Samstag, 25.05.2002

DIE ZEIT DER RAKETE

GESPRÄCH MIT ROBERT BRAMKAMP ZU SEINEM FILM „PRÜFSTAND 7“

MICHAEL GIRKE: Wenn Du einen Eintrag in ein Filmlexikon machen würdest, wie würdest Du Deinen Film beschreiben?

ROBERT BRAMKAMP: Eine Charakterstudie der Rakete in 7 Kapiteln. Bianca, der Geist der Rakete, gespielt von Inga Busch, erforscht die Gegenwart des Objekts Rakete. Sie ist dabei auf der Suche nach ihrem Ursprung und findet in einem in der Jetztzeit befindlichen Raketendreieck zwischen Bremen, Peenemünde und Nordhausen Hinweise auf das verborgene geheime Programm der Rakete. Die werden mit einer Verknüpfungslust verbunden, die den Wirkungen technischer Faszination entgegengesetzt wird.

MG: Beim Filmgespräch der Duisburger Dokumentarfilmtage hast Du von den ersten Impulsen zu „Prüfstand 7“ berichtet. Dieser erstaunliche BMW-Werbespot, der auf seine Weise den Mythos Rakete abbildet ist Bestandteil Deines Films. War die Begegnung mit diesem Spot Mitauslöser für „Prüfstand 7“, oder hast Du den nach Beginn der Dreharbeiten gesehen?

RB: Als ich nach einem Auslandsaufenthalt wieder nach Deutschland kam, habe ich festgestellt, das ist ziemlich genau datierbar auf Februar 98, daß sich eine Art Space-Revival andeutet. Da ich vorher Laurence Rickels Buch „The Case of California“ gelesen hatte, dachte ich, das wird wahrscheinlich kein Revival, sondern eine Art Re-Run – da soll ein Stück Geschichte wiederholt werden. Plötzlich kehren in Form von Werbung diese Space-Bilder wieder mit ihren üblichen Visionen: So stellen sich Ingenieure das erste Hotel im Weltall vor. Das Bildmaterial ist identisch mit dem der 50er Jahre. Damals illustrierte es das PR-Programm ‘Wernher von Braun fliegt zum Mars’. Helmut Höge hatte mir „Zustand der Schwerelosigkeit“ zugesteckt, einen tollen polnischen Film über russische Kosmonauten, die zwischendurch einfach sagten:“Wir haben es nicht geschafft im Weltraum eine produktive Tätigkeit zu entwickeln und wir rechnen uns das als persönliches Scheitern an.“ Die Rakete war nach den Mondflügen und dem Verschrotten der MIR ziemlich entmystifiziert. Die Ariane, die einen Telekom Satelliten in den Orbit schießt, war ja nur noch für Versicherungen interessant. Mein Wissensstand war, daß das visionäre Potenzial erschöpft, der Mythos abgefeiert und Statistik geworden war. Dann wurde dieses Revival gleichsam aus dem Nichts gestartet. In den 3 Jahren, in denen ich das jetzt genau verfolgt habe, konnte man in der Tat beobachten, wie eine Vision neu aufgelegt wird. Teilweise wurde sie mit neuen Inhalten versehen, aber im Großen und Ganzen ist es ein Re Run. Der Mars rückt an die Stelle des Mondes. Mittlerweile hat das zu einer wahren Explosion geführt: Die WEST-Werbung, die Architekten-Images, die Cover neuer Platten haben alle mit der Rakete zu tun. 1998 mit der ILA in Berlin hat die Weltraumindustrie erstmals wieder eine große Weltraummesse gewagt. Und 2000 haben sie gewonnen, da haben sie es geschafft, daß diese internationale Weltraumstation hoch geschickt wurde. PR-technisch gab es für mich eine Marke, anderthalb Jahre nach Start des Revivals, als der RTL Anchorman sagte: „Der Weltraum. Er hat seine Faszination nie verloren.“ In dem Moment war klar, okay, die können so ein Revival einfach durchsetzen.

MG: Hast Du von Anfang an diese beiden Linien verfolgt: Zum einen Deinen Film ansiedeln als Kommentar zu dem, was gerade öffentlich inszeniert wird – und damit auch ein bestimmtes Aufmerksamkeits- und Erfolgslevel schaffen, weil „Prüfstand 7“ im besten Fall Teil von so einer Welle werden kann und deswegen wahrgenommen wird?

RB: Verkaufstechnisch war das, was ich gerade gesagt habe, ein Versuch darauf hinzuweisen, hier findet sowas wie ein Wiederholungsdurchlauf statt. Und in dem wird niemals die Rakete selbst perspektiviert, sondern es kommt immer nur aufgeteilt, in Form von thematischen Häppchen: Der Mars; Der Orbit; Der Satellit; Der Mensch im All; Der Raketenschirm etc. Das magische Objekt, das all dies organisiert, fehlt. Natürlich ist es dann auch ein Verkaufsargument zu sagen, in diesem Revival-Zusammenhang könnte es interessant sein, sich jetzt mal wirklich genau mit der Rakete zu befassen. Jetzt ist der Film wahrscheinlich aktueller geworden, als man denkt. Weil durch diese Dopplung mit dem Pynchon-Biopic der Dubinis auch das Thema Thomas Pynchon wieder aktueller geworden ist. Und weil diese Wiedereinführung von militärischen Operationen als politischem Mittel und die damit verbundenen Normalitätsbemühungen – diese Schizolage, die wir jetzt haben mit Krieg/Terror in Afghanistan und Normalitätsspielen hier – diese Lage ist ja nun gerade die Stunde der Rakete.

MG: Es gibt diesen William Faulkner-Satz, den Alexander Kluge oft als Ausgangspunkt nimmt: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“ Wie weit ist der für deine Arbeit maßgeblich, oder könnte man den als Resultat deiner Arbeit an z.B. „Prüftand 7“ ansehen?

RB. In der Strategie, die Filmerzählung ständig pendeln zu lassen zwischen dem Urobjekt A4 Rakete und dem heutigen Raketengeschehen und dabei zu überprüfen, ob es Linien gibt, die sich durchziehen, die sich überhaupt nicht verändert haben, Frequenzen, die absolut stabil und immer wieder so da sind, wie am ersten Tag, darin steckt natürlich schon das Grundmotiv zu sagen, die Vergangenheit ist, in dem Sinne, in dem wir normalerweise denken, nicht vergangen. Einfach auch in dem Sinne, das ich davon ausgehe, es gibt eine bestimmte Raketenfrequenz und es gibt mit der Rakete verbundene Phantasmen, auch historische Vorgänge von Geschichtsfälschung und Manipulation, die höchst gegenwärtig sind. Inklusive der Bedrohung, die davon ausgeht. Kluge bringt ja auch immer dieses berühmte Bild: Wenn zwei sich unterhalten, sieht man dahinter noch die Eltern und dahinter noch die Großeltern und dann auch noch sehr alte Schichten und das unterschreibe ich voll. Man kann das sogar im Alltag beobachten. Ich finde, bei manchen Leuten sieht man in gewissen Situationen die Generationslinien dahinter. Und dann auch noch die statistischen Elemente, die man bei sich selber ja auch entdeckt. Wenn man das zulassen kann, also seine Originalität eindämmt.

