Dienstag, 01.04.2003

Harun Farocki, Kriegstagebuch (2)

23.3.03
Gestern nahm ich im SFB an einer Radio-Diskussion teil. Zuhörer riefen an und alle kritisierten die Bild-Berichterstattung im Fernsehen. Nicht nur, dass da kein vollständiges oder wahres Bild vom Krieg gezeigt werde. Eine Frau sagte, sie habe gesehen, wie ein TV-Team Gas-Masken anlegt und hätte denken müssen, sie schützten sich, um Bilder ungeschützter Zivilisten aufnehmen zu können.
Erinnerung an den ersten Kriegstag: in Kuwait ist Luftalarm, im Pressezentrum versuchen die Berichterstatter, ihre Gasmasken anzulegen. Im Hintergrund sieht man das Hotel-Personal, Männer und Frauen aus Thailand und von den Philippinen. Für sie gibt es keine Masken, sie haben Taschen-Tücher umgebunden – wie bei einer Grippe-Epidemie.

24.3.03
Für zwei Tage bin ich in Lille, man bringt mich in einer Wohnung ohne Fernseher unter.
Auch das Tabac über die Strasse hat keinen Fernseher.
– Ein Bildtyp, der 1991, beim Krieg der Alliierten gegen den Irak, Furore machte, kommt in diesem Krieg nur noch am Rande vor: die Luftaufnahmen aus Flugzeugen oder Drohnen zur Überwachung des Bombardements.In kontrastarmem Schwarzweiss, im Zentrum das Fadenkreuz. Mit dem Einschlag des Projektils reisst die Aufnahme ab.
Noch mehr Erstaunen riefen die Bilder aus dem Kopf der Projektile hervor, die den Anflug auf das Ziel übermittelten, aus „filmenden Bomben” (Theweleit). Weil Videospiele mit dynamischen Perspektiven Effekt machen, schrieb man damals viel, der Krieg erscheine wie ein Videospiel.
Diese Bilder wurden im Zusammenhang mit dem Wort „intelligente Waffen“ gezeigt, und weil sie den Blickpunkt der Waffe einnahmen und nicht den eines zielenden Soldaten erschienen sie als Subjektive neuen Typs. Sie gaben dem Projektil eine Subjekt-Ähnlichkeit und waren ein Bild zur Einfühlung in den Geist der Waffe.
Es ist damals kaum bemerkt worden, dass eine Videokamera im Projektil noch lange nicht beweist, dass dieses „intelligent“ ist, also mittels Bildverarbeitung ein Ziel erkennen und ansteuern kann. Tatsächlich dienten die meisten der Bilder aus diesen Selbstmord-Kameras nur zur fotografischen Kontrolle der Wirksamkeit des Angriffs – dieses Verfahren gab es schon in Zweiten Weltkrieg.
Diese Bilder waren also eine merkwürdige Reklame: Reklame für eine Waffe, die die Waffenindustrie gerne entwickeln/verkaufen würde und die Militärführung gerne bezahlt bekäme. Ein Waffe behauptet ihre Existenz um ein Existenz-Recht zu setzen! –
Gestern wurden solche Bilder bei einer Pressekonferenz der US-Kriegsführung gezeigt. Der Fernsehbericht des 1.Programms zitierte sie nur für Sekunden und merkte an, diese Bilder bewiesen nichts. Der Kommentar merkt gegenwärtig ständig an, man wisse nicht, wo eine bestimmte Bildfolge aufgenommen worden sei und man könne nicht nachprüfen, ob sie eine Situation angemessen wiedergebe. Auf einmal ist das Fernsehen extrem medienkritisch.
Man spricht in diesem Krieg nicht mehr von „intelligenten Waffen”, nur noch von Präzisions-Waffen.

31.3.03
Schlagzeile der „Berliner Zeitung“: „Kirche unterstützt Reformkurs“. Der Krieg ist nicht mehr die erste Nachricht.

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