Mittwoch, 16.04.2003

Playgirl

Regie: Will Tremper. BRD 1966.

Nach 8 Stunden Fahrt kommen sie an in Berlin. Auf der AVUS begrüßt Eva Renzi den Funkturm, hält den Kopf aus dem Dachfenster, „Ach ist das schön!“, ihr Haar weht im Fahrtwind. Als sie sich zuvor im Spiegel betrachten will, in einer eng cadrierten Einstellung aus Richtung der Rückbank aufgenommen, klappt er den Spiegel nach links weg. Augenblicklich folgt ihr Gesicht der Bewegung des Spiegels und man sieht sie jetzt im Profil. Eine Nouvelle Vague Phrase, vorbereitet durch ein paar Jump Cuts: Eva Renzi von oben, liegend auf dem Beifahrersitz; Eva Renzi von der Seite, und in den Fenstern sieht man die Fahrtbewegung an den vorbeiziehenden Bäumen.

In Berlin angekommen fahren sie vor ein Hotel (am Stuttgarter Platz?). Eine Bruchbude. Ein junger Mann mit zusammengeballtem Gesicht und kurzgeschnittenen blonden Haaren -„Typ ‚Peter von Eyck'“- steht davor, mit weißem Unterhemd, braungebrannt, es ist Sommer. Der Mann, mit dem sie gekommen ist, ist sein Chef. Sie soll den Blonden „007“ nennen. 007, der auch Jochen heißt, holt ihre Koffer aus dem Auto und trägt sie ins Hotel. Sie telefoniert währenddessen in einem Kiosk auf der anderen Straßenseite. Schreibt sich eine Adresse auf. „Jerusalemer Straße 47-49.“ Dort will sie jetzt hin. 007 soll ihre Koffer zurück bringen. 007 zögert. „Sie wollen mir den kleinen Gefallen nicht tun?“ Zuvor waren die Einstellungen auf sie und den Blonden halbnah, man sah das Hotel im Hintergrund und den kleinen Platz mit dem Kiosk, parkende Autos, Bäume, Passanten. Bei ihrer Frage dreht sie sich um und ihr Umdrehen wird zu einem Schnitt genutzt, ihr Gesicht bildfüllend zu zeigen. Der Blonde betrachtet sie, wie ich als Zuschauer, die Gewaltigkeit und Promptheit des Ransprungs verarbeitend. Zu schnell, um adäquat zu reagieren. Er lächelt nach einer Weile. Nicht nur wegen ihrer Schönheit. Sie dreht sich wieder weg und ruft ein Taxi. Der Blonde im Unterhemd, 007, kratzt sich verlegen bewundernd am Kopf, „Mann ist die ’ne Klasse.“ Er berlinert stark. Das Taxi mit ihr fährt ab und der Chef tritt aus dem Hotel. Beide betrachten das abfahrende Taxi. „Sie ist wohl weg, was?“ – „Ja.“ – „Gottseidank. So was habe ich noch nicht erlebt. Das ist ’ne Wahnsinnige.“

Sie heißt Alexandra Borowski und ist Fotomodell. Sie ist mit Bert („Siegbert“ = Harald Leipnitz) zum Schwimmen zum Olympiabad gefahren. Bert soll sich um sie kümmern, sein Chef Steigenwald (Paul Hubschmid) hat ihn darum gebeten, mit leicht amerikanischem Akzent im Büro in der Jerusalemer Straße. Geschäfte werden da besprochen mit einem Amerikaner, lässig fläzt man sich in tiefe Sofas. Im Olympiabad trifft Bert auf seine Verlobte. Ein Kampf mit Worten zwischen den Frauen um den Mann. Namen von Städten und Ländern werden jetzt ausgetauscht wie Trümpfe um Welthaltigkeit und Geschichte. Paris, San Francisco, Bahamas, Rom. Bert zeigt ihr das Olympiastadion, 1936 hat hier Jesse Owens den 100-Meter-Lauf gewonnen. „Vor wem ist der denn weggelaufen?“