MG: Gleich zu Beginn von „Prüfstand 7“ werden Fäden von Thomas Pynchons „Gravity’s Rainbow“ aufgenommen, ist Slothrops Weg durch Deutschland auf der Spur der Rakete präsent. Bist Du Pynchon-Leser oder Fan, derart, daß es immer ein Anliegen ist Pynchon, also bestimmte seiner Montage-Verfahren, für Film nutzbar zu machen?

RB: Ich glaube, in meinen bisherigen Filmen gab es immer das Verfahren, daß eine filmische Erzählform kontrastiert wird mit einer zweiten, die eine andere Perspektive hat. So daß die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt und man auch feststellen kann, daß die verschiedenen Bild- und Erzähldialekte alle ihre begrenzte Reichweite haben. Diese Aufspaltung zwischen verschiedenen Bilddialekten mit jeweils eigener Reichweite, die in einer einzigen Geschichte kombiniert werden und zusammenarbeiten, das ist etwas, das mich ziemlich grundsätzlich interessiert. Insofern war das eine Zeitfrage, bis ich irgendwann auf Pynchon stoßen würde und natürlich auf den aus genau solchen Verfahren bestehenden „Gravity’s Rainbow“ nur beglückt reagieren konnte.

MG: Bei den Duisburger Dokumentarfilmtagen lief ein auch anderer Pynchon-Film, der jetzt im Kino zu sehende „Journey into the mind of P“ von Fosco und Donatello Dubini. Die Macher begeben sich auf die Suche nach der Person Thomas Pynchon. Da der Film einem eher klassischen, biederen Dokumentarismus und Autobiographismus verpflichtet ist, kommt es nicht zu der Reise „in the mind of P“, die der Titel verspricht. Stattdessen vergeht das letzte Drittel des Films mit öden Spekulationen: Dem Zuschauern wird suggeriert ein aktuelles Bild des seit Jahrzehnten aus der Öffentlichkeit verschwundenen Autors zu sehen. Wie ist Deine Rezeption der beiden Pynchon-Projekte in Duisburg ausgefallen?

RB: Grundsätzlich ist das natürlich schön, daß sich rein zufällig zwei Filme gleichzeitig mit Pynchon befassen. Denn das beinhaltet, daß die Filme besser wahrgenommen werden. Aber ich finde zugleich, daß der Dubini Film, den ich als Pynchon-Leser und Fan natürlich mit höchstem Interesse wahrgenommen habe, wahrscheinlich besser betitelt wäre mit „Eine Reise durch die Köpfe von Thomas Pynchon Fans“ und nicht als eine in den mind von Pynchon oder in sein literarisches Universum. Alles, was darin vorkommt ist ja gespiegelt durch zusätzliche Spekulationen von Fans/Lesern. Als solches finde ich den Film interessant.
Von der Sache her finde ich, daß er in einigen Punkten, wo ich es direkt abschätzen kann, nicht genau genug ist. Ich habe darüber mit Donatello Dubinis schon diskutiert. Sie bringen zweimal ein Zitat, das ziemlich am Anfang von „Gravity’s Rainbow“ kommt. Es handelt davon, daß eine Evakuierung angesichts der V2 nur noch Theater ist. Und warum ist sie nur noch Theater? Weil das Heulen der Rakete, dieser Geist, mit dem „Gravity’s Rainbow“ beginnt, erst nach dem Einschlag der Rakete am Himmel steht, also zu hören ist. Dann ist längst alles passiert. Man hat die Rakete nicht kommen hören, man kann gegen die Explosion nichts machen, deswegen ist es Unsinn zu evakuieren. Und: die Rakete kann jederzeit überall einschlagen. Und genau an der Stelle zeigen sie aber das Vorgängermodell der V2. Ein kleines Unterschallbrummflugzeug, eine V1, die von jedem Propellerflugzeug abgeschossen werden konnte. Und bringen dazu dann Bilder von der Londoner Bevölkerung, die Schutz vor der V1 in den U-Bahn-Tunneln findet. Das heißt, dieser fundamentale Schnitt hin zu dem, was Pynchon „Menschheit der Post-A4-Epoche“ nennt…wovon es übrigens überhaupt kein Bild gibt…an dieser Stelle ein Geschehen zu suggerieren, in dem jemand sagen könnte: „Oh, da kommt eine Bombe, ich hör’ sie kommen, und ich geh jetzt mal in den Luftschutzkeller“ das ist das absolut falsche Bild. Und es kann diese Bilder auch gar nicht geben. Wenn man sich vorstellt, daß die V2 vier- bis fünffache Schallgeschwindigkeit fliegt, dann hätte irgend jemand in Weltkrieg 2 die Kamera an eine Stelle des Himmels richten müssen, an der eine Nadelspitze, ein kleines schwarzes Pünktchen hätte auftauchen müssen, die sich innerhalb von 6 Sekunden in eine Explosion verwandelt hätte. Eine Beschreibung von Matthew Partridge, einem Freund aus Hamburg, dessen Vater das in London erlebt hat, besagt: Man guckt aus dem Fenster und da kommt ein roter Doppeldeckerbus um die Ecke. Man dreht sich um, tut ein Stück Zucker in seinen Tee und da ist der Bus weg, dann sind 3 Häuser weg, dann steht da eine monströse Rauchwolke und dann kommt ein monströser Knall. In diesem Bild und in diesem Vorgang wird deutlich, in welchem Ausmaß sich Technik den Einflußmöglichkeiten von Individuen entzogen hat, was überhaupt ein technologischer Krieg ist.

MG: Raumfahrt wird zur Erlebniswelt im gerade im Bau befindlichen Space Park Bremen. In der Diskussion in Duisburg hast du von einer gespenstischen Entdeckung berichtet: Die Planer dieses Parks bauen, unbewußt, die Struktur Peenemünde – Mittelbau Dora nach.

RB: Man muß es genauer sagen. Die bauen natürlich nicht absichtlich Dora nach.
Aber durch die ahistorische, dramaturgische Beratung durch Disneyfirmen aus Los Angeles und durch die unverändert wirksamen Raketen-Phantasmen bildet sich das Muster unbewußt wieder aus. Die wiederholten Elemente sind: Die Wahrheit der Rakete liegt wieder Untertage. Es wird ein Tunnel gebaut, der zu dieser Wahrheit führt. Man hat es mit der Bewegung von Massen zu tun, denn es sollen ja tausende Leute pro Stunde durch den Space Park und seine ‘Füllräume’ geschleust werden. Der Besucher erlebt ein gespieltes Drama, eine Reise zum Mars, an deren Ende im Tunnel eine mystische Hand auf ihn zugreift und ichauflösende Bewußteinszustände herbeiführt. Man kann auch sagen, am Ende dieser Bremer Spacereise begegnen die „Marsbesucher“ ihrem eigenen Tod.

