Beim Wiedersehen von Mein langsames Leben von Angela Schanelec am Montag, 8.04.2002, ZDF
Ich weiß nicht, was ich sagen will, aber ich will etwas sagen.
EIN/AUS
Ohne Versammlung. Einschalten, aufs Geratewohl; denn wenn es plappert, erübrigt sich die Frage, ob ich noch lebe oder sonst einem Zusammenhang angehöre. Diese Frage stellt sich einfach nicht.
EIN: Paare des Nachts an einem Wirtshaustisch im Freien reden Belanglosigkeiten. Kenn’ ich, hab’ ich schon mal gesehen: Mein Langsames Leben, Angelas Film. Den Anfang habe ich jetzt verpasst. Aber das ist nicht schlimm. Wer interessiert sich schon für Erzählungen? Das klingt gewollt zynisch-cool und natürlich ist die Erzählung nicht ohne Bedeutung, tritt aber zurück hinter dem, ‚wie’ hier etwas gesagt wird. Unserer aller Neurosen und Verbiegungen sind weniger aufregend, als die Art, wie wir mit ihnen umgehen. Darin könnte das Allgemeine liegen. (Ein Vergleich zur Popmusik drängt sich mir auf. Wer interessiert sich hier schon dafür, ob der Sänger stimmliche Möglichkeiten hat; hat er sie, ist es seinem vermeintlich authentischen Ausdruck eher abträglich. Der Vergleich taugt zu nichts. Eher schon der Gedanke an das von SATIE – ENO – TECHNO-DJs et al. entwickelte Ambientkonzept. Aber davon später mehr.) Außerdem bin ich heute ganz Fernseher, weniger Nahseher wie im Kino. Das kann mehr Überblick bedeuten. Was im Kino nicht ging, klappt hier plötzlich. Das Fernsehgerät funktioniert wie ein Kompressor. Durch das Hindurchzwängen durch den Apparat – der Film wird quasi ein zweites Mal geboren – und der damit verbundenen Nivellierung – die Schroffheit des Vorgangs kappt romantische Attitüden – scheint mir der Film eher zu dem zu kommen, wo er eigentlich hin will. Jedenfalls folge ich ihm aufgeregt und nicht skeptisch-mäkelnd wie im Kino. Er ist befreit von dem Bemühen, auch noch etwas erzählen zu müssen, dramatisch zu sein. Befördert alles durch den Umstand, mitten hineingeschaltet zu haben. Schauspieleranstrengungen mit dem Ziel, Texte zu gestalten, treten in den Hintergrund. Vielleicht ist es überhaupt die Reduktion der geballten Konzentration, Menschliches als Beiläufiges darstellen zu wollen, die den Film im Fernseher so angenehm ambientmäßig fließen lässt. Die Pastelligkeit der Inszenierung und der Gegenlichtfotografie, die sich doppeln und so die allgegenwärtige Sanftmut von Teppichböden ausströmen, kommen in meinem altersschwachen Gerät nicht mehr auf die vorgegebene Summe und bilden so kein Hindernis mehr für den Fluss. Die Großartigkeit der Einzelleistungen wie der Inszenierung z.B. in der Kücheneinstellung: ‚ – Ich mach mir einen Tee. – Es muss noch welcher da sein. – Ich mach mir lieber einen neuen.’ – und die befreiende Fotografie bleiben dabei völlig unangetastet und behalten ihren Charme. Auch wenn man ihn nicht mehr zitieren darf, wusste schon Hermann Hesse im Steppenwolf zu berichten, dass ein krächzendes Radio Mozart nichts anhaben kann.
BREAK: Frauen bewegen sich, Männer sind so tot wie irgendwas. Allen gemeinsam fehlt zur Leidenschaft der Zugang zum Objekt. In der Schlüsselszene: Der Ausgeschlossene, der sich selber ausgeschlossen hat aus der eigenen Wohnung. Dem gleichzeitig der Zugang verwehrt ist zu seiner Freundin, die ihn nicht mehr sehen will. Ein fleischgewordenes Dazwischen. Hier ist noch einmal emotionale Hoch-Zeit; die Welt durchs Individuum ausgerichtet auf ein einziges Interesse, Zugang zu finden zum geliebten Objekt. Die Szene endet mit einem Blick in eine Straßenflucht – lange Brennweite. Obschon gestaucht, gibt es diesen Blick in die Welt in diesem Film nur einmal, soweit ich mich erinnern kann. Jenseits des Pathos des Zwischenraums muss es ein Leben geben, das diese Zwischenräume gar nicht zulässt.
Die Eingeschlossenen. Manchmal befindet sich die Protagonistin am Rande des Bildes und spricht entschlossen zum Bildrand hinaus. Die Einstellung erzählt so von einem Getrenntsein, denn sie betont die Grenze zur nächsten Einstellung. Haben die Bilder Tiefe, dann ist das Gegenlicht so stark, dass auch Bilder, die sich in verschiedenen Ebenen ereignen, zurück in die Fläche geführt werden. Helligkeit allein macht zunächst mal gar nichts sichtbar. Fortgang erfolgt nur im Dialog, doch bleibt der Eindruck von misstrauisch sich beäugenden Monaden vorherrschend. Gefangen im Zustand einer ‚low spirit’ Dynamik. Vielleicht ist es das, was der Film produziert und was die Fernsehausstrahlung durch Aufrauen hervorheben kann: Zustand. Unterlaufen der Zeitachse innerhalb des zeitlich-rhythmisierten Ablaufs. Ambient eben.
AUS: Schnell das Gerät ausschalten, bevor der Sender Gelegenheit hat, jinglend zum Vergessen alles Vorangegangenen aufzurufen. Heute auch kein Schielen auf andere Kanäle, die mich mich-vergessen-machen könnten. Ein dolles Projektionsgerät ist der Fernseher wahrscheinlich nie gewesen. Aber als Sehhilfe kann er zuweilen brauchbar sein. Aufrauen.
Barthes spricht, glaube ich, in Zusammenhang mit der menschlichen Singstimme von Rauheit. Das Fernsehgerät kann zumindest mit mechanischer Rauheit artikulieren, und selbst wenn das nur Reduktion bedeutet, so etwas sichtbar machen.
Diese Schroffheit/Rauheit/Nicht-Identität trug Angelas vorausgegangener Film ‚Plätze in Städten’ allerdings schon ohne Fernsehniederkunft in sich.
Ich glaube zumindest, dass ich mir soweit trauen kann. Nachtschlafende Ausstrahlung von Filmen und deren Genuss führt ganz natürlich zu den Delirien landläufig bekannter Drogen. Gut schlafen tut da keiner mehr.