschen Kinos zu sehen war, solche metaphysischen Fragestellungen nicht aufgefallen, weil die Figuren so hart miteinander umgehen und deren Beziehungen so konsequent physisch und bisweilen hastig erzählt werden. Elodie Bouchezs Beziehung zu dem bewußtlosem Mädchen spiegelt ihre Beziehung zu Natacha Régnier.
Irgendwie, und ich weiß nicht mehr wie genau, hat das bewußtlose Mädchen etwas mit der Wohnung zu tun, in der Natacha Régnier wohnt und die sie für einen Großteil des Films mit Elodie Bouchez teilt. Elodie Bouchez tritt am Anfang in diesen Film wie die Wiedergeburt von Sandrine Bonnaire aus Agnès Vardas “Sans loi ni toit” (Frankreich 1985), lernt in der nordfranzösischen Stadt bei einer Arbeit Natacha Régnier kennen und zieht bei ihr ein. Agnès Godard hat die Kamera geführt für diesen Film, und trotz der dreieinhalb Jahre, die vergangen sind seit ich den Film zum letzten Mal sah, kann ich mich an diese Szenenfolge erinnern, in der Elodie Bouchez zufällig das Tagebuch findet und heimlich den Tabubruch begeht, von der ersten Liebe des Mädchens zu lesen in deren Tagebuch. Die Handkamera zeigt lange ein Bild einer handschriftlich verfassten Seite darin.
Es gibt noch eine andere Sequenz aus dem Film, an die ich mich erinnere. Damals hatte ich viel zu tun mit Büchern, die das Drehbuchschreiben beizubringen suchen und in einem der besseren aus Nordamerika wird der Autor ärgerlich und wütend über eine Szene in einem Film von Téchiné, ich glaube seine Wut traf “Ma saison préférée” (Frankreich 1993). Das Buch habe ich inzwischen schon wieder verkauft und kann also nicht daraus zitieren. In jener Szene, die ausdrücklich mit dem erbosten Bann des amerikanischen Drehbuchschreibtrainers belegt wird, geht es darum, dass eine Figur in einen Raum tritt und eine andere Person tot im Bett vorfindet; der darauffolgende Schnitt offenbart aber, dass die eben noch tote Person lebendig am Fenster steht. Das -zwei Versionen einer identischen Begegnung zu zeigen-, sagte der amerikanische Autor, darf man nicht machen, sinngemäß sei es so etwas wie eine Todsünde, weil der Zuschauer auf eine falsche Fährte gelockt würde, verwirrt von der Wahl. Durch diesen Bann war ich natürlich neugierig geworden auf jene Szene, ein paar Wochen später sah ich sie auf Video.
Es gibt das oft in Filmen von Téchiné, dass eine Figur freiwillig aus dem Leben treten will und das darüber sich Beziehungen verändern und aufschließen für Entwicklungen. Wie zeigt man das in Filmen, dass es immer zumindest diese eine Wahl gibt, weiter oder nicht mehr weiter wählen zu wollen. Deleuze hat darüber im ersten Kinobuch geschrieben und Téchiné hat in einem anderen Film, “Les Voleurs” (Frankreich 1996), Catherine Deneuve einen Abschiedsbrief schreiben lassen, den Daniel Auteuil liest, nachdem er von ihrem Selbstmord erfahren hat, und der einen Grund für ihren Selbstmord gibt. Catherine Deneuve schreibt da: “Ich will nicht mehr ersetzen”, was zu tun hat mit Verletzungen und Enttäuschungen, mit einer Beziehung, die gegen Ende des Films nicht mehr aufrechtzuhalten ist. In “La vie rêvée des anges” gibt es das auch, man sieht da den Moment kurz nach der finalen Entscheidung von Natacha Régnier, sich aus dem Fenster zu stürzen. Man sieht nicht, wie sie aus dem Fenster springt, man sieht, dass sie gerade gesprungen ist.