MG: Diese Wahrnehmung ist Dir durch die Arbeit an „Prüfstand 7“ möglich. Ich war überrascht, auf welche Art Du das in Duisburg mitgeteilt hast, nämlich als eine Information unter vielen. Das ist doch eine geschichtliche, genaue, enorm wichtige Beobachtung von Vorgängen, die sich der Alltagswahrnehmung, wie wir sie kennen, entziehen. Ein Skandalon, das vom herrschenden Umgang mit Geschichte begünstigt, ach, eigentlich produziert wird. Warum ist dieser Skandal nicht eindeutiger im Film? Oder sehe ich nur nicht, daß er es ist?

RB: Der Film enthält einen Link dahin. Er erzählt, wie gerade wieder eine Stadt der Rakete entworfen und gebaut wird, die ein Echo auf Peenemünde darstellt.
Der Grundskandal besteht natürlich darin, daß ihre geplante Darstellung der Geschichte ansetzt mit einer Rakete, die ausländisch ist. So wie es 1998 ja tatsächlich in der in „Prüfstand 7“ gezeigten offiziellen Broschüre des BDLI hieß: „Anfangs war Raumfahrt eine Sache der Großen, der sogenannten Supermächte. Erst später bot sich kleinen Nationen wie Deutschland eine Chance zur Beteiligung.“ Die Geschichte kommt einfach nicht mehr vor.
Gespräche mit der Weltraumindustrie bezüglich der Rakete waren 1999 dann nur möglich, wenn man auf deren Fragen „Wo setzen sie mit ihrer Raketengeschichte an? Wann setzen sie an?“ geantwortet hat: „1956, Flug ins All, Gagarin.“ Denn nach der mißlungenen 50-Jahre Jubiläumsfeier, dem skandalösen Versuch der Industrie, die Geschichte in Peenemünde etwas schlicht darzustellen, ist das Thema zum Tabu erklärt worden. Ironischerweise zum selben Zeitpunkt, zu dem viele Bücher herauskamen, die die rein faktenhistorische Verbindung jener zweiten Anwendung des KZ-Systems – ‘Vernichtung durch Arbeit’ – mit der Herstellung der Rakete dokumentiert haben (auch mit Zeugen usw.). Das hatten die Verantwortlichen in Industrie und Bundesregierung schlicht nicht auf der Pfanne, weil sie ihre 60 Jahre lang propagierte Legende schon selbst glaubten.
Also ist jetzt die Frage, ob im Space Park auch Geschichte gezeigt wird. Wenn ja, auf welchem Level? Wo geht das über die Frage nach der Verantwortung der Ingenieure hinaus? Die kann man sicherlich stellen, aber man weiß auch, daß sie an Personen gerichtet ist, die austauschbar sind und die Auswirkungen ihrer Arbeit selbst nicht mehr in der Hand haben. Wenn die Ingenieure alle gute Menschen wären, wäre das Problem ja nicht aus der Welt. Diese Limitierung in der Darstellung des Themas…wie weit wird die auch in Peenemünde gehen?
Der Film zeigt ja diese leeren Räume der geplanten ‘Ethikabteilung’ im neuen Museum in Peenemünde und für diesen Ort ist der Film gleichsam gemacht. Wenn er auch in einem Nebengang vom Space Park gezeigt würde, okay. Eigentlich ist er aber für diese ‘Ethikabteilung’ gemacht, um an einem solchen Ort einmal 5 Kapitel zu haben, die über die Frage hinausgehen: waren die Ingenieure nun gut oder böse und haben sie uns getäuscht?

MG: Was mich für den Film einnimmt ist sein Materialismus. Dauernd sind Kontexte, Zeugen, Zusammenhänge im Bild, die man sonst nicht zu sehen kriegt. Man sieht neben anderem, wie unterschiedlich sich Museumsmitarbeiter in Nordhausen/Mittelbau Dora und Peenemünde zu der zusammenhängenden Geschichte dieser Orte verhalten/diese repräsentieren: Die aus Norhausen reden auch von der Rakete, die in Peenemünde nicht von der Vernichtung durch Arbeit an der Rakete. Mehrere Dilemmata des üblichen Dokumentarismus werden von „Prüfstand 7“ als solche überführt: Üblich ist, Aufnahmen aus dem 3. Reich oder dem 2. Weltkrieg ungebrochen als Zeugnisse der Geschichte zu verwenden, ohne auf deren Inszeniertheit einzugehen, während in „Prüfstand 7“ die Kontexte sichtbar werden und damit das, was sich in den alten Bildern materialisieren soll.

RB: Oder auch das, was sich ungeahnt und unbewußt in ihnen materialisiert.

MG: All das macht der Film möglich. Und daß er es möglich macht, ist das größte Kompliment, daß ich einem Film machen kann. Nun zeigt der Film auch, wie die Utopie der Rakete den Tod hervorbringt. Wie die Weiterarbeit an dem Projekt den Tod verdrängt. Wie kriegt man für einen solchen Film den Leiter des Space Parks Bremen vor die Kamera? Jemanden, der ja evtl. den Blick der Macht auf Technik repräsentiert. Gibt es Äußerungen von Herrn Wilke nach Ansicht des Films?

RB: Er hat den Film noch nicht gesehen, weil wir den erst auf drei Festivals gezeigt haben. Die Kontaktanbahnung mit Dr. Wolfgang Wilke und seiner Pressefrau, die war ziemlich schwierig. Das zog sich über ein Jahr hin. Und zwar deshalb, weil die bisher immer nur die Erfahrung gemacht haben: Falls sie irgendwas mit den Medien machen, werden sie auf einem ganz dumpfen Niveau eingemacht.

MG: Du konzentrierst Dich stark auf das Verhältnis Körper/Technik. Und es wirkt so, als würden herkömmliche Dokumentarfilme oder historische Bücher, das komplexe Netzwerk der Zusammenhänge dieses Verhältnisses zerschneiden, nur noch einzelne Details anbieten. Betrachtest Du es als Aufgabenfeld des Filmemachers diese nur noch getrennt vorliegende Geschichte wieder zusammenzusetzen?

