Milchwald (Christoph Hochhäusler) D 2003
So riesig, übermannshoch, daß es, beim Radlabsperren, mim Kopf nach unten, also mit kopfstehenden Buchstaben, in fremder Sprache, sich reindrückt, das Plakat im Kinofoyer: „Les Bois Lacté“ – den Euro-Markt im Visier.
Eine Reminiszenz an Dylan Thomas‘ „Unterm Milchwald“ sei es nicht, sagt Christoph Hochhäusler.
Der Titel macht die Vorgabe, es handele sich um Sowaswiengedicht.
Milchwald – Weißwasser, immerhin scheut sich Hochhäusler nicht vor geographischer Bestimmtheit; eine Landkarte spielt mit, auf der dieser Ort verzeichnet ist. Der große Anspruch des Überall, die allgemeine Gültigkeit, also nicht.
Daß die Pampa unserer Breitengrade ein prima Gelände für eine Erzählweise abgibt, die eher Bericht ist als dramaturgisches Quetschwerk, indem sie sich zunächst von selbst der Übertreibung entzieht, war schon in Petzolds „Wolfsburg“ zu sehen.
Hochhäusler ist nah an die Grenze gegangen, Deutschland-Polen. Da fliegen die Pollen bollenweise, von der Windmaschine übers Feld getrieben der Stiefmutter um die Ohren, als sie vergebens nach den Kindern ruft, die sie zuvor wütend aus dem Auto warf.
Die Straße, über die sie in der ersten Einstellung gefahren kommt, hat Wellenform, ein ungewöhnliches Auf und Ab, auf das die Kamera mithilfe langer Fingerzeigbrennweite angeberisch hinweist. Der Schwenk mit dem Fahrzeug kurz darauf endet unvermeidlich mit dem Blick in die Hochspannungsleitungsraumtiefe.
Dann aber wieder das herrlich trübe Haus mit aufgeklebten Fensterkreuzen, gefliesten Fluren, Zimmern aus gipsverspachtelten Trockenbauwänden, in dem gevögelt und die Vermißtengeschichte durchlitten wird.
Gerne steigt man gelegentlich, wie Wim, aufs Hoteldach und nimmt die Leuchtschrift von hinten.
Das rotzige Mosern der Kinder, die strichmündige Betrübtheit der Stiefmutter, die dem Mann und sorgenvollen Vater nicht verrät, daß sie selbst die Bälger ausetzte und ihr von Filmen abgegucktes Leidenschaftsspiel im Sexgebiet – das von Hochhäusler ungebremste oder herausgeforderte Overacting wird in seiner Übertriebenheit spätestens erkennbar, wenn es sich messen muß mit dem Mittelmaß an Erregbarkeit von Miroslaw Baka, bekannt aus z.B. Kliers „Überall ist es besser, wo wir nicht sind“ und Kieslowskis “ … Töten“ – eine ihm aus der Erinnerung zugewiesene Rolle, die mich kindisch auf eine sich entpuppende Grausamkeit warten läßt. Hochhäusler sagt, daß – in seinem Film – dieser reisende Auffüller von Seifenspendern ein freies Leben führe. Vielleicht muß er deshalb Kuba heißen.
Weil es wirklich sehr gut gemeint ist, gibt es Musik nicht aus der Konserve und auch nicht vom Synthi, sondern eigens komponiert und eingespielt, mit Pauken und später auch Trompeten – nicht jedoch kitschig symphonisch, sondern kitschig angeschrägt, daß der Wald auch recht unheimlich märchelt.
Mir schien, als habe sich bei diesem „Kunstfilm“(M.H. in taz, 11.11.2004) der eine Hochhäusler nicht gegen den anderen durchsetzen können. Der Vorsatz zur Schlichtheit war im Ringen mit dem Marketingspekulanten nicht durchzuhalten.
Nun glaube ich zu wissen, warum im Veranstaltungsprogramm stand: Wir freuen uns auf den nächsten Hochhäusler-Film.