Wir wären so gerne Welt. Die Hinterhofpension, in die sie sich von 007 hat bringen lassen, quillt über von Geschichten. Eine junge Russin telefoniert im Vorzimmer. Ein alternder Mann kommt aus dem Bad mit einer Bierflasche in der Hand. Nebenan ein Paar, er schwarzhäutig, sie blond. Als Eva Renzi lesend in der Badewannne liegt, tritt der Schwarze ohne Anzuklopfen hinein und verspricht ihr zwei Karten für das „Living Theatre“ am Abend. Ausgehen mit Bert. Nach dem Theaterbesuch (englisch!) gehen sie ins „Kopenhagen“ am Kurfürstendamm und essen Hering. Dann Tanz. Sie küssen sich zum deutschsprachigen Gesang einer französischen Sängerin. Woanders, tief in der Nacht, sitzt Paul Kuhn am Klavier, der oberste Hemdknopf geöffnet, der Krawattenknoten gelockert, improvisiert einen Blues, „… mein Klavier ist todmüde…“, und nippt in einer Pause schwermütig an einem Halbliterglas Bier. „Den wollte ich dir noch zeigen. Paulchen Kuhn.“ Im Auto, beim heranbrechenden Morgen mit Vögelgezwitscher, knutschen sie und hören AFN.

Kochstraße, Ecke Friedrichstraße, „Checkpoint Charlie“. Aus Megaphonen tönen Parolen gegen den Schießbefehl. Sie gerät nun doch mit Steigenwald zusammen, der Hochhäuser bauen läßt direkt an der Grenze wie Springer, dessen „Welt“ er morgens beim Frühstück in Dahlem im Garten liest. Zuvor ein Abendessen mit ihr, das Gespräch kommt auf die Politik. Die Mauer, der Krieg, der Hitler: wie kann man das alles sehen?, was ist die richtige Perspektive? Sie ist neugierig, Berlin sei die Stadt, in der das alles vorhanden sei. Steigenwald sagt, er komme sich alt vor, wenn er sie reden höre. Sie: „Gebt doch nicht so an mit eurer Mauer.“
Später – Steigenwald hat sich aus dem Staub gemacht und Siegbert ist enttäuscht von ihrer Flatterhaftigkeit und eifersüchtig geworden und ablehnend – ist sie von einem Moment zum anderen am Boden zerstört durch ihre falschen Liebesentscheidungen („Es gibt keine unglückliche Liebe, es gibt nur falsche“), presst Tränen unter ihrer Sonnenbrille hervor im Auto von 007, der sie durch die Stadt chauffiert und trifft dann aber genau zum richtigen Zeitpunkt auf der Straße einen bekannten italienischen Modefotografen. Aufnahmen im Schloß Charlottenburg, auf Hochhausdächern, am Mauerstreifen.
„Berlin ist eine Sünde wert“, der Slogan zum Film auf meiner Videokaufcassettenhülle, wird hier vom italienischen Fotografen erstmals erwähnt, abgewandelt zu „Berlin ist eine Liebe wert“. Manche Heimat- und Musikfilme aus den 50ern hatten ähnliche Fabeln zur Ankurbelung: das jemand von weither kommt, aus einer modernen Stadt oder gar aus Amerika, und ein Alpengipfeldeutschland entdeckt als disneyfizierte Landschaft mit abgeschwächtem Tiefgang. Mit aufgeklärten Leuten und folkloristischen Ritualen, die als Tourist zu betrachten Lust verspricht. Die meisten dieser Filme nutzten dieses werbende Nach-Außen-Gerichtetsein als McGuffin, um Geschichten zu erzählen, die nach Innen gehen, die prototypische Protagonisten in einem Prozeß der Selbstvergewisserung zeigen. Als Film auf einer möglichen Liste des Berliner Fremdenverkehrsamt ist „Playgirl“ stärker nach Außen gerichtet, die Protagonisten sind von Innen heraus welt- und oberflächenfordernder. Ich stelle mir Trempers Gedankengang dazu vor: Wenn wir Berlin und uns 1965 als modern definieren wollen, müssen wir es moderner zeigen, als es ist; d.h.: alles auf einmal zeigen – Liebe, Arbeit, (Kino-)Stadt. Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Man sieht dem Film diesen Wunsch sehr an. Nach „Playgirl“ hat Tremper noch zwei Filme gemacht.