RB: Wenn man nicht 1000 Seiten „Gravitys Rainbow“ zur Verfügung hat, der ja genau das leistet – bei Pynchon ist die Rakete der Output des Abendlandes – glaube ich, das ein Film dafür ziemlich gut geeignet ist. Gerade deshalb, weil er eben, wenn man sich während dieses Prozesses bemüht das Akademische loszuwerden, sehr wohl in Peenemünde laufen kann. Unser wird dort nicht alle interessieren, aber da kann man immer mal wieder reingehen und der ist auch sehr unterhaltsam. Und er ist eben genau die Möglichkeit, all das, was normalerweise nicht mehr vorkommt zu zeigen.
Zweitens ist Film ja die Verbindungsmaschine schlechthin. Weil er zu den literarischen Montageprinzipien, zu den Freiheiten, die man durch die Fiktion hat, durch den Schnitt, durch den Rhythmus, die Beschleunigungen, ein ziemlich breites Ausdrucksfeld erschließen kann. Er kann diesen Kampf Bild gegen Sprache organisieren, also daß das Bild immer etwas anderes erzählt, als in der Sprache behauptet wird, sich beides mal stützt und mal in einem Konkurrenzverhältnis steht. Und deshalb ist der Film eigentlich sehr gut für’s Verbinden von Kontexten geeignet.

MG: Diese Bewegung kann man als klassisch aufklärerisch bezeichnen.

RB: Bei „Prüfstand7“, abgesehen von den Drogeneffekten, ja!

MG: Der Film lehnt sich, m.E., an einigen Stellen weit aus dem Fenster, ist bis zur Arroganz selbstgewiss – was eine besonders hohe Fallhöhe schafft. Zum Beispiel wenn behauptet wird: „Das Wirkungsgebiet der Rakete ist weitgehend unbekannt.“ Was alles bisher dazu Gedachte und Geschriebene herausfordert und die Autorität der eigenen Verfahren und Vorgehensweisen herauskehrt. „Prüfstand 7“ bietet neben allem Dokumentarischen als Ergebnis der Suche nach dem Wirkungsgebiet der Rakete die Beziehung zweier Gespenster an: Der „weibliche“ Geist der Rakete und diese männliche Kultur des Todes, diese abgeschlagene Hand. Inwiefern legen diese Deutung, und die Bilder davon, etwas nahe, inwiefern sind sie faktisch, also wissenschaftlich haltbar?

RB: Zwei Beispiele: Die Stelle, die du genannt hast – „Das wirkliche Programm ist auch heute weitgehend unbekannt“ – setzt an, nachdem gezeigt wird, daß die Amerikaner 1999 die erste Beerdigung auf dem Mond durchgeführt haben. Das ist wirklich passiert und wir haben es mit öffentlich zugänglichem TV-PR-Material dargestellt – wir haben dabei nur die Hälfte der PR weggelassen. Übrig blieb der Subtext, den wir zur Hauptsache gemacht haben, nämlich: In der Sonde ‘lunar prospector’ war eine Urne und die ist auf dem Mond aufgeschlagen. Diese Weltraumbeerdigung, das wissen wir jetzt, gehört zum unbekannten Programm der Rakete. Was der Raketengeist wirklich von uns will, was er mit uns vorhat, wissen wir noch nicht. Das markiert an dieser Stelle ein Rätsel. Das finde ich auch nicht schlecht, ein Rätsel zu markieren, weil ich ja auch nicht bei so einer klassisch schlichten Technikfeindlichkeit ankommen will. In diesen Vorgängen stecken ja auch Leistungen drin und eventuell Überraschungen.

MG: Die Frage war, inwiefern die Bilder etwas nahelegen, oder ob und wie sie sich in dem Diskurs bewegen, den man als faktisch oder wissenschaftlich haltbar bezeichnet?

RB: Wissenschaftlich haltbar sind zunächst die sachlichen Kommentare. Das war mir einigermaßen wichtig. Wenn der Film in Peenemünde läuft, dann soll auf der rein elementaren Informationsebene, zum Beispiel wenn das Versuchsmuster 4 zu sehen ist, wirklich Versuchsmuster 4 zu sehen sein. Das haben wir sogar im Film, weil wir diese Rakete zufälligerweise anhand des Logos identifizieren konnten. Das ist also nicht igendeine Rakete, nicht ‘Hitlers Wunderwaffe’ oder so etwas und auch nicht irgendein anderer Bautyp. In dieser Beziehung glaube ich schon, daß der Film stimmt.
Ein anderes Beispiel: Da ist diese Szene vom ersten geglückten Raketenstart. Man hört wie im Hintergrund die Flugsekunden gezählt werden. Die Rakete schlägt ungefähr 5 Minuten später im Film, da ist das Zählen bei 293 Sekunden angekommen, da schlägt die Rakete in London ein. Das ist also in Echtzeit erzählt. Und auch absichtlich so gemacht. So daß, wer es will und merkt, sich sagen kann: „Das wär’s schon gewesen – Während ich gerade den Film gucke, hätte die Rakete 300 km zurückgelegt und wäre eingeschlagen. In dem Sinne ist das schon wissenschaftlich genau.
Genau dokumentierte Wissenschaft sieht man auch in den Szenen, in denen Astronauten in die Bremer Hose hineinzukrabbeln versuchen. Auch wenn der Weltraummedizner Beisch selbst darauf hinweist, daß diese Übung keinen Sinn macht, außer ABM in Schwerelosigkeit.

MG: Vieles, was Du erarbeitet hast, steht seit dem 11. 09. 2001 wieder auf der sogenannten Tagesordnung. Wie siehst Du Deinen Film im Verhältnis zur New York- und Afghanistan Berichterstattung? Sollte man statt immer wieder Nachrichten und die für sie typischen stets gleichen Bilder von los fliegenden Raketen zu gucken lieber „Prüfstand 7“ schauen?

RB: Das wäre, glaube ich, keine schlechte Idee. Weil ich habe, weil ich jetzt auf dieser Frequenz bin, daß man sagt, man weiß, daß man eh geblufft wird die ganze Zeit, aber man kann in einem Bereich genau hingucken und kann den erschließbar machen. Und wenn Andere das auch machen in anderen Bereichen, dann kommt man aus dieser mittleren Informiertheit durchaus ‘raus. Und ich habe natürlich als Erstes erst mal wahrgenommen, daß es die Stunde der Rakete ist. Das ist jetzt das 4. Mal gewesen und es ist auch ganz wichtig festzustellen, daß die Welt jetzt nicht ganz anders wird, sondern auch dieses Ereignis in einer Kette steht von Krisensituationen, die seit einiger Zeit wieder die Stunde der Rakete sind. Die hat ein Muster: Es folgt erst der militärische Angriff. Das ist die Sache: „18 Uhr 15, Raketen auf Kabul! Die freie Welt schlägt zurück! (BZ). 14 Tage später kündigt BILD an: „Der erste Mensch auf dem Mars wird ein Deutscher sein!“. Beides ist kompatibel mit „Prüfstand 7“. Man könnte mit diesen Schlagzeilen den Film fortsetzen, denn von dieser Ambivalenz der Rakete handelt der Film. Diese radikale Ambivalenz zwischen utopischem Leben an neuen Orten und Todesdrohung ist ein Angebot an Leute, die sich nicht entscheiden können, keinen Überblick haben, und eine starke Performance ersehnen, die sie von dieser Pein erlöst. Ein radikales Jein als Grundhaltung verbunden mit der Unfähigkeit Alternativen zu denken oder Konsequenzen auszuhalten, das ist die Situation oder Disposition, der die Rakete Macht verleiht.
Und diese bestimmte Form der Raketenschizophrenie mal rückwirkend auf das anzuwenden, was gerade bei uns passiert, wäre bestimmt aufschlußreich. Insofern gibt es auch noch ein paar ganz fatale Echos, was die Durchführung des Attentates selber betrifft. Die haben ja im Grunde das nachgebildet, was auch bei der Rakete der Fall ist: Sie kommt und bringt den Tod und löscht sich dabei selbst aus. Auf eine ähnliche Weise haben sich die Attentäter in eine Selbstmordmaschine verwandelt mit diesem Einschlag.
Und dann lautet das zweite Echo, und das hat wieder BILD mit einer Schlagzeile aufgefangen: „Ich stand am größten Friedhof der Welt.“ BILD ist in dieser Beziehung ganz präzise, weil das wirklich Traumatische und Schockartige ist, daß sich ein riesiger Friedhof sichtbar und anwesend materialisiert hat. Und „Prüfstand 7“ erzählt ja von dem hartnäckigen Versuch, die Millionen Toten der Kriege unsichtbar zu machen. Und in den üblichen Erzählungen der Medienberichterstattung sieht man ja die Toten auch nie. Vielleicht erzeugt dieser Trümmerhaufen eine besonders traumatische Wirkung, weil er ein riesiger Friedhof ist, den man anerkennen muß! Und: Er ist dadurch entstanden, daß Mord und Beerdigung eines waren, die Beerdigung also ausfallen konnte.

MG: Du warst mit „Prüfstand 7″ auf einem Dokumentarfilmfestival. Arbeitet man mit den bereitstehenden Begriffen, Spielfilm, Dokumentarfilm, Essayfilm, Fiktion, Reales, kommt man bei“Prüfstand 7“ nicht sehr weit. „Prüfstand 7“ erweitert die Kategorien für Film oder löst sie auf. War das schon immer ein Anliegen Deiner Arbeit?

RB: Nö. Das Grundanliegen war, daß ich, wenn ich eine Geschichte erzähle, auch die Phänomene in den Blick zu kriegen versuche, die sich nicht einfach in dramatische Konflikte zwischen handelnden Personen auflösen lassen. Das verbindet sich mit dem eben gesagten: Die statistischen Elemente lassen sich darin nicht auflösen. Beispielsweise die Momente, in denen Menschen vor einer ankommenden Rakete einfach nur Biomasse sind, lassen sich nicht in dramatische Konflikte auflösen. Insofern versuche ich, auch in einem Spielfilm, immer dem zu entsprechen, was ich in Duisburg diskursdokumentarisch genannt habe. Ob das jetzt die Art ist, in der zwei Liebende sich unterhalten, oder, wie man beim Bäcker die Brötchen kauft, oder, wie ein Industriefilm eine agrartechnische Wende beschreibt, dann finde ich es sinnvoll diese Perspektive drin zu haben. Da sind die Kriterien, die im Augenblick beschreiben, was dokumentarisch und was fiktiv ist nicht besonders produktiv. Für die Kategorisierung muß man wahrscheinlich etwas erfinden. Also für „Prüfstand 7“ finde ich ‘Charakterstudie’ nicht schlecht. Man könnte Teile des Films auch Raketenmärchen nennen oder Raketen-Vampir-Trauer-Märchen.

MG: Wie weit steht Deine Arbeit Godard nahe, seiner Bemerkung, es sei kompletter, fahrlässiger Unsinn das Dokumentarische und das Fiktive zu trennen in „Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos“ oder seinen „Histoire(s) Du Cinema“?

RB: Ich bin Godard-Fan. Sowohl bei Godard, als auch bei Straub – Huillet und Alexander Kluge, bei denen habe ich immer am deutlichsten diese Hinweise gefunden: Wie kann man bestimmen und beschreiben, was an einem Film das Konkrete ist, oder sein sollte? Und Straub sagt dazu: Wenn jemand in einem Film zeigt, wie einer die Straße fegt, und es ist nicht 100% präzise, wie da gefegt wird, und da fegt nicht einer, der das bis in die Gestik hinein kann, dann braucht man das Ganze erst gar nicht zu zeigen. Und bei Godard gibt es die Anmerkung, daß die Filmleute als Erstes immer ihre Sets absperren. Um dann die Realität irgendwie nachzubauen. Im Gegensatz dazu stand er bei den Dreharbeiten zu „Prenom Carmen“ in einer Cafeteria, und wäre nicht zufällig dieser junge Mann da rein gekommen, hätte er nicht gewußt, wie er die Szene weiter drehen sollte. Da drückt sich ein anderes Verhältnis zu dem aus, was man in einem Film überhaupt zeigen will. Es hat damit zu tun, wie man konkrete Gesten zeigt.
Dieses Motiv habe ich immer interessant gefunden: Wie kann man einerseits Geschichten erzählen und welcher Grad von genauer Beobachtung ist trotzdem möglich? Das geht auf Gilberto Perez zurück, der von Jean Renoir die Ansicht übermittelt hat: „Die Kunst ist, dem Sinn einer Geschichte möglichst wenig Realität zu opfern.“ Und das heißt, das man möglichst wenig absperrt, in die Realität geht, offen plant, viel geschehen läßt und das, was überraschend passiert, so in eine Geschichte einbinden kann, daß es narrativ funktionieren und codiert werden kann. Dieser Prozeß interessiert mich sehr.

MG: Was heißt wirklich im Film?