Uwe Nettelbeck zu Tremper und „Playgirl“, in der Filmkritik Nr.10, 1966:

„Wichtig ist: Ein Mann, der von allerlei fasziniert und nicht wählerisch ist, ohne Zwang Illustriertengeschichten geschrieben hat und über manches manches weiß, bringt es fertig, einen Film nur über sich selber zu machen und in diesen Film alles hineinzustecken, was ihm so auffällt, wovon er fasziniert ist, was er sich vorstellt, was er sich denkt. Wichtig ist schließlich: Wir können ins Kino gehen und uns einen Film anschauen, dem wir entnehmen können, was einer, der in Berlin lebt und dem was auffällt, so denkt und sich vorstellt. Statt uns einen Film anschauen zu müssen, in dem wieder einmal irgendeiner irgendeine Geschichte inszeniert hat, die weder ihn noch uns interessiert, in dem im gehobenen Tone über eines dieser Probleme nachgesonnen wird, von denen es dann heißt, es sei gut gewesen, daß einer es angepackt habe.“

„Ich erwarte mir von Dir, dass Du Dir im Büro nichts anmerken läßt. Es ist Aus. Ich erwarte mir von Dir, dass Du modern genug bist, Dir auf einmal miteinander schlafen nichts einzubilden. Das ist doch klar, oder?“ Siegbert möchte mit seiner Freundin Schluß machen. Er hat sich in Eva Renzi verliebt. Deren Aufstieg in der Modeszene der Stadt wird gezeigt: schwindelerregender, nicht aufhörender 360°-Schwenk von der Mittelinsel des Ernst-Reuter-Platz; Gespräch mit einem Berliner Modemacher, der gar nicht aufhören mag die italienische Mode auf Italienisch zu preisen. Ein wenig verliert der Film nun an Tempo, obwohl Zeitsprünge erzählt werden: Siegbert arrangiert sich wieder mit seiner Freundin; Eva Renzi widersteht Annäherungsversuchen des italienischen Fotografen, das Leben der Figuren normalisiert sich. Noch 20 Minuten, der Film ist kurz vor seinem Ende. Aus der Reigenhaftigkeit wird nun doch eine Dreiecksgeschichte nachdem Siegbert Eva Renzi auf einer Party wiedersieht, die beiden zum Paar werden mit Alltag und Ausflügen und Steigenwald eifersüchtig, der verpassten Chance nachtrauernd. Berlin ist nun Kulisse der Beziehungshändel, nicht mehr projezierter Taktgeber: eine Szene am See, eine bei einem Autorennen, im Hintergrund sieht man den Funkturm, auf den noch in einem Satz hingewiesen wird, als sei die Welt anders nicht mehr bemerkbar. Die letzte Szene auf einer Wiese zwischen Bäumen könnte überall spielen.

Jeans von Nicolette Krebitz fällt mir ein, als ein Film, der 35 Jahre später an „Playgirl“ anknüpfte.

Michael Baute

(„Playgirl“ ist am Freitag, 18.4.03, um 23:00 Uhr auf SFB1 zu sehen.)

Ein Kommentar zu “Playgirl”

  1. Eskalierende Träume » Panik im Needle Park schreibt:

    […] Life – erinnern wir uns kurz an Michelangelo Antonioni’s Blow Up oder Will Trempers Playgirl (beide 1966) um uns in Erinnerung zu rufen wie angesagt dieser Beruf während der 60er Jahre war), […]

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