RB: Also zunächst einmal ist da die Möglichkeit mit der Kamera Räume zu zeigen, Gesten, Gesichter und Handlungen genau zu zeigen, die man schwer in Worte übersetzen könnte. Die irgendwelche Kleinigkeiten in der Mimik, Kleinigkeiten im Zögern sein können. Das ist diese spezielle Leistung der Kamera, einen zunächst mal nicht diskursiven Zugriff zu haben. Und der wird ja unter heutigen Produktionsbedingungen nur dann interessant, wenn jemand gleichzeitig mit der Beobachtung auch eine Geschichte rein drücken kann – wie es ein anderes Godard-Zitat umschreibt: Es drückt sich nur etwas aus, wenn man etwas eindrückt.
Das Zweite ist, daß die Erzählung, die da rein gedrückt wird, eine dikursdokumentarische Korrektheit hat. Das ist entweder so, wie man wirklich über etwas reden würde oder die Art, in der ein Wissenschaftler wirklich über etwas denkt. Zum Beispiel sind bei „Prüfstand 7“ 80% der Texte entweder wörtlich oder direkte Umarbeitungen aus Quellen. So beim ersten erfolgreichen Raketenstart am 3. Oktober 1942: Man hört dabei, zwar stark gekürzt, den inneren Monolog Dornbergers so, wie er ihn aufgeschrieben hat. So wird zum Thema, daß sein Herz stockt, daß ihm ein Stein vom Herzen fällt, daß er nicht mehr sprechen kann. Er baut da unterschwellig eine erotische Bildwelt auf mit Brennschlüssen anstelle von Orgasmen. Aber man fragt sich: Normalerweise gibt es einen Orgasmus, wo liegt der bei der Rakete? Beim, Start, beim Brennschluß und beim Einschlag? Das ist schon eine seltsame erotische Umcodierung, die nicht nur in Dornbergers emotionaler Wahrnehmung der Raketen-Flugbahn stattfindet. Sein Text ist zwar gekürzt, aber wörtlich wiedergegeben. In dem Sinne würde ich sagen, handelt Prüfstand 7 von wirklichen Vorgängen. Wirklich, weil Dornberger es so aufgeschrieben und veröffentlicht hat. Wirklich, weil es einen Zugang bedeutet zu der Gefühlswelt, die mit der Rakete verbunden war.

MG: In „Prüfstand 7“ gibt es diese enorme Materialfülle, die vielen als abschweifend und sprunghaft erscheint. Man kann sich vorstellen, daß die Nicht-Kategorisierbarkeit Deines Films den meisten Ärger auslöst. Ich halte „Prüfstand 7“ für einen enorm kontrollierten Film. Wie weit fügt sich so ein Film durch das vorhandene Material gleichsam von selbst zu einer quasi unbeendbaren assoziativen Reise durch Kontexte? Wie weit muß der Regisseur nach welchen Maßstäben eingreifen, um einer herkömmlichen Dramaturgie zu entsprechen, dem Filmmarkt einen geordneten, das heißt verkäuflichen Film zu präsentieren?

RB: Die Frage läßt sich am besten beantworten indem ich beschreibe, wie wir praktisch vorgegangen sind. Es gab im Vorfeld kein Drehbuch, sondern so eine Art Dossier. Darin war in 7 Kapiteln angeordnet, wovon der Film handeln sollte im Sinne einer Charakterstudie der Rakete.
Und das begann dann erst mal ganz praktisch. Grob gesagt: Die offizielle Geschichte der Rakete im ersten Kapitel. Mit der Frage, was eine Rakete überhaupt ist, damit man bei 1 Minute 30 weiß, das ist nicht irgendeine Bombe, sondern was sehr Spezielles. Und dann gab es ein Kapitel, das die Verbindung zu Pynchon klar machen sollte. Eins, das klar machen soll, das die Rakete nicht Reisen in ferne Welten abbildet, sondern eher die Reise in die Verschmelzung mit der Maschine, weil der Weltraum als menschenferner, unbegrenzter Raum dafür geradezu ideal ist. Denn wir sehen ja in Wirklichkeit nichts anderes als ein paar Menschenkörper, driftend in komplett technischer Umgebung (das scheint mir der eigentliche Inhalt all dieser Inszenierungen zu sein). So gab es also Kapitel. Mit diesen Kapiteln plus gewissen Personen, die in dem Film vorkommen sollten, und einem bestimmten Fragehorizont dazu sind wir in den Dreh gegangen. Zu den Fragen gehörten zum Beispiel folgende: Was das Jeweilige mit Pynchon zu tun hat; was ist Kittlers Perspektive; was kommt aus Helmut Höges geerdeter, realitätsnaher, gleichzeitig immer etwas abgedrehter Forschung hinzu; was forscht Daimler Chrysler Aerospace wirklich und finden wir jemand bei der Deutschen Luft- und Raumfahrtgesellschaft, der an unseren Fragen interessiert ist und vielleicht mitmacht? Wie kann man mit dem Space Park Bremen umgehen? Es gab 7 Kapitel, es gab Personen und einen gewissen Fragehorizont.
Spätestens beim Schnitt, verstehe ich das Ganze immer als einen Übertragungsprozeß. Wenn man am Anfang so eine Anmerkung hat, wie die von Kittler „Rakententechnologie und Filmtechnologie sind wechselseitig aufeinander angewiesen. Ohne das Eine hätte es das Andere nicht gegeben“, dann kann man das entweder wörtlich bringen, oder man kann feststellen, wir müssen das nicht mehr wörtlich bringen, weil diese Anmerkung ist mittlerweile als Film im Film drin. Natürlich war das das Hauptproblem des Films: Wie geht man mit wuchernden Kontexten um? Und ich glaube, das ist auch das inhaltliche Problem. Das kommt direkt aus der Sache, aus dem Thema Rakete. Weil die Rakete ja immer dann dominiert, ihre Rolle als das letzte Wort, das eben kein Wort mehr ist, aber den Punkt macht, ausspielt, wenn wir eigentlich zugeben müßten, das wir die Sache nicht mehr überblicken. Sie triumphiert an der nicht mehr vorhandenen Stelle von Überblick oder Zusammenhang, den man noch einigermaßen mit ein bißchen Selbstvertrauen herstellen könnte (und nicht nur mit dem Gefühl, daß man sich eh nur bestenfalls selbst anblufft). Insofern stecken in der Rakete nicht nur technische sondern auch schwer faßbare psychosoziale Vorgänge, die durch ihre starke Performance, durch daraus resultierende Faszination aber still gestellt und blind gemacht sind. Die Gegenbewegung des Films ist eine Verbindungslust: Das, was in der Rakete vermischt ist, trennt der Film, macht es einzeln kenntlich und erfindet andere Verbindungen dafür und insofern andere Blicke auf die Rakete. Der Film ist eine zweistündige Einladung zu einer speziellen Verbindungslust als Reaktion auf die Rakete.

MG: Wenn man mal das Wort Überblick nimmt, wie weit ist „Prüfstand 7“ und damit der Zuschauer von „Prüfstand 7“ dem, das Raketengeschehen betreffend, nahe?

RB: Überblick insofern, als man miterlebt, wie viele verschiedene Dinge, die mit der Rakete zu tun haben, ganz real auch zusammengehören und wie viele von denen man es nie erwartet hätte auch noch darein gehören. Also man hat vielleicht einen gewissen Überblick über das Aktivitätsgebiet des Raketengeistes. Aber keinen Überblick in dem Sinne, daß man in allen Punkten Genauigkeits- und Detailkenntnisse hat. Da sind ja Fragen, die offen bleiben.
Man kann den Planeten einsehen, auf dem das Raketengeschehen sich abspielt, den Bianca durchwandert, aber man ist zugleich angewiesen auf diese roten Fäden. Wenn z.B. diese Handmetapher kommt, diese abgeschlagene Hand, die sich durchzieht und am Ende dominant wird, dann verführt ja diese höchst seltsame Metapher, der immer mehr Realität zuwächst, wo man sich nur noch wundert, weil sie eben so seltsam ist, dann macht diese zumindest deutlich: Ich bin wahrer, als das, was offiziell gepredigt wurde, was das angebliche Programm der Rakete ist, aber ich bin eine höchst seltsame Wahrheit. Insofern nicht Überblick, weil diese Stelle ja freigehalten wird – es könnte sein, daß es noch andere seltsame Wahrheiten gibt. Aber wenn, dann hätten wir zu suchen nach welchen, die ungefähr so schräg und weit weg sind vom raketenpolitischen Common Sense.

MG: Zum Umgang mit Filmgeschichte. „Prüfstand 7“ ist irgendwann beim imaginären/gespensterhaften Anteil an der Raketengeschichte. Und damit auch bei all den Gespenstern, die den deutschen Film der 20er-Jahre bevölkern. Diese Geschichte wird aber auf der Tonspur vorgetragen, die auch die verdrängten Toten des 1. Weltkriegs und die Gespenster im deutschen Film aufeinander bezieht. Hätte es da nicht einiger Filmzitate bedurft, um Gespenster im Bild zu haben? Spielt der Film an dieser Stelle nicht einen Wissensvorsprung gegen den Zuschauer aus, die nicht abgeholt, sondern streng nach Cineasten und Nicht-Cineasten geschieden werden?

RB: An der Stelle hatten wir eine dünne relativ dünne Materiallage und wir konnten uns da nur retten mit dieser langen Luftaufnahme vom zerbombten Berlin. Die hat man ja in anderen Filmen auch schon gesehen, was ja erst mal gar nichts macht, wenn man dieselben Bilder wiedersieht. Diese Erzählung kommt ja durch die Figur des Filmemachers Völkers, das ist meine Stimme, und es kommt aus einer bestimmten Ecke, die man zuordnen kann. Insofern ist da zwar eine gewisse Bild Ton Schere, aber mit einen raum, in den man diese Geschichte ansiedeln kann. Es ist ja nicht Dialektik in dem Sinne, das gesagt wird, so und so soll alles sein, sondern es ist e i n e Stimme, die das sagt. Klar arbeitet der Film anschließend damit.

MG: Die Gespenster des Weimarer Kinos auf die Toten des 1. Weltkrieges zu beziehen, damit präsentiert man auf der Tonspur Ergebnisse von 50 Jahren filmgeschichtlicher Forschung und setzt die als Realität voraus. Es ist eine Abstraktion, die einen hohen Aufmerksamkeitsgrad verlangt.

RB: Da versucht man kurze knappe Sätze zu finden, mit denen man aber weiterarbeiten kann. Sätze wie „Wie soll die Trauer enden, wenn die Toten in der Luft hängen?“ Man kann das auch vage lesen. Man kann auch sagen, da ist dieser Totenberg, die Toten sind auch schon unsichtbar, wir sehen die nicht mehr und irgendwie konnten die nie richtig betrauert werden. Haufenweise Gespenster. Und dann möglichst schnell umschwenken auf Fritz Langs spezielle Linie. Wir hätten da keine Ausschnitte nehmen können, weil die für uns unbezahlbar sind. Also mußte man in dem Fall ein bißchen karger werden. Und man sieht zu, daß man möglichst schnell bei der Rakete selber ankommt. Bei den Bilder, bei denen man sich dann fragen kann, was ist überhaupt die Rakete, ist das eine Maschinenbraut?
Wenn im 5. Akt die Rakete in Zeitlupe dasteht, mit dieser komischen Musik schwebt, zusammen mit der Frage „Fliegen da unsichtbare, abgeschlagene Hände mit, dann hat die Rakete schon was sehr gespenstisches.
Insofern ist das physisch drin, aber das Argument stimmt schon. An manchen Stellen hatte man nicht die Wahl. Aber die Hoffnung ist, das der Film als Ganzes einen Sog entwickelt. Man könnte auch sagen, dieses oder jenes Pynchon-Zitat, das kann man doch unerklärt nicht bringen, oder andere Anspielungen, da wird manchen nicht klar sein, wo die herkommen, manche werden wahrscheinlich nichts verstehen. All das kann man letztendlich nicht abschätzen. Man kann nur hoffen, oder dafür arbeiten, das der Gesamtsog einen durchzieht und man vielleicht Lust hat, das nochmal zu gucken.

MG: Wie ist überhaupt das Verhältnis von Bild und Wort als Transporter von Informationen gedacht? Wie sehr ist ein Film wie „Prüfstand 7“ auf das Wort angewiesen?

RB: Es gab Übergänge, die allein aus der Bildlogik kamen. Es war gleichzeitig klar, daß man ohne Sprache, die gewisse Motive anspielt und immer wiederholt, man nicht durch diese Geschichte kommen würde.
Es hat sich einfach ergeben, daß wir am Ende mit mehreren Leuten dagesessen und Wort für Wort rausgeschmissen haben. Alles, was irgendwie rauszuschmeißen war: Wo kann man aus 2 Sätzen einen machen, wo reicht nur ein Halbsatz, wo muß nur das eine Wort ankommen, wo muß Bianca nur warum schreien? Da ist natürlich immer noch eine ganze Menge Sprache drin. Ich weiß nicht, ob es mit viel weniger geht. Es mußte diese beiden Strategien geben: Die eine, wo dieses Faszinosum Rakete visuell präsent ist und die andere, wo die Sprache dagegen hält. Und die kommt aus der Sache. Weil die Rakete aufs Verstummen aus ist.
Das sieht man am Ende, in der dikursdokumentarisch nüchternen Stelle mit Ulf Merbold. Der kommt da rein und erzählt nur Quatsch. Und es ist eigentlich gruselig, weil die davon ausgehen, daß das eh niemand zur Kenntnis nimmt, sondern das alles mit Musik unterlegt werden wird und drunter her kaputt getextet wird. Und wenn man das einmal pur nimmt, dann sieht man, daß eh nicht mehr viel Sprache übrig geblieben ist. Insofern gab es vorab die grundsätzliche Idee, daß der Film auch vom Kampf Bild gegen Sprache handelt.

MG: Dieses Ernstnehmen des Gespensterhaften, der Wirkmächtigkeit der Phantasmen in der Geschichte und damit der „Fiktionen“ in den Spielfilmen der 20er (und darüber hinaus) als dokumentarisches Material, ist Dein Umgang damit eine Kritik an Historikern, die das nach wie vor verpönen? Ein Vorschlag für die Geschichtswissenschaft?

RB: Könnte man so denken, aber das wäre dann nicht von mir. Ich glaube der ist von Laurence Rickels. Der hat ja auch in seinem ersten Buch „Der unbetrauerbare Tod“ mit der vorangegangenen Literatur und dann mit dem Film…also das ist eine These, die ich irgendwo aufgeschnappt hatte und versucht habe so in den Film zu übersetzen, daß man damit arbeiten kann. Was mich interessiert hat waren die geisterhaften Effekte der Rakete. Die auch mit ihrer filmischen Präsenz, aber nicht nur zu tun haben, sondern auch mit ihrer praktischen technischen Performance. Insofern habe ich einfach ein gegebenes Wissen in den Film übersetzt und das wäre nicht mein Vorschlag.

MG: Um mal etwas Rumzuspinnen: Durch den Umgang mit und das Ernstnehmen von Gespenstern, könnte man sagen, daß „Prüfstand 7“ auf eine bestimmte Art, vielleicht nach einem Durchgang durch 70 Jahre Filmgeschichte und Theorie, Fortsetzung und Erbe der von Gespenstern dominierten Weimarer Filme ist. Kann man so reden?

RB: Fortsetzung der 20er, da kann man natürlich nur mit Nein antworten. Aber es gibt so eine Eigenmotivation, die sagt: Die Tatsache, daß viele deutsche Filme, die heute gemacht werden, auf diesem oder jenem Gebiet gut sind, ihre Qualitäten haben und dagegen steht dieser bittere Satz von Godard: „Die Deutschen, was machen die, sie hatten doch mal ein Kino“. Letztes Jahr saß ich im Zug und habe mich gefragt, ob ich den persönlich nehme, ob ich mich angegriffen fühle (lacht).
In dem Sinne meine ich schon, daß, wenn es möglich ist mit nicht besonders viel Geld die Verfilmungsrechte von Pynchon sogar schriftlich zu kriegen, dann heißt das ja, das jemand, der sich für solche Linien interessiert ab einem gewissen Niveau sagt „Mach das doch einfach“. Warum kastrieren sich viele Leute vorab gewissermaßen selber, indem sie sagen, das und das und das darf alles nicht im Film vorkommen.
Daß man in einem Film Ideen hat, aber auch all diese magischen Seiten, das ist durchaus Ziel. Sonst wäre auch die Musik von „Prüfstand 7“ nicht so. Zu sagen, wir machen das mit dem deutschen Filmorchester Babelsberg, ist ja auch schon demonstrativ: Wir legen da große Kinogeste rein! Die fette Orchestermusik nimmt das Faktum auf, daß in der Zeit vor dem Krieg ein andere Beziehung zwischen Film und wirklich realitätsmächtigen Mythen bestanden hat. Die meiner Meinung nach aber auch damit zu tun hat, daß zu der Zeit, vor allem in der letzten Phase des 2. Weltkrieges, die technologische Entwicklung in Deutschland an einer Frontstelle zu diesen Phantasmen ja tatsächlich avanciert war. Und ich glaube, das hat sich mit Kino verbunden – wie neue Techniken ins Leben eingreifen, es umbauen, das haben Leute wie Fritz Lang gespürt. Heute habe ich den Eindruck, daß Filme wie „Total Recall“ oder „Terminator“, also Filme in der Hollywood Form sehr nahe dran sind an realitätsmächtigen Phantasmen und an Technologien interessiert, die wir hier zweite Hand mäßig immer mit 5 Jahren Zeitversatz bekommen.
Das das nicht normal sein kann, daß der deutsche Film, wie Georg Seeßlen einmal böse gesagt hat, für die Aufarbeitung der regressiv nationalen Nachholbedürfnisse zuständig ist, und der mit internationalem Geld in Kalifornien gedrehte Hollywoodfilm immerhin den Vorteil hat, daß die, wie auch immer, ihre Erzählungen verbinden mit dem, was die neuen Technologien und ihre Art ins Leben einzugreifen gerade an Fragen aufwerfen. Und wir eiern da hinterher. Diesen Pakt hat „Prüfstand 7“, wie schlecht auch immer gemacht, nicht unterschrieben.

MG: Diese Blindheit auf dem technologischen Auge, dies Nicht-Vorhanden-Sein all der Fragen von Technologie zeichnet ja nicht nur hiesige Filme, sondern die deutsche Filmkultur insgesamt aus. Es wirkt, als wäre es Ziel dieser Filmkultur jede wirkliche Aufmerksamkeit für Technologie zu bekämpfen.

RB: Daher auch die Bewegung in „Prüfstand 7“. Man fängt mit dem Urobjekt an. Das Urobjekt geht nach Kalifornien, man erwähnt aber immer noch diese Frequenz, aus totaler Krieg wird totale Katastrophe. Es folgt Disney, der macht Wernher von Braun berühmt. Immerhin wird in „Prüfstand 7“ noch erwähnt, daß Disney-Firmen den Space Park Bremen beraten und das so was wie eine 3. Phase begonnen hat – völlig geschichtsfrei, in dem Space Park gibt es ja keine Geschichte – in der die Rakete jetzt wieder nach Deutschland kommt. Genauso, wie man sagt, man akzeptiert nicht, daß das alles im deutschen Film nicht vorkommen darf, sagt man auch, daß die andere Wirklichkeit schon längst wieder hier angekommen ist. Und die Frage ist, ob nicht, wie im Film behauptet wird, demnächst eine technologische Frontlinie entstehen wird. Das gesagt wird, für diesen Job brauchen wir wieder alle Deutschen und zwar in ihrer guten alten formierten Form.

MG: Genau diese Stelle ist beim Publikum in Duisburg als Scherz, als Brüller angekommen. Man nennt das wohl Galgenhumor.

RB: Galgenhumor, denn man sieht im Film ja auch, wie die Besucher vor diesem schwarzen Doppelmausoleum der ILA 2000 Weltraummesse in Berlin mit ihren kleinen Luftballonherzen im Gänsemarsch daherziehen. Aber im Ernst, ich frage mich das wirklich: Kann es nicht sein, das Deutschland, wo diese Phantasmen weiterhin so wirksam sind, wenn es – wie es sich jetzt abzeichnet – darum geht, den Ausstieg aus dem Körper zu favorisieren… kann es nicht sein, daß ausgerechnet Deutschland, streng Pychonmäßig gedacht, gerade wieder privilegiert ist? In welchem Land der Welt ist die psychosoziale Grundstruktur und Technologiebegeisterung und die vorausgegangene Präparierung derart optimiert? Könnte es nicht sein, daß sich auf einmal herausstellt, für die Realisierung der finalen Klonvariante sind die Deutschen weltweit am besten geeignet?

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